EIN VERGESSENES MEISTERWERK? DER AUFSTIEG & FALL VON KTMS SUPERSPORTLER RC8 – TEIL 1

Am Ende des letzten Jahrzehnts baute KTM eines der bemerkenswertesten und verblüffendsten Supersport-Motorräder. Nach nur ein paar Jahren war es jedoch wieder verschwunden. Was geschah mit der RC8?

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Wolfgang Felber lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Der ehemalige Rennfahrer und Cheftechniker wirkte bei vielen KTM-Projekten mit und war eine der wichtigsten Figuren hinter KTMs entschiedenen ersten Schritten in der MotoGPTM, als das Unternehmen 2011 mit der KTM RC 250 GP in die Moto3 einstieg. Wenn das Gespräch auf die RC8 – ein Projekt, das er geleitet und gesteuert hatte – kommt, ergreift ihn ein gewisser Stolz.

KTMs erster Supersportler wurde erstmals (und völlig überraschend) als Prototyp auf der Tokyo Motor Show 2003 gezeigt. „Wenn wir es mit den japanischen Herstellern aufnehmen, wollen wir das in ihrem eigenen Büro tun“, sagte der aktuelle F&E-Chef Philipp Habsburg beim Launch. „Die Reaktionen waren äußerst enthusiastisch…“

Vor der Krise, die am Ende des Jahrzehnts die Weltwirtschaft erschüttern sollte, befand sich KTM auf einem Weg der Expansion und Diversifikation (ein Bestreben, welches das Unternehmen nach dem finanziellen Chaos wieder aufnehmen, optimieren und verstärken sollte). Ein Teil dieses Prozesses war die Entwicklung eines Modells für den Sportmotorrad-Markt, der sich damals noch großer Popularität erfreute und Motorräder wie Yamahas YZF-R1, Suzukis GSX-R 1000 und BMWs S1000RR hervorbrachte.

Wolfgang Felber @KTM

Es war ein mutiger Schritt für die Marke, die im Jahr 2005 mit der KTM SUPER DUKE für Staunen gesorgt hatte, und führte zu einer starken Präsenz außerhalb des Offroad-Kernmarkts von KTM. „Wir begannen mit der Entwicklung der RC8 vor dreizehn Jahren. Damals war KTM ein Nischenhersteller“, erklärt Felber.

„Ich erinnere mich daran, wie im Juli 2005 grünes Licht für seine Entwicklung gegeben wurde“, fährt er fort. „Wie bei den meisten völlig neuen Projekten bei KTM hatten wir keinen Spezialisten im Haus, also engagierten wir die Leute, die wir brauchten, im Zuge der Entwicklung und bildeten andere dafür aus.“

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Gerüchten zufolge versenkte KTM 10 Millionen Euro in eine Philosophie, die Felber lächelnd als „ein 1200er-V2-‘Moped‘“ bezeichnet. Wie bei den meisten Innovationen, die in Mattighofen das Licht der Welt erblicken, begannen die ersten Tests aber noch vor der dramatischen Präsentation in Tokyo und lange bevor ein Bild der RC8 auf der Titelseite eines wöchentlich erscheinenden britischen Motorrad-Magazins einen jungen Designer (heute Lead Creative bei Kiska und die Kraft hinter der KTM 1290 SUPER DUKE R und den neuesten KTM-Modellen) namens Craig Dent aus den Socken hauen sollte.

„Als wir in den Jahren 2001-2002 unseren ersten 950-cm³-V2 bauten, hatten wir zusammen mit einem deutschen Rennmotorrad-Hersteller bereits einen rudimentären Superbike-Prototyp gebaut“, erinnert sich Felber. „Den verwendeten wir als Versuchsträger. Dann gab es noch einen anderen Prototyp, der der RC8 noch ähnlicher war und im Jahr 2001 gebaut worden war. Und dann war da das Show-Bike, das wir für Tokyo gebaut hatten. Während der Entwicklung der RC8 wurden wir immer wieder gefragt, warum alles so lange dauerte! Das Bike sollte erst im Sommer 2005 zum Leben erweckt werden, also zweieinhalb Jahre, nachdem seine Serienproduktion genehmigt worden war.“

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Die RC8 war ein ambitioniertes Produkt mit einer technisch fortschrittlichen Architektur, fiel aber verschiedenen Unglücksfällen und schlechtem Timing zum Opfer. „Es kamen drei Dinge zusammen“, so Felber. „Als Erstes starb am 2. September 2006 völlig überraschend einer unserer Cheftechniker. Das war ein großer Schock. Es verursachte uns allen großen Schmerz und behinderte natürlich auch das Projekt und die Motorenentwicklung. Der zweite Aspekt war die Wirtschaftskrise des Jahres 2008. Das Bike wurde genau zu der Zeit produziert, als alles den Bach runterging. Drittens gab es zu jener Zeit fünf Zulieferer statt deren acht oder neun und der Markt schrumpfte von einem Tag auf den anderen dramatisch.“

