EIN VERGESSENES MEISTERWERK? DER AUFSTIEG & FALL VON KTMS SUPERSPORTLER RC8 – TEIL 2

@KTM

Auf der Rennstrecke errang die RC8 mit Chris Filmore am Lenker Top-Fünf-Resultate in der AMA Superbike-Serie und wurde sogar bei der Isle of Man TT eingesetzt. In Europa stellte KTM ein Team zusammen, welches das Bike in der hart umkämpften Internationalen Deutschen Motorradmeisterschaft IDM einsetzte. „Die IDM war mehr oder weniger eine Europameisterschaft“, so Felber. „In Sachen Reifenentwicklung gab es keine Regeln und auch keine Limits bei Dingen wie der Elektronik.“ Die RC8 sollte ihre Konkurrenz vernichtend schlagen. Für KTM war es aber wichtiger, mehr über den Straßenrennsport zu lernen, als Resultate einzufahren. Ein Prozess, der direkt zum überwältigenden Debütsieg des Moto3-Grand Prix führen sollte.

Die RC8 fungierte außerdem als Eisbrecher, der den Einstieg in die Moto3 und später die MotoGPTM wesentlich vereinfachte. „Die IDM war ein idealer Spielplatz, um das Bike zu entwickeln und die Mitarbeiter vorzubereiten“, sagt Felber. „Wir nahmen drei Jahre lang teil, was sich als extrem hilfreich erwies. Zusammen mit Dunlop lernten wir viel über die Reifen und gewannen den Titel. Wir erreichten ein solch hohes Niveau, dass wir [Magneti] Marelli sagen konnten, was wir an der Elektronik-Software geändert haben wollten. All das floss in das neue Moto3-Projekt, nachdem klar geworden war, dass 2011 unser letztes Jahr in der Deutschen Meisterschaft werden würde und alle Mitarbeiter in die Moto3 wechseln würden. Wir mussten sogar früher damit anfangen und die Leute zwischen der IDM und dem Grand-Prix-Sport aufteilen. Am Ende hatten wir eine voll funktionsfähige und gut arbeitende Truppe für den Straßen-Rennsport.“

Jeremy McWilliams @KTM

Während die RC8 in Deutschland modifiziert und feinabgestimmt wurde, arbeitete McWilliams an einem separaten Testprogramm. „Wir engagierten Jeremy, da wir mit ihm gute Erfahrungen bei unserem ursprünglichen MotoGPTM-Projekt gesammelt hatten, und bis heute ist es großartig, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er ist immer noch so verdammt schnell und verfügt über eine Expertise, die einen glauben machen könnte, dass er schon fünfzig Jahre lang Rennen fährt!“ Felber grinst. „Er ist loyal, ehrlich und lästert niemals.“

„Um ehrlich zu sein, war die IDM-Version der RC8 mit der geballten Magneti Marelli-Ausrüstung im Vergleich zur Straßenversion eine riesige Überraschung“, erinnert er sich. „Die Performance war um Welten besser. Was auch immer Wolfgang und die Jungs mit dem Bike aufgeführt hatten, es hatte enormen Druck aus der Drehzahlmitte: Es war unglaublich. Sie ging ab wie Schmidts Katze. Bis heute bin ich kein Motorrad gefahren, das aus der Mitte so viel Drehmoment und Power hatte. Wolfgang sagte mir, dass es lediglich 185-187 PS hatte, es fühlte sich aber ohne Übertreibung eher wie 210 an.“

Wie bei fast jedem Motorrad gab es Kinderkrankheiten und Problemchen bei der Entwicklung und die Serienversion hatte einiges damit zu tun. „Wir waren uns immer bewusst gewesen, dass wir für dieses Bike eine gute Elektronik benötigten, aber aufgrund der Krise von 2008 war das Budget überall knapp und wir hatten keine Chance, in diesem Bereich etwas zu entwickeln“, so Felber.

Bei seiner Einführung lobten die Journalisten die Stärken der RC8, fanden aber auch einige Marotten. „Eigenheiten? Gangwechsel waren etwas schroff und dann war da die unmissverständliche Optik. Die war sicher nicht jedermanns Geschmack“, sagt der bekannte britische Motorrad-Tester Roland Brown. „Für ein Sportmotorrad war es dafür aber unglaublich komfortabel und vielseitig und ich glaube, dass es dafür zu wenig Anerkennung bekam.“

@KTM

Insgesamt traf KTM damit aber ins Schwarze. „Ich erinnere mich, dass es gut aufgenommen wurde und sich im ersten Jahr auch gut verkaufte, besonders in Großbritannien“, so Felber. „Soviel ich weiß, wurden von der 2008er-Generation dort 2000 Exemplare verkauft – ein Zeichen dafür, dass die Kunden die RC8 gut annahmen.“

Am Ende des zweiten Jahrzehnts des Jahrhunderts besitzt es schon fast Kultstatus. Besonders, da KTM sich immer stärker im Straßenrennsport engagiert. „Ich und viele andere Journalisten fanden, dass sie der Ducati 1098 durchaus die Stirn bieten konnte, und das will ‘was heißen“, sagt Brown.

