HERLINGS: DAS COMEBACK

Einer der schnellsten Offroad-Rennfahrer der Welt spricht über sein verletzungsbedingtes Jahr MXGP-Pause und seine anstehende Rückkehr zum Grand Prix.

Ein 15-jähriger Jeffrey Herlings feiert am Podium in seinem erst zweiten GP in Mantova, Italien (2010)
PC @KTM

Über Jeffrey Herlings gibt es viel zu erzählen. Wo sollen wir anfangen? Der 28-Jährige ist fünfmaliger Weltmeister (drei Mal MX2, zwei Mal MXGP, 4. Platz auf der All-Time-Rangliste), der erfolgreichste niederländische Motocrosser in der Geschichte der 1957 gegründeten FIM-Serie und hat 99 Grand-Prix-Siege abgestaubt – nur zwei weniger als der Rekordhalter Stefan Everts.

Zudem ist er der dienstälteste Rennfahrer von Red Bull KTM. Herlings kam 2009 als Teenager zum Rennstall und debütierte in der ersten Runde der FIM-Weltmeisterschaft 2010 als Vollzeit-Teammitglied. In der MX2 legte er die Messlatte für Geschwindigkeit auf 250-cm³-Maschinen höher. 2018 legte er mit 17 Siegen und 19 Podestplatzierungen in 20 Runden in der MXGP eine der besten und dominantesten Leistungen der jüngeren Geschichte hin. 2021 setzte er sich in einem unvergesslich knappen und spannenden Wettbewerb durch. Nr. 84 unterzeichnete Anfang Januar 2023 eine weitere Vertragsverlängerung und wird nun bis 2025 (insgesamt 17 Jahre) weiter für KTM fahren.

Jeffrey Herlings bei seinem GP-Debüt in Sevlievo, Bulgarien (2010)
PC @KTM

Bei allem Ruhm und Erfolg hat Herlings auch die dunklen Seiten des Motocross kennengelernt. 2014, 2015 und 2019 bedeuteten Verletzungen das Saison-Aus. Sie brachten Schmerzen, Reha und Unterbrechungen mit sich. 2022 war besonders bitter. Nach einer Fraktur des linken Fersenbeins vor Start der Meisterschaft musste er die erste Hälfte der Saison aussitzen. Auch hartnäckige Probleme mit dem rechten Fuß, eine Folge seines Unfalls 2019, beeinträchtigten seine Gesundheit. Im Sommer verpasste er, nicht 100 Prozent fit, die Chance auf eine Teilnahme am AMA Pro National Motocross 2022. Am Ende entschied er sich für eine Revisionsoperation, wodurch er das ganze Jahr lang der MXGP fern bleiben musste.

Herlings hakte das Jahr 2022 ab und konzentrierte sich auf 2023. Eine erstaunliche Pause für diesen Vollblutrennfahrer, bisher seine längste Auszeit vom Sport. Nun ist Herlings jedoch mit der überarbeiteten KTM 450 SX-F bewaffnet und gut vorbereitet. Mit erneuertem Kampfgeist und einer sicheren Zukunft bei Red Bull KTM plant er seinen Weg zurück an die Spitze des Sports. Wir haben ihn angerufen und nach dem Stand der Dinge gefragt.

Herlings feiert einen Sieg in Spain in der unvergesslichen Saison von 2021
PC @RayArcher

Jeffrey, am Anfang steht natürlich die Frage nach deinem Gesundheitszustand. Bist du wieder auf 100 Prozent?

Ich glaube nicht, dass ich nach meinen Verletzungen je wieder komplett auf 100 Prozent kommen kann. Mir geht es gut, aber ich spüre noch die linke Ferse von 2022 und den rechten Fuß von 2019. Letztes Jahr hatte ich wieder kleinere Operationen. Beide Füße sind nicht wie zuvor, aber ich merke nichts, wenn ich fahre. Besser werden sie nicht mehr. Gerade bereiten wir uns in Spanien auf die Saison vor. Der rechte Fuß war das größte Problem. Da waren einige Knochen einfach explodiert. Sie wuchsen wieder zusammen, aber das Bindegewebe war beschädigt und der Bruch heilte nicht ganz sauber, da war viel „wildes“ Knochenwachstum. Letztes Jahr hatte ich also eine Revisionsoperation, da wurde das ganze Metall und das Knochentransplantat entfernt. Der Fuß ist recht kompliziert, und viel Platz hat man da auch nicht. Die Ärzte versuchten, mir mehr Flexibilität zu ermöglichen, und trotz des Bindegewebeschadens hatte ich am Ende mehr Beweglichkeit und weniger Schmerzen. Die linke Ferse war einfach gebrochen, aber da entstand eine Fehlstellung, daher die lange Genesungszeit. Ich hatte drei Eingriffe, zwei zur Korrektur, um die Stellung zu fixieren. Aber im Alltag und beim Fahren habe ich keine Schmerzen, der Unterschied ist also nicht so groß.