KTM gewann in der 125er- und 250er-Klasse Grand Prix, aber die MotoGPTM war unberechenbar, da das Hubraumlimit zwischen 1000 und 800 cm³ wechselte und schließlich eine CRT-Unterkategorie eingeführt wurde. Die Superbike-Klasse und die Regeln der seriennahen Kategorien schienen ein geeigneterer Spielplatz für KTMs erste Rennstrecken-Waffe zu sein. Natürlich wurde die RC8 nicht ausschließlich als ein Arbeitsgerät für Profi-Rennfahrer oder ein Spielzeug für Reiche entwickelt.

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Die RC8 war ein Vorgeschmack auf den ‚Kartentrick‘, den KTM später mit der KTM 1290 SUPER DUKE R abliefern sollte: Mit anderen Worten versprach ihre Optik einiges (bei der SUPER DUKE war es das Image des ‚Beast‘), bot am Ende aber noch viel mehr. „Die RC8 wurde nicht ausschließlich als Basis für die Superbike-WM entwickelt“, sagt Felber im Besprechungsraum des alten Renn-Hauptquartiers in Munderfing. „Wir wollten außerdem ein perfektes Bike für die Straße bauen. Das war der Kern der Philosophie hinter dem Motorrad und der Grund dafür, dass es viel Platz bietet und einstellbar ist. Es wurde eigentlich erst zufällig zu einem Rennmotorrad.“

Trotz dieses Schrittes ins Unbekannte und der Schwierigkeiten der Jahre 2007-2009 ging KTM nicht vom Gas (Felber: „Wir wurden immer gut unterstützt.“). Das Projekt wurde auch weiterhin mit Mitteln ausgestattet und angeblich wurden fast 50 Motoren verheizt, bis die RC8 richtig ausgereift war. 8000 Modelle rollten über die Jahre vom Band, wurden in Kisten verpackt und den neugierigen Kunden übergeben.

Die Forschungs- und Entwicklungsmannschaft stellte den Kunden eine Menge Drehmoment zu Verfügung. Sogar einigen der besten Fahrer der Welt. „Als wir einen Vergleichstest fuhren, war ich überrascht, was für ein gutes Straßenmotorrad die RC8 abgab“, so der ehemalige Grand-Prix-Sieger Jeremy McWilliams. „Sie konnte locker mithalten, besonders beim Fahrwerk. Außerdem war sie auf der Straße und der Rennstrecke eines der am leichtesten zu fahrenden Bikes.“

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Aber die RC8 hatte noch weitere Vorzüge. „Ich wollte in Sachen Fertigungsqualität für KTM und generell neue Maßstäbe setzen“, so Felber. „Man muss sich nur die Schweißnähte am Rahmen ansehen und die Art, wie wir den Kabelstrang ‚unsichtbar‘ gemacht haben. Nichts an diesem Bike wurde improvisiert. Wir investierten viel Zeit. Außerdem bin ich auf das technische Layout stolz und darauf, wie leicht man an diesem Bike arbeiten kann. Für den durchschnittlichen Kunden, der sein Bike für Service- und Reparaturarbeiten zu einem Händler oder einer Werkstatt bringt, ist das keine große Sache. Ich aber war ein Rennfahrer und arbeitete selbst an all meinen Bikes. Erst kürzlich habe ich den Rahmen meiner RC8 von einem orangen auf einen schwarzen getauscht und habe dafür nur einen Nachmittag gebraucht. Ich glaube, dass Mechaniker gerne an diesem Bike arbeiten.“

Und dann war da noch die unverwechselbare Optik. Felber: „Ich wusste, dass wir an etwas Leistungsstarkem arbeiteten. Die Designs von Kiska sind immer polarisierend. In diesem Fall ist es aber nicht nur ein Design, sondern ein Statement. Selbst wenn man heute eine RC8 sieht, könnte man meinen, sie stamme aus dem Jahre 2025. Ich liebe diesen Ansatz. Es handelt sich nicht um ein Bike für jedermann. Sie polarisierte: Sowohl mit ihrer Optik als auch mit ihrem technischen Layout, mit der völlig neuartigen, unter der Ölwanne endenden Auspuffanlage und dem kleinen, schmalen Heck.

Fortsetzung folgt…