Exklusiv-Interview mit Stefan Pierer, Teil 3

Im dritten und letzten Teil des großen Interviews spricht KTM CEO Stefan Pierer über Design-Zuständigkeiten, Abläufe im Entwicklungsprozess, sportliche Aspekte, Elektrobikes und Chancen auf neuen Märkten in Asien.

Kiska_Pierer

Bei KTM gibt es keine eigene Design-Abteilung, was ungewöhnlich ist. Dafür ist die Agentur Kiska zuständig….

Stefan Pierer: Die Zusammenarbeit von KTM und Kiska ist etwas Besonderes. Sie reicht weit zurück, ist von Freundschaft geprägt und geht weit über Design hinaus. Gerald Kiska hat an jeder KTM seit dem Restart Anfang der 90er Jahre mitgewirkt. Auch seine Firma ist beachtlich gewachsen. Gerald hat einst mit einem Mitarbeiter angefangen, heute beschäftigt er 120 Personen und zählt zu den größten unabhängigen Design-Agenturen in Europa. Die Auslastung mit KTM beträgt nur einen Teil, zwei Drittel wird für andere Unternehmen gearbeitet. Dass Kiska unabhängig von KTM agiert, ist wichtig, weil es hilft, kreativ zu bleiben. Input von allen Seiten fördert frisches Denken und neue Ansätze. Bei einer eigenen Designabteilungen bestünde die Gefahr, dass man im eigenen Saft schmort, Einflüsse anderer Bereiche und aktuelle Trends verschläft. Diese Konstellation  ist mit ein Grund für die langjährige Zusammenarbeit. Die KTM-DNA wird seit 20 Jahren gepflegt, was den Auftritt der Marke entscheidend mitprägt. Eine KTM ist markant und unverwechselbar. Dabei spielt die Farbe eine Rolle und natürlich das Design, das immer agressiv, kantig und ein Statement ist.

 

Segnen Sie neue Projekte eigentlich immer persönlich ab?

Stefan Pierer: Alle Abläufe bei KTM basieren auf Teamwork. Für Entscheidungsträger besteht wohl die Möglichkeit zu intervenieren, aber normal durchlaufen Projekte bestimmte Abläufe mit etlichen Checks. Mitunter entscheiden auch Gespür und Intuition; als Motorrad-Enthusiasten schieben wir dann alle auf Marktforschung basierenden Zweifel zur Seite und ziehen ein Projekt einfach so durch, wie es uns am besten taugt.

 

Sie sprachen über Design und externen Input von allen Seiten. Gilt eine vergleichbare Einstellung auch in anderen Bereichen?

Stefan Pierer: Ein offener Zugang hilft eigentlich immer, wenn dann noch das Herausfiltern erfolgreich klappt, umso besser. Ideen und neue Projekte sind in Entwicklungsabteilung und auch im Marketing an der Tagesordnung. Manchmal sieht man zufällig irgendetwas Neues in einer noch frühen Phase und fragt, was es damit auf sich hat. »Ach«, wird dann leichthin geantwortet, »das war nur so eine fixe Idee«. Aber irgendwann landet dann ein neues Konzept zur Beurteilung auf meinem Schreibtisch. KTM-Mitarbeiter zukünftiger Projekte sieht man auch immer wieder auf Rennstrecken, weil die Atmosphäre inspiriert und man etwas aufsaugen kann, was später vielleicht die Arbeit befruchtet. Ich bin der Ansicht, dass Racing grundsätzlich ein gutes und stimulierendes Umfeld ist, wenn man mit Motorrädern beruflich zu tun hat.

 

Kann man sich das wie in der Filmindustrie vorstellen, wo beim Produzenten auf dem Schreibtisch diverse Drehbücher und Ideen für künftige Projekte landen?