2022 kam die Verletzung vor der Saison. War das einfacher als 2019, als du zurück kamst und dich wieder verletzt hast?

Naja, letztes Jahr war es auch kompliziert, weil wir den Start der Meisterschaft verpassten, aber dann kam die Chance, in die USA zu gehen. Aber der Unfall war Ende Januar. Damit hatte ich nur dreieinhalb Monate für Genesung und Training vor dem Start in den USA. Ich konnte erst Mitte Mai wieder aufs Motorrad steigen und hatte nur wenige Wochen zur Vorbereitung. Das war nicht genug Zeit. Auch durch Faktoren wie die Sommerhitze in den USA und die kurze Serie hat es einfach nicht geklappt. Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon acht MXGP-Runden verpasst und mein rechter Fuß machte mir seit drei Jahren Schwierigkeiten. Wir vereinbarten also, beide Füße für das Jahr 2023 und mit Ausblick auf den neuen Vertrag für 2024 und 2025 so gut wie möglich zu reparieren. Ich wollte für die nächsten Jahre so gesund wie möglich werden, also investierten wir 2022 die Zeit für meine zukünftige Karriere.

„Wir arbeiten schon seit langer Zeit zusammen. Ich glaube, ich bin mittlerweile der dienstälteste Red Bull KTM Athlet – es ist 15 Jahre her, seit ich 2009 zum ersten Mal unterschrieb. Wir haben nun zwei weitere Jahre zusammen, und danach vielleicht noch mehr. Das ist super. Pit, Robert und ich haben diese Zeit über sehr eng zusammengearbeitet, wir haben einen guten Draht. Auch Valentina [Ragni, Team-Koordinatorin] war von Anfang an mit dabei, die ganzen 15 Jahre. Wir arbeiten enorm gut zusammen und streben dasselbe Ziel an. Ich freue mich, den Vertrag erneut zu verlängern, und es ist schön, dass das Team und das Unternehmen nach dem für mich dunklen Jahr 2022 immer noch Vertrauen in mich setzen. Ich wollte nicht wechseln, ich fühle mich hier wohl, und ich liebe die Gruppe.“

Jeffrey Herlings feiert seinen fünften Weltmeistertitel mit dem Team, das ihn seit Beginn seiner Kariere begleitet
PC @RayArcher

Du fährst im Grand Prix, seit du 15 bist. 2022 war hart, aber gab es auch etwas Gutes daran, eine Auszeit vom Druck des Rennsports zu haben?

Im Mai war klar, dass ich erst im Februar 2023 wieder zurück in den Rennsport kommen würde, also neun Monate Pause. Das gab mir etwas Frieden, weil ich mich nicht mit dem Training, der körperlichen Fitness, der Ernährung, dem Fahren, den Medien beschäftigen musste. Das war recht angenehm und ich konnte meine Batterien aufladen, aber wir hatten ja durch das Coronavirus auch 2020 eine Unterbrechung und die Saison wurde auf Juni 2021 verschoben, das war ein langer Winter. In den letzten Jahren gab es gefühlt schon einige Pausen. Jedenfalls fühle ich mich erfrischt und bereit für die nächsten drei Jahre – mindestens. Man vergisst leicht, dass ich vor einigen Monaten gerade 28 geworden bin, weil ich schon seit 2010, seit 14 Jahren, im Sport bin und Rennen gewinne. Ich werde schon langsam der „Alte“ in der Klasse, obwohl ich gerade erst 28 bin. Ein paar Jahre schaffe ich noch!

Das Team wurde für das Jahr 2023 mit neuen Stellen, neuen Mitarbeitern etwas verändert. Was denkst du darüber?

