Interview des Monats: Rückspiegel mit Philipp Habsburg, Leiter KTM F&E

Kurz vor Jahresende haben wir uns ein paar Minuten mit dem Mann unterhalten, der in den letzten 10 Jahren für die Vielzahl an KTM Modellen und Neuentwicklungen verantwortlich ist – Philipp Habsburg, Leiter KTM F&E.

Philipp Habsburg ist ein vielbeschäftigter Mann. In den letzten 10 Jahren verantwortet der Leiter der KTM-Entwicklungsabteilung sämtliche Motorräder und orange Neuheiten, die zuletzt weltweit für Aufsehen und Gesprächsstoff sorgten und den österreichischen Hersteller in vielen Bereichen der Motorradindustrie etablierte. Wir haben uns mit ihm in Mattighofen zu einem kurzen Blick in den Rückspiegel getroffen.

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Philipp Habsburg, Head KTM R&D (© KTM)

Philipp, war 2013 mit zahlreichen neuen Modellen ein eher geschäftiges Jahr?
„Ich bin seit 15 Jahren bei KTM und jedes Jahr birgt neue Herausforderungen. Wir haben 2013 eine stattliche Anzahl neuer Modelle vorgestellt. Die neue 1190 ADVENTURE gleich zu Saisonbeginn, die uns im Travel-Segment erhebliche Zuwächse beschert hat. Die Adventure-Produktionszahlen konnten von 2.000 auf knapp 10.000 Einheiten gesteigert werden. Trotz dieses Erfolgs haben wir nicht nachgelassen. Als nächstes folgten 390 DUKE, FREERIDE 250 R mit Zweitaktmotor und die 2014er Offroad-Palette, danach dann bereits die 2014er ADVENTURE mit Motorcycle Stability Control (MSC). Die KTM 1190 ADVENTURE mit MSC ist das sicherste Motorrad der Welt, was von vielen Motorradjournalisten nach der Vorstellung bestätigt wurde. Darauf sind wir sehr stolz.”

„Die KTM 1190 ADVENTURE mit MSC ist das sicherste Motorrad der Welt, was von vielen Motorradjournalisten nach der Vorstellung bestätigt wurde. Darauf sind wir sehr stolz.”

MSC stellt entwicklungstechnisch einen Riesenschritt dar?
„Für KTM wie für die gesamte Motorradwelt bedeutet die MSC-Technik, die gemeinsam mit Entwicklungspartner Bosch realisiert wurde, eine neue Dimension. Die Entwicklung fortschrittlicher Fahrassistenzsysteme ist bei Zweirädern komplizierter als im Automobilsektor, weil es mehr Einflussfaktoren gibt, die zu berücksichtigen sind. Unterschiedliche Reifenaufstandsflächen, wechselnde Schwerpunktlage, Fahrzeug-Nickverhalten, dazu Sitzposition und Fahrerhaltung sind als Faktoren zu berücksichtigen. Fahrdynamische Zustände wie auch das Bremsverhalten variieren dazu abhängig von Schräglage und Geschwindigkeit. Bei der Entwicklung der Sensoren als auch der Software waren deshalb erhebliche Anstrengungen notwendig. Der nun verwendete Schräglagensensor verarbeitet fünf Parameter gleichzeitig und funktioniert ähnlich einem Kreiselmesser. Die MSC-Steuerelektronik wird so in allen Fahrsituationen mit den notwendigen Daten versorgt. Diese sind der Schlüssel, um beim Beschleunigen aus Kurven höchste Stabilität und vor allem nun auch beim Bremsen in Schräglage maximale Antiblockiersicherheit zu gewährleisten.”

Wird KTM die MSC-Technik in weitere Modelle einbauen?
„Ja, MSC ist für weitere Modelle in der Planung. Wie auch in der Automobilindustrie üblich, wird die Technik zuerst in Premiummodelle eingebaut, danach folgen weitere Anwendungen. Jedoch nicht durchgängig, sondern nur bei bestimmten Modellen, weil MSC derzeit nur in Verbindung mit Motorrädern funktioniert, die mit einem Kombibremssystem ausgestattet sind.”

