DAS NORDKAP IM WINTER – TEIL 2

DEM ZIEL NAHE

Sind die Farben des Nordlichts echt? Wie viel kälter kann einem auf einem Bike noch werden? Was, wenn wir einfach aufgeben und umkehren? Während wir uns dem nördlichsten Ort auf dem europäischen Festland nähern, stellen wir uns auf diesen endlos scheinenden, schneebedeckten Straßen so manche Frage …

Von: Tuğçe&Fatih/Ride2World

Während wir mit unseren Motorrädern in Richtung Norden und Nordkap mehrere Länder durchquerten, gingen die Temperaturen langsam nach unten und Regen verwandelte sich in Schnee. Und trotz der frostigen Bedingungen waren wir beide voll auf unser Ziel fokussiert – im Winter auf Motorrädern den nördlichsten Ort europäischen Festlands zu erreichen. Mit diesem Ziel vor Augen war jeder zusätzliche Kilometer ein kleiner Erfolg.

Man braucht mehrere Lagen warmer Motorradbekleidung um es im Winter bis ans Nordkap zu schaffen
PC @Ride2World

Auf unserem Weg machten wir für eine Nacht in Tallinn, Estland, Halt. Alles lief hervorragend, bis wir am nächsten Morgen die Herberge verließen und meine KTM 690 ENDURO R auf der Seite im Schnee liegend vorfanden. Im Laufe der Nacht war der Schnee unter ihrem Seitenständer geschmolzen und der kalte Wind hatte das Bike schließlich umgeworfen. Dabei war das Windschild zerschmettert worden – ein Problem, das wir vor unserem Aufbruch lösen mussten.

Tugce auf ihrer KTM 690 ENDURO R und einem lädierten Windschild
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Weiter nordwärts fahrend nahmen wir die Fähre von Tallinn nach Helsinki – eine Fahrt von 2,5 Stunden. Als sich die Tore der Fähre in Helsinki öffneten, trauten wir unseren Augen nicht. Alle Straßen waren von dickem Schnee bedeckt und der eiskalte Wind machte unseren Bikes und Körpern zu schaffen. Die Bedingungen waren alles andere als ideal für eine Fahrt mit dem Motorrad. Und so wurde unsere 15 Kilometer lange Fahrt zu jener Werkstatt, wo wir unsere Spikes installieren wollten, zu einem Albtraum.

Obwohl die Straßen denkbar ungeeignet waren, mussten wir uns bis zur Werkstatt durchkämpfen. An der Autobahnabfahrt kamen wir beide bei ziemlich niedriger Geschwindigkeit zu Sturz. Wir sind beide daran gewöhnt, abseits befestigter Straßen die Kontrolle zu verlieren und zu stürzen. Auf Asphalt ist das aber eine ganz andere Geschichte.

Bei der Werkstatt angekommen, wurde uns erlaubt, unsere mehr als 500 Spikes im Service-Bereich zu installieren, was 2 Stunden und 15 Minuten in Anspruch nahm. Nun mit Spikes und beheizten Visieren ausgerüstet, waren wir besser auf den letzten Teil der Fahrt an diesem Tag vorbereitet. Nachdem wir das Ende des Schneesturms abgewartet hatten, fuhren wir zu unserem Hotel. Danach nahmen wir die Chance wahr, uns Helsinki anzusehen.

Sobald sich das Wetter in Helsinki beruhigt hatte, machten wir uns auf den Weg nach Norden. Nach und nach war immer weniger Asphalt zu sehen. Und als wir den Polarkreis erreichten, gar keiner mehr. Der Grund: Er war über und über mit Eis bedeckt. Obwohl die Bedingungen offensichtlich immer lebensfeindlicher wurden, begannen wir beide, unsere Fahrt durch diese Schneelandschaft zu genießen. Wir waren dem Trubel entronnen und glaubten uns schon mutterseelenallein, als uns einige Füchse und Rentiere über den Weg liefen. Wildtiere so nah beobachten zu können, war ziemlich cool.

