Die Schattenseite: Verletzungen

Der KTM BLOG sprach mit Red Bull KTM Werksfahrer Tommy Searle über einen der härtesten Aspekte im Leben eines Motorradrennfahrers: Verletzungen. Wie gehen Rennfahrer mental damit um? Wie beeinflussen sie ihren Alltag? Der ehemalige dreifache Vizeweltmeister, der in der MXGP-Saison 2015 bisher mit Wirbelsäulen-, Schulter- und Armverletzungen zu kämpfen hatte, erzählt von seinen Erfahrungen …

Tommy Searle Katar 2015

Tommy Searle Katar 2015

Die zahlreichen Sinneseindrücke des Motorsports – Geräusche, Gerüche, Farben, Unterhaltung – erlebt man immer in dem Wissen, dass sich der süße Duft des Champagners für die Fahrer auch sehr schnell und zu jeder Zeit in den von Desinfektionsmittel verwandeln kann. Besonders im Offroad-Sport, wo ein Sturz bei jeder Geschwindigkeit, zu Knochenbrüchen führen kann. Stürze auf Asphalt, wie in der MotoGP, enden meist mit jeder Menge Abschürfungen und vielen Knochenbrüchen durch den plötzlichen Aufprall auf den Asphalt. Daten zu Stürzen und Verletzungen gibt es nur wenige; in der Saison 2014 wurden in der Weltmeisterschaft insgesamt 981 Stürze gezählt, 206 davon in der Königsklasse (61 in den 18 Rennen). Motocross-Fahrer stürzen häufiger; auf den schwierigen Strecken ist es selbst für die besten Fahrer nicht ungewöhnlich, dass sie für einen Moment die Kontrolle verlieren, nur um dann das Rennen wieder aufzunehmen, oftmals ohne eine Position zu verlieren.

Nach 15 Jahren MXGP-Berichterstattung kann ich sagen, dass die Mehrheit der Stürze glimpflich ausgeht und keine größeren Verletzungen nach sich ziehen. Natürlich gibt es auch die schockierenden Stürze aus großer Höhe und bei hoher Geschwindigkeit, die den Zuschauer staunen lassen, dass der Fahrer den Sturz unbeschadet überstanden hat; manchmal ist aber auch schnell klar, dass sich das Leben des Fahrers nachhaltig verändern wird. „Sofort nach einem Sturz versucht man sich zu bewegen und herauszufinden, ob etwas gebrochen ist“, sagt der 26-jährige Tommy Searle, der erfolgreichste englische Grand Prix-Fahrer dieses Jahrhunderts. „Du denkst ‘Arghh … … Beine? Arme? Wo tut es weh?’. In Thailand [Runde 2 der MXGP-WM] bin ich gestürzt, erinnere mich aber an fast nichts mehr, weil ich bewusstlos war. Die meisten Fahrer machen es ähnlich; sie versuchen sich zu bewegen und ob sie Schmerzen spüren, erst dann stehen sie auf. Manchmal weiß man auch gar nicht so genau, was los ist. Nach meinem Sturz in Spanien tat mir die Schulter weh, es fiel mir schwer zu atmen und ich hustete Blut. Manche Verletzungen sind am Ende schlimmer, als man zunächst gedacht hat. Es mag ein kleiner Sturz sein und als kleines Problem beginnen, aber sobald die Nerven geschädigt sind, ist es ein schwerwiegendes Problem.“

In der ersten Phase nach einem Sturz, egal ob man im Krankenhaus liegt oder nicht, versucht man das Geschehene irgendwie zu akzeptieren. „Man leugnet, dass man verletzt ist“, gesteht Searle. „Ich bin nach einem Sturz schon einarmig nach Hause gefahren und dachte ‘das könnte ich nicht machen, wenn er gebrochen wäre’, das gleiche gilt fürs Öffnen der Tür oder ähnliches. Du willst es nicht wahrhaben und dann gehst du zum Arzt und der diagnotiziert „der Arm ist gebrochen“. Die erste Frage ist „wie lange?“ Die Ärzte sagen „sechs bis acht Wochen“ und du denkst: ‘in vier Wochen ist das bestimmt wieder ok …’. Ich habe in den letzten paar Jahren gelernt, dass vier Wochen einfach nicht genug sind, damit ein Bruch vernünftig verheilt. Ich habe mir die Schulter gebrochen und es hat acht Wochen gedauert, bevor ich wieder schmerzfrei war.”

