Hautnah am Rally-Team: Sam Sunderland und Toby Price über ihre Tattoos

Ihre Siege sind das Resultat ihres Fahrtalents und inneren Stärke. Ihre Narben zeugen davon, dass ihr Siegeswillen ihre Ängste zu überwinden vermag. Ihre Tattoos erinnern an eine rebellische Jugend und tiefsitzende Leidenschaften. Ihre Körperkunst ist der ultimative Beweis, dass die Liebe jeden noch so starken Schmerz überwinden kann. In Worten ausgedrückt, repräsentieren ihre Tätowierungen das Prinzip Das Leben ist zerbrechlich, wir sind es nicht.

Seit Anbeginn der Zeit und lange bevor sie zum Mainstream wurden, schmückten sich Krieger mit Tätowierungen, um sich abzuheben, daran zu erinnern, was sie verloren haben, und ihre Siege zu feiern. Die ersten beiden Punkte erfüllen Sam Sunderland und Toby Price längst, nur der letzte – Tattoos, die an Siege erinnern sollen – befindet sich derzeit noch in Arbeit. Am 7. Januar legen sie wieder ihre Rüstungen an und werfen sich in die Schlacht. Die Zahl der Dakar-Siege, die sich auf ihrer Haut verewigen lässt, ist noch lange nicht komplett.

Sams Geschichte

Sam Sunderland (GBR) 2018 © Sebas Romero

Eine Jugendsünde macht den Anfang
Nicht jedes Tattoo hat eine Geschichte, aber alles erzählt eine Geschichte. Wie viele wichtige Dinge in seinem Leben begann Sam Sunderlands Leidenschaft für Tätowierungen am Rande der Rub’ al Khali-Wüste. „Ich ließ mir mit 17 ein richtig dummes Tattoo stechen“, erinnert sich Sam, als wir ihn auf sein erstes Tattoo ansprechen. „Damals schien es mir eine coole Idee zu sein, meinen Namen auf der Rückseite meines Arms stehen zu haben. Ich fuhr in den Urlaub nach Dubai, um meine Cousins zu besuchen. Wir waren beste Freunde und ungefähr im gleichen Alter, also ließen wir uns unsere Namen auf Arabisch stechen. Zu jener Zeit ließen sich viele Menschen in England ihre Namen in chinesischen Zeichen tätowieren, also entschieden wir uns für Arabisch, um uns abzuheben. In Wirklichkeit war das aber nicht so cool, denn jetzt habe ich das für den Rest meines Lebens auf dem Arm. Das Gute daran ist, dass ich das Tattoo nicht sehen und anderen erzählen kann, dass es ‚Nutze den Augenblick‘ oder ‚Gib niemals auf‘ bedeutet, was lustig ist.“

Liebe, Tod und Totenschädel
Einige Jahre später, der Schmerz war schon längst wieder vergessen, hatte Sam eine andere – viel bessere – Idee und ließ sich auf den Waden sein zweites und drittes Tattoo stechen. „Ich hatte schon immer ein Faible für Totenschädel. Ich weiß nicht genau, warum. Diese kleinen Kunstwerke gehören zur mexikanischen Kultur und zu den Día de los Muertos-Feierlichkeiten, bei denen der Toten gedacht wird. Meine Tattoos erfüllen den gleichen Zweck – sie sollen an meine verstorbenen Freunde erinnern. Einer der Totenköpfe ist der einer Frau, der andere der eines Mannes mit Schnurrbart. Das heißt aber nicht, dass einer für ein Mädchen und der andere für einen Jungen steht. Wenn man näher hinsieht, fallen einem viele interessante Details auf: Fahrräder in beiden Augen, Pistolen, Spinnweben, ein Kompass und natürlich Blumen“, erklärt Sam und fügt hinzu: „Wenn man sich das heute ansieht, ist es schon etwas merkwürdig, zwei Totenschädel auf den Waden tätowiert zu haben.“

Sam Sunderland (GBR) 2018 © Sebas Romero

Geteiltes Leid mit einem Koi-Karpfen
„Ich kann nur beim Freitauchen so richtig abschalten. Mein Leben ist ziemlich chaotisch, unter der Oberfläche gelingt es mir aber trotzdem irgendwie, meine Gedanken zu sortieren. Ich liebe das Freitauchen, weil ich dabei auch Speerfischen kann“, so Sam. Sein großes Tattoo, das einen Koi-Karpfen zeigt und das er sich in Thailand von einem örtlichen Künstler stechen ließ, zeugt von dieser Leidenschaft. „Um ehrlich zu sein, ist auch dieses Tattoo etwas merkwürdig. Ich wollte, dass es aussieht, als würde der Karpfen um mein Knie herumschwimmen. Dank eines Beinbruchs hat der Fisch nun zwei große Narben“, berichtet der Sieger der Rallye Dakar 2017 und fügt hinzu: „Die Tattoos auf meinen Waden nahmen jeweils drei Stunden in Anspruch, während ich für den Fisch sechs Stunden auf dem Tisch lag. Ich weiß wirklich nicht, was härter ist: ein richtig langer Tag bei der Dakar oder ein schmerzhaftes Abenteuer wie dieses.“

Sam Sunderland (GBR) 2018 © Sebas Romero

Zeit zum Brüllen
Sein nächstes Tattoo soll extrem filigran und detailliert werden. Mit anderen Worten: Auf der Haut eines Kriegers ist immer Platz für den Kopf eines Löwen. „Mir gefällt, wofür der Löwe steht, und ich finde, dass er mit seiner Mähne richtig toll aussieht.“

