Collecting Moments #5: Zwangspause

„Larissa, was sind deine nächsten Projekte? Startest du auch 2018 wieder bei den Red Bull Romaniacs?“ Nur wenige Wochen nach meinem wohl größten Abenteuer in meiner bisherigen Karriere tauchten schon die ersten Fragen nach meinen nächsten Plänen auf. Knapp ein Jahr habe ich mich auf die härteste Enduro-Rally der Welt vorbereitet, der Fokus lag zu 100 % darauf. Meinen Traum Realität werden zu lassen, das war mein Ziel und daran habe ich jeden Tag gedacht. Es ist irgendwie merkwürdig, dann wieder zu Ruhe zu kommen und festzustellen, dass alles ein bisschen still steht. Das Ziel ist erreicht, was kommt jetzt?

Ich muss zugeben, dass ich schon während der Heimreise von Rumänien über neue Ziele, Rennen und Ideen nachgedacht habe. Gleichzeitig kam mir aber auch ein anderer Gedanke in den Sinn: „Larissa, nimm dir Zeit und genieß den Moment jetzt erst einmal!“ Und genau das habe ich dann auch gemacht.

© Esterpower

2016 und 2017 waren sehr intensive Jahre für mich. So viele Dinge, die ich erleben durfte, so viele unvergessliche Momente. Irgendwann sollte man sich vielleicht auch einfach mal die Zeit nehmen und die Erlebnisse Revue passieren lassen, dann kommen neue Ideen ganz von alleine, ohne verkrampft danach zu suchen. Und das tat ich auch die letzten Wochen. Ich habe versucht, die letzten beiden Rennen der österreichischen Cross Country-Meisterschaft zu genießen. Mit dem Rennen in Mehrnbach und dem Finale in Mattighofen, durfte ich gleich zwei Mal vor heimischem Publikum auf dem Podium stehen, ein perfekter Abschluss für die Saison. Vor allem das Rennen in Mattighofen war etwas Besonderes. Aus irgendeinem Grund wusste ich, dass es wohl meine letzte Teilnahme bei einem Rennen der österreichischen Cross Country-Meisterschaft in der Damen-Klasse sein würde. Ich war nun zum vierten Mal am Start und wusste, sollte ich die Serie 2018 noch einmal fahren, dann auf dem nächsten Level, also bei den Herren.

Ich habe den letzten Lauf mit den anderen Mädels noch einmal sehr genossen und hatte richtig Spaß. Ab und zu kam ich sogar wieder einigermaßen in einen guten Rhythmus hinein. Nach den Red Bull Romaniacs hatte ich Schwierigkeiten, wieder in den Cross Country-Modus hineinzufinden. Wenn du Monate lang nur darauf hintrainierst, vier volle Offroad-Tage im rumänischen Wald zu überleben, dann fährst du einfach ganz anders, als du es bei einem 2-Stunden-Sprint-Rennen solltest. Ab und zu habe ich mich während des Rennens sogar gefragt: „Larissa, was machst du da eigentlich? Reiss dich a bissl zam!“ Wie ein „Traummändlein“ fuhr ich Runde für Runde. Beim Finale in Mattighofen war ich etwas fokussierter. Nachdem ich ins Ziel rollte, fühlte es sich so an, als wäre etwas zu Ende gegangen. Ein Abschluss verbunden mit vielen schönen Erinnerungen an all die einzigartigen Momente, die ich während der vielen Cross Country-Rennen sammeln durfte. Meine ersten Schritte, meine ersten Erfahrungen und die Basis für alles, was folgen sollte.

© Cross Pics Huth

Nach dem Rennen in Mattighofen bekam ich spontan eine Anfrage für ein weiteres Rennen. Ein 4-Stunden-Teamrennen in Amtzell mit einer Dame names Janina Würtele; da war ich natürlich sofort dabei. Janina kommt vom Supermoto und Seitenwagen-Rennsport, also Straßenmotorsport. Sie ist noch nie zuvor ein Enduro-Rennen gefahren. Ich war also ziemlich gespannt, wie wir Mädels uns unter lauter Burschen schlagen würden. Noch dazu kannten wir uns gar nicht! Ein „Blind Date“ sozusagen. Es war aber „Liebe auf den ersten Blick“, wenn man das so sagen kann. Wie sollten sich zwei motorsportbegeisterte Mädels, die sich auf den Wahnsinn eines 4-Stunden-Rennens im Schlamm einlassen, auch nicht verstehen? Die Bedingungen waren hart, am Tag zuvor hatte es stark geregnet und die Strecke war nass, rutschig und eigentlich kämpfte man sich nur von einer Spurrille in die nächste.

