EIN GESPRÄCH MIT MARVIN MUSQUIN

Mit Stand 2021 ist der 31-Jährige seit einem Jahrzehnt in der AMA-Supercross- und der AMA-Motocross-Serie mit dabei. Grund genug für uns, ihn anzurufen und den Fahrer mit der Startnummer 25 zu fragen, wie er sich nach einem verletzungsbedingten Jahr Pause fühlt, was er 2021 vorhat, was es mit der Zuverlässigkeit der KTMs auf sich hat und wie es mit seiner Karriere weitergeht …

Marvin Musquin – Red Bull KTM Factory Racing
PC @SimonCudby

„Hörst du mich?“ Marvin Musquins Stimme wird von Zisch- und Gurgellauten übertönt. Es klingt fast so, als wäre er in einem U-Boot. „Ich sitze in einer Überdruckkammer … also habe ich jede Menge Zeit zum Plaudern!“

Seit zwölfeinhalb Jahren trägt Marvin Musquin die Farben von Red Bull KTM, was ihn zum längst dienenden Fahrer des Unternehmens macht. Im Laufe der Jahre gewann er zwei FIM-MX2-Weltmeistertitel, einen in der 250SX-Klasse, das Motocross of Nations, und holte sich einen siebenstelligen Scheck beim Monster Energy Cup. Seit er sich 2009 dem Werksteam im Grand-Prix-Sport angeschlossen hat, hat der in Florida lebende Athlet eine beachtliche Karriere hingelegt und fährt immer noch ganz vorn mit. In der aktuellen 450SX-Supercross-Saison hat er etwa bereits Podestplätze erzielt.

Wir stören ihn nicht gerne während eines seltenen Moments der Ruhe nach dem Training, aber man bekommt nicht oft die Chance, den Franzosen im Laufe der hektischen Supercross-Saison vor das Mikrofon zu bekommen …

Musquin hat beim ersten Lauf der Saison 2021 in Houston, Texas, zu seiner Form im Supercross zurückgefunden
PC @AlignMedia

Warum hältst du dich in einer Überdruckkammer auf?

Aldon [Baker, Trainer] hat eine in seinem Fitnessraum. Diese Dinger helfen mir bei der Erholung, besonders nach einer Trainingssitzung. Ich setze meine Kopfhörer auf, halte ein Nickerchen oder höre für eine Stunde Musik. Das entspannt mich.

Also findet man dich mehrmals pro Woche in der Kammer?

Zumindest einmal pro Woche. Der Druck hier drinnen entspricht dem in großer Seehöhe.

Mit Teamkollegen Cooper Webb zu trainieren, hat Musquin dabei geholfen, wieder in Supercross-Form zu kommen – hier sehen wir die beiden am AMA-Supercross-Startgatter
PC @AlignMedia

Wie fühlst du dich allgemein? Nach einem Jahr Pause fragen sich viele, wie lange du brauchen wirst, um wieder den Anschluss an die Spitze zu finden …?

Ich fühle mich gut. In manchen Qualifyings hatte ich eine gute Pace und meine Zeiten waren bei manchen Läufen für Top-3-Platzierungen gut. Mein Speed war schon recht gut. Ich musste die Supercross-Saison 2020 verletzungsbedingt auslassen und kam für die Events im Freien wieder zurück, die etwas einfacher sind; dabei fiel mir wieder auf, dass Supercross eine ‚ganz andere Sache‘ ist und wie leicht man sich auf Supercross-Strecken verletzt. Ich habe mich selbst gefragt, ob ich je wieder genauso schnell sein würde wie vorher. Das Gute daran, hier in Florida mit Aldon zu trainieren, ist, dass ich mit Cooper [Webb], Zach [Osborne] und RJ Hampshire fahren konnte. So konnte ich mich vergleichen. In den ersten Wochen konnte ich nicht so fahren, wie ich wollte, aber das ist wohl normal. Ich wollte jeden Tag besser werden und habe das auch geschafft – sowohl körperlich als auch mental. Ich kam immer näher an die anderen Jungs heran und konnte mich mit ihnen im Training messen. Das brachte mich an meine Grenzen und gab mir Selbstvertrauen. Ich bereitete mich etwa zwei Wochen vor, hatte keine Verletzungsprobleme und freute mich darauf, in Houston [Lauf eins] anzutreten. Ich wusste, dass ich zwanzig Minuten lang alles geben konnte, war dann aber überrascht, wie viele Fahrer Chancen auf das Podest hatten. In Houston lagen die ersten 15 Fahrer im Training nur eine Sekunde auseinander. Ich wusste, der Start würde entscheidend sein. Es war fantastisch, gleich beim ersten Rennen einen dritten Platz zu holen. Bei den anderen Läufen hatte ich ein paar Unfälle und machte Fehler.