Das ist alles noch brandneu, ich weiß noch nicht, wie das laufen wird und was ich erwarten kann, aber das Team war und ist stark und ich bin gespannt darauf, ob wir es noch weiter verbessern konnten.

Jeffrey Herlings und Tony Cairoli (jetzt Team Manager) bei ihrem 1-2 Erfolg vor Jeffreys Heimpublikum in Assen in seiner bisher erfolgreichsten Saison (2018)
PC @RayArcher

Tony Cairoli war dein Teamkollege und Rivale bei der Meisterschaft und ist jetzt Teammanager. Fühlt sich das merkwürdig an?

Ja! Ich habe mit ihm [als Teammanager] noch nicht viel gearbeitet, weil ich einfach nur fahre. Ich war so lange weg, dass ich einfach zurück aufs Bike musste, wir haben uns bisher nur ein paar Mal getroffen. Es ist etwas komisch, weil wir uns jahrelang duelliert haben, und jetzt ist er Teammanager. Ich bin neugierig, wie das während der Saison wird, aber ich denke, es wird völlig anders sein als zu den Zeiten, als er aktiver Fahrer war. Auf der Strecke muss man unglaublich ehrgeizig sein und sich auf die Rivalität konzentrieren, als Teammanager muss man sehr offen für Neues sein. Ich bin sehr gespannt darauf, wie er seine neue Rolle ausfüllen wird. Es ist Anfang Januar und ich habe da noch nicht viel mitbekommen, aber das wird auch eine neue Situation für alle anderen im Team. Wir hatten einen Wechsel im Management, Harry [Norton] übernimmt für Dirk [Gruebel], und wir haben mehr Mechaniker und Fahrer, früher waren wir zwei bis drei Fahrer, heute sind wir vier. Es ändert sich viel, und ich freue mich darauf, zu sehen, wie das laufen wird.

#84 mit seiner brandneuen KTM 450 SX-F bereit um in der MXGP-Saison 2023 voll anzugreifen
PC @JuanPabloAcevedo

Du bist die KTM 450 SX-F der neuen Generation noch nicht auf höchstem Niveau im Rennsport gefahren, aber du hast das Bike ausgiebig erprobt. Bist du mit dem Gesamtpaket für die MXGP 2023 zufrieden?

Ich bin sehr zufrieden. Bisher bin ich größtenteils alleine gefahren, ich kann also noch nicht sagen, wie das im Rennen mit Gate Drop und Duellen wird. Aber wenn ich meine Runden fahre, fühle ich mich frei und sehr zufrieden. Es gibt natürlich einige Punkte, die man verbessern könnte, aber wir haben hier eine sehr gute Grundlage. Mein erstes Rennen wird Ende Januar sein. 2022 bin ich mit dem Bike ein Rennen der spanischen Meisterschaft gefahren, das ist natürlich nicht das allerhöchste Niveau, aber bei den Motos fühlte ich mich sehr wohl. Ich glaube, wir werden dieses Jahr auf Sieg fahren können, auch wenn die Konkurrenz natürlich nicht geschlafen hat. Es gibt neue Bikes und Weiterentwicklungen aktueller Grand-Prix-Siegermaschinen. Ich glaube, wir haben ein sehr gutes Motorrad, das will ich bei den Rennen beweisen.

Der Start 2023 ähnelt dem Start der fantastischen Saison 2021: Tim Gajser ist Champion, Romain Febvre wieder fit, du am Start und starke Factory-Entwicklungen anderer Marken. Fehlt nur Tony. Bereit für den Kampf?

Aber wie! Ich absolviere zur Vorbereitung drei Rennen in Spanien, Großbritannien und Frankreich, um einige Starts zu haben, damit ich bei Runde 1 in Argentinien schon etwas aufgewärmt bin. Das wird merkwürdig werden, nachdem ich so lange nicht im MXGP gefahren bin. Ich glaube, ich werde die Saison über aufbauen. Dieses Jahr haben wir ja 60 Rennen statt 40 Motos, da auch die Vorläufe am Samstag gewertet werden. Wir werden viel Zeit haben, um richtig in der Meisterschaft anzukommen, die wird sich lang anfühlen. Bei den ersten drei Rennen müssen wir mitnehmen, was geht und dann darauf aufbauen. Es wird so viele Motos geben! Ich möchte mich das Jahr über stetig verbessern.