Stefan Pierer: Durchaus. So läuft das bei KTM. Gedankenaustausch und Gespräche über laufende wie künftige Projekte gehören immer dazu, vor allem auch immer mit Gerald Kiska. Es gibt langfristig angelegte Projekte, zuletzt etwa die Strassenbikes mit kleinerem Hubraum. Oder regelmäßige Updates von Modellreihen; oder Facelifts; oder neue Modelle für bestimmte Segmente. Es gibt ständig Neuheiten, es ist immer vieles in Bewegung, was positiv ist.

 

Offroad fährt KTM von einem Sieg zum anderen. Die Marke ist regelrecht zum Synonym für sportlichen Erfolg geworden. Vor 20 Jahren war dergleichen wohl eher nicht vorstellbar?

Stefan Pierer: Als ich bei KTM einstieg, war Husqvarna die Messlatte in Motocross und Enduro. Natürlich waren auch die japanischen Marken vertreten, aber nicht dermaßen führend wie Husqvarna. Inzwischen hat KTM in vielen Disziplinen das Zepter übernommen, was damit zusammen hängt, dass wir entwicklungstechnisch nie nachgelassen haben. Die Motorräder werden ständig verbessert. Das ist etwas, das wir früh dazugelernt haben. Immer weiter, immer besser. Innovation muss kontinuierlich stattfinden. Sonst wird man ein- und schliesslich überholt. Technischer Fortschritt ist ein wesentlicher Anreiz, aus sportlicher wie aus verkauftechnischer Sicht. Wer nicht mithält, büsst an Boden ein, im Sport wie im Verkauf.

 

Manchmal muss man als Unternehmer auch bereit sein, ein Risiko einzugehen. Nur so kann man gegen vermeintlich starke Konkurrenz bestehen. In der Moto3-WM gegen Honda zum Beispiel. Honda verfügt immer über einen zeitlichen Vorsprung, weil man es versteht, das Regelwerk mitzubestimmen. Entsprechend hatte man drei Jahre Zeit, ein Motorrad zu entwickeln. Als das Reglement finalisiert war, haben wir 12 Monate vor dem ersten Rennen beschlossen, einen Moto3-Racer zu bauen. Alle in der Firma waren unglaublich motiviert. Aber wir haben es geschafft und schließlich die WM gewonnen. Später war von Honda zu hören, dass in erster Linie die Kosten niedrig gehalten werden sollten und dass der Focus aufs Gewinnen in anderen Kategorien läge. Dabei haben wir gesiegt, weil wir einfach besser waren.

 

Im Vergleich kann KTM sich auch punkto Image und Marketing sehen lassen, speziell in Zeiten sich ändernder Medienlandschaft und digitaler Umwälzungen.

Stefan Pierer: Marketing-Aktivitäten, Kommunikation und Marken-Strategien sind von erheblicher Bedeutung und bei uns traditionell in besten Händen. Da gehört auch der professionelle Umgang mit medialen Umwälzungen und Neuerungen dazu. KTM wird weiter wachsen und globaler agieren. KTM beschäftigt um 1.800 Mitarbeiter, in einem Jahr werden wir die 2.000er Marke erreichen; produziert werden um 120.000 Einheiten, der Umsatz liegt bei 700 Millionen Euro. Das Potenzial für weiteren geschäftlichen Erfolg ist gegeben, auch außerhalb Europas. Der asiatische Markt ist für eine Company unserer Größenordnung mit großen Herausforderungen verbunden, weil jeder Markt anders ist. Thailand ist nicht Malaysia, und in Indonesien ist vieles anders als auf den Philippinen.

 

Ist die Expansion in asiatische Märkte notwendig, weil in Europa keine Zuwächse zu erwarten sind?