Musquin gewann die FIM-MX2-Weltmeisterschaft 2009
PC @KTM

Warst du einfach eingerostet?

Ja, wahrscheinlich. Die Saison war hart, besonders, weil ich meine Starts nicht hinbekommen habe. Schlechte Zeiten, schlechte Startpositionen, schlechte Starts, Chaos in der ersten Runde: Es spielte alles zusammen. Es war frustrierend, ungewohnt weit hinten mitfahren zu müssen … gleichzeitig konnte ich aber ein paar sehr gute Zeiten erzielen.

Musquin bemühte sich 2009, auf sein Talent aufmerksam zu machen
PC @KTM

In der Supercross-Serie liegt das Feld heuer extrem eng zusammen. Es ist fast schon so wie in der MotoGP™ oder der MXGP, wo es so viele Fahrer gibt, die Chancen auf den Sieg oder auf Podestplätze haben …

Meiner Meinung nach war das schon letztes Jahr der Fall. Ich fuhr zwar nicht mit, schaute aber zu, und das Niveau war auf jeden Fall höher. Vor zwei, drei, vier Jahren war es noch nicht so eng. Wir haben jetzt eine Situation, in der sich ein Fahrer wie Adam Cianciarulo als erster qualifiziert, aber im Hauptrennen dann zurückfällt. Es scheint, als ob heuer jeder für eine schnelle Runde gut wäre. Die Strecken in Houston waren ursprünglich recht einfach, wurden dann aber etwas technischer. Ich will nicht sagen, dass manche ‚zu einfach‘ sind … aber die Bikes und Fahrer liegen so eng beisammen, dass jeder auf den Strecken das Gleiche machen kann. Ich finde, wir sollten uns die Strecken von vor 15 oder 20 Jahren ansehen, die Sprünge steiler machen, damit wir nicht so schnell fahren und weit springen können. Diese Saison war sicher hart. Wenn ich in den Wohnwagen gehe und sehe, dass ich im Qualifying nur 14. wurde, dann denke ich schon mal, dass ich ‚versagt‘ habe … 

Ich kann mir vorstellen, dass das sogar einen Fahrer mit deiner Erfahrung verunsichern kann …

Das tut es! Dann muss man sich die Sache aber aus einer anderen Perspektive ansehen und feststellen, dass man nur eine halbe Sekunde hinter den Top-5 liegt. Trotzdem ist es schwierig, sich nicht nur die Positionen anzusehen!

2010 verteidigte Musquin seinen Titel für KTM auf seiner KTM 250 SX-F
PC @KTM

Du fährst jetzt schon zwölfeinhalb Jahre für Red Bull KTM. Gibt es abgesehen von den Siegen, Titeln und Errungenschaften etwas, worauf du besonders stolz bist?

Auf jeden Fall. Ich habe schon immer gesagt, dass KTM wie eine Familie ist. Das betrifft besonders die Art, wie ich zu KTM gekommen bin. Es gibt viele Geschichten dazu und es war schon einzigartig. Ohne die Unterstützung von KTM hätte ich es nie bis hierher geschafft. Ich stand am Anfang meiner Karriere und fand mich im Jahr 2009 in einer schlechten Position.

