Gast-Kolumne: Wie faehrt die KTM Freeride E?

»Undundund? Wie findste die Freeride E?« Das haben mich einige gute Menschen gefragt, wahrscheinlich hauptsächlich deswegen, weil sie selber schon eins der Vorserienfahrzeuge geritten haben, mit denen KTM in der Test-Endphase ihrer elektrischen Alternative Meinungen sammelt. Es ist wie ein Club, und deshalb sind wir in der überlegenen Lage, nicht nur einen Fahreindruck wiederzugeben, nicht nur eine Meinung, sondern eine ganze Batterie davon.

 

Fangen wir mit meiner an: Nicht (nur) aus Egoismus, sondern auch, weil meine die Noob-Meinung ist, von der aus die anderen weitergehen. Ich fahre viel Motorrad und ich fahre gern Motorrad, aber ich tue das praktisch ausschließlich auf der Straße. Immer wieder sagen Leute »komm doch endlich mal mit im Dreck spielen«, aber irgendwie geht es sich nie aus. Deshalb war ich vorher nur einmal auf der Cross-Strecke und einmal Enduro fahren. That’s it. Wie die Freeride E für einen Anfänger taugt, ist jedoch fast so wichtig wie die Racer-Tauglichkeit. Denn die große Chance für diese Maschine liegt ja darin, dass sie ein neues Publikum in den Dreck holt, das bisher nichts damit am Hut hat, wohl aber aufgeschlossen gegenüber neuen Freizeitsportarten ist.

 

Für dieses neue Publikum ist es zuerst mal grandios, dass es keine Kupplung gibt, keinen Ganghebel und statt der Fußbremse eine Handbremse links am Lenker, wie Motorradfahrer das gern an ihrem Mountain Bike umbauen. Der Kill-Schalter ist der An-Schalter; eine kleine Kombianzeige hinterm Lenkkopf blinkt Bereitschaft. Es gibt einen Taster auf dem Instrument, der ist zur Wahl der drei verschieden stark anschiebenden Fahrmodi. Ein Stups am Start-Knopf schaltet die Leistungselektronik scharf, die das mit leisem Spulenrauschen bestätigt.

 

Ab dann gibt es nur noch Gas geben und bremsen. Das ist großartig. Wer nie bis selten auf der Dreckpiste ist, wird eh jedes Mal völlig überrannt von den einstürzenden Informationen. Oh mein Gott! Der Hügel! Die Pfütze! Oh nein, eine Kurve! Arg, viel zu langsam! Arg, doch viel zu schnell! Ne, doch zu langsam. Und CRASH! Kein Mensch braucht da noch Hebelchen an den Füßen, die eh immer als erstes abbrechen. Je weniger bedient werden muss, umso mehr kann man sich  konzentrieren: Das Hüpfen, das Motorrad aus den Ecken katapultieren und dabei nicht hinfallen. Letztendlich wird das auch vielen besseren Fahrern taugen, wenn sie es ausprobiert haben.

 

Ein besserer Fahrer als ich ist zum Beispiel der Kollege Volker, der die Freeride E schon vor mir gefahren ist, bei erheblich trockenerem Wetter. Er hat vorher schon Elektro-Erdferkel ausprobiert und kam daher mit recht geringen Erwartungen an die Teststrecke unweit des KTM-Motorenwerks. Er war positiv überrascht davon, dass schon die Vorserientester so fertig ausschauen. Sie sehen übrigens deshalb so fertig aus, weil sie zum größten Teil aus den wirklichen Produktionswerkzeugen stammen, die auch in der Serie zum Einsatz kommen sollen.

 

»Es freut mich, dass sich mal jemand traut, es richtig zu machen«, sagt Volker. Kleines Beispiel: Die Freeride E hat einen Freilauf, was bei Elektrofahrzeugen nicht üblich, für ein Motorrad aber wichtig ist, damit man es schieben kann. Der Freilauf ist viel wichtiger als eine Rekuperation, die beim Sportfahren ohnehin nichts bringt. Der Akku ist in zwei Minuten gewechselt. Die Gasdosierung ist so fein, dass man problemlos nebenher gehend einen Hügel hochkommt oder eine Verladerampe. Das sind so Details, für die der Ingenieur wissen muss, worum es geht, für die er vielleicht selber ins Gelände muss.

