„In meiner Küche finden sich viele Süßigkeiten … die sind aber hauptsächlich für Freunde!“ Von der Hingabe eines Jeffrey Herlings

Einer der stärksten und schnellsten Motocross-Profis der Welt verrät uns, woher er seine unbändige Kraft auf der Strecke bezieht.

Jeffrey Herlings (NED) KTM 450 SX-F Red Sand (ESP) 2018 © Ray Archer

Letztes Jahr sprach der KTM BLOG mit MXGP-Weltmeister Tony Cairoli über seine Ernährungsweise und über die offensichtliche Fähigkeit des damals 31-Jährigen, die Zeit anzuhalten und diesen körperlich extrem anspruchsvollen Motorsport zu dominieren. Der Italiener (der Spaghetti Carbonara liebt) ist bekannt dafür, die mediterrane/italienische Küche zu schätzen, und trug in den letzten paar Grand Prix-Saisons die Aufschrift #gofastaeatpasta auf seiner Racegear.

Motocross-Fahrer verbrennen sowohl beim kontinuierlichen Training als auch an einem Grand Prix-Wochenende, an dem sie während zweier 35-minütiger Rennen Vollgas geben müssen, unglaublich viele Kalorien. In den letzten beiden Jahrzehnten wurde die richtige Ernährung immer wichtiger und ist heute essentiell, um optimale körperliche Leistung zu bringen. Während Cairoli recht offen über seine Ernährungsweise spricht, macht sein Hauptrivale um den Titel in der Saison 2018 und Red Bull KTM-Teamkollege Jeffrey Herlings (die beiden halten nach drei Läufen bei der gleichen Anzahl an Grand Prix-Siegen, zweiten Plätzen und Punkten) ein größeres Geheimnis daraus.

Tony Cairoli (ITA) Neuquen (ARG) 2017 © Ray Archer

Der 23-jährige Niederländer hat 69 GP-Siege und 3 Weltmeistertitel in der Tasche und ist eines der überzeugendsten Kraftpakete im Motocross-Sport des 21. Jahrhunderts. Er schickt sich an, Cairoli vom Thron zu stoßen und zu garantieren, dass der Sport fest in österreichischen Händen bleibt. In der aktuellen Saison machte Herlings mit einigen Comebacks von sich reden, bei denen er Cairoli überholte und hinter sich lassen konnte. Seine grandiosen Siege in Argentinien und den Niederlanden waren dabei besonders unterhaltsam. Seit er im Jahr 2010 – im Alter von fünfzehn Jahren – seinen ersten GP fuhr, erarbeitete sich der Fahrer mit der #84 den Ruf, körperlich besonders stark und ausdauernd zu sein. Im Interesse der Aufklärung haben wir den Geheimniskrämer unter den Werksfahrern deshalb um einige Details gebeten.

Zu unserem Glück (und vielleicht zu Jeffreys Pech) kommen wir in der Red Bull Hospitality beim Grand Prix des Comunitat Valenciana auf dieses Thema zu sprechen, als er gerade einen Teller mit Reis und gebratener Hühnerbrust serviert bekommt. Unsere Fragen unterbrechen Herlings beim Essen, aber trotzdem gibt er einige Elemente seiner Routine preis.

„Ich würde sagen, dass mein Frühstück von Januar bis September ein ‚Arbeitsfrühstück‘ ist“, sagt er lächelnd. „In der Früh esse ich normalerweise Haferbrei mit Früchten. Im Laufe des Tages habe ich früher drei Mahlzeiten mit ziemlich großen Portionen zu mir genommen. Heute esse ich öfter, aber kleinere Portionen, da ich mich besser fühle, wenn mein Magen nicht so hart arbeiten muss.“

Jeffrey Herlings (NED) KTM 450 SX-F Red Sand (ESP) 2018 © Ray Archer

Als einer der größeren Fahrer in der MXGP weiß Herlings, dass seine schiere Masse ein Nachteil sein kann. Dieser Faktor ‚wog‘ in seiner Zeit in der MX2-Klasse von 2010 bis 2016 noch ‚schwerer‘. Die KTM 450 SX-F und die Strapazen der MXGP erlauben etwas mehr Spielraum, er bleibt aber trotzdem wachsam.

