Engagement im Supercross: Warum KTM indoor siegen musste

Vor zwei Jahren, im riesigen, dunklen Innenraum des Chase Field Stadium in Phoenix, konnte sich Ryan Dungey vor Umarmungen, Schulterklopfern und Champagnerspritzern kaum retten. Der damals 23-jährige Dungey – der aktuell mit seiner KTM 450 SX-F die AMA Supercross Meisterschaft 2015 anführt – sicherte KTM den ersten Erfolg in der größten Klasse. Warum war ein Erfolg in den amerikanischen Stadien so wichtig?

Supercross ist die meistgesehene Motorrad-Rennserie nach der MotoGP, mit mehr als 800.000 Zuschauern pro Saison und 100 Stunden TV-Berichterstattung in fast 200 Ländern; überraschende Zahlen, wenn man bedenkt, dass die Meisterschaft Nordamerika nicht verlässt. In den USA ist es die am zweithäufigsten gesehene Motorsportserie.
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Phoenix war ein kleiner Meilenstein in der langen Liste der KTM Rennsporterfolge und einer der längst überfällig war.

Warum war ein Triumph in den amerikanischen Sportstadien von so besonderer Bedeutung? Um diese Frage zu beantworten, lohnt es sich, kurz einen Blick auf eine andere Rennserie zu werfen. Zu Beginn des Jahrhunderts stieg KTM in den Straßen-Grand-Prix ein und erzielte zahlreiche Siege in der 125 und 250 ccm-Klasse. Während der Jahre der Finanzkrise legte KTM das GP-Projekt auf Eis, bis sie 2012 mit großem Erfolg in die neugeschaffene Moto3-Klasse zurückkehrten. Es folgte der Einstieg in den Red Bull Rookies Cup und der Schritt in die prestigeträchtige MotoGP steht kurz bevor. Warum engagiert sich KTM im Straßenrennsport? Ganz einfach: MotoGP ist international bekannt und ein Start in dieser Serie ist für jeden Motorradhersteller von Vorteil, insbesondere bei Herstellern von Sportmotorrädern deren Slogan ‘READY TO RACE’ lautet. Wenn MotoGP eine perfekte Chance für jeden Hersteller ist (für die umfangreiche finanzielle und personelle Ressourcen benötigt werden), dann galt und gilt das in gleichem Maße auch für die Supercross-Serie.

Im US-Motorcross war KTM bereits erfolgreich. Zu Beginn der „Nullerjahre“ erzielte Grant Langston erste Siege für die orange Marke und obwohl es im restlichen Jahrzehnt eher wenig zu feiern gab, hatte sich KTM in den USA etabliert. Zwar waren die Indoor-Rennen ein ganz anderes Thema, aber an ihrer Bedeutung und ihrem Einfluss auf die Marke, gab es keinen Zweifel.

Sobald man eines der 17 Rennen der AMA Supercross-Saison besucht hat, ist klar, warum es die größte Plattform für Motorräder mit Stollenreifen ist. Die Baseball- und NFL-Stadien, in denen die engen und anspruchsvollen Kurse aufgeschüttet werden, beherbergen Massen an Fans und bieten die perfekte, leichterreichbare Bühne für diesen Sport: gute Werbung, die für positive Verkaufszahlen sorgt. Supercross ist nicht nur einfach ein Rennen, sondern eine typisch amerikanische Show mit Lichteffekten und Feuerwerk. Keine Strecke ist wie die andere: die riesigen Ausmaße in Daytona unterscheiden sich deutlich von dem eher engen Kurs in San Diego, die Zuschauer in New Jersey sind anders als die bei den seit langem etablierten Rennen in Kalifornien. Die einzigartige Atmosphäre des Supercross, die erschreckenden Unfälle und die unglaubliche Geschwindigkeit, mit der die Fahrer die zahlreichen Hindernisse angehen, zeigt eindeutig, dass es nicht einfach eine andere Form des Motocross ist.

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2012 siegte Dungey in Phoenix, bei seinem dritten Rennen mit der KTM 450 SX-F, und es war der erste Schritt eines Wendepunkts für KTM – nicht nur in den USA – hin zu einem ernsthaften Versuch, die Marke in einen ernstzunehmenden Konkurrenten in dieser hartumkämpften und liveübertragenen Serie zu machen. Der Einfluss, die Erfahrung, das Wissen, die tatkräftige Unterstützung und die Führung von Roger De Coster ist einer der oft zitierten Gründe, warum es KTM bis an die Spitze des Supercross-Sports geschafft hat. Der Belgier spielte eine wesentliche Rolle in dieser Entwicklung, aber auch andere in Österreich und Murrieta, darunter Stefan Pierer, Pit Beirer, Robert Jonas und Jon-Erik Burleson, glaubten an diese Vision. KTMs HQ in Kalifornien beherbergte zu Anfang das, was das Machtzentrum des Rennteams werden sollte (mit sorgsam ausgewählten europäischen Fahrern wie Marvin Musquin und Ken Roczen), wo die neuesten Vorserien-Modelle und Ideen aus Mattighofen weiterentwickelt wurden und KTM USA sich so zu einem erfolgreichen Tochterunternehmen entwickelte. Der Rennsport wuchs weiter, so dass KTM seinen Motorservice mittlerweile unter anderem auch dem Rockstar Energy Team und seit 2015 dem Troy Lee Designs Team zur Verfügung stellt.

