Abhängen mit Chris Fillmore

Der amerikanische KTM Road-Racing-Star spricht über die AMA Superbike Serie, KTMs RC8, internationalen Rennsport und darüber, immer auf dem Sprung zu sein.

AMA Superbike-Starter Chris Fillmore wirkt, als könnte ihn nichts aus der Ruhe bringen, aber bei unserem Interview werden wir unser Bestes versuchen, um die coole Fassade des 28-Jährigen ins Wanken zu bringen. In der Motorsport-Gemeinde ist der Name Fillmore bekannt (er geht mit MotoGP-Stars Motocross fahren, zum Mountainbiken mit AMA Supercross-Cahmpions und bringt Leuten wie Ryan Villopoto das Surfen bei), aber als wir ihn bitten, sich für unser Fotoshooting kopfüber von einem Felsen in Newport Beach hängen zu lassen, fühlt er sich sichtlich unwohl … vielleicht auch, weil eine Gruppe Schulkinder neugierig zuschaut. Einmal angefangen, posiert Fillmore ohne Schwierigkeiten für unseren Fotografen Ray Archer und je besser wir den in Michigan geborenen Rennfahrer kennenlernen, desto weniger glauben wir, dass es etwas gibt, womit er nicht fertig wird.
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Fillmore ist der Motorsport-Gemeinde nicht nur als unerschütterlicher Entwickler des RC8-Superbikes in der hartumkämpften AMA bekannt, sondern auch durch Videoserien wie ‘Following Fillmore’ (zwei Jahre und Saisons, in denen sich der sympathische Fillmore kompetent und wortgewandt vor der Kamera präsentierte) und als häufig fotografiertes Gesicht für Firmen wie Alpinestars. Vier Jahre lang arbeitete er gemeinsam mit dem HMC Team an den Eigenarten der RC8 und machte sie zu einem Podiumskandidaten in der amerikanischen Superbike Meisterschaft.
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KTMs Engagement im Straßenrennsport wird mit dem neuen MotoGP-Projekt in den nächsten Jahren weiter wachsen, wodurch Fillmores Entwicklungsarbeit in Zukunft größere Bedeutung zukommen könnte, denn wer eignete sich besser, um die Limits und Möglichkeiten der Firma im Bereich der leistungsstarken Street-Bikes zu beurteilen?

An einem Scheideweg steht er deshalb noch lange nicht, denn HMC entwickelt die RC8 kontinuierlich weiter, auch wenn es den Anschein hat, dass ihre Tage gezählt sind, wenn das KTM MotoGP-Projekt eine neues „Biest“ neben der KTM 1290 SUPER DUKE R hervorbringt. Aber auch für die AMA Superbik-Serie ist er von Bedeutung; eine Serie, die sich mit Hilfe von MotoAmerica, einer unter anderem von Wayne Rainey promoteten Serie, versucht, aus ihrer schwierigen Situation zu befreien. Fillmore – zusammen mit bekannten Namen wie Aaron Colton – wurde zu einem Botschafter der KTM Aktivitäten auf Asphalt. Durch solche Persönlichkeiten und Erfolge im Motocross und Supercross gelang es KTM North America den Absatz im ersten Halbjahr 2014 um 30% zu steigern und dank positiver Reaktionen auf DUKE- und ADVENTURE-Modelle, verzeichnet im kalifonischen Murrieta auch das Street-Segment Erfolge.
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Wir treffen Chris Fillmore in einem gut besuchten Café, gleich neben der Werkstatt von Deus Ex Machina am Venice Boulevard und sprechen über sein Abenteuer mit einer von einem Café Racer inspirierten und von Michael Woolaway designten 690 DUKE, mit der er am Barber Motorsport Park startete. Schnell merken wir, wie bescheiden, hilfsbereit, aufgeschlossen und sympathisch der Fahrer mit der Nummer 11 ist. Für ein paar Fotos startet er seine 1190 ADVENTURE R mit Freundin Jacqueline als Sozia und präsentiert seine Fahrkünste mit einer Leichtigkeit, als hätte man ihn gebeten, sich die Schnürsenkel zu binden. Nach einer kurzen Fahrt treffen wir die beiden in ihrer gemeinsamen Wohnung in Newport Beach und sprechen über die schwierige Situation der AMA Superbike Serie und die Möglichkeit, auch international Rennen zu fahren.

