Die Mentalität eines Champions? Wir sprechen mit Johann Zarco über die mentale Seite seines Sports

Mit seinen 28 Jahren ist der neue Rekrut des Red Bull KTM-Teams in der MotoGPTM bereits zweifacher Weltmeister, stand in allen Klassen des Grand-Prix-Sports bereits mehrfach auf dem Podium, in zwei Kategorien sogar schon ganz oben, und ist ganz nebenbei der erfolgreichste Franzose in der Geschichte des Sports.

Johann Zarco (FRA) 2019 © Sebas Romero

In der Saison 2019 wird der stille und ruhige Athlet aus Cannes allerdings zum ersten Mal (in seinem dritten Jahr in der Königsklasse der FIM-Weltmeisterschaft) erfahren, wie man sich als Werksfahrer in der MotoGPTM fühlt. Zarco darf sein Glück mit der KTM RC16 versuchen und man erhofft sich, dass ihre Weiterentwicklung auch entsprechende Resultate ermöglicht. Im Unterschied zu seiner Konkurrenz muss der Hersteller schließlich Jahrzehnte an Erfahrung und Expertise auf Asphalt aufholen. Das erhöht den Druck auf die Startnummer 5 natürlich um einige Bar.

„Das Ziel und der Traum, Weltmeister zu werden, sind immer noch ungebrochen; nun habe ich die Unterstützung eines Werksteams, was bedeutet, dass ich diesem Traum näherkommen oder ihn sogar erfüllen kann“, erklärt er. „Mein Leben an sich ändert sich nicht, meine Arbeit und die Art, wie ich auf dem Bike denken muss, aber schon. Ich muss im Kopf ‚erwachsen werden‘ und akzeptieren, dass es Zeit kostet, neue Teile zu entwickeln und ich nicht alles sofort haben kann.“

„Man muss den Kopf frei bekommen, weil man immer über Details nachdenken und diskutieren muss, und man muss versuchen, alle so gut wie möglich zu kontrollieren: Dabei ist es natürlich gut, Leute zu haben, die einem helfen“, fügt er hinzu.

Johann spricht mit uns im Rahmen der Präsentation des 2019er KTM MotoGPTM-Teams in Österreich. Er hat über eine halbe Stunde vor den Fernsehkameras und Mikrofonen verbracht und sitzt nun – für seinen letzten Termin – im riesigen Rathaus von Mattighofen. Er ist verständlicherweise erschöpft von all den Fragen über sein neues Rennmotorrad, über die Motorradeigenschaften, wann er denn damit rechnet, damit schnell zu sein, und was er sich von der MotoGPTM-Saison 2019 – der ersten von zweien, für die er unterschrieben hat – verspricht. Stattdessen sind wir neugierig, zu erfahren, wie der allererste Red Bull MotoGP Rookies Cup-Champion (2007) sich auf seine Aufgabe konzentriert.

Johann Zarco (FRA) 2019 © Sebas Romero

Zarco ist als nachdenklicher und sensibler Fahrer bekannt – als einer, der in der Moto2 beim Schonen der Reifen nicht zu schlagen war und immer das Beste aus seinem technischen Paket machte. Ein Wunderkind, das Klavier spielt, wenn es die Zeit erlaubt, Kinder trainiert und sportliche Leistungen mit einem Rückwärtssalto von einem hohen Reifenstapel feiert. Sein Auftreten lässt vermuten, dass er auch erfolgreich Versicherungen verkaufen könnte, aber hinter seinem getönten Visier ist Zarco einer der verwegensten und mutigsten Fahrer im MotoGPTM-Zirkus.

