DEN ENTSCHEIDENDEN SCHRITT VORAUS: WIR TREFFEN DEN MANN, DER GEHOLFEN HAT, DIE KTM RC16 IN DIE ERSTE STARTREIHE DER MOTOGP™ ZU BEFÖRDERN

„Ich gehöre schon zum Inventar“, scherzt Wolfgang Felber. Der 58-Jährige trifft uns – den entsprechenden Sicherheitsabstand einhaltend – in der dunklen Eingangshalle des KTM-Motorsport-Gebäudes in Munderfing und wird sogleich über seine Rolle im rasanten Aufstieg der KTM RC16 ausgequetscht; es geht um MotoGP-Neulinge, -Lehrburschen, Grand-Prix-Sieger und Top-Resultate.

This image has an empty alt attribute; its file name is IMAGE12_resized.jpg
Wolfgang Felber – KTM Factory Racing
PC @PhilipPlatzer

Der ehemalige Rennfahrer ist schon seit Langem in die Rundstrecken-Aktivitäten von KTM involviert: vom ersten MotoGP-V4 zu Beginn des Jahrhunderts bis zum glorreichen Moto3™-Projekt, von den Erfolgen WPs im Offroad- und Supercross-Sport bis zu den aktuellen Anstrengungen des Konzerns im Grand-Prix-Zirkus. Innerhalb von vier Jahren hat sich die KTM RC16 von einem Bike, das zwei Sekunden pro Runde Rückstand auf die besten hatte, zu einem der schnellsten überhaupt entwickelt.

This image has an empty alt attribute; its file name is IMAGE21_resized.jpg
Felber ist bereits seit Jahren Teil von KTM – hier sehen wir ihn mit Heinz Kinigadner, Pit Beirer und Hubert Trunkenpolz beim Mitfiebern in der Box beim Qualifying des Heim Grand Prix des Teams
PC @PolarityPhoto

Felber arbeitet schon seit fast vier Jahrzehnten für KTM. Er wurde Zeuge jener Dynamik, die dafür gesorgt hat, dass die Marke aus Mattighofen seit Beginn des neuen Jahrtausends zu einer tonangebenden Kraft in so gut wie jeder Rennklasse der FIM wurde.

This image has an empty alt attribute; its file name is Image3_resized-1.jpg
Felber hat mitgeholfen, die KTM RC16 in das konkurrenzfähige Paket zu verwandeln, das sie heute ist – hier in Brünn 2020, wo sie den ersten Sieg mit Brad Binder holte
PC @PolarityPhoto

„Rückblickend muss ich sagen, dass ich nie damit gerechnet hätte, wie sich KTM über all diese Jahre entwickelt hat“, gibt er zu. „Der Unterschied ist gewaltig. Fast so, wie der zwischen der Stein- und der Neuzeit. Das Unternehmen hat sich kometenhaft von einer regionalen Marke für Offroad-Motorräder zu einem globalen Player in der Motorrad-Industrie gewandelt …“. Er pausiert und fährt fort: „Ich kann aber ehrlich sagen, dass ich in diesen 38 Jahren keinen Tag erlebt habe, der nicht aufregend und herausfordernd war. Langweilig wurde mir jedenfalls nie. Ich liebe meinen Job. Er ist meine Leidenschaft.“

This image has an empty alt attribute; its file name is IMAGE41_resized.jpg
Binder hat neue Ziele vor Augen für 2021
PC @PhilipPlatzer

Welche Rolle hast du gespielt, seit du vor zwei Jahren zum Straßen-Rennsport-Projekt zurückgekehrt bist?

Ich bin so etwas wie ein Gegenpol zu den jungen Technikern, die eine viel bessere Ausbildung als ich haben – manchmal braucht es einfach jemanden mit mehr Fingerspitzengefühl, Erfahrung und einer anderen Denkweise. Vielleicht ist das meine wirkliche Aufgabe in diesem Spiel. Es macht mich immer froh, wenn einer unserer neuen Jungs mit einer Idee daherkommt. Das bedeutet, dass das Unternehmen reift, dass unser Nachwuchs dazulernt und sein Wissen erweitert. Ich war früher selbst Rennfahrer. Das hilft mir auch heute noch, auch wenn ich mich nicht mehr an jedes Detail meiner Bikes von damals erinnern kann! Ich kann mich immer noch in einen Fahrer hineinversetzen und weiß, wie die Verbindung zwischen Fahrer und Bike funktionieren muss. Es ist ein philosophischer Zugang.

