Der nächste grosse Motocrosser? Jorge Prado

Ein Treffen mit dem vielversprechendsten Nachwuchstalent im Motocross …

Spanien ist begeistert. Nachdem das Land mit zahlreichen Talenten Titel in so gut wie jeder Disziplin gewonnen hat – MotoGP, World SBK, Endurance, Rally, Dakar, Trial, Enduro – gibt es nun auch im Motocross ein Talent, das für Spanien Titel einfahren kann. Natürlich gab es Namen wie Javi Garcia Vico, Jonathan Barragan und Jose Butron, die einzelne Siege und Podiumsplätze auf MXGP-Niveau eingefahren haben, aber Spanien fehlen die Erfolge, die Italien, Frankreich, die Niederlande, Belgien, Großbritannien und sogar Slowenien in den letzten zwei Jahrzehnten eingefahren hat.

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Jorge Prado ist das Nachwuchstalent, das diese Lücke füllen soll. Bereits Junioren-Weltmeister (65ccm) und Gewinner des heiß begehrten 125ccm-Europameisterschaftstitels in der Saison 2015, hat der seit kurzem 15-Jährige nicht nur die spanischen Fans begeistert; auch Beobachter und Experten der Szene und Industrie sind beeindruckt, weshalb Prado ab 2017 fünf weitere Jahre ein Red Bull KTM-Werksfahrer sein wird. Durch seine seit frühester Kindheit bestehende Verbindung zu Mattighofen und dem KTM-Motorsport, wächst sein Stellenwert kontinuierlich.

Jorge und seine Familie leben seit einigen Jahren in Lommel, seit sie entschieden, Spanien zu verlassen und erkannten, dass das Potenzial ihres Sohnes sich nur in einer für Motocross perfekten Umgebung entfalten würde (wegen der Gemeinschaft an Fahrern, Teams und Strecken in der Gegend). Nach Tests im Straßenrennsport, die das Interesse von Talentscouts der MotoGP weckten, blieb Jorge dem Motocross-Sport treu, obwohl er mit einigen schweren Verletzungen wie einem gebrochenen Bein, gerissener Milz und gebrochenem Schlüsselbein zurechtkommen musste; das gebrochene Schlüsselbein war der Grund, weshalb er am letzten Wochenende in Holland nur zuschauen konnte, als er eigentlich sein EMX250-Europameisterschafts-Debüt beim Grand Prix von Europa geben sollte, der Nachwuchsklasse für das höchste Level; die letzte Stufe vor dem Sprung an die Spitze.

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Jorge verbrachte den Winter zum Training in Kalifornien, versuchte sich im Supercross und erhielt von den Verantwortlichen von KTM Nordamerika einmal mehr Lob für seine Technik. Was hat es mit dem Jungen aus Galizien auf sich, der für so viel Aufsehen sorgt? Warum ist er so gut? „Es war für viele Leute offensichtlich, die Jorge gesehen haben oder ihn kennen, dass er ein aufstrebender Junge ist, der Dinge machen kann, die andere Fahrer nicht können oder nicht ausprobieren wollen“, sagt Fotograf und Betreiber von Spaniens größter MX-Webseite Juan Pablo Acevedo. „Ich erinnere mich an sein erstes Supercross-Rennen in Europa, da hat er die Leute beeindruckt, weil er einfach auf die Strecke gegangen ist und alle Sprünge gleich beim ersten Versuch gemeistert hat. Es hat nicht viel gebraucht, damit die Leute verstehen, dass er die Fähigkeit und das Gefühl für das Motorrad hat, um etwas Besonderes zu leisten. Sein Speed und seine Ergebnisse auf der 125er im letzten Jahr waren mit seinen gerade 14 Jahren eine herausragende Leistung.“

„Haha! Starts liegen mit“, sagt der freundliche und fröhliche Prado, als wir ihn darauf ansprechen. „Ich fühle mich auf dem Motorrad wohl und das ist wichtig. Wenn du es genießt, dann fühlst du dich nicht angespannt und du wirst nicht müde; das passiert nur manchmal im Training! Außerdem kämpfe ich bis zum letztmöglichen Moment.