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MSC KTM 1190 ADVENTURE MY14 (© KTM)

Auf der EICMA feierten RC 390, RC 200 und RC 125 Weltpremiere. Welche Überlegungen stecken hinter diesen leichtgewichtigen Sportbikes?
„Diese Motorräder wurzeln in KTM´s Engagement in der Moto3-WM. Damit stellen wir auch im Serienbau einen Link zu den Grand-Prix-Renneinsätzen her. Vor zwei Jahren sind wir dort eingestiegen und das sehr erfolgreich. Wir haben mit Sandro Cortese den ersten Moto3-WM-Titel gewonnen, messen uns erfolgreich im Kampf mit dem weltgrößten Hersteller, haben in dieses Jahr alle Rennen gewonnen und 20 Rennsiege am Stück gefeiert.”

Fließen die Erkenntnisse aus Renneinsätzen auch in die Serienmodelle ein?
„KTM setzt in der Moto3 Stahlrohrrahmen ein, als einziger Hersteller. Wir verfügen über viel Erfahrung mit diesem Werkstoff, Offroad wie auf der Straße. So war es uns möglich, zuerst einen sehr guten Gitterrohr-Stahlrahmen für die Moto3 zu bauen. Die Erfahrungen, die wir dort gewonnen haben, waren wiederum beim Bau des RC-Chassis nützlich. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Chassis von Racer und Straßenbike; diese sind nicht 100 % identisch. Aber es gibt Gemeinsamkeiten und Konstruktionsprinzipien, die von Bedeutung sind.”

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KTM RC 125/200 MY14 (© KTM)

Würdest du sagen, dass die KTM Modellpalette dank der neuen RC-Modelle nun komplett ist?
„Unser Line-Up präsentiert sich damit kompletter denn je. Und die Lücken, die jetzt noch bleiben, planen wir nächstes Jahr zu schließen. Es werden also weitere interessante Projekte folgen. Wir arbeiten und entwickeln fleißig weiter, auch an neuen Technologien. MSC ist ein wichtiges Sicherheits-Feature, das gleichzeitig auch dem Fahrspaß förderlich ist. Weitere Innovationen werden folgen. Die 1290 SUPER DUKE R hat bei der Vorstellung viel Begeisterung ausgelöst und wurde weltweit überschwänglich beurteilt. Das hat uns natürlich gefreut. Im Travel-Segment, hier haben wir die ADVENTURE, und bei den Naked-Bikes, hier haben wir die DUKE-Modellreihe, sind die größten Zuwächse zu verzeichnen. Deshalb ist es speziell unter Wachstum-Aspekten wichtig, dass wir hier gut aufgestellt sind. Nicht zu vergessen dazu die Offroad-Modellpalette, die jährlich überarbeitet und erneuert wird. Neue Projekte und zu tun haben wir bei KTM immer genug!”

„Im Travel-Segment, hier haben wir die ADVENTURE, und bei den Naked-Bikes, hier haben wir die DUKE-Modellreihe, sind die größten Zuwächse zu verzeichnen.”

Wie fügt sich Husqvarna als neue Marke ins Bild?
„Husqvarna ist in die Entwicklungsabteilung in Mattighofen integriert. Es existiert eine eigene Husqvarna-Gruppe, die aber mit KTM-Ingenieuren zusammen arbeitet. Wir nutzen mögliche Synergien und tauschen auch Know-how aus. Technisch waren Husqvarnas zuletzt nicht wirklich up-to-date und die Verkaufszahlen präsentierten sich eher bescheiden. Wir konnten jetzt nicht eine neue Modellgeneration einfach aus dem Ärmel schütteln, komplett mit neuen Fahrwerken und neuen Motoren. Unser momentanes Vorgehen ist strategisch der beste Weg, eine attraktive Modellpalette anzubieten. Es gibt etliche Details, die beide Marken unterscheiden. Diese Differenzierung wird in Zukunft noch ausgeprägter erfolgen.”

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KTM FREERIDE 250 R / 350 MY14 (© KTM)

Wie gehst du als Techniker mit Feedback um, das du von innen wie von außen erhältst?
„Verglichen mit früher hat sich eine Menge geändert. Unsere ersten Straßenbikes, die ADVENTURE 950 von 2003 oder die SUPER DUKE von 2005, waren zweifellos respektable und gute Motorräder, aber auch etwas eigen. Diese Maschine waren “READY TO RACE“, auf ihre Art etwas Besonderes und damit auch für eher spezielle Kundschaft attraktiv. Wir haben in den letzten zehn Jahren gewiss Änderungen vollzogen. Wir haben an der “READY TO RACE”-Philosophie festgehalten, aber die Bikes wurden praktischer, komfortabler und breitbandiger, um weitere Kundenkreise anzusprechen. Die 1290 SUPER DUKE R ist eine 1300er mit 180 PS und ein extrem potentes und fahraktives Motorrad, aber gleichzeitig auch vollkommen alltagstauglich, mit dem sich anstandslos der tägliche Weg in die Arbeit bewerkstelligen lässt. Wir haben die neue SUPER DUKE gezielt eine enorme Bandbreite mit auf den Weg gegeben, von zahm bis brachial. Es steht jedem frei, alle Fahrassistenzsysteme einfach abzuschalten und das “Beast” auf die radikale Tour zu genießen.”