This image has an empty alt attribute; its file name is IMAGE51_resized.jpg
Die KTM RC16s der Saison 2021, auf denen Miguel Oliveira und Brad Binder ins Rennen gehen werden
PC @PhiliptPlatzer

Wofür warst du im Zusammenhang mit der KTM RC16 verantwortlich?

Ich wurde hauptsächlich als Fahrwerks-Spezialist angeheuert und als ich zu diesem Projekt stieß, waren einige Einzelkomponenten oder Bereiche – wie der Motor und die Elektronik – bereits auf einem sehr hohen Niveau. Das Problem war nur, dass alles nicht zu 100 % zusammenpasste. Wir mussten also für Harmonie sorgen und das Paket verfeinern.

This image has an empty alt attribute; its file name is IMAGE61_resized.jpg
Danilo Petrucci wird 2021 Teil der KTM Familie – er wird für das Tech3 KTM Factory Racing Team fahren
PC @PhilipPlatzer

Die Veränderungen am Fahrwerk und Dani Pedrosas Rolle in der Entwicklung der jüngsten Version des Bikes haben für viel Gesprächsstoff gesorgt …

Dani hat seinen Ansatz dazu eingebracht, wie man ein MotoGP-Bike eine ganze Renndistanz oder eine Runde im Qualifying fährt – wobei man 20 verschiedene Rennstrecken und Aspekte wie etwa unterschiedliche Temperaturen einbeziehen muss. Er hat eine bestimmte Vorstellung davon, wie ein MotoGP-Bike sein sollte. Erstens muss es schnell und zuverlässig sein und ein Paket bieten, mit dem der Fahrer gleich von Freitagmorgen an ein gutes Gefühl hat. An einem Rennwochenende hat man nicht unendlich viel Zeit. Man fährt vier freie Trainings, Q1 und Q2, das Warm-Up und dann schon das Rennen selbst. Das lässt nicht viel Zeit, um am Setup zu arbeiten. Wenn man bereits am Freitagmorgen Probleme hat, ziehen sich diese durch das ganze Wochenende. Dani kennt dieses Zusammenspiel und hat das immer im Hinterkopf, wenn wir Modifikationen, Teile und Strategien testen. Er denkt nicht nur an das nächste Rennen, sondern an die kommenden Jahre.

This image has an empty alt attribute; its file name is Image-7_resized-1.jpg
Besondere Erinnerungen – KTMs erster MotoGP Sieg in Brünn, Tschechien 2020
PC @PolarityPhoto

Ihr habt im letzten Jahr einige große Erfolge gefeiert, da das 2020-Bike auf wesentlich mehr Strecken gut funktioniert hat als das 2019-Bike, das bei niedrigem Grip massive Probleme hatte …

Ja, das war eines unserer großen Ziele. Ein anderes war, das Bike für alle unsere Fahrer zu einem konkurrenzfähigen Paket zu machen. Bis 2019 war klar, dass das Bike hauptsächlich auf die Bedürfnisse von Pol Espargaro ausgelegt war und die anderen Fahrer damit etwas strauchelten. Jetzt folgt es eher der Philosophie von Dani Pedrosa und es war umwerfend, mit anzusehen, dass es sowohl bei Pol als auch bei Brad, Miguel und Iker sehr gut ankommt. Heute haben wir ein exzellentes Paket für alle Fahrer, obwohl deren Fahrstile auseinandergehen. Das ist ein großes Plus.

This image has an empty alt attribute; its file name is Image-8_resized-1.jpg
KTM hat sich in den letzten vier Jahren schrittweise immer näher an die erste Startreihe herangetastet
PC @PolarityPhoto

Wie schwierig war es, diese Änderungen am Fahrwerk umzusetzen, ohne die KTM-DNS zu verwässern?

Wir denken nicht viel über die KTM-DNS nach. Wir wollten das schnellste, konkurrenzfähigste Bike bauen. Ein Bike, das gewinnen kann. Das kommt ohnehin der KTM-DNS gleich.