Die Intensität der Serie mit ihren neunzehn Rennen in zehn Monaten bedeutet für Zarco, dass er ständig unter Strom steht. „Du denkst eigentlich pausenlos ans Rennfahren“, so Zarco. „Im Winter, sogar an den Ruhetagen, denke ich ‚was kann ich noch verbessern?‘ Ich weiß nicht, ob ich da wie die anderen [Fahrer] bin, glaube aber, dass ein Spitzensportler so [analytisch] denken muss.“

Johann Zarco (FRA) MotoGP IRTA Test Sepang (MAL) 2019 © Gold and Goose

Nach den Wintertests im Dezember und Januar beginnen die Motoren der MotoGPTM für die Saison 2019 wieder zu brüllen. Die Tests sind abgeschlossen und das erste Rennen in Katar (wo Zarco bei seinem Einstand den GP des Jahres 2017 die Hälfte der Distanz angeführt hat) steht kurz bevor. Es wird ihm nicht viel Zeit gegönnt sein, vom Trubel des Rennsports Abstand zu nehmen, und die Ruhe des Winters wird bis zu den letzten Tagen im November schnell in Vergessenheit geraten. „Wenn eine Pause – etwa von zwei Wochen – ansteht, brauche ich eine ganze Woche des Nichtstuns, bevor ich überhaupt eine Art Entspannung empfinde“, gibt Zarco zu. „Am Ende der ersten Woche denke ich dann gar nicht mehr an Motorräder. Sonst ist mein Gehirn immer ganz auf Bikes ‚eingestellt‘. Eine Woche ist nicht genug, weil du gedanklich nicht ganz wegkommst. Dank meiner Erfahrung weiß ich heute, wann ich eine Pause brauche. In der ersten Woche entspannt sich nur der Körper, nicht aber der Geist.“

„Das ist aber wichtig“, fährt er fort. „Das Gehirn ist ein sehr starker Muskel. Auf dem Bike geht es um das körperliche Element, aber auch das Mentale ist im Sport unabdingbar. Wenn du dir zu viele Gedanken machst, wenn du müde oder gestresst bist, kannst du nicht deine volle Leistung abliefern.“

Der anstehende GP in Katar bedeutet, dass an Entspannung für die meisten Fahrer nicht zu denken ist. Es geht darum, sich auf den Ernstfall vorzubereiten. In dieser Phase liegen die Nerven blank und viele Fragen kommen auf. Sein Wechsel in das Red Bull KTM-Team mit seiner Unterstützung und seinen Ressourcen bedeutet für Zarco einen ‚Sprung‘ in seiner Karriere – eine doppelte Herausforderung. In Anbetracht dessen, wie viel ihm Selbstvertrauen und die richtige Mentalität bedeuten, stellt sich die Frage, ob er es schon mit psychologischer Unterstützung versucht hat.

„Noch nicht“, beteuert er. „Bevor ich es damit versuche, möchte ich zuerst alle neuen Elemente um mich herum kontrollieren. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich alles unter Kontrolle habe und wir auf einem guten Niveau sind – aber vielleicht trotzdem noch etwas fehlt – ist es eventuell an der Zeit, mich zu fragen, ob ich so eine Unterstützung brauche oder nicht. Momentan fühle ich mich gut und die Leute um mich herum schätzen die Art, wie ich arbeite. Ich möchte also nicht allzu viel verändern, da wir noch am Beginn einer großen Sache stehen. Irgendwann werde ich vielleicht über dieses Detail nachdenken … jetzt aber noch nicht.“

Johann Zarco (FRA) KTM RC16 MotoGP IRTA Test Losail (QAT) 2019 © Gold and Goose

Die MotoGPTM stellt viele Anforderungen an seine Fahrer: körperliche, mentale, technische und solche, die Karriere und Öffentlichkeitsarbeit betreffen … und dann kommt noch dazu, dass die Rivalen auf der Strecke zu den besten Fahrern der Welt gehören. Dieser Sport ist nichts für Weicheier. Mentale Stärke ist eine Eigenschaft, die von Fans und Insidern selten wahrgenommen wird, aber dennoch absolut essentiell ist. Auch Zarco ist dieser Meinung. „Ich glaube, dass ich in diesem Bereich von Natur aus stark bin. Auf diesem Niveau muss man das auch sein. Alle anderen sind es auch“, sagt er. „Sie verfügen alle über Fähigkeiten und Talente, um sich selbst anzutreiben. Es scheint fast so, als wären wir für diesen Sport ‚gemacht‘ … aber selbst das ist nicht genug und du musst weiter daran arbeiten, dich zu verbessern.“