Daran erinnere ich mich gut …

Tatsächlich? KTM und besonders Pit Beirer taten viel, um mir zu helfen, weshalb ich viel Loyalität für das Team empfinde und mich immer zusammen mit KTM weiterentwickeln wollte. Wir entschieden uns gemeinsam dafür, nach Amerika zu ziehen. Natürlich entwickelten sich die Dinge nicht ganz nach Wunsch und lange jagte ich nach besseren Resultaten. Dennoch gewann ich eine Supercross-Meisterschaft und tat immer mein Möglichstes, um Rennen zu gewinnen. In der 450er-Klasse kämpfte ich einige Jahre lang um den Titel mit.

Musquin mit einigen Vertretern des KTM-Spitzenmanagements nach seinem Meisterschaftssieg 2010
PC @KTM

Ein ‚Nebeneffekt‘ deiner langen Dienstzeit bei KTM ist, dass du verschiedene Generationen der KTM 250 SX-F und 450 SX-F fahren konntest. Sind dir im Laufe des letzten Jahrzehnts große Änderungen an diesen Bikes aufgefallen?

Absolut, ja! Gleichzeitig finde ich, dass diese Änderungen sehr effektiv waren. Als ich die KTM 250 SX-F im Jahr 2009 zum ersten Mal fuhr, hatte sie noch das PDS-Federbein: Erinnerst du dich? Damit gewann ich einen der prestigeträchtigsten GPs, indem ich beide Rennen in Lommel [Sandstrecke in Belgien] für mich entschied. Damit hatte niemand gerechnet. Im Jahr 2010 bekamen wir ein neues Bike und konnten viele Erfolge damit feiern – Jungs wie Jeffrey [Herlings] und Ken [Roczen] waren damit superschnell. Es ist eine coole Geschichte. Das Elektrostartersystem an den KTMs war eine große Sache. Heute hat fast jede Marke ein solches System, aber vor nicht allzu langer Zeit war das eine Revolution. Meine KTM 250 SX-F hatte bereits 2011 einen Elektrostarter! Das ist nur ein Beispiel dafür, wie KTM stets versucht ist, sich zu verbessern und der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein. KTM arbeitet hart. Hier in Amerika müssen die Bikes seriennah sein, deshalb bemüht sich KTM, das beste Serienbike anzubieten, damit wir damit Rennen fahren können.

Musquin zog 2011 in die USA, um Supercross-Rennen zu fahren – hier sehen wir ihn im Jahr 2012 auf seiner KTM 250 SX-F
PC @KTM

Du bist jetzt 31. Welchen Preis hast du gesundheitlich für deine Karriere bezahlt? Ich erinnere mich an das Bercy Supercross in Paris, wo du dir deine erste Knieverletzung zugezogen hast …

Das war Ende 2010, Anfang 2011 und ich trat in Bercy an, bevor meine Karriere in Amerika richtig begann. Am Ende verpasste ich die Supercross-Saison. Bänder- und Sehnenverletzungen … ich wünschte, ich hätte mir nur Knochen gebrochen. Weißt du, was ich meine? Aber das liegt an meinem Körper. Chirurgen und Physiotherapeuten sagen mir, dass ich extrem flexibel bin, weshalb ich mich eher an Bändern und Sehnen verletze als an sonst irgendwas. Meine letzte Knieverletzung war wahrscheinlich die schwerste und die, die am meisten Arbeit verlangte. Das andere Knie – das zweimal verletzt war – ist noch ziemlich gut in Schuss, aber diese letzte Verletzung war schlimm. Das ist halt schade. 2015 war es meine Hand. Insgesamt hatte ich zwar keine ‚schrecklichen‘ Verletzungen, aber viele kleine, die lange nicht heilen. Ich kann immer noch trainieren und Rennen fahren, aber ich denke hie und da an die Auswirkungen auf meinen Körper. Aber das gehört eben zum Rennsport dazu. Ich weiß, dass mein Körper nicht ganz ‚normal‘ ist.