This image has an empty alt attribute; its file name is Image9_resized.jpg
Felber ist bereits seit Jahren Teil von KTM – hier sehen wir ihn im Jahr 2010 bei der Deutschen IDM-Superbike-Meisterschaft
PC @KTM

Ihr habt euch also beim Rahmen nicht an irgendwelche strengen Vorgaben halten müssen?

Die einzige strenge Vorgabe war, dass er aus Stahl sein sollte, und wir verwenden im Zusammenhang mit diesem Material die neuesten Technologien. Wir verwenden etwa additive Herstellung: Die gängigere Bezeichnung ist wohl ‚gedruckter‘ Stahl. Die Hauptbestandteile des Rahmens werden gedruckt und dann zusammengeschweißt. 70 – 80 % der Teile werden gedruckt, was uns viel Spielraum in Sachen Wandstärken und Steifigkeit gibt. Das ist ein großer Vorteil. Die Philosophie hinter dem Fahrwerk – und dem gesamten Bike – besteht darin, dem Fahrer mehr Vertrauen zu geben. Für mich waren das letzte Rennen in Portimao und die Q2-Rundenzeiten von Miguel und Pol ein gutes Beispiel. Die letzte Kurve vor Start und Ziel ist eine Bergab-Rechtskurve und beide fuhren sie im Qualifying voll am Limit. Sie hatten beide etwa 200 km/h drauf, Vorder- und Hinterreifen waren am Driften bei einer Schräglage von 60 Grad und man konnte sehen, wie wohl sie sich dabei fühlten: Das ist das Fahrer-Motorrad-Paket, das wir erreichen wollten. Das zu schaffen, ist einfach großartig.

This image has an empty alt attribute; its file name is IMAGE11_resized-1.jpg
Miguel Oliveira wird sich 2021 die Red Bull KTM Factory Racing Box mit Brad Binder teilen
PC @PhilipPlatzer

Wie fühlst du dich, wenn du siehst, wie Miguel und Pol bis zur letzten Kurve um einen MotoGP-Sieg kämpfen?

Das war nicht nur für mich, sondern für alle Mitarbeiter hier in Munderfing eine große Sache, da wir alle mehr oder weniger Rennfahrer sind. Selbst wenn unsere Jungs sich das Rennen zuhause vor dem Fernseher ansehen, sitzen sie im Geiste selbst auf dem Motorrad, da sie es gebaut und entwickelt haben. Sie alle fühlen sich mit dem Geschehen verbunden.

This image has an empty alt attribute; its file name is Image11_resized.jpg
Felbers Wissen und Erfahrung spielen eine wichtige Rolle im Team
PC @SebasRomero

Zu guter Letzt: Die KTM RC16 hat im Jahr 2020 einen großen Sprung nach vorn gemacht. Dürfen wir vom 2022-Modell noch einmal eine deutliche Steigerung erwarten? Oder geht es von hier an nur mehr um kleine Verfeinerungen?

Ich glaube, dass wir ab jetzt nur mehr kleine Verfeinerungen vornehmen werden, da wir bereits ein gutes Niveau erreicht haben. Das war noch ganz anders, als das Projekt vor vier Jahren begonnen hatte und das Bike 2-3 Sekunden hinten lag. Wenn man von Null beginnt, ist man zuerst mal ‚nirgendwo‘. Das ist normal und man kann schnell große Fortschritte machen. Heute sind wir vorn mit dabei und es ist schwierig, noch Verbesserungen zu machen. Beim Testen sind wir froh, wenn wir etwas finden, was das Bike fünf Hundertstel pro Runde schneller macht. Und es ist trotz all der Daten oft schwierig, festzustellen, ob etwas tatsächlich eine Verbesserung darstellt. Dann sind da noch die Reifen, die im Laufe der Zeit nachlassen, was das Ganze noch kniffliger macht. Die nächste KTM RC16 muss ein Bike werden, das sich im ‚Zweikampf‘ besser verhält. Auch das gehört zur DNS von KTM, da wir schon so lange im Rennsport mit dabei sind. Wir wissen aus anderen Kategorien, wie wichtig das ist.

This image has an empty alt attribute; its file name is IMAGE13_resized.jpg
2020 Rennsieger Binder und Oliveira freuen sich darauf, auch im Jahr 2021 weitere Fortschritte zu machen
PC @PolarityPhoto