Tobys Geschichte

Toby Price (AUS) 2018 © Sebas Romero

Über ein etwas molliges Kind, das mit der Startnummer 287 um nationale Titel kämpfte
„Mein erstes Tattoo ließ ich mir mit 17, kurz vor meinem 18. Geburtstag, stechen. Damals fuhr ich Motocross und dachte nicht daran, meine Startnummer zu wechseln. Ich tat, was alle Motocross-Fahrer tun – ich ließ mir meine Startnummer 287 am unteren Rücken tätowieren. Obwohl ich längst nicht mehr mit dieser Nummer antrete, steht sie heute noch für das, was ich in der Vergangenheit erreicht habe“, gibt Toby zu seinem ersten Tattoo-Abenteuer zu Protokoll. „Ich wurde ‘87 geboren und die Zahl war sozusagen meine Startnummer. Als Junioren-Rennfahrer in der australischen Meisterschaft mussten wir dem die erste Zahl unserer Postleitzahl hinzufügen. Die Nummer 2 auf der Startnummerntafel bedeutete, dass das Kind für New South Wales fuhr. Ein etwas zu kurz geratenes, etwas molliges Kind, das mit der Nummer 287 um die Meisterschaft kämpfte – das war ich“, sagt der amtierende Cross-Country-Weltmeister, Sieger der Dakar 2016 und stolzer Besitzer zweier Tuareg-Trophäen.

Ein hoher „Price“
Eine andere Tradition unter Motocross-Fahrern besteht darin, sich den eigenen Namen stechen zu lassen. Auf Tobys Wirbelsäule – jenem Punkt, an dem Fahrer mitunter am verletzlichsten sind – steht deshalb PRICE. „Ich ließ die Umrisse machen und so blieb es dann etwa ein Jahr lang. Als ich entschied, dass die Schmerzen schon nicht so schlimm werden würden, ging ich zurück und ließ alle Buchstaben mit Farbe füllen. Fast alle zumindest. Nach dem P hielt ich es kaum noch aus, also übersprangen wir das R und gingen direkt zum I über, weil dort weniger Fläche zu füllen war. Nach einer Stunde hatte ich genug und ging. Ich wollte nach ein paar Tagen wiederkommen, um die letzten drei Buchstaben zu füllen, aber letztendlich brauchte ich dafür ein weiteres Jahr. Meine Freunde machten sich immer darüber lustig. Glücklicherweise war das Tattoo meistens bedeckt, es sei denn, ich zog mein T-Shirt aus. Eigentlich ziehe ich es vor, meine Tattoos nicht zur Schau zu stellen. Ich möchte, dass Menschen unvoreingenommen auf mich zu gehen, obwohl ich mir bewusst bin, dass ich hier gerade mit einem etwas merkwürdigen Vokuhila sitze. Was sagt das über mich aus?“, sagt er verschmitzt.

Toby Price (AUS) 2018 © Sebas Romero

Ein Tattoo für ein Mädchen, das er heute noch in seinen Armen tragen würde – wenn das nur ginge
„Und dann habe ich noch eine Tätowierung auf meiner Brust, die ein Kreuz und zwei Vögel zeigt, die eine Schleife halten“, fährt er fort. „Mit diesem Tattoo gedenke ich meiner älteren Schwester Amanda, die 2011 verstarb. Sie hatte einen großen Einfluss auf mein Leben und jetzt trage ich die Erinnerung an sie auf meiner Brust. Ich weiß, dass ihre schützende Hand über all den wilden, verrückten und wundervollen Dingen in meinem Leben wacht. Sie war von Geburt an behindert und blind, deshalb kümmerte ich mich bereits als Kind um sie. In gewisser Weise konnte sie durch mich gehen und sehen und ich habe es geliebt, mit ihr Zeit zu verbringen. Ich habe immer gedacht, dass es genauso gut mich hätte treffen können. Durch sie habe ich gelernt, wie wertvoll das Leben ist. Wegen ihr und für sie lebe ich mein Leben in vollen Zügen. Du weißt nie, wann deine letzte Stunde geschlagen hat. Deshalb möchte ich, wenn meine Zeit gekommen ist, sagen können, dass ich nichts unversucht gelassen und immer 100 Prozent gegeben habe. Ich sage niemals nein, lebe jeden Tag, als wäre er mein letzter, und genieße jeden Moment. Aus diesem Grund bedeutet mir dieses Tattoo so viel. Ich wusste genau, was ich wollte, und obwohl die beiden auf meinem Rücken extrem schmerzhaft waren, erinnere ich mich nicht einmal mehr daran, wie ich mir das auf der Brust stechen ließ – weil ich wusste, dass ein guter Grund dahintersteckte.“

Toby Price (AUS) 2018 © Sebas Romero

Zeit, Rennen zu fahren
Ob er seine Tattoo-Kollektion erweitert, hängt laut Toby davon ab, wie viele Dakar-Trophäen er noch erringen kann. Außerdem soll auch sein nächstes Tattoo bedeutungsvoll sein; es soll repräsentieren, was er erreicht hat. „Ich will kein x-beliebiges Tattoo und muss wohl die Tatsache akzeptieren, dass auf meinem Rücken kein Platz mehr ist“, so der wilde Australier.

Der Weg zu den nächsten Tattoos wird offensichtlich staubig, schnell und abenteuerlich werden.

Fotos: Sebas Romero