„Die Leute sagen mir, ich habe eine gute Technik und ich denke, es stimmt“, fügt er hinzu. „Als ich klein war, bin ich viel Trial gefahren; ich denke das hilft und macht einen entscheidenden Unterschied.“

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Prado schafft es, die Schule und das ‘Studium’ seiner Gegner unter einen Hut zu bringen. Die Möglichkeit einer guten Ausbildung ist etwas, das der Teenager zu schätzen weiß (nicht nur schnell Motorrad zu fahren), genauso wie die Unterstützung seiner Eltern, die eine Anstellung in Belgien gefunden haben und den Umzug eher als langfristige Veränderung begreifen, als einer Laune ihres Sohnes gerecht zu werden. Jorge weiß, dass er jetzt die entscheidenden Grundsteine legt, die jeder aufstrebende Sportler braucht, um erfolgreich zu sein. „Ich bin im besten Team, ich bin in Belgien, wo ich sehr gut trainieren kann. Ich habe eine Familie, die mich ohne Einschränkungen unterstützt, also alles, was man braucht. Es gibt Zeiten, in denen es schwierig ist, dem Sport und der Schule gleichermaßen gerecht zu werden, aber wir haben einen guten Weg gefunden. In Belgien kann der Winter schon mal länger dauern und das beeinflusst das Training. Wenn ich nicht zur Schule gehen müsste, wüsste ich, dass ich für das Training woanders hinreisen könnte. Wie auch immer … ich weiß, dass die Schule wichtig ist. In Zukunft wird es vielleicht schwierig, beidem gerecht zu werden, deshalb strenge ich mich im Moment sehr an! Ich habe noch mindestens ein Jahr Schule vor mir, aber wir werden sehen.“

Nicht in seiner Heimat zu leben – obwohl er nach wie vor die Spanische Meisterschaft bestreitet (dort erlitt er seine Schlüsselbeinverletzung) – bedeutet, dass Jorge eine gewisse Distanz zu den Erwartungen und dem Druck hat, die sein Name in Spanien seit Jahren hervorruft, besonders seit er 2011 die 65ccm-Welt- und Europameisterschaft gewann (der Jüngste, dem das je gelungen ist). Trotz seines jungen Alters, ist er bereits ein alter Hase in Sachen Fotoshootings, Magazin-Titelseiten, TV-Interviews und Aufmerksamkeit. Er ist nicht immun oder unwissend, was die Hoffnungen angeht, die viele Spanier in das größte Talent dieser Generation stecken, und ist sich manchmal noch nicht sicher, wie er damit umgehen soll. „Ich weiß es nicht“, grübelt er. „In der nationalen Meisterschaft – und als Teil des Werksteams – denken die Leute, dass du automatisch gewinnen solltest. Natürlich denke ich, dass ich gewinnen sollte … aber man kann nicht jedes Mal gewinnen und manchmal muss man sich mit dem zufrieden geben, was man hat.“

„Es gibt viele Leute, die mich unterstützen und eines Tages möchte ich der erfolgreichste spanische Fahrer sein, aber ich fahre, um der Allerbeste zu sein, nicht nur der Beste aus meinem Land.“

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Jorge strahlt eine für sein Alter unglaubliche Reife aus; eine dieser verrückten Eigenschaften, die viele dieser jungen Talente ausmacht, die eine große Karriere vor sich haben und einen Eindruck im Sport hinterlassen wollen. „Ich denke, einer der wichtigsten Faktoren ist, dass Jorge 100%ig hinter dem steht, was er tut und dafür hart trainiert“, sagt Acevedo, der die Familie Prado seit Jahren kennt und schon viele Artikel über Jorge geschrieben hat. „Er ist immer noch so jung, aber dass er schon ein paar Jahre in den Benelux-Ländern unterwegs ist, zeigt, wie ernst er diese Chance nimmt, die er hat. Ich glaube fest daran, dass er es schaffen wird.“

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Diese Entschlossenheit wird entscheidend, um im Supercross erfolgreich zu sein: Supercross ist nichts für schwache Nerven und eine Form des Rennsports, die selbst den kleinsten Fehler hart bestraft. Auch das hat Jorge während seines ersten längeren Besuchs in den Staaten gelernt.

