#flashbackfriday: KTM GP1 V4-Motor

Meine Geschichte beginnt, als KTM beschloss, in den Straßenrennsport einzusteigen. Zunächst sollte ab 2003 mit 125ern GP-Erfahrung gesammelt werden. Ab 2005 stand dann MotoGP auf dem Plan. Am Ende kam aber alles anders. Meine Karriere verlief turbulent und kurz.

Grüß euch. Ich bin der V4-Rennmotor Nr. 5/05, also einer derjenigen, die KTM vor Jahren gebaut hat, um der Welt einen Haxen auszureißen. Mein Projektnummer lautet schlicht 990, weil das dem Hubraum für die GP1-Viertaktklasse entsprach, die inzwischen MotoGP heißt. In meiner Stückliste fing jede Teilenummer mit einer 990 an.

Ach ja, warum ich sprechen kann? Ganz normal, KTM baut Motorräder mit Seele und starker Stimme und das Fahrvergnügen, das wir bereiten, ist sehr lebendig. Egal mit wieviel Zylindern. Man spürt immer, dass da etwas lebt. Beim Zwiegespräch in der Garage oder unterwegs auf Tour. Genau das macht uns so unterhaltsam.

Ich bin nicht mehr im Einsatz, darf als ein Stück Racing-Historie jedoch weiter präsent bleiben. Mein Zuhause ist in Mattighofen. Hier bin ich im dritten Stock des Empfangsgebäude ausgestellt. Ich throne auf einem Ständer  gleich neben den Meeting-Räumen. Viele, die hier rein- und rausgehen, werfen einen Blick auf meine Technik. Und fast immer sehe ich Bewunderung – freut mich.

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KTM GP1 V4 990 Nr. 5/05

Ansonsten stehe ich am Fenster und habe das Werk im Blick. Rechts das orange Hauptgebäude, an das sich hinten die Produktion anschließt. Auf der anderen Seite das Entwicklungszentrum. Hier ist immer viel Betrieb. Weil ich natürlich mit Sensoren bestückt bin, entgeht mir relativ wenig. Ich kann Ihnen hier also versichern: KTM ist eine Firma voller Sportsgeist, die weiter blüht, gedeiht und wächst.

Gegenwärtig sind über 2.000 Leute bei KTM beschäftigt. Davon mehr als 350 in der Entwicklung. Als ich im Spätsommer 2002 als Projekt beschlossen wurde, arbeiteten in der Entwicklungsabteilung etwas weniger als die Hälfte. Also mussten neue Leute rekrutiert werden. Entwicklungsleiter Wolfgang Felber, dem zusätzlich noch die GP1-Projektleitung aufgebrummt wurde, holte zuerst Kurt Trieb (zuvor bei Porsche und BMW im F1-Motorsport) als Konstrukteur an Bord; dazu weitere engagierte Ingenieure und Spezialisten, mit Rennerfahrung oder frisch von technischen Hochschulen.

Die Kerntruppe, die mich konstruierte, bestand aus sieben Personen. Erst wurden unterschiedliche Konzepte  – Drei, Vier- und Fünfzylinder, in Reihe wie in V-Konfiguration – durchdacht. Am Ende wurde ich als V4 mit 75 Grad Zylinderwinkel entwickelt. Kompakt, stark, vergleichsweise leicht, nicht zu durstig. Ausgestattet mit pneumatischer Ventilsteuerung, Titanpleueln, Trockenkupplung, High-End-Zylinderbeschichtung, Cassettengetriebe mit speziellen Schaltmuffen, Nockenwellensteuerung mit Zahnradkaskaden und Trockensumpf-Schmiersystem mit mehreren Pumpen. Ich war dazu der erste gleitgelagerte KTM Motor überhaupt, der erste mit Schlepphebeln und auch der erste mit radial angeordneten Ventilen.

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KTM GP1 V4 990

Aus konstruktiver Sicht war ich ein modernes, leistungsfähiges Schmuckstück. Auch bemerkenswert: die cleane Optik ohne Kühl- und Ölschläuche; die Kanäle dafür waren von Anfang an integriert. Ausgelegt war ich auf 230 PS bei 15.500 Umdrehungen, in Verbindung mit guter Fahrbarkeit und nutzbarem Drehzahlband von etwa 8.000 bis 16.500/min. Meine Komponenten waren auf 18.000 Touren Überdrehfestigkeit ausgelegt. Beim ersten Prüfstandlauf tauchte noch ein Problemchen mit den Pneumatik-Bauteilen auf; nachdem das gefixt war, brummte ich brav die Drehzahlleiter rauf und runter. Das Belastungsprofil entsprach der Barcelona-Piste.

Im Juli 2003 entschied dann der KTM Vorstand, das GP1-Projekt so nicht weiterzuführen. Auch die Arbeiten am Fahrwerk, das zu diesem Zeitpunkt noch in der Konstruktionsphase war, wurden gestoppt. Die finanziellen Mittel, die zur Verfügung hätten gestellt werden müssen, waren damals an anderen Stellen notwendiger.

Alternativ wurde schließlich die Idee verfolgt, sich mit einem existierenden GP1-Team zu verbünden. Gespräche mit dem WCM-Team führten zu keinem Ergebnis, aber dann wurde eine Zusammenarbeit mit dem Proton-Team von Kenny Roberts Sr. vereinbart, das einem Ersatz für sein eigenes V5-Triebwerk suchte.

