„Ich habe eine Idee …“

Hast du dich jemals gefragt: „Wie sind sie wohl darauf gekommen?“, als du dir ein Teil an einer KTM genauer angesehen hast? Bei der Entwicklung eines neuen Motorrads oder der Verbesserung eines aktuellen Modells schwirren viele Ideen im Raum herum. Um herauszufinden, welche Teile es im Zuge dieses kreativen Prozesses in das fertige Bike schaffen (und welche nicht), haben wir einen Blick in die F&E-Abteilung der Mattighofener geworfen …

Dabei lief uns Gerald Matschl über den Weg. Der Bereichsleiter R&D Street und Drahtzieher des Booms an Straßenmotorrädern im KTM-Aufgebot zeigt sich verblüfft. Kurz zuvor haben wir ihm eröffnet, dass wir eine tolles Konzept für ein neues Bike im Kopf haben, und ihn gefragt, was wir tun müssen, um es im Werk bis zur Serienproduktion zu bringen.

Matschls täglicher Job ist es, die Ideen, Konzepte, Ansichten und Überzeugungen seines Technik-Teams zu analysieren, zu bewerten, abzulehnen oder weiterzuentwickeln … wir bezweifeln aber, dass er den ganzen Prozess jemals jemandem erklären musste, der kein orangefarbenes T-Shirt trug.

Gerald Matschl (AUT) 2016

Als Erstes sieht er sich gezwungen, uns die Struktur der F&E-Abteilung zu erklären und zu erläutern, wie die Abteilung in einem Zeitraum von fünfundzwanzig Jahren von anfänglich dreißig Mitarbeitern auf über fünfhundert angewachsen ist. Dieser Anstieg machte eine Neuorganisation und neue Abläufe nötig. „Wir mussten uns neu überlegen, wie wir unsere F&E-Abteilung organisieren und aufstellen“, sagt Matschl, der sozusagen dafür verantwortlich ist, das Gerüst aufzustellen. „[Vorher] hatten wir Projektleiter, denen die Konstrukteure und Ingenieure unterstellt waren. Die Projektleiter waren sowohl für das Technische als auch die Führung des Personals und der Teams verantwortlich. KTM war aber bereits auf dem Weg, zu groß zu werden. Also mussten wir uns ein neues Entwicklungssystem überlegen und das war meine Aufgabe. Ich musste Spezialisten für Verkleidungsteile, Schweißbaugruppen, Gussteile und alles Mögliche finden. Das bedeutete eine Vielzahl an Expertenteams und ein stärkerer Fokus auf eine Matrixorganisation. Heute sind wir noch immer so organisiert und ich habe daran bis letzten August gearbeitet, bevor ich im September wieder auf die Projektseite gewechselt bin.”

Wenn ich also meine Tastatur gegen einen Bleistift oder ein CAD-Programm tauschen würde, wie könnte ich es bewerkstelligen, dass sich Leute in der F&E-Abteilung für meinen „Motorrad-Geistesblitz“ interessieren, und wie könnte ich es schaffen, dass mein Bike irgendwann auf den Montagelinien unter uns gefertigt wird?

„Nun gut. Zuerst müssten wir einige Spezialisten für Schweißbaugruppen und Steifigkeitsberechnung hinzuziehen und euer Konzept durchleuchten lassen”, erklärt uns Matschl. „Der Projektleiter müsste dann alle Aspekte analysieren. Oft haben wir es mit Ideen zu tun, die auf den ersten Blick fantastisch aussehen. Bei näherer Betrachtung stellt sich dann aber oft heraus, dass die Idee in neun Punkten besser ist als das, was wir am aktuellen Bike haben, aber in einem Punkt schlechter, und dass dieses eine Problem einfach nicht gelöst werden kann. In so einem Fall landet die Idee im Mülleimer.“ Verdammt. „Sollte die Idee tatsächlich gut sein, entwickeln die Spezialisten sie weiter, bis wir herausgefunden haben, ob sie technisch umsetzbar ist. Dann zeigen wir sie Kiska und beginnen mit der Konstruktion eines Prototypen, den wir testen können.“

Glück gehabt. Unsere Idee zur Fahrwerks-Modifikation, unser neues Bodywork-Design oder Motorteil hat die erste Hürde überwunden und wurde sogar von den Designern von Kiska abgesegnet. Heißt das, dass wir am Ziel sind?! Noch nicht ganz.