Hat es funktioniert? Die Zahlen belegen das. Mit immer neuen und attraktiven Modellen wehrte sich KTM kontinuierlich gegen den Sturzflug der Industrie, aber es braucht noch mehr, um den enormen Aufschwung von 28,8% im Jahr 2013 zu erklären. Im ersten Halbjahr 2014 wurden mehr als 10.000 Motorräder verkauft, nahezu 25% mehr als im Jahr zuvor und in einer Zeit, in der KTM den Marktanteil in Amerika um fast 16% erhöhte (auf 4,4%). Die USA waren für fast 20% der KTM Umsätze in diesem ersten halben Jahr verantwortlich. Fachmagazine titelten über KTM als den ‘am schnellsten wachsenden Hersteller in den USA’ und das in einer Branche, die sich in ihrem Volumen halbierte und jetzt erst wieder langsam wächst verglichen zur Blütezeit in der Mitte des letzten Jahrzehnts, als mehr als eine Million Motorräder verkauft wurden.

Mitte 2013 stellte auch Stefan Pierer in einem Interview mit dem KTM BLOG fest, wie bedeutend die Supercross-Serie ist: „Ich bin wirklich positiv überrascht, welche Auswirkungen sich durch das Engagement im Supercross zeigen. Supercross ist DER Schauplatz in den USA – kein Zweifel, das war auch für mich ein Lernprozess. Ich hatte Sorge, dass wenn es nicht gut laufen würde, wir zu viel Geld in dieses Segment stecken würden, aber mit dieser professionellen Aufstellung und dem richtigen Team kommt der Erfolg. Wir haben gute Fahrer und die USA ist eine der Regionen, in denen wir stark wachsen. Letztes Jahr [2012] legten wir um +20% zu und dieses Jahr sind es bereits +15% und das, obwohl der Markt stagniert. Dieses Wachstum verdanken wir dem Supercross.“

Bleibt zu hoffen, dass KTM in den USA kontinuierlich weiter wächst, nicht nur durch ihre konkurrenzfähige Aufstellung im Motorsport (wenn Dungey die 450SX-Meisterschaft gewinnt, wären die Österreicher in jeder einzelnen existierenden Offroad-Kategorie erfolgreich), sondern auch durch ihre breite Produktpalette. Der Erfolg des Street-Markts beruht auch auf der Zusammenarbeit mit dem HMC Team und Fahrern wie Chris Fillmore, der die RC8 seit 2011 erfolgreich in der AMA Superbike Meisterschaft bewegt. Obwohl die nationalen amerikanischen Serien eine Vielzahl an Problemen hatten, gibt die Kooperation mit der Initiative MotoAmerica Grund zum Optimismus, dass die heimischen Vorzeige-Straßenrennserien wieder besseren Zeiten entgegensehen. Mit KTMs bevorstehendem Einstieg in die MotoGP innerhalb der nächsten zwei Jahre, ganz gleich, ob mit einer überarbeiteten RC8 oder mit einem brandneu entwickelten Sportbike (oder einer Ausweitung der RC Cup Serie in die USA), entstehen auch für den amerikanischen Rennsport interessante neue Möglichkeiten. Abseits des Rennsports tragen Persönlichkeiten wie Stuntfahrer Aaron Colton und Firmen wie Red Bull (die seit 2013 mit dem jungen Fahrer aus Minnesota kooperieren) zur Bekanntheit des Street-Programms in Nordamerika bei.

Supercross war schon immer ein Sport, den KTM nicht ignorieren konnte. Im Unterschied zur Vergangenheit hat KTM während der letzten drei Jahre aber die richtige Formel gefunden (Fahrer, Unterstützung des Headquarters, erfahrene Führungskräfte und ausreichend Ressourcen), um das vorhandene Potenzial bestmöglich zu nutzen. Für Rennsportfans – für alle Rennsportfans – ist es zweifelsfrei erfreulich zu sehen, dass Präsenz und Erfolge auf der Strecke lohnende Vorteile bringen, denn es bedeutet, dass Hersteller wie KTM sich weiterhin mit der Konkurrenz messen und in den Sport investieren. Es bedeutet auch, dass Rennsport kein kostspieliges Projekt wird, entschuldigt und gerechtfertigt allein durch ‘Entwicklung’, ‘Tradition’ oder weil es Teil der Unternehmensphilosophie ist. So ist jeder ein Gewinner.
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Fotos: www.ktmimages.com