Ende Sommer 2004 kam eine Roberts-Abordnung aus Banbury in England nach Mattighofen. Gemeinsam mit den KTM Technikern wurde ich in das Fahrwerk der bisherigen Proton-KR eingesetzt. Als das geschafft war, fand auf dem Hof hinter der Entwicklung fast ein Happening statt. Etliche Dutzend Mitarbeiter fanden sich ein und feierten, als der KTM Motor im neuen Chassis erstmals angestartet wurde. Das war ein denkwürdiger Moment, zu dem übrigens auch Roberts-Pilot Nobuatsu Aoki mit Frau und Kind angereist war.

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Proton-KR, Kurt Trieb, Nobuatsu Aoki Family & Wolfgang Felber Mattighofen 2004

Der Japaner unternahm dann auch in Brünn das erste Rollout der komplettierten Maschine. Der erste richtige Test, der rundum ermutigend verlief und auch alle Zweifel an meiner Zuverlässigkeit aus Welt schaffte, wurde später in Jerez von Jeremy McWilliams erledigt.

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Jeremey McWilliams & Proton-KR Brünn 2004

2005 ging es endlich los. Das KR-Team startete mit mir in die MotoGP-Saison. Kenny Roberts und KTM hatten sich auf eine Zusammenarbeit geeinigt. Brite Shane Byrne wurde als Fahrer engagiert. KTM stellte die Motoren, übernahm das Fahrer-Salär und kam für die Michelin-Reifen auf. Das Roberts-Team sollte mit Hilfe externer Sponsoren die laufenden Betriebskosten sicher stellen.

Das Ganze stand jedoch unter keinem guten Stern. Die Zusammenarbeit brachte nur mäßige Erfolge. Ich hätte mir eine fortschrittliche Elektronik von TAG McLaren oder Magneti Marelli gewünscht, musste aber mit einem kostengünstiges EFI-System aus England Vorlieb nehmen. Darunter litt wiederum meine Fahrbarkeit.

So kam eines zum anderen. Das beste Ergebnis, zu dem mich Shane Byrne steuerte, blieb ein 15. Platz beim Laguna Seca GP, was einen WM-Punkt einbrachte. In verregneten Donington lag eine Weile sogar fast ein Podestplatz in Reichweite. Aber daraus wurde nichts, die Fahrt endete leider im Kiesbett. Ein früher Crash am Sachsenring beendete schließlich meinen letzten MotoGP-Auftritt.

Als die Diskussionen um die Finanzierung des Teams kein Ende nehmen wollten, zogen meine Bosse schließlich einen radikalen Schlussstrich. Beim Brünn-GP wurden die KTM Motoren abgeholt und nach Österreich gebracht. Damit war das Kapitel GP1 oder MotoGP für mich als Kraftquelle beendet.

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Shane Byrne & Proton-KR 2005

Wieviel V4-Triebwerke insgesamt gebaut wurden? Zunächstfünf Motoren, und für 2005 nochmal zehn Stück. Wo diese letztlich verblieben sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich weiß jedoch von einem V4-Triebwerk, das letzten Winter von CEO Stefan Pierer an KTM Urgestein Wolfgang Felber als Geschenk übergeben wurde, nach etlichen Jahren als Gesamt-Entwicklungsleiter, als „Vater“ der RC8, als Projektleiter des GP1- wie auch später des Moto3-Triebwerks.

Felber, der inzwischen bei WP Suspension die Entwicklung der Offroad-Komponenten leitet, wird um den Motor herum versuchen, die KR-KTM zu restaurieren bzw. zu rekonstruieren. Ein paar Chassis-Teile sind wohl vorhanden, einiges fehlt jedoch noch. Kenny Roberts hat aber bereits zugesagt, bei der Suche nach benötigten Teilen behilflich zu sein. Später soll die Maschine dann einmal das geplante KTM Museum bereichern.

Im Rückspiegel konnte ich als V4-Rennmotor die Erwartungen nicht erfüllen. Trotzdem möchte ich diese wilden Jahre nicht missen. Die Begeisterung aller Techniker, die mitgearbeitet haben, war absolut sensationell. Ich bin mit mir auch im Reinen, weil alle Erfahrungen echt wichtig waren und sich in folgenden KTM Konstruktionen in der einen oder anderen Form niedergeschlagen haben. Bei Kolben und Zylinderbeschichtungen, bei radialen Ventilanordnungen, der Verwendung von Schlepphebeln, bei speziellen Kurbelgehäuse-Entlüftungssystemen. Nicht nur im Serienbau wie etwa dem 450er Doppelnocken-MX-Motor. Sondern auch beim Moto3-Rennmotor. Jedes Mal, wenn in den letzten zweieinhalb Jahren Moto3-Siege gefeiert oder sogar WM-Titel bejubelt wurden, freute ich mich mit. Weil auch da Know-how von mir mit drinsteckt.

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KTM GP1 V4 990 Jerez 2005

Sollten Sie als Blog-Leser jemals zu KTM in Mattighofen finden, besuchen Sie mich ruhig einmal. Und sollten sie keine Zeit haben vorbei zu schauen, winken Sie einfach kurz hoch.

Fotos: Buenos Dias, KTM