Als er über Adrenalin zu sprechen beginnt, fängt Johann zu lächeln an („wenn du weißt, dass du am Wochenende einen Adrenalinrausch haben wirst, hast du dich im Laufe der Woche gut unter Kontrolle“) und es ist erstaunlich, welchen Einfluss der Kick eines Rennwochenendes hat. „Auf dem Bike gibt es Dinge, die du kontrollieren musst. Wenn das aber gut läuft, kannst du dieses gewisse ‚Extra‘ [das Adrenalin] für dich arbeiten lassen“, erklärt er uns. „Danach strebt und sehnt sich jeder Fahrer: auf dieser Wolke zu schweben und dieses erhabene Gefühl von Kontrolle zu haben. Es ist einfach großartig, wenn alles zusammenpasst und du dieses Gefühl hast … und du versuchst, das so oft wie möglich hinzubekommen. Nur so wirst du zum Champion!“

Johann Zarco (FRA) KTM RC16 MotoGP IRTA Test Losail (QAT) 2019 © Gold and Goose

KTM AG CEO Stefan Pierer hat bereits bekanntgegeben, dass er sich von der erweiterten KTM MotoGPTM-Truppe in der Saison 2019 einstellige Ergebnisse verspricht. Mit nur neun Testtagen auf der KTM RC16 vor den Katar-Tests war Zarco bisher noch vorsichtig mit seinen Einschätzungen, hat aber zu verstehen gegeben, dass 2019 ein Lernjahr werden wird und dass ernsthaftere Ziele erst für circa 2020 angestrebt werden. Mit 16 GP-Siegen und 6 Podestplätzen in der MotoGPTM weiß Johann genau, was man braucht, um die Champagnerkorken knallen lassen zu können. Die bevorstehende Saison könnte weitere Trophäen und persönliche Erfolgsmomente mit sich bringen. Was ist dem Star wichtiger? Das Gefühl des Triumphs oder die Befriedigung eines Performance-‚Rausches‘ unabhängig vom Endergebnis?

„Ich will gewinnen!“, lacht er. „Es ist der Beweis dafür, dass ich ein Niveau erreicht habe, von dem ich immer geträumt habe. Und dann will ich auf diesem Niveau weiterfahren, solange ich kann oder will. Momentan genieße ich und weiß, dass ich Großes vollbringe, obwohl ich nicht gewinne … Resultate sind aber immer die richtige Antwort.“

„Es ist schön, an einem Dienstag nach Hause zu kommen und zu denken ‚Ich hab‘s geschafft‘. Das einzige Problem dabei ist, dass es vorbei ist! Deshalb musst du mit deiner ganzen Energie und deinem ganzen Herzen für den Moment leben. Dieser kann positiv oder negativ sein. Was geschehen ist, lässt sich nicht mehr rückgängig machen, und du kannst nicht dein ganzes Leben damit verbringen, dich an gute Momente zu erinnern: Das ist fast schon traurig. Selbst, wenn du einmal Weltmeister warst, wäre es traurig, wenn du daran zurückdenken müsstest, um heute glücklich zu sein. Nostalgie ist gut, wenn du eine Geschichte erzählen willst … zu viel davon bedeutet aber, dass du nicht im Heute lebst.“

Und damit verlässt uns Zarco. Er hat vielleicht gerade erst auf der Rathaus-Bühne seine ersten Formalitäten als Werks-MotoGPTM-Ass absolviert, aber eines ist klar: Zarco hat bereits einiges erlebt. Es wird interessant werden, wohin der Weg dieses talentierten und engagierten Rennfahrers als Nächstes führt.

Johann Zarco (FRA) MotoGP IRTA Test Sepang (MAL) 2019 © Gold and Goose

Fotos: Sebas Romero | Gold and Goose