GT to GP

Zwei Prototypen, zwei sportlich motivierte Chauffeure – einer davon mit MotoGP-Vergangenheit, 2000 Kilometer Asphalt. Mit dem Flugzeug nach Valencia reisen kann ja jeder.

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Die Idee mit dem Motorrad von Oberösterreich in die Provincia Valencia zu fahren, klingt grundsätzlich nach einer guten. Allerdings ist bei diesem Roadtrip nicht die Rede von einem gemütlichen Sightseeing-Trip mit zahllosen Cappuccino-Pausen an der Côte d’Azur; in der KTM-Welt definiert sich der Begriff des Reisens ein wenig zügiger. Zeitvorgabe für die Anreise zum MotoGP-Finale: 36 Stunden. GT statt Boeing.

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Für maximalen Reiseschnitt bot sich den Reitern die brandneue KTM 1290 SUPER DUKE GT an. Wenn auch noch im Vorserienstatus, lockt die „Beast“-Neuheit mit Genen voller Endurance-Ausstattung. 23-Liter-Tank, einstellbares Windschild, variable Ergonomie, Schaltassistent, Tempomat – die Liste der GT-Zutaten liest sich unwiderstehlich und macht sofort Lust aufs sportliche Kilometerfressen. 1960 km hin, November her, Wurscht. Auf geht`s. Auch der perfekte Reiseführer und Windschattenspender ist schnell gefunden. Um zu vermeiden, dass MotoGP-Testfahrer Alex Hofmann in eine saftige Herbstdepression verfällt, soll der eloquente  Kommentator mit großem Racer-Herz die Pace machen.

4. November, KTM-Werk, 9.21 Uhr, 10 Grad, Kilometer 0
Die beiden von der Entwicklungsabteilung zur Verfügung gestellten Bikes sind startklar, vollgetankt und mit frischen Hinterreifen bestückt.  Schon die ersten Meter geben einen perfekten Vorgeschmack auf das Freudenfest der nächsten knapp 2000 Kilometer. Hier im Innviertel, dem Geburtsort jedes READY TO RACE-Bikes, fräsen wir uns im Nu nach Deutschland ins malerische Burghausen, um dort direkt die erste Autobahnetappe in Angriff zu nehmen. Die Drosselklappen werden komplett geöffnet. Wahnsinn, das kann kein Düsenjet besser.

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11.55 Uhr, 12 Grad, Kilometer 290
Erster Tankstopp. Laut Restreichweitenanzeige wären noch 60 Kilometer gegangen, aber unser Fotograf im Mietauto hat auf der deutschen Autobahn derart abreißen lassen müssen, dass sich ein großer Kaffee in Memmingen ausgeht. Alex, der den 1301ccm-Twin wie erwartet unerschrocken nach vorne trommelt, berichtet: „Die über 300 km/h auf der RC16 fühlen sich weniger dramatisch an als die 280 mit der GT bei dem Verkehr.“ Ja, muss wohl so sein.
Kaum hat uns Fotomann Chippy hechelnd erreicht, mahnt der Profi Hofmann zum Weitermarsch. Also, Vignette drauf und wieder an die Lenker. Bei Traumwetter vorbei am Bodensee entern wir gegen 13 Uhr das Land der Eidgenossen. Die unpackbare Performance der SUPER DUKE GT prallt auf gnadenloses Verkehrsrecht. Disziplin!

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16.35 Uhr , 14 Grad, Kilometer 630
Zürich liegt bereits hinter uns, gut 600 km sind gefressen. Wir sind beide überrascht, dass uns der Hintern noch nicht schmerzt. Selbst gute Tourenbikes senden in der Regel nach sieben Stunden Fahrt erste Grüße ans Gesäß. Bis dato hat die Verbindung an die göttliche Wetterleitzentrale bestens funktioniert; das erste Drittel auf durchgängig trockener Piste noch kein Test für Traktionskontrolle oder Schräglagen-ABS. Im Sonnenuntergang, den Genfer See im Visier, bin ich optimistisch, dass Alex schon pünktlich in der Eurosport-Sprecherkabine sitzen wird. Aber während sich der klassische Motorradtourist nun auf die Suche nach einer hübschen Auberge machen würde, fokussieren wir im Dunst die Autoroute de Sud an. Griffheizung an, Gas auf. Frankreich wir kommen!