Ein konkurrenzfähiges und hoch gelobtes Bike: Warum also gibt es die RC8 nicht mehr? Änderungen im Reglement der Superbike-Weltmeisterschaft waren ein erster ‚Todesstoß‘. Felber erklärt, warum: „Das Bike wurde als 1000-cm³-Superbike konzipiert. Der Motor wäre mit einem Hubraum von 1000 cm³ robust gewesen und hatte das Potential, über die Jahre vergrößert zu werden. Das wurde aber schnell zur Notwendigkeit, nachdem Ducati die FIM gezwungen hatte, das neue Limit auf 1200 cm³ anzuheben. Damit waren wir auf dem falschen Pfad. Das Einlasssystem und die Drosselklappen waren auf 1000 cm³ ausgelegt. Als wir erfuhren, dass wir den Motor (zuerst) auf 1150 und dann auf 1200 cm³ aufbohren mussten, war die Frist zur Vergrößerung der Drosselklappen bereits abgelaufen. Das war einer der ersten ‚Geburtsfehler‘ der RC8. Für das Serienmotorrad bedeutete das keinen großen Nachteil – tatsächlich ermöglicht eine kleinere Einheit einen besseren Gemischstrom und eine bessere Fahrbarkeit – in der Superbike-WM schob das unserer Power im oberen Drehzahlbereich aber einen Riegel vor.“

Woldgang Felber @KTM

„Eine neue Version mit neuen Drosselklappen befand sich im Prototypen-Stadium und leistete damals 215 PS, was nicht schlecht war. Allerdings bekamen wir nie die Freigabe, um dieses Modell in Serie zu produzieren, und konnten es deshalb auch nicht als Basis für die Superbike-Rennmaschine verwenden“, fügt er hinzu. „Im Jahr 2011 entschied sich das Unternehmen dazu, sich im Grand-Prix-Sport statt in der Superbike-WM zu engagieren, weil wir nicht beides machen konnten … und die Entscheidung war richtig. Wir hatten immer alle Hände voll zu tun und waren nur eine kleine Truppe. Wir hatten also nicht einmal viel Zeit, enttäuscht zu sein, dass wir die RC8 nicht in der Superbike-WM einsetzen würden.”

Auf der Rennstrecke war die RC8 also nur beschränkt einsetzbar. Dennoch hatte sie einen Platz im KTM-Portfolio, richtig? Am Ende scheiterte das Projekt an anderen Prioritäten und der Ressourcenverteilung. „Ich kann die Frage, warum die RC8 nicht mehr produziert wird, nicht wirklich beantworten, aber einige Gesichtspunkte nennen. KTM verfolgte immer eine Strategie des Wachstums und so wurden die Bikes mit kleinerem Hubraum, die neue KTM SUPER DUKE und viele andere Projekte entwickelt. Ich glaube, KTM musste sich einfach entscheiden, wo die F&E-Mittel hinfließen würden, und eine SUPER DUKE oder kleinere DUKES bringen mehr Geld und sind strategisch wichtiger als eine RC8. Wir haben viele neue Kunden. Es war die bessere Lösung. Dann kommentierte Herr Pierer den Speed moderner Superbikes und sagte, dass sie nur auf der Rennstrecke eingesetzt werden sollten. Die KTM SUPER DUKE ist natürlich auch ein schnelles Motorrad und am Ende glaube ich, dass es mehr um Ressourcen und Aspekte der Wirtschaftlichkeit ging.“

Jeremy McWilliams @KTM

All jene, die jemals eine RC8 auf der Straße oder der Rennstrecke gefahren sind, vermissen sie. „Ich glaube, dass sie auch heute noch gegen die Produkte anderer Hersteller bestehen könnte“, sagt McWilliams. „Natürlich wurden die elektronischen Helferlein inzwischen deutlich weiterentwickelt, aber wir hätten das auch bei der RC8 getan. Ich hatte letzten Sommer die Chance, das originale IDM-Bike noch einmal zu fahren und zu erleben, was für ein guter Allrounder es war. Wenn wir die Möglichkeit hätten, eine 1290er-Version mit demselben Fahrwerk zu bauen, wäre sie sicher eines der Bikes, das jeder gerne in der Garage stehen hätte. Es ist traurig, dass sie nicht am Leben erhalten wurde. Ich – und noch ein paar andere Jungs in der F&E-Abteilung – hoffe immer noch, dass sie eines Tages wieder aufersteht!“ 

@KTM

Die RC8 war eine technische, optische und funktionale Vorlage für KTMs Straßenmotorräder und ‚beschleunigte‘ die Rennabteilung der Marke. Außerdem markiert sie ein denkwürdiges Kapitel in der Geschichte des Unternehmens: Vielleicht sogar die ultimative Definition der KTM-DNS, die Motorradfahrer nach wie vor beeinflusst und bewegt. „Wenn man KTMs unglaublichen Siegeszug seit dieser Zeit in Betracht zieht, kann man sagen, dass Stefan Pierer wie immer alles richtig machte und die richtige Entscheidung traf, indem er in andere Segmente investierte, anstatt sich auf einen schnell schrumpfenden Markt zu konzentrieren“, fasst Brown zusammen. “Still, it would have been great if KTM had continued to develop this bike. Of course he can change his mind anytime and build a MotoGP TM replica … “

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