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Chris Fillmore und KTM. Bring uns auf den neuesten Stand. Wie kam es, dass du für die österreichische Marke fährst?
„2008 beendete ich meine Supermoto-Karriere. Kurt Nicoll (ehemaliger KTM Sportdirektor) hatte in den USA eine eigene Motorsportabteilung und er bot mir einen Zweijahresvertrag an. Im ersten Jahr wäre ich Entwicklungsfahrer für die Straßenmodelle und würde dann in die AMA Superbike-Serie einsteigen. Diese Idee wurde aber wieder verworfen, als sich die wirtschaftliche Situation verschlechterte. Damals wusste ich nicht genau, wie es weitergehen würde. Supermoto verlor immer mehr an Bedeutung, also war der Plan, es entweder im Straßenrennsport zu probieren, wieder zur Schule zu gehen oder etwas ganz anderes zu machen. Aber ich liebe das Motorradrennen und die Lebensart, die damit einhergeht, einfach zu sehr. Zwei Jahre lang habe ich es auf eigene Faust probiert, bin ins kalte Wasser gesprungen und habe die AMA Pro-Lizenz gemacht. Als ich 2011 die Chance bekam, die RC8 zu testen, war ich zuvor noch nie ein Superbike gefahren. Es hat ein paar Runden gedauert, um auf einer mir unbekannten Strecke auf Geschwindigkeit zu kommen und das Team fragte gleich „Wie fühlt es sich an?“ und ich antwortete „Kann ich wirklich nicht sagen!“ Am nächsten Wochenende hatten wir ein Rennen in Ohio und ich behauptete, dass ich mich wohlfühlte, aber ich hatte keine Ahnung, ob wir wirklich schnell genug sein würden. Zuvor war ich noch nie ein Motorrad mit so viel Leistung oder mit Elektronik gefahren. Die Meisterschaft hatte ich mit einer XJ1200 gewonnen und setzte mich dann auf eine RC8. Am Anfang konnte ich das alles gar nicht so richtig begreifen, aber über die Jahre haben wir einige gute Fortschritte gemacht. Ich konnte eine Menge lernen und das Motorrad mitentwickeln. Im Vergleich zu dem Bike, mit dem wir 2011 starteten, ist es jetzt viel ausgeklügelter und fortschrittlicher. Auch für KTM war es von Vorteil mit mir zusammenzuarbeiten. Sie wussten nicht, welches Potenzial wirklich in diesem Projekt steckte und wie es mit mir an Bord sein könnte … aber natürlich hätte es auch für beide Seiten als Enttäuschung enden können. Letztendlich hat KTM mir aber viele Möglichkeiten und eine großartige Karriere eröffnet.“

Warst du am Anfang skeptisch, dass eine Firma, bekannt für ihre Offroad-Qualitäten, auch ein gutes Superbike bauen könnte? „So habe ich das nie betrachtet. 2008 bekam ich in Ohio die Chance ihr Superbike zu fahren, bei einem Händlertag oder der RC8-Präsentation – ich weiß nicht mehr genau, was es war – aber ich sollte ein paar Runden fahren. Im gleichen Jahr war ich schon die SUPER DUKE gefahren, aber als ich auf die RC8 stieg, hat es mich schon ein bisschen erschreckt! Trotzdem hatte ich Vertrauen in das Motorrad, denn in Europa hatte es sich bereits bewährt. Zwar wusste ich nicht, auf welchem Niveau es sein würde und wieviel KTM in das Superbike-Projekt investieren würde, aber um ehrlich zu sein, hat mich das gar nicht so beschäftigt. Ich dachte eher darüber nach, wie gewaltig dieses Bike war. Gleich in meinem ersten Superbike-Rennen startete ich gegen Idole wie Ben Bostrom, Josh Hayes und die Hayden-Brüder. Dort mit einer konkurrenzfähigen KTM zu stehen, war ein großartiges Gefühl.“

Hat das KTM Superbike-Projekt für Stirnrunzeln gesorgt?
„Hier und da sicherlich. Ich habe aber nie wirklich mit jemandem darüber gesprochen und auch nicht nach Meinungen gefragt … ich habe auch nie nach anderen Optionen Ausschau gehalten, weil ich unbedingt ein Teil von KTM sein wollte und sie waren wild entschlossen, das Projekt voranzubringen. Ich wollte ihnen nur zeigen, was ich tun könnte.“