Stefan Pierer: So ist es. In Europa sind die Verkäufe in den letzten fünf Jahren um 50 % zurückgegangen. Und die Zahlen sind weiter rückläufig, um 7 % in den ersten fünf Monaten dieses Jahres. Besserung ist nicht in Sicht. Das Business ist schwierig; um Zuwächse zu erzielen, müssen Kunden von anderen Herstellern gewonnen werden. In Asien ist die Situation anders. KTM war dort bereits vertreten, aber mit Sportgeräten, die von Importeuren eher nebenbei vertrieben wurden. Mit Duke 125, 200 und 390 sind wir nun bei den Streetbikes in den unteren Klassen komplett aufgestellt, dazu können wir beim Preis absolut konkurrenzfähig mithalten. Deshalb haben sich die Verkäufe sehr gut entwickelt. In den ersten vier Monaten im asiatischen Raum konnten wir unsere Verkäufe vervierfachen. Dazu geben wir uns Mühe, Zuwächse auch offroad zu erzielen. Unsere Mitarbeiter in Verkauf und Marketing leisten erstklassige Arbeit, auch die Produktionsqualität kann auf sehr hohem Niveau gehalten werden. KTM ist derzeit gut auf Drehzahl. Allerdings gilt es aufzupassen, nicht zu schnell zuzulegen. Bei 25 bis 30 % höherer Produktion können sowohl die Fertigungskapazitäten als auch die Mitarbeiter an ihre Grenzen geraten.

 

Wie schlägt sich die neue 1190 Adventure seit der Markteinführung?

Stefan Pierer: Erfreulich erfolgreich. Dieses Jahr sind wir praktisch ausverkauft und haben mit 7.800 Einheiten die Produktionszahl des Vorgängermodells verdoppelt. Wir bewegen uns auf Augenhöhe mit direkten Konkurrenten, erhielten viel Lob und Anerkennung und haben auch viele Kunden anderer Marken gewinnen können. Bisher stammten Käufer zum größten Teil aus der Hardcore-Ecke, jetzt sprechen wir auch Kunden aus anderen Bereichen an. Für KTM kommt der 1190 Adventure eine Flaggschiff-Funktion zu, weil modernste elektronische Fahrassistenz-Systeme mit an Bord sind, von MTC-Traktionskontrolle über elektronischem EDS-Fahrwerk bis hin zu Offroad-ABS. 1190 Adventeure und Adventure R haben eine neue Twin-Modellgeneration eröffnet. Die 1290 Super Duke R 1290 folgt als nächstes.

 

Stichwort E-Bikes: Als KTM damit anfing, war es absehbar, dass für die Entwicklung dieser Technik ein langer Atem notwendig sein würde?

Stefan Pierer: Wüsste man über alles im Voraus Bescheid, bevor man ein neues Projekt in Angriff nimmt, würde man wahrscheinlich gar nichts anfangen. Unternehmerisch tätig zu sein, erfordert auch ein gewisses Maß an Risikobereitschaft. Unser Einstieg in die Elektromobilität hing damit zusammen, das es in Europa allgemein schwieriger wird, Offroadsport auszuüben, weil die Möglichkeiten mehr und mehr beschnitten werden. Vor diesem Hintergrund zeichnete sich ab, dass Motorräder mit elektrischem Antrieb sich zu einer interessanten Lösung entwickeln können. Deshalb haben wir 2005/06 die Vorentwicklung eines Offroad-Projekts mit elektrischem Antrieb beschlossen.

 

Im Vergleich zu einem Projekt mit Verbrennungsmotor hat es sicher länger gedauert. Aber wir haben nie aufgegeben und ein sehr gutes Produkt durch eine intensive Erprobungsphase geführt, um Praxiserfahrungen zu sammeln. Jetzt ist die Freeride E reif für die Serienproduktion, der Verkauf wird nächstes Jahr beginnen. Der Flaschenhals bei der Entwicklung betraf die elektronische Steuerung. Es gab dort keine Technik, auf die hätte zurückgegriffen werden können. Für unseren speziellen Einsatzweck musste eine passende Steuerelektronik erst entwickelt werden. Das erfolgte hier in Österreich und mit einer externen Firma. Diese Entwicklung war mühselig und erforderte Geduld. Auch die Energiespeicherung ist ein Thema, die Batterieproduktion sehr kostspielig. Allein ein Batteriepack für die Freeride E schlägt mit 2.000 Euro zu Buche. Dafür ist die Funktion sicher gestellt, wie wir im Praxiseinsatz ausgetestet haben.