„Oft besteht ein großer Unterschied zwischen Theorie und Praxis!“, betont Matschl. „Eine der Stärken von KTM ist, dass wir Prototypen schnell bauen können. Wir können sie auf der Rennstrecke oder der Straße testen, und uns ansehen, wie sie abschneiden. Wenn alles OK ist und wir zufrieden sind, können wir weitere Schritte unternehmen … und das kann unterschiedlich lange dauern.“

Es scheint also so, als ob das Wort „Geduld“ in der Entwicklung eine Schlüsselrolle einnimmt (wahrscheinlich ist Geduld noch wichtiger als Hoffnung) und dass der Prozess stetig aufregender wird, wenn ein Motorrad die verschiedenen Prototypen-Phasen durchläuft. Matschl dazu: „Am Ende der Entwicklungsphase steht eine Machbarkeitsstudie und je nach Projekt bauen wir dann typischerweise so viele P0-Prototypen, wie wir wollen. Die Phase, in der die Machbarkeit überprüft wird, kann bis zu einem halben Jahr dauern. Im Falle eines neuen Projekts sogar bis zu zwei Jahre. Es gibt keine allgemeinen Regeln dafür, wie viele P0s wir bauen. Am Ende der Phase, in der die Machbarkeit geprüft wird, wissen wir in etwa, wie das Bike aussehen wird. In dieser Phase werden all die coolen Entwürfe gezeichnet, die man immer im Vorfeld sieht.“

„Dieser Abschnitt ist sicher einer der aufregendsten, da du während der letzten Phasen noch relativ viel an den Eigenschaften des Motorrads ändern kannst“, fügt er hinzu. „Wenn das einmal abgeschlossen ist, beginnt der Entwicklungsprozess bis zur Serienreife, der bei einem neuen Motorrad bis zu drei Jahre dauern kann, mit einem Claymodell beginnt und mit einem Serienmotorrad endet. Wir durchlaufen drei Prototypen-Phasen. P0 und P1 bilden die erste Phase, basierend auf den ersten Claymodellen; hier werden Ergonomie, Wärmeableitung und Fahrdynamik getestet. Die Ergebnisse und Informationen dieser Prototypen fließen dann wiederum in neu überarbeitete Claymodelle ein, auf deren Basis dann das P2-Bike gebaut wird. Hier finden die meisten Tests statt und es wird das Setup des Bikes erprobt.”

Der P3 wird bereits aus werkzeugfallenden Teilen gefertigt. Dieser wird für die finalen Fahrzeugtests und für die Feinabstimmung verwendet. Die Konstruktion eines P3 wäre schließlich die Krönung und Bestätigung unseres großen Plans, KTM dabei zu helfen, ein besseres Motorrad zu bauen. Dann muss nur noch die Maschine entwickelt werden, die unser Meisterwerk formt. „Wenn das alles abgeschlossen ist, geben wir die Werkzeuge frei und die Bikes können produziert werden“, so Matschl abschließend. „Aus dieser Baugruppe fertigen wir einen P3, der dem Serienmodell bereits sehr ähnlich ist. Natürlich müssen immer Anpassungen vorgenommen, umfangreiche Tests durchgeführt und Teile feinabgestimmt werden. Dann folgt eine Musterfertigung und Vorserie und wir haben’s geschafft.“

Inspiration und Forschung, gefolgt von Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen, scheinen also grundlegende Eigenschaften eines Teams zu sein, das Motorräder bauen will. Hoffentlich steht danach eine Probefahrt auf einem fertigen Bike auf der Tagesordnung, bevor der Ingenieur seine Erfahrung bei einem Kaffee in Ruhe Revue passieren lassen und anschließend weitere Analysen und Überlegungen dazu vornehmen kann, wie sich die nächste Version noch weiter verbessern lässt.

Fotos: KTM