DAS NORDKAP IM WINTER – TEIL 1

EINE LEGENDÄRE FAHRT BEI MINUSGRADEN

Das Nordkap in Norwegen ist eines der beliebtesten Ziele für europäische und internationale Motorradreisende. Hunderte von Fahrern pilgern jeden Frühling und Sommer in den hohen Norden. Als nördlichster Punkt des europäischen Festlands wird es im Winter von schweren Schneefällen heimgesucht, was eine Fahrt dorthin Mitte Februar zu einer echten Herausforderung macht …

Von: Tuğçe&Fatih/Ride2World

Wir stellen euch Ride2World vor: Tugce auf ihrer KTM 690 ENDURO R und Fatih mit seiner KTM 790 ADVENTURE R
PC @Ride2World

Wer das Nordkap auf dem Motorrad erreichen will, muss den Polarkreis hinter sich lassen – das allein ist schon ein beeindruckendes Erlebnis. Im Winter würden sich das die meisten Menschen gar nicht wagen. Auf vereisten und schneebedeckten Straßen, auf denen noch arktische Winde wehen, ist besonders viel Einsatz gefragt, will man sein Ziel erreichen. Und wer besonders viel Glück hat, darf beim Einschlafen das überwältigende Nordlicht bewundern.

Ich bin Tugce und ich erkunde nun schon seit acht Jahren gemeinsam mit meinem Reisepartner Fatih die Welt. Ich fahre seit einigen Jahren eine KTM 690 ENDURO R, während Fatih mit seiner KTM 790 ADVENTURE R unterwegs ist. Von 2016 bis 2018 fuhren wir zusammen um die Welt und das sollte der Beginn vieler weiterer legendärer Fahrten sein.

Mehrere Schichten warme Motorradbekleidung und ein Lächeln im Gesicht sind der Schlüssel zum Erfolg am Weg zum Nordkap
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Gute Vorbereitung ist der Schlüssel zu jedem kühnen Abenteuer auf 2 Rädern. In diesem Fall war es unerlässlich, auf alles vorbereitet zu sein. Unsere Route sollte uns um die Ostsee herumführen. Von Polen aus wollten wir durch Litauen, Lettland, Estland und Finnland und dann über Norwegen und Schweden zurückfahren. Da es in diesem Teil der Welt im Winter extrem kalt wird, mussten wir uns und unsere Bikes entsprechend vorbereiten.

Die richtige Kleidung für eine solche Reise auszuwählen, war keine leichte Aufgabe. Am wichtigsten war uns zunächst, dass wir es warm und bequem haben und gut geschützt sind. Wir beschlossen, auf Nummer sicher zu gehen und über mehrere Schichten und unsere Motorradbekleidung noch reflektierende Hosen und Jacken zu tragen.

Als Nächstes kamen die Helme. Helmvisiere neigen dazu, bei Feuchtigkeit und Kälte zu beschlagen, was die Sicht stark beeinträchtigt. Manchmal ist die Sicht so schlecht, dass man das Visier öffnen muss. Das ist bei Temperaturen unter null natürlich schlecht, also braucht man ein gutes Anti-Beschlag-System. Was unsere Füße betrifft, entschieden wir uns für ein neues Paar Regenhüllen, um zu verhindern, dass Wasser in unsere Stiefel eindringt, und um unsere Füße so trocken wie möglich zu halten.

Tugce’s und Fatih’s Camping-Ausrüstung erwies sich als Lebensretter auf ihrer Reise
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Wir hatten keine Ahnung, wie viele Kilometer wir bei solchen Bedingungen täglich würden zurücklegen können, also nahmen wir ein Zelt und Camping-Ausrüstung mit. Zuerst hatten wir vor, dieses nur als letzten Ausweg zu verwenden. Es erwies sich aber bald als Lebensretter, als uns eines Abends klar wurde, dass wir den nächsten Ort unmöglich erreichen werden. Obwohl dieser nur 30 oder 40 km entfernt war, würden wir ihn bei unserer Durchschnittsgeschwindigkeit von 40 km/h nicht mehr erreichen und mussten deshalb die Nacht im Zelt verbringen.

