„Die Kunst, ein Road Book zu führen“: von und mit Jordi Viladoms

Ohne eine gute Routenführung kann man bei Cross-Country-Rallies auch mit noch so viel Speed keine Sonderprüfungen gewinnen. Die Kunst, ein Road Book zu schreiben und zu führen, trennt die guten Fahrer von den wahren Champions – besonders bei Rennen wie der Rallye Dakar. Jordi Viladoms, Team Manager des KTM Rally Teams, erklärt die Wichtigkeit dieser essentiellen und oft falsch verstandenen Rolle Papier.

Jordi Viladoms (ESP) 2018 © Sebas Romero

Die Dakar des Jahres 2019 wird ausschließlich in Peru ausgetragen und da fast die gesamte Route über die Sanddünen der peruanischen Wüste führt, wird das Navigieren im Laufe des 10-tägigen Wettkampfs über Sieg oder Niederlage entscheiden. Ein Rückblick auf 2018: Die vier Tage, an denen die Fahrer sich durch den Sand von Peru kämpfen mussten, gehörten zu den härtesten der gesamten Rally – sowohl in Sachen Navigation durch eine Landschaft, der es an identifizierbaren Merkmalen mangelt, als auch in Bezug auf körperlichen und mentalen Stress für die Athleten.

Jordi Viladoms kennt die Rallye Dakar wie seine Westentasche, schließlich hat er das Rennen 10 Mal bestritten. Der KTM Rally Team Manager führt uns ein in die Welt der Road Books, die von den Dakar-Fahrern benutzt werden, und zeigt uns, das ein gutes Road Book darüber entscheiden kann, ob man eine Sonderprüfung gewinnt oder sich in der Wüste verirrt und kostbare Zeit verliert.

„Das Road Book selbst ist eigentlich sehr simpel – es zeigt dir, wie weit du schon gefahren bist, und führt dich von einem Bezugspunkt zum nächsten. So hilft es dir, die vor dir liegende Route zu planen. Die Routenplanung wird auf eine Rolle Papier mit drei Spalten gedruckt – die erste zeigt dir die Entfernung vom Start der Sonderprüfung, die zweite Informationen zu Terrain, Hindernissen und Gefahren an bestimmten Stellen und die dritte bietet zusätzliche Informationen, zeigt dir andere wichtige Punkte und untermauert die Gefahren-Markierungen.“

KTM 450 RALLY Dakar 2018 © PhotosDakar.com

„Am Ende eines jeden Renntages erhalten die Fahrer die Road Books für den nächsten Tag. Du hast vielleicht schon Fotos von Fahrern gesehen, die – mit vielen farbigen Filzstiften ausgestattet – das Road Book durchgehen und ihre eigenen Markierungen machen. Jeder Fahrer hat dafür sein eigenes System, das Ziel ist aber immer das gleiche – das Road Book bei hohen Geschwindigkeiten besser lesbar zu machen und alle Gefahren sowie wichtige Informationen – die Richtung, Wegpunkte usw. – hervorzuheben.“

„Das sieht vielleicht wie Spaß aus, aber das Markieren des eigenen Road Books und die Route des nächsten Tages zu verstehen, ist extrem wichtig. Der Großteil des Terrains der Rally ist unberechenbar und für dich komplett neu. Aus diesem Grund markieren die Top-Fahrer ihre Road Books selbst und gehen diese dann einige Male durch. Oft versuchen sie, die jeweilige Sonderprüfung im Kopf zu durchfahren, um sich ein Bild davon zu machen, was sie am nächsten Tag erwartet.“

Toby Price (AUS) Merzouga Rally 2018 © Marcin Kin

„Auf dem Bike ist das Road Book auf eine Reihe von Rollen aufgerollt und der Fahrer blättert durch, indem er mit seinem Daumen zwei Tasten am Lenker bedient. Ein großer Teil des Cross-Country-Rallies-Fahrens besteht darin, für einen Sekundenbruchteil runterzusehen und das Road Book auf einen Blick zu verstehen. Du hast nicht die Zeit, die Informationen oder Symbole genau zu studieren, da du ja zur selben Zeit mit einem Affentempo durch die Landschaft fährst. Diese Aufgabe zu meistern und alle Symbole und Anweisungen zu verstehen, kann schon eine gewisse Zeit dauern.“

„Die Top-Fahrer sind bereits auf Kehren und Hindernisse vorbereitet, wenn diese noch viele Kilometer vor ihnen liegen. Diese Fähigkeit trennt die Amateure von der Rally-Elite und erlaubt ihnen, durch die gesamte Sonderprüfung hindurch einen hohen Speed zu gehen.“

Sam Sunderland (GBR) KTM 450 RALLY Desafio Inca 2018 © Marcin Kin

„Natürlich trainieren die Fahrer des KTM Factory Racing Teams ihre Fahr- und Navigationskünste sehr hart. Auf die Strapazen und den Konzentrationsverlust im Rennen kann man sich aber kaum vorbereiten. So simple Dinge wie Erfolgsdruck können deine Konzentration beeinträchtigen und die vielen Tage, an denen du bei der Dakar hunderte Kilometer in der Hitze der Wüste verbringst, können sie dir ganz rauben. In dieser Situation passieren Fehler, weshalb Rally-Fahrer sowohl körperlich als auch geistig stark sein müssen, um diese Herausforderungen zu meistern.“

„Obwohl das Road Book normalerweise sehr genau ist, können Informationen manchmal ein klein bisschen abweichen oder Gefahren nicht enthalten sein – die Fahrer müssen also trotzdem immer mit Unvorhersehbarem rechnen. Auch das Terrain kann sich verändern, während das Road Book angefertigt wird. Dünen können sich verschieben, Löcher können sich formen und Flüsse über die Ufer treten. Ein guter Rally-Fahrer ist immer darauf vorbereitet, auf solche Ereignisse zu reagieren. Diese Anpassungsfähigkeit kann den Unterschied zwischen einem Top-Resultat und einem Zeitverlust von mehreren Minuten in einer einzigen Prüfung ausmachen.“

Matthias Walkner (AUT) KTM 450 RALLY Dakar 2018 © PhotosDakar.com

Bei der Rallye Dakar 2019 müssen die sechs Fahrer des KTM Factory Racing Teams ihre Road Books perfekt vorbereiten und verstehen, um die 10 Sonderprüfungen der Veranstaltung erfolgreich hinter sich zu bringen. Mit 2.880 Kilometern aus Sand, Dünen und Wüste könnte die nächste Dakar eine der schwierigsten aller Zeiten werden. Auf der Jagd nach KTMs 18. Sieg in Folge muss der Sieger der diesjährigen Dakar auf jeden Fall ein Meister in der Kunst sein, ein Road Book für eine Cross-Country-Rallye anzufertigen und zu lesen.

Fotos: Sebas Romero | PhotosDakar.com | Marcin Kin