Musquin gewann den AMA-250-East-Supercross-Titel 2015
PC @KTM

Du bist einer der technisch stärksten Fahrer, die ich je gesehen habe. Kannst du deine technischen Fähigkeiten noch weiterentwickeln oder bist du an einer Grenze angelangt und musst in anderen Bereichen nach Verbesserungen suchen? Überraschst du dich noch manchmal selbst?

Ich muss zugeben: ‚leider nicht’. [Pause] Außerdem ist es auf der 450er schwieriger als auf der 250er. Es freut mich aber, dass du das sagst. Ein Teil von mir will immer noch etwas besser werden.

Dieser Ehrgeiz macht wohl einen Rennfahrer oder Athleten aus …

Genau.

Schöne Erinnerungen – Musquin feiert 2015 mit Fans die Startnummer 1 auf seinem Bike
PC @KTM

Du hast auf Instagram vor ein paar Tagen ein seltenes altes Foto gepostet, auf dem du und der ehemalige MXGP-Fahrer Clement Desalle auf 85-cm3-Bikes zu sehen seid. Clement und dein Landsmann Gautier Paulin haben sich beide 2020 zur Ruhe gesetzt. Denkst du über deine eigene Karriere nach, wenn du siehst, wie Weggefährten und ehemalige Teamkollegen wie Ryan Dungey den Helm an den Nagel hängen?

Natürlich verfolge ich die MXGP nach wie vor und konnte mitverfolgen, wie Clement und Gautier aufhörten. Die Rennszene in Europa ist etwas anders als die hier in Amerika. Die Karriere jedes Fahrers verläuft unterschiedlich. Im Gegensatz zu mir hatten die beiden bereits Kinder und Familien. Clement fuhr lange Jahre in der 450er-Klasse, während ich 2021 erst sechs Jahre in dieser Klasse dabei bin. Jeder Fahrer ist anders. Auch Dungey hatte eine andere Karriere als ich. Deshalb ist es schwierig, einen Vergleich zu ziehen. Trotzdem denke ich über diese Dinge nach. Wenn man in den frühen 30ern ist, denkt man über die Zukunft nach, und ich habe immer gesagt, dass ich so lange weiterfahren werde, wie es mir Spaß macht und ich gute Ergebnisse erziele. Natürlich ergibt es keinen Sinn mehr, wenn ich einmal keine guten Resultate mehr einfahren kann. Ich will keine Rennen fahren, wenn ich dabei nicht mein ganzes Potential ausschöpfen kann.

Siehst du dich selbst, einen auf Tony Cairoli zu machen und bis 35 oder 36 weiterzumachen?

Ähm, nein!

Zum Abschluss: Du bist der letzte Fahrer, der sich beim Monster Energy Cup in Las Vegas [2017] den Bonus von einer Million Dollar holen konnte. Hast du schon alles ausgegeben oder ist noch etwas davon übrig?

Haha! Wir haben nicht alles ausgegeben. Leider bekommt man nicht den ganzen Betrag, der da auf dem Papier steht! Der Plan war, das Geld auf die Bank zu legen und wachsen zu lassen.

Nach einer Verletzungspause kehrte Musquin 2021 wieder an die Spitze der Supercross-Meisterschaft zurück
PC @SimonCudby
Dank der Dichte des Felds sind die Starts im Jahr 2021 wichtiger denn je – der Fahrer mit der Startnummer 25 konnte in dieser Saison einige gute hinlegen
PC @AlignMedia
Zurück auf dem Podium – Musquin beweist, dass er nach der Zwangspause wieder voll da ist
PC @AlignMedia
Da kommt noch mehr – Musquin hat Spaß am Rennfahren in einer der härtesten Serien der Welt
PC @AlignMedia
Zum Abschluss der obligatorische Heel Clicker auf seiner KTM 450 SX-F
PC @SimonCudby