Zu guter Letzt: Nahrung. Um unsere täglichen Ausgaben niedrig zu halten und auf das Schlimmste vorbereitet zu sein, nahmen wir Trockennahrung und Konserven mit. Wir hatten vor, die Küchen in den Herbergen oder unseren Campingkocher zu verwenden, um uns Essen zuzubereiten.

Fatih montiert Spikes auf Tugce’s KTM 690 ENDURO R
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Wie immer vor einer langen Reise statteten wir unserem KTM-Händler den obligatorischen Besuch ab. Wir erläuterten unser Vorhaben und der Händler checkte unsere Bikes durch, um zu prüfen, ob sie uns auf unserer Reise Probleme bereiten könnten. Unsere Motorräder waren in gutem Zustand, bei beiden war aber ein großer Service fällig.

Während sie beim Händler standen, wurden Heizgriffe installiert, die sich bei den frostigen Temperaturen auf unserer Reise in den hohen Norden als unbezahlbar erwiesen. Zusätzlich zu den Heizgriffen brachten wir Handwärmer an, damit unsere Hände vor Wind und Regen geschützt sein würden. Außerdem erhöhten die Handwärmer die Wirksamkeit der Heizgriffe ganz beträchtlich. Auch auf die richtigen Reifen kam es an. Für diese Reise wählten wir nicht nur einen Satz gute Allround-Reifen, sondern auch Spikes, die wir während der Fahrt selbst anbrachten.

Montieren selbstgemachter Ketten – sich stets auf Endziel zu konzentrieren hilft Momente des Zweifelns zu überwinden
PC @Ride2World

Auf eine lange Reise mit dem Motorrad aufzubrechen, ist an sich ja schon eine mentale Herausforderung. Wenn dann noch widrige und bitterkalte Bedingungen dazukommen, ist das eine noch größere psychische Herausforderung. Für uns war es wichtig, uns während des gesamten Prozesses auf unser Ziel, das Nordkap zu erreichen, zu konzentrieren. Unsere Erfahrung beim Umrunden der Welt hat uns immer wieder gezeigt, dass es nicht nur auf gute Vorbereitung ankommt. Auch mit der mentalen Belastung muss man vor dem Aufbrechen erst mal fertigwerden.

Um jene Momente des Zweifelns zu überwinden, hilft es, einen guten Plan zu haben, z. B. Experten nach Tipps zu fragen, und sich auf das Ziel zu konzentrieren. Der Wille ist der Schlüssel; mentale Stärke der Antrieb.

Selbst durch die Helme erkennt man das Lächeln in den Gesichtern von Tugce und Fatih
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Unser bescheidener Tipp für alle Fahrer, die eine Fahrt bei solchen Bedingungen planen, lautet:

  1. Seht euch die Wetterbewegungen an den Orten an, zu denen ihr fahren wollt. Das Wetter kann schnell umschlagen – deshalb müsst ihr so viele Informationen wie möglich sammeln.
  2. Nehmt immer eine Offline-Karten-App oder eine gedruckte Karte mit. Es gibt ein paar gute Offline-Karten-Apps mit recht guten POI-Datenbanken. Vertraut niemals auf GSM-Abdeckung. Wenn man sie braucht, funktioniert sie meistens nicht.
  3. Euer Bike sollte so gut wie möglich durchgecheckt sein. Fragt euren Händler nach Tipps und Unterstützung und testet alle Teile vor dem Aufbrechen ausgiebig.
  4. Ladet euch die Bedienungsanleitung für euer Bike herunter und lest sie euch gut durch, um zu wissen, was sich wo befindet und wie ihr Probleme selbst beheben könnt.
  5. Setzt euch mit lokalen Motorradgruppen in Verbindung, um im Notfall Hilfe zu bekommen oder euch einfach nur zu vernetzen.

Schlussendlich und nach all den praktischen und psychischen Vorbereitungen bleibt euch nur noch, euch in den Sattel zu schwingen und dem Unbekannten entgegenzustreben. In unserem Fall erwies sich die Reise zum nördlichsten Punkt des europäischen Festlands als unvergessliches Abenteuer fürs Leben.

Seid gespannt auf Teil 2 und 3 der abenteuerlichen Reise zum Nordkap.