„Wir haben in den letzten zehn Jahren gewiss Änderungen vollzogen. Wir haben an der “READY TO RACE”-Philosophie festgehalten, aber die Bikes wurden praktischer, komfortabler und breitbandiger, um weitere Kundenkreise anzusprechen.”

Gute Kritiken sind etwas Positives. Gibt es auch Kehrseiten der Medaille?
„Zweifellos. Zunächst einmal ist uns sehr bewusst, dass wir rundum erstklassige Motorräder bauen müssen. Damit steigern wir die Attraktivität unserer Produkte. Die positiven Reaktionen von Fachleuten, die die Maschinen zuerst ausprobieren, sind ein Indikator dafür, dass wir auf einem guten Weg sind, die gesetzten Ziele zu erreichen. In der Vergangenheit gab es Journalisten, die den typisch kompromisslosen Charakter von KTM-Straßenmaschinen wertschätzten. Gleichzeitig gab es auch immer Kritiker, denen sie zu eigen, zu kantig und zu aggressiv anmuteten. Inzwischen präsentieren sich unsere Bikes ausgewogener; neben sehr erfahrenen Motorradfahrern fühlen sich auch weniger routinierte Fahrer damit wohl. Es ist zwar anspruchsvoller, die Maschinen für einen breiten Käuferkreis user-friendly zu machen, aber letztlich ist genau das unsere Aufgabe.”

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KTM 1290 SUPER DUKE R MY14 (© KTM)

Haben zahlreiche Neumodelle und betriebliche Veränderungen auch die täglichen Abläufe verändert?
„Von Montag in der Früh bis Freitagabend wird es jedenfalls nie langweilig. Meine Aufgaben haben sich in den letzten Jahren nicht übermäßig geändert. Zweifellos war es eine herausfordernde Aufgabe, Husqvarna in die F&E-Abteilung zu integrieren. Auch bei den jüngsten Straßenmodellen galt es die letzten Schritte und Prozesse abzuarbeiten, um die Produktion zeitgerecht und wie geplant auf den Weg zu bringen.”

Abschließend vielleicht noch ein kleiner Einblick in deine tägliche Arbeit?
„Ich bin viel unterwegs, auf Reisen rund um die Welt, suche Zulieferfirmen auf oder solche, die in Frage kommen. Viel Zeit wird auch in die Verbindung mit dem indischen Partner Bajaj investiert. In Indien werden Prozesse anders abgewickelt als in Europa; eher von oben nach unten. Viele Entscheidungen werden also mit dem höheren Management getroffen. Grundsätzlich klappt die Partnerschaft sehr gut, für uns ist es eine Freude, mit Bajaj zu kooperieren. Manchmal gehört es auch zur Arbeit, Motorrad zu fahren. In unserer Entwicklungs-Pipeline stecken einige ambitionierte Projekte und da ich mit zu jenen zähle, die diese testen und ausprobieren, kann ich den Entwicklungsstand und die Fortschritte dann auch in der Praxis überprüfen. Wichtig ist, dass jede KTM am Ende immer eine typische KTM bleibt. Aber dafür trage ich nicht alleine Sorge. Jeder, der bei KTM in der Entwicklung arbeitet, fährt leidenschaftlich gerne Motorrad und lebt seine Begeisterung auf zwei Rädern aus. Die 1290 SUPER DUKE R ist sicher ein Motorrad, das bei mir nächste Saison in die Garage kommt.”

„Jeder, der bei KTM in der Entwicklung arbeitet, fährt leidenschaftlich gerne Motorrad und lebt seine Begeisterung auf zwei Rädern aus. Die 1290 SUPER DUKE R ist sicher ein Motorrad, das bei mir nächste Saison in die Garage kommt.”

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KTM FREERIDE 250 R / 350 MY14 Press Launch – Il Ciocco (I) (© KTM)