Allein unter Männern: Maria Herrera

KTM-Pilotin Maria Herrera ist die einzige Dame in der Moto3-WM. Doch in ihrer zweiten Saison kämpft die Spanierin mit etlichen Widrigkeiten. Frauen hatten es in der Motorrad-Weltmeisterschaft nie leicht, das belegen auch etliche Beispiele aus der Vergangenheit.

Antonio Herrera ist stolz auf seine Tochter. Mächtig stolz. Er holt sein Smartphone aus der Hosentasche und wischt über das Display. „Da, schau!“ Man sieht Maria ganz oben auf einem Siegerpodest, rechts neben ihr Fabio Quartararo, geschlagener Zweiter. Papa Herrera wischt weiter. „Und da!“ Wieder Maria als Siegerin, diesmal schaut Jorge Navarro neben ihr bedröppelt drein. Es sind Bilder aus der spanischen CEV-Meisterschaft 2013 und 2014, als Maria zu mehreren Siegen fuhr und regelmäßig die Jungs düpierte. Dumm nur, dass sich die Zeiten geändert haben. Jorge Navarro gewann unlängst den Barcelona-Grand Prix. Herrera dagegen schaffte in der Moto3-Weltmeisterschaft 2016 bislang nur zwei WM-Punkte. Doch das hat seine Gründe.

Mario & Antonio Herrera (ESP) Assen 2016

Maria & Antonio Herrera (ESP) Assen 2016

Wir sitzen im Auflieger des Team-Transporters. Neben Maria und Antonio ist Marias Crew Chief zugegen, Sergio Martínez. Er fungiert als Übersetzer. Turbulente Monate liegen hinter Vater und Tochter Herrera und vor allem dem Papa ist anzumerken, wie sehr diese Zeit an der Substanz gezehrt hat. Um ein langes Drama kurz zu fassen: Just zum unpassendsten Zeitpunkt, nach dem vierten Saisonrennen in Jerez, kam es zum Bruch zwischen den Herreras und dem bereits finanziell angeschlagenen LaGlisse-Team. Also kaufte Papa Herrera, ein erfolgreicher Unternehmer, kurzerhand das Team auf, firmierte es entsprechend Marias Initialen und Startnummer in „MH6“ um und sicherte damit Marias zweite Moto3-WM-Saison.

Maria ist ein extremes Fahrtalent“, sagt KTM-MotoGP-Testfahrer Alex Hofmann, der das schnelle Mädchen aus der zentralspanischen Provinz Toledo oft vom Streckenrand aus beobachtet. Mit ihrem extremen Hanging-off-Fahrstil, glaubt Hofmann, habe Maria alles, um in der Moto3-WM ganz vorne mitzufahren. Tut sie derzeit aber nicht. Wie auch? Das völlig neu formierte Team muss sich erst einspielen. Zudem verpasste Maria einige der wertvollen Testtage vor Saisonbeginn. Das wiederum erschwert es Crew Chief Sergio, die richtige Abstimmung für die KTM auszutüfteln. Und natürlich sind Papas finanzielle Ressourcen nicht unendlich, es muss gespart werden. Nichts bräuchten die Herreras dringender als Sponsoren, doch die hatten im Frühjahr, als Antonio anklopfte, ihre Budgets für 2016 längst vergeben. „Sehr, sehr schwierig“ sei es, gesteht der Papa, jetzt Gelder aufzutreiben.

Maria Herrera (ESP) KTM RC250 GP 2016

Maria Herrera (ESP) KTM RC250 GP 2016

Dabei dürfen Vater und Tochter auf prominente Unterstützer zählen. Zur Teampräsentation Anfang Mai schaute der zweifache MotoGP-Weltmeister Marc Márquez vorbei. Und Aprilia-Werkspilot Álvaro Bautista, der einst als junger Kerl über die Dirt Track-Piste auf Papa Herreras Anwesen getobt war, steht Maria ohnehin mit Tipps zur Seite. Auch beim MotoGP-Vermarkter Dorna müht man sich um Maria Herrera. Zwar betont Dorna-Communications Director Ignacio Sagnier, man mache keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, alle würden gleich behandelt. Doch Sagnier weiß, dass kaum etwas der Dorna und ihrem Produkt Moto3 mehr Aufmerksamkeit brächte als eine siegfähige Dame im Feld.

