Das Team hinter dem (Dakar-)Team oder: Fünf Geschichten über Liebe und Leidenschaft – Teil 2

Die Rallye Dakar ist ein enormes Unterfangen. Aus diesem Grund verlangt sie nach mehr geschickten Händen und klugen Köpfen als alle anderen Cross-Country-Rallys der Saison. Dieses Jahr bestand das Team hinter den Red Bull KTM-Werksfahrern aus 33 Mitgliedern und erzielte unter der Leitung des neuen Teamchefs Jordi Viladoms ein historisches Resultat. Wir sprachen mit fünf Menschen, die sich der orangen Familie für die Dakar angeschlossen haben.

Sie kamen nach Lima, um sich um Fahrer, Team, Lastwagen, Wohnmobile und die KTM-Kunden zu kümmern. Wie kam es, dass sie sich KTMs Dakar-Einsatz angeschlossen haben, und welche Rollen haben sie inne? Wie war es früher, als die Rallye Dakar noch in Afrika ausgetragen wurde, was hat sich verändert, was ist genau gleichgeblieben und was haben Liebe und Leidenschaft mit alldem zu tun?

Alles!

Red Bull KTM Rally Factory Racing Team Dakar 2019 © Marcin Kin

Andreas Fisher, Physiotherapeut
Als wir ihn fragen, wie es ihn zur Dakar verschlagen hat, kratzt sich Andy am Kopf: „Das ist eine wirklich lange Geschichte.“ Aber auch eine interessante, also machen wir es kurz. Andys Dakar begann irgendwie damit, dass er in der zweiten deutschen Liga American Football spielte. Mit 22 traf er Ilona, die die Freundin seines Teamkollegen war und außerdem für KTM arbeitete. Später, als Ilona Pit Beirer heiratete, wurde er dessen Physiotherapeut. „Es war im Jahr 2002 und Motocross-Fahrer Pit Beirer hatte einen Vertrag mit KTM. Eines Tages fragte mich Ilona, ob ich mir sein Fußgelenk ansehen könne. Ich behandelte ihn und er erholte sich. So begann ich, für KTM zu arbeiten. Ich war sehr glücklich, den Job bekommen zu haben. Ich komme selbst aus diesem Sport, also war er für mich einfach perfekt. Zuerst begann ich, intensiver mit Pit zu arbeiten, später dann auch mit anderen Motocross-Fahrern, um sie auf die Rennen vorzubereiten.“

2012 wurde ihm angeboten, für das Rally-Team zu arbeiten, und Andy wechselte von der Rennstrecke in die Wüste. Seine erste Dakar entwickelte sich allerdings ganz anders, als er sich das vorgestellt hatte. „Am ersten Tag war es 49 Grad heiß und selbst in der Nacht noch 30. Ich schwitzte in meinem Zelt, konnte nicht schlafen und dachte nur, wie ich diese Hölle überstehen würde. Ich bin offensichtlich noch am Leben und das ist jetzt meine achte Dakar“, lacht er.

Seine ersten „Kunden“ waren Marc Coma, Joan Pedrero, Kuba Przygonsky und Kurt Caselli. „Ich vermisse Kurt. Er hatte für jeden immer ein Lächeln übrig. Er war so respektvoll und dankbar. Er war einfach eine wundervolle Seele“, erinnert sich Andy und fügt hinzu: „Dank der Dakar habe ich so viele großartige Menschen getroffen und so viele fantastische Plätze gesehen. Nach all den Dakars, bei denen ich schon dabei war, liegt die Schönheit der Rally für mich darin, mit dem KTM-Team zu arbeiten. Hier arbeitet niemand für sich alleine, wir alle helfen einander. Für mich persönlich am befriedigendsten ist, dass die Fahrer auf meine Behandlungen gut ansprechen und um Siege kämpfen.“ Aus naheliegenden Gründen ist Andy eines der beliebtesten Teammitglieder. Wer mag es schließlich nicht, massiert zu werden? Trotzdem kümmert er sich nicht nur um das Körperliche – sein Rucksack steckt voll mit Ingwer und Gewürzen und er leiht bei Bedarf jedem gerne sein Ohr.

Physiotherapy Dakar 2019 © Marcin Kin

Dr. Rolf Michael Krifter, Arzt
Der Absatz über Dr. Rolf Michael Krifter könnte genauso gut den Titel „Dürfen wir vorstellen: Dr. Michi, der Dakar-Rookie“ tragen. Menschen, die zum ersten Mal bei der Dakar dabei sind, werden auch Rookies genannt.