„Es war eine großartige Erfahrung“, erklärt er. „Normalerweise fahre und trainiere ich viel im Sand und das war die Chance, das neue Bike [KTM 250 SX-F] auszuprobieren und Erfahrungen auf härteren Belägen zu sammeln. Ich bin auch auf den amerikanischen Supercross-Strecken gefahren und habe es sehr genossen. Es ist ein komplett anderer Sport. Ich habe gedacht, es wäre ähnlich wie Motocross, aber das ist es nicht! Auch das Bike ist anders, trotzdem hatte ich ein gutes Gefühl und ich glaube, mein Fahrstil hat sich dadurch verbessert.“

„In den ersten Wochen fand ich es schwierig, aber dann habe ich mich angepasst und einen guten Rhythmus gefunden, bevor ich nach Europa zurückgekehrt bin“, erzählt Jorge weiter. „Es gab ein paar Schrecksekunden, aber nichts Dramatisches!“

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Prados Interesse ist geweckt, Akzeptanz in den amerikanischen Stadien und Arenen zu finden und durch seinen Vertrag mit KTM Racing kann er theoretisch zwischen den KTM-Teams wechseln – natürlich immer abhängig von den in Mattighofen entwickelten Plänen.

Ein spanischer MXGP-Weltmeister wäre ein erster und wichtiger Meilenstein. Wenn Prado in die Fußstapfen von Europäern wie Marvin Musquin, Ken Roczen und Christophe Pourcel treten und in Amerika einen starken Eindruck hinterlassen kann, wird seine Bekanntheit zu Hause sprunghaft ansteigen.

„Supercross hautnah zu erleben, war mal eine etwas andere Erfahrung und ich denke, wenn ich dort eines Tages gewinnen kann, dann hat das große Auswirkungen, vielleicht sogar noch größere, als wenn ich in Europa siegen würde. Es wäre großartig dort zu fahren, aber ich möchte auch in der Weltmeisterschaft gut abschneiden. Es ist nicht so, dass ich um jeden Preis in den USA fahren will, aber die Lebensart ist dort eine ganz andere: jeden Tag bei Sonnenschein aufzustehen! Es gibt dir mehr Energie. Wenn du das Fahrrad zum Training rausholst, fühlst du dich einfach besser. Wir waren zwei Monate am gleichen Ort, aber es ist bestimmt nochmal eine ganz andere Erfahrung, dort die ganze Zeit zu leben.“

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Die Europameisterschaft hat Jorge bereits im Blick und für das zweite von zehn Rennen sollte er wieder fit sein, was bedeutet, dass für ihn ein weiterer Titel im ersten Jahr in einer Klasse im Bereich des Möglichen liegt. Wenn es 2016 gut läuft, dann steht einem Aufstieg in die MX2 oder sogar in die 250SX-Klasse auf der anderen Seite des Atlantiks wahrscheinlich nichts mehr im Weg. „Ich weiß noch nicht, was 2017 passiert“, sagt er. „Im Winter werde ich wieder in den USA sein und wenn meine Leistungen gut sind, dann ist es möglich, dass ich dort bleibe. Aktuell bin ich im fünften Jahr und dann stehen fünf weitere Jahre im Werksteam an. Ich erhalte so viel Unterstützung von KTM und Red Bull, was mir ein sehr gutes Gefühl gibt.“

So wie es aussieht, kann es sehr gut sein, dass Jorge bald auch bei den spanischen MX-Fans für Glücksgefühle sorgt – und das keinen Moment zu früh.

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Fotos: Juan Pablo Acevedo