So kämpft sich Maria Herrera durch die Saison. Ihr bestes Quali-Ergebnis war Platz 22 in Assen, ihr bestes Rennergebnis der 14. Platz tags darauf im Rennen. In ihrem Premieren-Jahr 2015 lief es noch deutlich besser, da konnte sie Glanzlichter setzen. Platz 4 im Regen von Silverstone – bis zum Sturz. Platz 8 in Assen – ehe sie von Niccolò Antonelli aus dem Sattel befördert wurde. Der achte Platz im Qualifying auf Phillip Island – gefolgt von Platz 11 im Rennen. An solchen Leistungen wird sie gemessen, doch wie soll sie den Ansprüchen genügen, wenn die Rahmenbedingungen derart schwierig sind wie in diesem Jahr?

Maria Herrera (ESP) KTM RC250 GP 2016

Maria Herrera (ESP) KTM RC250 GP 2016

Frauen und Motorradrennsport, seit jeher ein delikates Thema. Können die das überhaupt? Für so manchen vom Chauvinismus beseelten Herrn der motorsportlichen Schöpfung lautet die Frage vielmehr: Dürfen die das überhaupt? Es gibt die Anekdote wonach Formel-1-Boss Bernie Ecclestone, der einst auch in der Vermarktung der Motorrad-WM eine Rolle spielte, die Finnin Taru Rinne wissen ließ, sie verfüge nicht über die nötigen Fähigkeiten und dafür sorgte, dass Rinne ihren WM-Startplatz verlor. Dabei war Rinne beim Hockenheim-Grand Prix 1989 von Startplatz 2 gestartet und hatte im Rennen um den Sieg gekämpft. Valentino Rossi, als neunfacher Weltmeister die Ikone des Sports, wurde vor vielen Jahren mit den Worten zitiert, wonach Frauen in der Motorrad-WM nichts verloren hätten. Später ruderte er zurück. Er habe nur sagen wollen, dass Motorradfahren für Frauen schwierig sei – wegen des hohen Kraftaufwands. In einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ im Jahr 2001 gestand Rossi, dass er seinen Sport sofort aufgeben würde, wenn die damalige deutsche Viertelliter-WM-Pilotin Katja Poensgen auf einem Rennmotorrad schneller fahre als er. Der Spott der Leute sei dann für ihn unerträglich.

Maria Herrera kennt solche Sprüche, die Zweifel, die Vorbehalte. Sie weiß aus eigener Erfahrung, wie unerträglich es für so manchen ihrer Fahrerkollegen ist, von einer Frau überholt zu werden. Das war damals so, in der spanischen CEV-Meisterschaft, und das ist heute so, in der Moto3-WM. „Es gibt Piloten, die extra aggressiv fahren, wenn sie mich sehen“, sagt sie. Namen nennt sie keine, verrät aber ihre Methode, damit umzugehen: „Noch mehr Gas geben und diesen Typen davon fahren, dann bin ich sie los.“

Es überrascht nicht, dass angesichts solch erschwerter Bedingungen es neben Maria Herrera nur vier weitere Damen schafften, WM-Punkten einzufahren: Taru Rinne (Platz 7 Hockenheimring 1989, 125er-Klasse), die Japanerin Tomoko Igata (Platz 7 Brünn 1995, 125er-Klasse), Katja Poensgen (Platz 14 Mugello 2001, 250er-Klasse) und Ana Carrasco. Die Spanierin erzielte beim Valencia-Grand Prix 2013 einen exzellenten achten Platz, konnte danach allerdings nie mehr an diese Leistung anknüpfen und verließ Ende 2015, nach drei Jahren, die Moto3-WM. Maria Herrera hat im vergangenen Jahr etliche Duelle gegen Carrasco ausgefochten, der Sachsenring-GP endete gar mit einer Kollision der beiden. „Ich hatte immer den Eindruck, dass Ana vor allem schneller sein wollte als ich“, sagt Maria. „Ich aber will schneller sein als die Jungs.“

Maria Herrera (ESP) KTM RC250 GP 2016

Maria Herrera (ESP) KTM RC250 GP 2016

So bringt Maria die Sonderrolle einer Frau im Motorradrennsport auf den Punkt: Wie sollen sich die rennfahrenden Damen emanzipieren, wenn sie untereinander eine eigene Damen-Kategorie aufmachen? Nach dem Ausscheiden von Carrasco ist Maria die einzige Dame in der MotoGP. Allein unter Männern: ein Thema für die Medien, nicht aber für Maria. Der Papa muss Sponsoren finden, Sergio muss das passende Set-up finden. Dann kann Maria wieder so schnell Motorrad fahren wie in den vergangenen Jahren. Nur darum geht es Maria Herrera, egal ob sie allein unter Männern fährt oder nicht.

Fotos: Marco Campelli