 

Volker ist das, was man einen ambitionierten Gelegenheitsfahrer nennen kann, einen ehrlichen obendrein: »Meistens bin ich eh nach 30 Minuten MX-Strecke platt und mache 20 bis 30 Minuten Pause. Für mich wären die 20 bis 60 Minuten Akkulaufzeit also völlig in Ordnung.« Und: »Für das, was ich mit meinem 450er Crosser übers Jahr gemacht habe, hätte auch die E gelangt.« Am wichtigsten jedoch: »Ich glaube, ich hätte gern eine.«

 

Was? Obwohl es nicht knallt beim Angasen? Um Volkers Emotion besser nachvollziehen zu können, möchte ich auf einen weiteren Gelegenheitsfahrer hinweisen, der ebenfalls beim Testen vor Ort war. Phil hat in seinem Erlebnisbericht dazu lang und breit die Vorzüge des Motors gelobt: »Der beste Offroad-Motor, den ich je gefahren bin.« Beim Verbrenner gibt es nämlich vom Gasgriffbefehl bis zum Drehmoment am Hinterrad erheblich mehr Umwege. Der E-Motor dagegen schiebt jederzeit haarfein dosierbar linear an, und solche Tugenden sind im Gelände nicht substituierbar. Phil würde mit so einer Art Motorrad gern wieder das regelmäßige Offroad-Training aufnehmen.

 

Die Freeride E soll für den Normalkäufer unter 10.000 Euro kosten, so die KTM-Planung. Das ist eine Menge Holz für ein Freizeitsportgerät. Es soll jedoch auch ein Akku-Leasing angeboten werden, mit dem sich das Motorrad dann preislich ein gutes Stück in Richtung der Freeride 350 bewegt. Außerdem soll es Motocross- und Enduroparks geben, in denen man sich eine Freeride E leihen kann. Weil die Maschine leise ist, können solche Parks dann endlich in Stadtnähe liegen und nicht wie bisher in Bombenkratern oder ehemaligen Mülldeponien. Die E kann und soll den Sport ein bisschen rausbringen aus solchen Ghettos. Der Kollege Jochen hat darüber auf Spiegel Online geschrieben, obwohl er persönlich die größten Hoffnungen auf eine straßenzugelassene Variante setzt, mit der wir dann »in« den Städten spielen können.

 

Ein ganz anderes Einsatzgebiet sprach ein Amerikaner an, den ich zufällig an der Bar im Flughafen von San Francisco traf: hinterm Haus fahren. In den USA gibt es eine Menge mehr Platz als in Europa, was mit ein Grund dafür ist, dass »Dirt Bikes« dort so eine große Nummer sind. Hinter dem Haus der Zufallsbekanntschaft fängt gleich die Mojave-Wüste an, in die er zur Unterhaltung verschieden weit hineinfährt. »Wann kommt endlich diese elektrische KTM?«, fragt er. »Ich würde sie sofort kaufen. Mein Nachbar würde mich wahrscheinlich finanziell unterstützen, weil ich ihm auf die Nerven gehe mit meinem Geknatter.« Er ist bereits KTM-Kunde, weil sich die Mattighofener Fahrzeugausrichtung mit seiner Lebensgrundeinstellung deckt: »I’ll race anything.«

 

Es gibt also eine Nachfrage, eine Existenzberechtigung, die über den Ölunabhängigkeits-Gedanken hinaus geht. In den Foren zweifeln manche dennoch, wie ernst KTM das Projekt ist, ob die E jemals beim Händler stehen wird. Das lässt sich leicht klären: KTM-Boss Stefan Pierer ist das Projekt ein persönliches Anliegen, und er ist jetzt nicht jemand, der seine persönlichen Anliegen neu verhandelt, nur weil sie schwieriger umsetzbar werden als gedacht. Es ist ja »alles« in echt schwieriger als in Gedanken. Die (teuren) Werkzeuge existieren wie gesagt bereits. Die E wird kommen. Sie wird allerdings nicht als stolpernde Beta-Version kommen, solche Elektrofahrzeuge gibt es schon genug. Die Freeride E soll als ausgereiftes, fertiges Produkt kommen. Deshalb gab es das Angebot in 2012, sich hier im KTM-Blog anzumelden, um die E mal auszuprobieren, ein freiwilliger Betatester zu sein. Dieses Angebot soll 2013 wieder aufgelegt werden. Ihr erfahrt dann rechtzeitig hier, wie eure Meinung als Fahrer mithilft, dass die Freeride E, so gut wie sie nur sein kann, beim Händler steht.

Gastbeitrag von Clemens Gleich, freiberuflicher Autor und privat KTM Duke 690-Fahrer.