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Die RC8 hat sich über die Jahre entwickelt. Du bist auch schon japanische Motorräder gefahren, hat die RC8 ihren Charakter behalten?
„Von Anfang an hat die RC8 ihren individuellen Charakter behalten. Wenn du in etwas so sehr involviert bist, ist es manchmal schwierig zurückzutreten und das Gesamtbild und den Fortschritt zu sehen, aber genau das habe ich 2014 getan. Als wir anfingen, waren wir mit Top-10-Platzierungen zufrieden, das war unser Ziel. Es war ein langsamer, aber kontinuierlicher Fortschritt bis zu dem Punkt, wo jedes Rennen mit einer Top-5-Platzierung endet und man in die Nähe des Podiums kommt. Wir hatten bereits ein paar gute Ergebnisse in der Tasche, aber manchmal kamen uns ein paar unglückliche Umstände in die Quere, z.B. ging uns in der letzten Kurve das Benzin aus oder ein Sturz beim letzten Rennen des Jahres, bei dem wir auf einem todsicheren dritten Platz lagen. Viele Leute kamen zu mir und gratulierten: „Dieses Projekt hat es weit gebracht“. Ich sehe das nicht so, denn ich habe erwartet vorne mitzufahren und zu gewinnen … aber andere sehen es als Entwicklung von einem mittelmäßigen zu einem top Team und vielleicht sogar Podiumskandidaten.“

Und du hast das Projekt weiter vorangetrieben, obwohl es schwierige Zeiten für die AMA Superbike Serie waren?
„Ich denke, ich habe meine Chance gut genutzt. Es ist kein Geheimnis, dass der amerikanische Straßenrennsport in den letzten Jahren in einer schwierigen Phase war. Es sollte eine der größten Serien der Welt sein, aber jetzt scheint es, als hörten die Leute nicht besonders viel darüber. In diesen schwierigen Jahren die Unterstützung von KTM zu haben, darüber kann ich mich wirklich glücklich schätzen und es fühlt sich an, als würden wir die Sache überstehen und weiterhin einen guten Job machen. Mit Motorradfahren seinen Lebensunterhalt verdienen zu können, ist in der AMA momentan keine Selbstverständlichkeit. Ich weiß nicht, ob ich momentan an einem besseren Ort sein könnte.“

Wie sieht es mit einer internationalen Karriere aus? KTM ist sehr erfolgreich in der Moto3, sie haben die 390 Cup-Serie gestartet und in der Zukunft steht MotoGP auf dem Programm. Wäre das nicht etwas für dich?
„Das wäre auf jeden Fall sehr interessant. Ich reise gerne in andere Länder, sehe neue Dinge und suche immer neue Herausforderungen, aber ich weiß nicht, ob man in Europa momentan wirklich einen Amerikaner haben will, zumindest hat es mir noch niemand vorgeschlagen. Mein Team hat mir geholfen, bei einigen Supermoto-Rennen in Europa zu starten. Was den Straßenrennsport angeht, hoffe ich wirklich, dass es jemanden gibt, der mich in Europa fahren sehen will und ich kann aushelfen, denn ich bringe das entsprechende Wissen und die nötige Erfahrung mit.“

Du wirkst wie ein Typ, der keine fünf Minuten still sitzen kann: Mountainbiken, Klettern, Offroadfahren … es scheint, als hättest du einen ziemlich guten Lebensstil?
„Das stimmt! Ich habe darüber nie wirklich nachgedacht, bis meine Freundin vor Kurzem bei mir eingezogen ist und sagte „machst du auch mal eine Pause?!“ Sie sagt, ich mache immer Pläne, egal ob Biken, Surfen, Klettern oder Essen gehen. Ich denke, das ist einer der Vorteile meines Jobs. Unser Rennkalender ist nicht so voll. Wäre es so wie in der MotoGP mit 18 Rennen, dann wäre mehr Vorbereitung nötig, aber ich bin normalerweise sehr aktiv und möchte fit bleiben. Was mein Training angeht, bin ich flexibel. Ich möchte nicht nur im Studio trainieren und probiere deshalb verschiedenen Aktivitäten aus, z.B. fahre ich dreimal die Woche Motocross. Ich probiere einfach alles aus; ich bin wohl so etwas wie ein Enthusiast und das ist ein weiterer Grund, warum ich mich für diese Karriere entschieden habe.“

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Fotos: Ray Archer