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Orange, 23.25 Uhr, 8 Grad, Kilometer 1095
Bei 150 km/h Dauertempo sind die letzten Stunden schnell verflogen. Nur ein kurzer Stopp, Halstuch montiert, Griffheizung auf „Max“, alles gut. Im tiefen Süden Frankreichs verlassen wir schließlich die Mautstraße, rollen durch den bereits fest schlafenden Ort „Orange“. Das Ortsschild bietet die perfekte Kulisse für das letzte Foto des Tages. Nach 14 Stunden heißt es Feierabend! Mein letzter Gedanke: Mein Hintern tut immer noch nicht weh.

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5. November, 7.15 Uhr, 10 Grad Nebel, Kilometer immer noch 1095
Kaum ist unsere Fast-Forward-Reisegruppe wieder auf der Bahn in Richtung Süden, schießen die ersten Sonnenstrahlen durch die Dunstglocke. Und nur 10 min später, surfen die GTs bei genialstem Wetter weiter auf der Drehmomentwelle. Danke nach oben. Das freut auch den Fotografen. Chippy springt aus seinem hoffnungslos untermotorisierten Mietwagen und montiert seine Kamera mit einem Ausleger an die Außenhaut. It`s Showtime!

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11.20 Uhr, 18 Grad Sonne, Kilometer 1390
Viva España. Willkommen im Land des Motorradrennsports – die zweite Heimat jedes Profi-Zweiradracers empfängt uns mit superben Bedingungen. Hoffentlich erkennt Alex auch weiterhin den Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit und wechselt jetzt nicht in den Qualifying-Modus … Brooaaahhhhh …

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13.57 Uhr, 20 Grad Sonne, Kilometer 1696
Siesta. So viel Zeit nach rund 1700 Kilometern muss sein. Unfassbar, vor 30 Stunden standen wir vor dem Werkstor in Mattighofen, nun stehen die beiden Express-Sports Tourer an der Hafenpromenade in Taragona. Genialerweise führt der gesamte spanische Anteil unserer Reise am Wasser entlang. Doch viel Zeit bleibt nicht für Urlaubsperspektiven. Hopp Hopp weiter … Da wir uns zum Ziel gesetzt haben, auf der Schlussetappe auch die Kurvenqualitäten entlang der Küste auszukosten, lautet das Kommando „Helm auf“.  Und nur wenig später zeigt die GT, das auch sie eine SUPER DUKE reinster Rezeptur ist. Alex, der sämtliche elektronischen Helferlein abgeschaltet hat, schmettert voran, dass es ein Fest ist. Im berauschenden Abendlicht zoomen wir über verwinkelt schmalen Asphalt. Renntaugliche Bremsen und dieser unbeschreibliche Motorschmalz wirken wie Drogen, lassen Körper und Geist den reinen Sport erleben, machen GT-süchtig. Der Rausch wird trotz Kurvenlicht nur von der hereinbrechenden Nacht beendet. Zurück also auf die Autopista, nur noch 150 km.

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Circuito Ricardo Tormo, 19.05 Uhr, 19 Grad, Kilometer 1960
Der finale Stopp vor der Rennstrecke findet erneut an einer Tankstelle statt. Diesmal aber nicht zum Benzin- sondern zum Biereinkauf. Drei eiskalte Belohnungsdosen rollen unter der Jacke vors Fahrerlagertor. Hinter der Absperrung lauern GP-Bestien in drei Klassen, um ihre Gegner am Sonntag in einer 100 Kilometer-Hatz zu besiegen. Ha, das Team „Factory SUPER DUKE GT“ mit dem Duo Hofmann/Kuttruf hat soeben eine komplette Rennsaison am Stück bestritten.
Alex parkt seine GT im Paddock direkt neben eine scharf präparierte KTM 1290 SUPER DUKE R, mit der er am Freitag die Streckenvorstellung vom Lenker aus kommentieren wird. Die Mission ist erfüllt.

Herr Hofmann, es war mir eine Ehre, nicht mit ihnen zu fliegen!

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Den ganzen Reisebericht schildern wir ausführlicher und mit noch mehr Bildern im neuen KTM-Magazin UNBOUND, das im Frühjahr bei den KTM-Händlern erhältlich ist.

Fotos: Chippy Wood