Ich startete mit der KTM 300 EXC TPI, Janina übernahm in Runde 2, in der sie leider gleich mit einem technischen Problem zu kämpfen hatte. Ein Stein verkantete sich in ihrer Kette und sie steckte in einem riesigen Schlammloch fest. Da sie aber eine richtige Kämpferin ist und nicht eine Sekunde ans Aufgeben dachte, konnten wir unser Rennen fortsetzen. Ich übernahm wieder in Runde 3 und so wechselten wir uns drei Stunden lang nach jeder Runde ab. Wir hatten schon einen super Rhythmus! Wir waren die einzigen Damen am Start und schlugen uns mindestens so gut wie die Herren.

© Cross Pics Huth

Wir hatten das Ziel bereits vor Augen, fast waren die vier Stunden Schlammschlacht vorbei, aber mich erwartete noch eine böse Überraschung. Nach einem erneuten Wechsel ging ich wieder ins Rennen und fand schnell meinen Rhythmus. Bei einer ziemlich steilen Abfahrt machte ich einen kleiner Fehler, verkantete mit dem Vorderrad und stieg vorne über den Lenker ab. Den gesamten Aufprall fing ich leider etwas ungeschickt mit meinem rechten Knie ab. Sofort wusste ich, dass ich gerade meine erste Verletzung erlitten hatte. Der erste Blick ging zum Bike; das hatte den Sturz glücklicherweise einigermaßen unbeschadet überstanden. Der Streckenposten meinte: „Die KTM hast du recht gut abgefangen, der fehlt nichts“. Mir hingegen schon. Beim ersten Auftreten spürte ich, dass mein Unter- und Oberschenkel nicht so zusammenarbeiteten wie sonst – ein grausames Gefühl. Gemeinsam mit dem Streckenposten krabbelte ich zurück zu meiner KTM und fuhr tatsächlich noch weiter, um für die letzte Runde noch an meine Teampartnerin zu übergeben. Janina fuhr für uns ins Ziel, während ich zurück ins Fahrerlager rollte. Beim Ausziehen bemerkte ich, dass meine Orthese gebrochen war … ich will gar nicht wissen, was passiert wäre, wenn ich die nicht getragen hätte.

Im Fahrerlager hatte ich grandiose Hilfe von Freunden und anderen Fahrern. So schnell konnte ich gar nicht schauen und schon war mein Bike und alles andere eingeladen und ich bereit für den Heimweg. Die Siegerehrung wollte ich aber auf alle Fälle noch abwarten. Janina half mir beim Gang zum Podium und hievte mich ganz nach oben. Da standen wir nun und obwohl ich wusste, dass ich nicht so bald wieder Endurofahren würde, strahlte ich, denn ich durfte einen weiteren schönen Moment in meinem Leben sammeln. So viel Teamgeist zwischen zwei Menschen, die sich eigentlich gar nicht kennen; das war einzigartig!

Janina Würtele & Anna-Larissa Redinger © Cross Pics Huth

Mein neues Projekt hat sich durch den Sturz nun ganz von allein ergeben: Wieder gesund werden und stärker zurückkommen. Die Diagnose meiner Verletzung: Kreuzbandriss, Seitenbandeinriss und Meniskus eingerissen. Eine Operation wird vorerst nicht durchgeführt, da das Knie zu gereizt ist. Meniskus und Seitenband lassen sich voraussichtlich durch Physiotherapie heilen, das Kreuzband werde ich früher oder später operieren lassen müssen. Es wird definitiv kein einfacher Weg zurück; es wird ewig dauern und mich mental wahrscheinlich ab und zu an meine Grenzen bringen. Aber ich habe schon viele andere Herausforderungen in meinem Leben erfolgreich gemeistert, also bin ich optimistisch. Genauso wie Erfolge gehören auch Verletzungen zum Enduro-Sport dazu. Es gibt wahrscheinlich kaum einen großen Sportler, der sich noch nie verletzt hat. Viele haben ihre Karrierehighlights sogar nach ihren schwersten Verletzungen gefeiert. Wenn das keine Motivation ist!

Die erste Woche habe ich bereits hinter mir; es ist unfassbar, wie hilflos man in manchen Alltagssituationen ist. Die schönen Herbsttage konnte ich aber dennoch genießen. Genauso wie meine Familie, gibt es mir viel Kraft, die Sonne und Natur zu genießen. Derzeit heißt es für mich einen Gang zurückschalten, aber nur, um Anlauf für neue Abenteuer zu nehmen.

© Anna-Larissa Redinger

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Fotos: Esterpower | Cross Pics Huth | Anna-Larissa Redinger