Tommy Searle Thailand 2015

Tommy Searle Thailand 2015

Für Sportler, die ihr ganzes Leben dafür trainieren, schnell zu sein, bedeutet eine Verletzungspause nicht zwangsläufig, dass sie es ruhiger angehen lassen können. „Du tust alles, was du nur kannst, um dich zu verbessern und auf das alte Niveau zurückzukommen“, erklärt der Brite. „Ich verbringe die meiste Zeit damit, zur Physiotherapie oder zu Behandlungen zu fahren, Arztrechnungen zu bezahlen und Spezialisten aufzusuchen. Fit zu werden, kostet eine Menge Zeit und Geld … und bei jeder Verletzung ist es das gleiche. Die Leute denken, du bist zu Hause und sitzt auf der Couch, aber eigentlich ist man mehr unterwegs, wenn man verletzt ist! Du verbringst viel mehr Zeit im Fitnessstudio, um die alte Form zurückzubekommen.“

Aber warum haben Sportler diesen Drang in einen Sport zurückzukehren, der zunächst so viel Schmerz und Qual erfordert? Warum dem Körper diesen ganzen Stress zumuten? Diese Einstellung ist für ‘normale’ Leute schwer nachzuvollziehen, aber für einen professionellen Sportler ist es eines dieser Hindernisse, das sie in ihrer Karriere meistern müssen. Ähnlich wie einen harten Konkurrenten auf der Strecke, der ihnen den Weg zur Erfolg versperrt. „Mein Leben dreht sich um den Rennsport und ich habe durch ihn ein sehr gutes Leben. Ich kann mich glücklich schätzen, dieses Leben zu haben, das erst durch den Motorsport so geworden ist … es ist also schwer Spaß zu haben, wenn es auf der Strecke gerade nicht so gut läuft“, erklärt er. „Wenn du unter Schmerzen fahren musst, dann ist das Sch***, aber sie sollten dich nicht dazu bringen dich zu fragen ‘warum tue ich das?’ Als ich jünger war, habe ich nie darüber nachgedacht … jetzt bin ich älter und denke mehr über die Dinge nach, aber Schmerz spielt dabei nach wie vor keine Rolle. Ich sorge mich mehr um den Schaden, den ich beim Fahren unter Schmerzen in meinem Körper anrichten kann. Wenn ich nicht Gefahr laufe, meinem Körper zu schaden, dann kann ich das Rennen mit einer schmerzlindernden Spritze überstehen. Aber wenn du Schmerzen hast, dann gibt es dafür normalerweise einen Grund.“

„Ich denke nicht, dass meine Verletzungen mich im Alter beeinflussen werden. Harry Everts zum Beispiel; er humpelt zwar ein bisschen, aber er liebt das Leben und ist immer noch im Paddock zu finden. Man spürt wahrscheinlich die Arthritis in den Gelenken … aber ich wette, dass keiner der älteren Fahrer denkt ‘Ich wünschte, ich wäre nie Rennen gefahren’.”

Tommy Searle Spanien 2015

Tommy Searle Spanien 2015

In den letzten 30 Jahren beschäftigte sich ein wachsendes Feld der Sportwissenschaft verstärkt mit Psychologie und wie Profisportler mit den Hochs und Tiefs in ihrer Karriere umgehen. Forschungen und Fallstudien haben gezeigt, dass die Emotionen Frustration, Ärger und Anspannung aufeinander folgen. Die Unterstützung von Trainern und Freunden sowie das richtige Setzen der Ziele, sind die effektivsten Wege, um mit den psychologischen Auswirkungen dieses Lebenswandels umzugehen.

Die schnelllebige Natur des Rennsports – die den ehemaligen Motocrosser Ryan Hughes dazu veranlasste in Mikey Neales außergewöhnlichem Film ‘FearNot’, der bald Premiere feiert, Motocrossfahrer mit Kalenderblättern zu vergleichen; „wenn die Leute genug von einem haben, dann tauschen sie einen einfach gegen den nächsten aus“ – und ein vollgepackter Rennkalender, der auch für verletzte Sportler nicht weniger Termine bereithält, bedeutet, dass Verletzungen auch immer mit dem immensen Druck verbunden sind, möglichst schnell wieder gesund zu werden und aufs Motorrad zu steigen.

„Verletzt zu sein, ist mental anstrengend; man beginnt an sich und seinem Können zu zweifeln. Es ist schwierig und anstrengend wieder an die alte Form anzuknüpfen. Du kannst mit einer Verletzung umgehen, wenn du zurückkommst und dich zu 100% fit fühlst, aber die Situation in der wir sind, ist anders. Wir können nicht warten, bis wir zu 100% fit sind, dafür haben wir schlicht keine Zeit.“

„Du trainierst die ganze Zeit im Fitnessstudio und denkst ‘f**k, ich kann nicht mal aufs Motorrad steigen, wie werde ich mich erst fühlen, wenn ich fahren muss? Ich könnte die Verletzung noch verschlimmern.’ Man beginnt langsam zu trainieren, aber weder die Schulter, noch der Rücken fühlt sich gut an und die Ärzte sagen: „mach nicht zu viel“ und du bist dir nie sicher, ob du zu viel oder zu wenig trainierst. Ist das, was ich tue das Richtige, um wieder fit zu werden oder verlängert es meine Verletzungspause? Sehr schnell fühlt man sich verloren. Einige Leute raten dir, dich auszuruhen; andere, dich zu bewegen. Das ist eine schwierige Situation … bis man am Saisonende zu Hause sitzt und sich wirklich ausruhen kann.“

„Ist das, was ich tue das Richtige, um wieder fit zu werden oder verlängert es meine Verletzungspause? Sehr schnell fühlt man sich verloren.”

