Clinica Mobile: Schnelle Hilfe für schnelle Männer

MotoGP-Quizfrage. Was ist das: Keiner freut sich, wenn er hin muss – doch alle sind froh, wenn sie dort sind. Richtig, bingo: das Clinica Mobile, dieses Lazarett auf Rädern, seit fast 40 Jahren eine Institution im MotoGP-Fahrerlager. Hier werden angeschlagene Piloten bestens umsorgt.

Knöchel angebrochen im Freien Training, Rennstart in Gefahr? Oder nur ein steifer Nacken von der Klimaanlage im Hotel? Was auch immer zwickt und schmerzt, die Herren MotoGP-Piloten wissen, wo sie hin müssen: in einen blau-weißen Auflieger, mit seinen vielen Sponsoraufschriften von einem herkömmlichen Renntruck kaum zu unterscheiden: das Clinica Mobile.

Clinica Mobile Aragón (ESP) 2015

Clinica Mobile Aragón (ESP) 2015

Die Motorroller vor der Türe verraten, wer gerade in Behandlung ist. Interwetten-Schriftzug, Startnummer 77: Aha, Dominique Aegerter ist da. Ein weißer Roller, Nummer 23: Moto3-Pilot Niccolò Antonelli. Und das Gefährt mit der 88 muss Ricky Cardús gehören.

„Manchmal parken so viele Roller vor der Türe, das man kaum mehr reinkommt“, sagt Dr. Michele Zasa, Medical Director der Clinica Mobile. Zasa führt uns ins Innere seiner Klinik auf Rädern. Treppe hoch, Türe auf, links eine kleine Sitzecke, das Wartezimmer quasi. Dicht davor ein Schreibtisch mit Computer: Dr. Zasas Arbeitsplatz. Dahinter schließen sich zwei Dreierreihen Massagetische an, ganz hinten folgt ein Behandlungsraum mit Röntgengerät. Alles auf nur 65 Quadratmetern. Drei Ärzte, ein Radiologe und sechs Physiotherapeuten kümmern sich hier um die rasende Kundschaft. Bis zu acht Patienten können gleichzeitig versorgt werden. Zu Stoßzeiten reicht das nicht aus. Dann kauern weitere zwei, drei oder gar vier Piloten auf der Sitzecke im Eingangsbereich und warten, bis sie an der Reihe sind. So wird die Clinica Mobile zu einem Ort der Begegnung. Gelegenheit für einen Plausch unter Kollegen.

Dr. Michele Zasa

Dr. Michele Zasa

Nun ist es Donnerstagmittag, noch hat sich im Motorland Aragón kein Rad gedreht, deshalb geht es vergleichsweise beschaulich zu in Dr. Zasas kleinem Reich. Dominique Aegerter lässt sich den Rücken massieren. Niccolò Antonelli hat sich beim Trainieren mit einem Mini-Motobike zuhause in Italien einen Muskel geprellt und erhält eine Laser-Behandlung. Ganz hinten sitzt Ricky Cardús, eine Atemmaske auf dem Gesicht: Inhalation wegen einer Erkältung.

Bei den MotoGP-Piloten erfreut sich das Clinica Mobile großer Beliebtheit. Nicht nur nach Stürzen, wenn sie sich etwas gebrochen, gezerrt, geprellt oder gequetscht haben. Manche kommen an einem Grand-Prix-Wochenende täglich zur Massage. LCR-Honda-Pilot Cal Crutchlow ist einer dieser Stammgäste. Sein persönliches Highlight puncto Clinica Mobile? Crutchlow muss nicht lange nachdenken: Silverstone 2012, die Knöchelverletzung im Freien Training, das Qualifying fand ohne ihn statt und das Rennen hatte er schon abgehakt. Doch in der Clinica päppelten sie ihn wieder auf. Prompt schaffte Crutchlow im Rennen, aus der letzten Reihe gestartet, den sechsten Platz. Crutchlow schwärmt geradezu vom Clinica Mobile. Im etwas rustikalen Crutchlow-Duktus klingt das so: „These guys saved many peoples arses.“

Auch Sandro Cortese, einst mit KTM Moto3-Champion, hat seine Story parat: Handbruch in Barcelona 2012. Mit Spritzen und Physiotherapie machten sie ihn fit fürs Rennen. Cortese fuhr auf Platz 2, damit zu 20 WM-Punkten und einige Monate später zum WM-Titel.

Dr. Michele Zasa & Dr. Claudio Costa Mugello (ITA) 2014

Dr. Michele Zasa & Dr. Claudio Costa Mugello (ITA) 2014

Die Geschichte des Clinica Mobile ist untrennbar mit einem Namen verbunden: Dr. Claudio Costa. Costas Vater organisierte einst in Imola Motorrad-Rennen. Es war 1972, als der Papa den Sohnemann bat, bei einem Rennen die ärztliche Versorgung zu übernehmen. Costa junior trommelte eine Gruppe befreundeter Ärzte zusammen und diese leistete derart gute Arbeit, dass die Piloten eindringlich darum baten, Costa und Kollegen mögen in Zukunft doch bitte immer vor Ort sein.

