Die „Stars“ hinter den Stars eines MXGP-Rennteams

Regelmäßig nennen Rennfahrer ihre Teams als Basis ihres Erfolgs und so zeichnet etwa 2017 die Mannschaft von Red Bull KTM Factory Racing für die Weltmeisterschaftsführung in der MX2- wie auch der MXGP-Klasse verantwortlich. Wir haben einen Blick hinter die Kulissen gewagt, um mehr darüber herauszufinden, wie die Maschinerie hinter diesen Rennerfolgen „tickt“.

Red Bull KTM Factory Racing Team Lommel (BEL) 2017

Zwischen den Außenwänden des Red Bull KTM-Trucks und dem Anhänger zieht sich ein langer Gang und trennt die Fahrzeuge von den Arbeitsbereichen. Bei jedem Grand Prix und jedem Bewerb der FIM-Motocross-Weltmeisterschaft wird dieser schmale Gang von Mechanikern, Fahrern auf dem Weg zu ihren privaten Umkleidebereichen, Gästen des Teams und Vertretern des Managements, die Gespräche führen und Entscheidungen treffen, frequentiert. Dank des grauen Bodens und der weißen Markise ist es ein heller, aber dennoch ehrfurchtgebietender Ort.

Während der Schlamm, Sand und Boden der Rennstrecken die Bühne für die Höchstleistungen von Tony Cairoli, Jeffrey Herlings, Glenn Coldenhoff, Pauls Jonass und Jorge Prado ist, ist diese Drehscheibe im hinteren Bereich des Fahrerlagers das Reich der 14 bis 15 Mitglieder der Technik- und Logistiktruppen, welche die ganze Show in den heißesten Phasen am Laufen halten.

Man mag sich kaum ausmalen, mit welchen Anforderungen ein Team fertigwerden muss, welches beide Klassen der FIM-Motocross-Weltmeisterschaft anführt und regelmäßig Grand Prix gewinnt, zumal auf einem solch hohen Niveau gefahren wird, dass mitunter sogar alle fünf Athleten auf dem Podium stehen (wie es beim belgischen Lauf in Lommel passiert ist). Vertreter der Presse, Sponsoren, technische Partner, VIPs, Familienmitglieder, Freunde und sogar Fans: Sobald sich die Tore einer Rennstrecke öffnen, muss das Team mindestens ebenso viele Szenarien und Meetings wie die MXGP-Kämpfer selbst meistern und ähnlich hohem Druck standhalten.

Mechaniker KTM 450 SX-F Pietramurata (ITA) 2017

Das Team kommt während einer 72-stündigen MXGP-Veranstaltung (davon gibt es neunzehn in einer Saison plus das jährlich stattfindende Motocross of Nations) nie zur Ruhe und muss rund um die Uhr voll konzentriert sein. Zur Mannschaft der MXGP– und MX2-Teammanager Claudio di Carli und Dirk Grübel zählen dabei unter anderem Robert Gregor, ein 39-jähriger Slowake, der seit sieben Jahren die Logistik leitet, und Team-Koordinatorin Valentina Ragni, die bereits seit vierzehn Saisons mit dabei ist.

„KTM ist wie meine zweite Familie“, so Ragni. „Das ständige Reisen und die Herausforderung, ein ganzes Rennteam von einem Ort zum anderen zu verfrachten, ist mitunter stressig und anstrengend. Glücklicherweise lässt einen unsere großartige Stimmung das alles schnell vergessen. Die Jungs in der MXGP und MX2 haben viel Respekt voreinander und harmonieren perfekt. Wir haben immer einen Scherz auf den Lippen und verbringen viel Zeit zusammen, was die ganzen Flugreisen angenehmer macht. Das macht mit am meisten Spaß.“