Im Leben gibt es keine Zufälle und dieses Gesetz könnte man auch auf den orthopädischen Chirurgen Michael Krifter, der in seiner Freizeit Enduro fährt, anwenden. Er stieß buchstäblich in letzter Minute zum Team: Am 4. Januar führte er noch seine letzte dringende Operation durch. Um 17 Uhr streifte er die Chirurgenhandschuhe ab, 18 Uhr war er am Flughafen und 19 Uhr hob er zur Dakar ab.

Seine Leidenschaft für die Dakar begann, als er noch ein Kind war und spät in der Nacht im Fernsehen Kini dabei zusah, wie dieser in Afrika bei der Dakar um Bestzeiten kämpfte. Es war das ultimative Abenteuer und so lag es nahe, dass Michael eine Leidenschaft für Geländemotorräder entwickelte. Trotzdem gab es etwas, das er noch mehr liebte. Sowohl sein Großvater als auch sein Vater waren Allgemeinmediziner und schnell stand für ihn fest, dass auch er Arzt werden würde. Er schlug einen etwas anderen Weg ein und wurde orthopädischer Chirurg. Im Laufe seiner Karriere machte er sogar einen Abstecher nach Libyen, um mit dem Dakar-Veteranen Peter Hinterreiter ähnliche Erfahrungen zu sammeln. Er verliebte sich in die Wüste und bekam einen kleinen Vorgeschmack auf die Dakar selbst. Jahre später traf er Matthias Walkner. „Matthias war mein Patient. Ich behandelte ihn, operierte einen seiner Freunde und eines Tages sagte er zu mir: ‚Es wäre cool, wenn du dich uns anschließen würdest.‘ Ich sagte: ‚Ok, das mache ich gerne, aber ich muss es 3 Monate im Voraus wissen, damit ich meine Termine umlegen kann!’“ Wüstenrennen sind aber unberechenbar und so bekam er nur wenige Tage vor Weihnachten 2018 einen Anruf von Team-Manager Jordi Viladoms – und nahm den Job an. Er arbeitete während der Feiertage und nahm alles in die Hand, um bei der Dakar dabei sein zu können. Es war der Anfang eines ganz besonderen Abenteuers.

„Es ist schwierig, diese Erfahrung in Worte zu fassen“, antwortet Michael auf die klassische Rookie-Frage. „Es handelt sich um ein fantastisches, komplexes Unternehmen. Es ist unglaublich, zu sehen, wie die einzelnen Teammitglieder interagieren; sie erledigen ihre Aufgaben ganz reibungslos und fast automatisch. Andererseits ist es wahnsinnig interessant, dass alle hier echte Originale sind! Es sieht so aus, als wäre ein gemeinsames Ziel das Fundament dieser Harmonie: Wie die Fahrer wollen auch alle Teammitglieder unbedingt gewinnen.“

Auf die Fahrer und seinen Job angesprochen, atmet Michael tief durch und sagt: „Ich habe schon mit vielen Profi-Sportlern zusammengearbeitet. Rally-Rennfahrer sind aber aus einem anderen Holz geschnitzt. Ich wusste von vornherein, dass sie bereit sind, Risiken einzugehen, hatte aber keine Vorstellung davon, wie weit sie in diesem Sport, in dem ein kleiner Fehler dein Leben fordern kann, tatsächlich gehen würden. Man spürt, dass sie es aus Leidenschaft tun. Unser Team hat die besten Fahrer der Welt und das bedeutet, dass sie alles auf eine Karte setzen. Um dieses unglaubliche Rennen zu gewinnen, muss der Verstand über den Körper triumphieren – Toby Price ist das beste Beispiel dafür. Auf jeden Fall habe ich ein neues Forschungsthema in der Sportmedizin gefunden“, fasst er zusammen.

KTMs scharfsinniger Doktor kümmerte sich aber nicht nur um die Fahrer, sondern um das ganze Team, das von Durchfall und Grippe geplagt wurde. Seine „revolutionäre“ Arbeit begann in Lima, als er ungesundes Essen aus den Wohnmobilen verbannte und es mit gesunden Kalorien ersetzte. „Abgesehen davon kämpfte ich mich mit gerissenen Bändern, schweren Prellungen, Gehirnerschütterungen, Zerrungen, einem gebrochenen Rückgrat, einem böse gebrochenen Fußgelenk und einem entzündeten, schlecht verheilten Kahnbein herum … alles, um die Fahrer bis ins Ziel zu bringen“, fügt er – nicht ohne Stolz, zu einem großartigen Ergebnis beigetragen zu haben – hinzu.

Toby Price (AUS) Dakar 2019 © Marcin Kin

Fotos: Marcin Kin