Ein verständlicher Wunsch, denn die Zustände damals, in den 60er und frühen 70er-Jahren, waren furchterregend. Gestürzte Piloten wurden meist überstürzt, einem Sack Kartoffeln gleich, auf eine Trage gehievt, im Fahrerlager wartete ein einsamer Arzt mit Köfferchen, und wenn der Krankenwagen bereits mit einem anderen Piloten unterwegs war, kam es vor, dass sich ein Zuschauer erbarmte und den Piloten ins Krankenhaus kutschierte.

Dennoch musste Dr. Costa in den Anfangsjahren gegen Widerstände ankämpfen. So dankbar sich die Piloten für Costas Service zeigten, manchen Veranstaltern kam Costa ungelegen. Man könne die ärztliche Versorgung selbst stemmen, bekam Costa des Öfteren zu hören. Einmal wollten Costas Kollegen einem gestürzten Piloten zu Hilfe eilen, wurden jedoch von Polizisten samt Hunden zurückgehalten. Es kam zu einem Tumult am Streckenrand, Ärzte gegen Polizisten, einer der Hunde verbiss sich in ein Ärztebein. Um den verunglückten Piloten kümmerte sich derweil niemand.

Bis 1977 behalf sich Costa mit einem Pkw, dann konnte er dank finanzieller Hilfe von Helmhersteller AGV einen Ambulanzwagen in Betrieb nehmen. Das war das Clinica Mobile der ersten Generation. Über die Jahre hinweg wurden die Clinica Mobiles immer größer, immer geräumiger. Seit nunmehr 2002 ist Clinica Mobile Nummer 5 in Betrieb und Dr. Zasa, der 2014 die Leitung der Clinica von Dr. Costa übernahm, schmiedet Pläne für das nächste Gefährt, Nummer 6: doppelstöckig, 140 Quadratmeter. 2017 soll es so weit sein, hofft Zasa.

Die Rolle der Clinica Mobile hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. Einst stellte die Clinica die einzige vernünftige medizinische Versorgung dar, doch in den 80er Jahren wurden an sämtlichen Grand-Prix-Rennstrecken Medical Center eingerichtet, zum Teil bestens ausgestattet. Heute gilt: Ein gestürzter Pilot kommt zunächst ins Medical Center. Bei schweren Verletzungen geht´s von dort in die Klinik, handelt es sich nur um einen Schlüsselbeinbruch oder eine ausgerenkte Schulter übernimmt die Clinica Mobile. Stets jedoch kommt ein Clinica Mobile-Arzt mit, auch in die Klinik. So hat der Pilot ein bekanntes Gesicht an seiner Seite und ist nicht fremden Ärzten ausgeliefert, die ihm womöglich nicht einmal die Diagnose erläutern können. Man stelle sich vor: Ein japanischer Arzt mit kümmerlichem Englisch versucht einem Spanier mit null Englischkenntnissen zu erklären, dass dessen dritter Lendenwirbel gebrochen ist, der Wirbelkanal jedoch unbeschädigt ist und keine Lähmungsgefahr droht.

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Ein Clinica Mobile-Besuch geht unbürokratisch vonstatten. Kein Vorzeigen einer Versicherungskarte, kein umständliches Ausfüllen von Kostenübernahmeerklärungen. Einfach hingehen, behandeln lassen, fertig. Und auch der Journalist mit Hexenschuss und der Mechaniker, der sich am heißen Auspuff verbrannt hat, dürfen kommen. Ein Service für das gesamte Fahrerlager also. Elf Ärzte, 25 Physiotherapeuten, vier Radiologen, sechs Lkw-Fahrer sowie drei Mitarbeiter in der Administration zuhause in Parma, fast alle Teilzeitkräfte, müssen finanziert werden. Einige von ihnen arbeiten in der Superbike-WM, auch dort ist die Clinica Mobile vertreten.

Abschließende Frage, Dr. Zasa: Wer sind Ihre Intensivpatienten? „Marcel Schrötter, Cal Crutchlow, Nicky Hayden“, antwortet der Doktor. „Die kommen fast täglich.“ Und was ist mit dem prominentesten Piloten? „Rossi?“, fragt Zasa. „Ja, Vale ist immer unser letzter Patient, meist so nach 20 Uhr.“ Weil Rossi keinen Schritt durchs Fahrerlager gehen kann, ohne von Fans belagert zu werden, muss nicht Rossi in die Clinica kommen – vielmehr macht Rossis Lieblings-Physiotherapeut Leonardo einen Hausbesuch und verabreicht die Massage in Rossis Motorhome. Für „Il Dottore“ hat Dottore Zasa also einen speziellen Service parat.

Fotos: DORNA | Marco Campelli