Gregor fährt den Truck, kümmert sich um das Aufstellen des Zeltes und der Bodenplatten und hilft dem Rest der Crew dabei, die unverwechselbare Konstruktion auf- und abzubauen. In der Werkstatt in Österreich unterstützt der frischgebackene zweifache Vater seine Kollegen beim Vorbereiten der Kisten und Fracht. „Je nachdem, wie der Kalender aussieht, legen wir in einer Saison 25.000 bis 30.000 km zurück“, so Gregor. „Du musst voll konzentriert und aufmerksam sein, wenn du deine maximal neun oder zehn Stunden am Tag – abzüglich Pausen – hinter dem Steuer sitzt. Zwischen den Rennen schaffen wir 2.000 km, wenn wir beispielsweise in drei Tagen von Italien nach Portugal fahren.“

„Manchmal ist es schon hart, aber der Job ist gut und es ist ein gutes Gefühl, bereits seit so langer Zeit ein Teil des Teams zu sein. Ich arbeite seit vierzehn Jahren im Motocross-Zirkus, war aber sehr froh, als ich von KTM angeheuert wurde, schließlich gibt es im ganzen Fahrerlager kein besseres Team. KTM hat ein großartiges Bike, ein beliebtes Team und es ist schön, mit Menschen aus aller Welt zusammenzuarbeiten“, fügt er hinzu.

KTM MXGP Team Truck Erneé (FRA) 2017

Gregor bringt die Marke KTM ins Fahrerlager. Wenn der Rest des Teams ankommt, errichtet es die Strukturen, welche die Arbeitsbereiche der MXGP- und MX2-Crews verbindet. Fast immer neben der Red Bull Energy Station positioniert, finden dort dann insgesamt fünf Bikes Platz. „Nachdem ich meinen Truck abgestellt habe, dauert es zwei bis drei Stunden, bis alles fertig aufgebaut ist. Während dieser Zeit muss der Boden ausgelegt, die Markise, das Dach und die Wände müssen zusammengebaut und alles gereinigt werden“, erzählt er. „Nach jedem Rennen checken wir alles gründlich durch, reinigen alles und unsere Jungs helfen dabei, dass der Truck auch immer gut bestückt ist. Wir verwenden diesen Anhänger nun schon das dritte Jahr und bis jetzt hat er gut funktioniert und nur wenig Wartung benötigt.“

Vor und nach einem Grand Prix hat Robert am meisten zu tun. Ragni fährt oder fliegt von Österreich zu einem Veranstaltungsort und begegnet dort einer überwältigenden Fülle an Aufgaben. Sie ist die unmissverständliche Stimme der Vernunft im Team, die Organisatorin und jene Person, deren Temperament alles zusammenhält. Auch sie hat zwischen den Rennen und besonders in der Vorsaison nicht weniger zu tun als bei den Rennen. „Ich kümmere mich um die Logistik und arbeite im Hintergrund“, so Ragni. „Ich buche Hotelzimmer und Leihwagen für die Teammitglieder, fungiere als Schnittstelle zu den Medien und manchen Sponsoren und besorge auch die Teambekleidung und alles andere, was die Techniker brauchen. Bei den Rennen unterstütze ich die Fahrer und stelle sicher, dass sie das Team und KTM auf angemessene Art repräsentieren und die Sponsoren auf dem Podium gut ins Licht rücken. Tania [Milani, ihre Kollegin in De Carlis Team] und ich sind die einzigen Frauen im Team. Sie konzentriert sich etwas mehr auf die MXGP während ich mehr für die Gesamtstruktur verantwortlich bin.“

Als eine der wenigen Frauen in der KTM-Crew hat Ragni eine etwas andere Sicht auf die Dinge und eine andere Art, mit dem Adrenalin und dem Testosteron dieses vielleicht härtesten Motorrad-Sports umzugehen. „Ein bisschen diene ich den Teammitgliedern auch als Psychologin, Mutter und Schwester! Wir reden viel miteinander und ich bin der Meinung, dass sich die Fahrer eher einer Person des anderen Geschlechts öffnen … außerdem rede ich gerne!“