„Wenn ich nach einer längeren Pause wieder an die Strecke fahre und auf das Motorrad steige, dann kann ich es nicht genießen; ich bin aufgeregt und nervös, weil ich nicht genau weißt, wie ich mich fühlen werde. Bei der Streckenbesichtigung fragst du dich dann wieder die gleichen Dinge: Mache ich es schlimmer? Sollte ich besser zu Hause sein?’ Vielleicht bist du noch nicht bereit für ein Comeback, aber du musst, denn dafür wirst du bezahlt. Anfang des Jahres konnte ich sechs Wochen lang nicht fahren. Ich konnte auch nicht trainieren und bin am Ende direkt vom Sofa ins Rennen gegangen. Solche Situationen können dich etwas runterziehen … aber das ist Teil des Sports.“

„Verletzungen bringen dich immer in die Defensive. In Wahrheit interessiert es im Rennen niemanden, ob du Probleme hast. Die Leute schreiben dich sehr schnell ab. Wenn du am Start stehst, dann stehst du am Start, alles andere interessiert nicht. Ich denke, das gilt auch für andere Sportarten. Du musst lernen, dass es auch die Leute in deinem unmittelbaren Umfeld ankommt. Bei mir sind es Familie, Freunde und die Leute zu Hause, denen es egal ist, ob ich Rennen gewinne. Viele halten sich für Experten und geben vorschnelle Urteile ab wie „Der kommt nicht mehr zurück“, aber wenn du wieder bessere Ergebnisse einfährst, dann stehen sie auf einmal wieder an deiner Seite. Die Dinge laufen nun mal so, das muss man akzeptieren.“

Tommy Searle Lettland 2015

Tommy Searle Lettland 2015

Die Art, wie Sportler mit einer solchen Situation umgehen und wie sie mit Leistungen auf höchstem Niveau zurückschlagen, ist der perfekte Charaktertest. Trotzdem liegen viele Faktoren, wie der Unfall an sich und die Rehabilitationszeiten, außerhalb ihrer Kontrolle. Neben dem persönlichen Stolz und dem unbedingten Wunsch wieder erfolgreich Rennen zu fahren, gibt es auch praktische Gründe, sich möglichst schnell wieder auf das Motorrad zu setzen, denn ein Sturz kann eine vielversprechende Karriere um Monate zurückwerfen oder sogar beenden. „Es ist merkwürdig. Mein Freund Ed verletzte sich bei einem Sturz an der Schulter und sagte: „Jetzt weiß ich, wie du dich fühlst“ und ich antwortete: „Du hast keine Ahnung!“ Er konnte sich einfach für ein paar Wochen ausruhen und sein Leben würde sich nicht maßgeblich verändern. Ich verdiene mit dem Rennsport meinen Lebensunterhalt. Die Verletzung, die ich letztes Jahr in Thailand hatte, als das Motorrad ohne mein Zutun einfach ausging, dieser Moment kostete mich letztendlich Hunderttausende von Euro; ich war zuversichtlich für die Saison und die Vertragsverhandlungen. Mein Gehalt wurde mehr als halbiert und es hat mein Leben verändert. Die Teams gehen mit Verträgen unterschiedlich um, aber in diesem Fall wurde ich dafür bestraft, dass ich nicht genug Zeit hatte, um wieder gesund zu werden. In dieser Hinsicht, ist es ein grausamer Sport …“

Von Verzweiflung über Hoffnung zur Rückkehr auf die Rennstrecke – am Ende einer Verletzungspause steht im Idealfall ein Fahrer, der wieder ums Podium mitfahren und sein volles Potential ausschöpfen kann. „Du vergisst die ganze Situation und die Strapazen so schnell“, beschreibt Searle die Zeit nach der Verletzung. „Wenn du verletzt bist, dann ist alles, was du willst, wieder ein Rennen zu fahren und du tust alles in deiner Macht stehende, um dieses Ziel zu erreichen. Ich gebe alles, um gesund zu werden und versuche jedes Rennen zu genießen.

„Und dann, ganz plötzlich, kannst du wieder fahren und sehr schnell nimmt man diese Situation als selbstverständlich hin.”

Und dann, ganz plötzlich, kannst du wieder fahren und sehr schnell nimmt man diese Situation als selbstverständlich hin. Alles, was ich in den letzten sechs Monaten getan habe, hatte dieses Ziel! Auch wenn ich keinen guten Tag habe, mache ich mir bewusst, dass ich an der Strecke bin und es das ist, was ich tun will, was ich liebe und wovon ich immer geträumt habe. Ich kann mich glücklich schätzen, hier zu sein. Zu schnell nimmt man das alles als selbstverständlich hin; ich versuche das nicht zu tun.“

Fotos: Ray Archer