Die unergründeten Gebiete Laplands
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Als die Temperatur unter -5 Grad fiel, entschieden wir uns, unsere orangen Anzüge über unsere Bekleidung zu ziehen. Damit hätte man uns auch aus dem Weltraum sehen können … vor allem aber war uns damit viel wärmer. Diese endlos scheinenden, schneeweißen Straßen entlangzufahren, begann allmählich Spaß zu machen, da wir uns mit der Zeit immer sicherer dabei fühlten, unsere Konzentration stets auf die Straße zu richten. Wenn man bei diesen Bedingungen ein paar Stunden vor sich hin fährt, kann einen die Umgebung schon mal hypnotisieren. Wenn man keine Pause einlegt, sieht alles bald gleich aus und man erkennt keine Unterschiede im Straßenbelag mehr.

Orange Motorräder, orange Bekleidung
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Obwohl unsere Spikes gut funktionierten, mussten wir den Reifendruck einige Male verringern, um den Grip zu erhöhen. Der Untergrund ändert sich so oft, dass Spikes nicht immer die beste Wahl sind. Die schweren Stürme und der dichte Schneefall machten es noch schwieriger, mit den Spikes zu fahren. Und da wir noch so weit von unserem Ziel entfernt waren, wurde uns klar, dass wir Schritt für Schritt vorgehen mussten. Uns war bewusst, dass die Bedingungen noch schwieriger werden würden, weshalb wir selbstgemachte Schneeketten mitgenommen hatten. Langsam, mit kaum mehr als 40 km/h, bewegten wir uns vorsichtig durch den Schnee nordwärts, wobei uns unsere Schneeketten ziemlich gute Dienste erwiesen.

Um es im Winter bis ans Nordkap zu schaffen, muss man ein wenig improvisieren – hier montiert Fatih Ketten der Marke Eigenbau
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Wenn man sich einmal an die unfreundliche Umgebung gewöhnt hat, beginnt man, sich über jeden neuen Anblick zu freuen – von zugefrorenen Seen bis hin zu kleinen Hügeln mit fantastischem Ausblick auf verschneite Täler. Bei unseren kurzen Übernachtungen kamen wir auch in den Genuss der berühmten skandinavischen Saunas. Wenn es draußen -15 Grad sind, macht ein Saunabesuch die Sache schon angenehmer.

Irgendwann nach vielen bitterkalten Tagen im Sattel wird einem die ganze Tragweite dieses Abenteuers bewusst. Wir waren zum ersten Mal bei solchen Bedingungen unterwegs, was es wohl noch schwieriger machte. Dennoch waren wir beide körperlich und mental voll auf die Herausforderung vorbereitet, weshalb das Ganze für uns eine wertvolle Erfahrung war.

Wir waren froh, dass wir uns auf dieses aufregende Abenteuer eingelassen hatten und dadurch neue Fertigkeiten erlernen konnten. Den Polarkreis bei winterlichen Bedingungen zu erreichen, war unser erster Meilenstein gewesen. Der nächste würde das Nordkap sein. Für uns stellte das Nordkap (ein beliebtes Ziel für Biker) das Ziel dar, an dem all unsere Bemühungen belohnt werden würden. Eine Chance, unsere Fähigkeiten zu verbessern und dazuzulernen.

Tugce und Fatih haben es auf ihren KTM Motorrädern bis zum nördlichen Polarkreis geschafft
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Durch unsere Erfahrungen aus vergangenen Fahrten wurde uns klar, dass unser Weg nach Norden kein Wettrennen war. Wir waren voll motiviert, unser Ziel zu erreichen, nahmen alle Temperaturänderungen in Kauf und lernten, diese lebensfeindliche Umgebung, durch die wir fuhren, zu respektieren. Wohlverdiente Pausen einzulegen, half uns immens dabei, uns unseren Weg nach Norden zu bahnen. Nur, wenn es uns sinnvoll erschien, zwangen wir uns, viele lange Stunden weiterzufahren. Bei so einer Fahrt muss man seine Pläne flexibel anpassen können. Und wenn die Bedingungen härter und härter werden, muss man sich auf das Ziel konzentrieren und sich am Fortschritt erfreuen, anstatt sich demotivieren zu lassen.

Tugce macht eine wohlverdiente Pause auf ihrer KTM 690 ENDURO R
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Der 3. und letzte Teil der Blog-Reihe folgt in Kürze…