Pauls Jonass (LAT), Valentina Ragni (ITA) & Jorge Prado (ESP) Pietramurata (ITA) 2017

Ragnis sympathische Herangehensweise bedeutet, dass sie eine fast mütterliche Rolle im Team einnimmt. Wenn sie die Fahrer an ihre Aufgaben erinnern muss oder – im schlimmsten Fall – mit den übelsten Elementen des Motocross-Sports umgehen muss, kann das schon einmal zu einer echten Herausforderung werden. „Wenn sich Fahrer verletzen, wird es richtig hart für mich. Schließlich sind sie für mich wie meine eigenen Kinder! Ich beobachte sie dabei, wie sie sich zuerst abrackern, nur um dann aufgrund einer Verletzung eine ganze Saison aufgeben zu müssen. Einige der Missgeschicke, die Jeffrey bereits durchstehen musste, haben mir fast mein Herz gebrochen. Da fragst du dich manchmal, warum so etwas passiert. Der schwere Unfall von Pit Beirer im Jahr 2003 – meinem ersten Jahr bei KTM – hat mein Leben verändert. Seitdem habe ich Angst davor, dass sich meine Fahrer verletzen. Es war mein erstes Jahr bei KTM und ich muss ihm dafür danken, dass er mir die Kraft gegeben hat, meinen Job nicht hinzuschmeißen. Pit war in dieser Zeit der Stärkste von uns allen.“

Sowohl Gregor als auch Ragni sind sich darüber einig, welches Rennen im MXGP-Kalender ihnen das meiste Kopfzerbrechen bereitet … vor allem „dank“ eines gewissen Mr. 222. „Der Lauf in Italien ist etwas ganz Besonderes. Dort geht es immer chaotisch zu und die Fahrer werden von Menschen umringt, die ein Foto machen wollen“, so Gregor. „Der Druck ist höher als beispielsweise bei einem Rennen in Tschechien.“

„Grands Prix in Italien haben das Zeug, dich in den Wahnsinn zu treiben. Mit Tony haben wir einen großen Star im Team, der auch besondere Dinge anstellt“, erzählt Ragni mit einem Lächeln auf den Lippen. „Die Tatsache, dass ich Italienerin bin, hilft auch nicht unbedingt! Die Leute denken, sie können dich ignorieren und direkt auf Tony zugehen. Ich tue dann immer mein Bestes, um freundlich und hilfsbereit zu bleiben, aber manche Menschen sehen das große Ganze einfach nicht.“

Tony Cairoli (ITA) & Fans Pietramurata (ITA) 2017

Neben den Mechanikern und der Unterstützung der Forschungs- und Entwicklungsabteilung in Mattighofen stehen Menschen wie Ragni, De Carli und Grübel in vorderster Reihe, wenn es darum geht, mit den Höhen und Tiefen und den Emotionen der Fahrer – die Helden vieler Fans und Kids – umzugehen. Es gibt wohl keine bessere Auskunftsperson als Ragni, um zu erfahren, wie es ist, mit diesen Athleten zu leben, zu arbeiten und zu träumen. „Jeffrey ist sicher einer der besten Fahrer“, gibt sie zu Protokoll. „Tony ist immer für eine Überraschung gut. Er hat schon so viel gewonnen, ist dabei aber bescheiden und steht immer noch mit beiden Beinen auf der Erde. Er ist immer nett zu allen, was bei Fahrern seines Kalibers nicht selbstverständlich ist. Dank seiner hohen Schmerzschwelle nennen wir Pauls Jonass nur unseren ‚Iron Man‘. Glenn ist hochprofessionell und Jorge ein weiteres Wunderkind, das immer lächelt und immer glücklich ist … Aber wie Pauls ist er noch so jung und wir hoffen, dass beiden eine große Zukunft bevorsteht.“

Fotos: KTM