 

Auch wenn ich mir weitere Fortschritte wünsche – derzeit müssen wir die Kosten und den Stand der Batterietechnik nehmen wie es ist. Für diesen speziellen Einsatzzweck gibt es keine andere Wahl. Kommendes Jahr wird in Österreich und Deutschland der Verkauf beginnen. Sollte ein Problem mit der Batterie auftauchen, wird den Kunden eine Backup-Möglichkeit zur Verfügung stehen, ähnlich wie in der Automobilindustrie. Man muss einfach sehen, dass die Entwicklung der E-Mobilität zwar weit vorangeschritten, aber noch nicht abgeschlossen ist. Bei Verbrennungsmotoren beträgt der Erfahrungschatz 100 Jahre, mit der E-Mobilität geht es gerade erst los. Es besteht noch Nachholbedarf. Also muss jeder Schritt mit Bedacht gesetzt werden, Geduld ist deshalb angebracht.

 

Auf jeden Fall haben wir bereits Fortschritte erzielen können. Inzwischen wurde auch unser E-Scooter-Konzept auf der Tokio-Show präsentiert. Ich bin überzeugt, das ein Elektro-Scooter für die urbane Mobilität eine sehr zukunftsträchtige Lösung darstellt.

 

Wurde mit der Serienentwicklung des E-Scooters bereits begonnen?

Stefan Pierer: Ja, der Vorstand hat es abgesegnet, das Projekt E-Speed läuft. Ich rechne damit, dass es zwei Jahre in Anspruch nimmt, wir reden also von 2016 mit Blick auf die Markteinführung. Die Reaktionen auf den in Japan ausgestellten Prototypen waren positiv. Bei Fahrwerk und Gesamtfahrzeug bewegen wir uns in bekannten Gefilden, Neuland betreten wir bei Antrieb und Batteriepack. Ziel ist, die Batteriekapazität im Vergleich zum Offroadbike zu verdoppeln; das entspräche unserer Idealvorstellung.

 

Sind die Kosten bei der E-Mobilität ein Grund dafür, dass sich die japanischen Mitbewerber noch bedeckt halten?

Stefan Pierer: Honda beschäftigt sich mit dem Thema, Yamaha hat ebenfalls Forschungsarbeit investiert, aber ein Durchbruch auf dem Markt hat noch nicht stattgefunden. Es gibt billige Angebote aus China, die mit Niedrigvolt-Konzepten funktionieren. Aber für anspruchsvolle Performance sind Hochvolt-Ansätze besser und zielführender.

 

Glauben Sie, dass KTM von den japanischen Herstellern inzwischen aus anderem Blickwinkel gesehen wird? So wie im Motocross…?

Stefan Pierer: Die Japaner engagieren sich im Motocross sichtlich, inzwischen auch mit Werbebannern an den Strecken, womit wir vor zehn Jahren schon begonnen haben. Das ist positiv für den Sport. Je mehr investiert wird, desto stärker steigen Interesse und Aufmerksamkeit. Zu den Grand Prix in Brasilien, Frankreich und Italien strömten zuletzt enorm viele Zuschauer, fast wie vor zwanzig Jahren. Es wird im Motocross auch eine Menge geboten – Fahrerlager-Zugang, Kontakt zu Stars wie Cairoli, man ist überall dicht dran; das ist der Unterschied zu Formel 1 und anderen Hightech-Sportarten. Firmen wie Honda und andere betreiben den Sport natürlich ernsthaft. Für manche sind unsere Erfolge vielleicht verwunderlich. Ich kann mir vorstellen, dass man KTM seit der Zusammenarbeit mit Bajaj anders einordnet, weil wir so auf den neuen Märkten in Asien moderne und attraktive Bikes zu konkurrenzfähigen Preisen anbieten können. Wir operieren mit der Konkurrenz auf Augenhöhe. Woher, wenn nicht von Ihnen, sollen unsere Marktanteile denn kommen? Respekt ist da sicher mit im Spiel.