„Ich würde gerne etwas abwechslungsreicher essen, aber wenn ich am Startgatter stehe, weiß ich, dass manche der anderen nur 70 kg wiegen, ich aber viel mehr auf die Waage bringe“, so der Niederländer. „Wenn ich nicht peinlich genau darauf achte, was ich esse, bin ich schnell im Nachteil. Ich weiß, dass ich auf dem besten Bike sitze und, dass ich so leicht wie möglich sein muss, ohne an Kraft zu verlieren. Ich muss immer die richtige Balance finden.“

Herlings‘ Arbeitspensum auf dem Motorrad und abseits des Motorrads (auch unter der Woche sitzt er häufig auf dem Bike) und seine Abneigung mit einem einzigen Coach oder Trainer zu arbeiten, bedeuten, dass er sich Kenntnisse zu vielen Aspekten seines Sport-Trainings und seiner Ernährung selbst aneignen musste. Der ehemalige Weltmeister ist als Athlet eine ‚Elster‘: Er sammelt Informationen und Tipps von anderen zusammen und adaptiert diese für seine eigenen Bedürfnisse. Ein typisches Beispiel dafür ist sein Besuch und kurzes Training mit dem berühmten Spezialisten Aldon Baker während eines Aufenthalts in den USA im letzten Sommer.

„Ich gehe wissenschaftlich an die Sache heran … aber vielleicht nicht so wissenschaftlich, wie es manche Trainer machen würden“, so Herlings. „Ich sehe mir die Inhaltsstoffe und Bestandteile der Nahrungsmittel an und achte auf den Zucker- und Kaloriengehalt. Ich esse, so viel ich kann – und ich habe immer Hunger – aber so gesund wie möglich, damit ich mir keine Sorgen um die Auswirkungen machen muss. Google war mir dabei eine große Hilfe! Noch vor zwei Jahren beschäftigte ich mich fast gar nicht mit meiner Ernährung. Ich aß mit Bedacht, aber immer was ich wollte. Heute, und nach meinem Besuch bei Aldon im letzten Jahr, bin ich dieser Beziehung viel aufmerksamer und habe einige Bücher darüber gelesen. Ich sehe mir an, was die verschiedenen Nahrungsmittel beinhalten und was ich aus ihnen für mich herausholen kann. Mittlerweile kenne ich mich bei diesem Thema ziemlich gut aus.“

Jeffrey Herlings (NED) KTM 450 SX-F Crawfordsville (USA) 2017 © Simon Cudby

Als wir ihn danach fragen, welche ‚unerlaubten‘ Gaumenfreuden ihn nachts zum Kühlschrank locken, lacht er. „In meiner Küche finden sich viele Süßigkeiten … die sind aber hauptsächlich für Freunde! Manchmal ist es hart. Ich sehe, wie sie auf meiner Couch sitzen, Cola trinken und Chips in sich hineinstopfen oder eine Pizza bestellen. Ich sehe ihnen einfach zu oder trinke einen fettfreien, zuckerfreien Milchshake, nur um danach immer noch Hunger zu haben! Dann denke ich ‚sei‘s drum … ich tue das alles, um am Sonntag zu gewinnen‘.“

Kochen kann eine zeitintensive Angelegenheit sein. Jeffrey hat das Glück, ab und zu auf die Unterstützung seiner Mutter zurückgreifen zu können. „Ich kann kochen … und die einfachen Sachen mache ich meist selbst … aber manchmal kocht auch meine Mutter für mich! Besonders, wenn ich nach einem langen Trainingstag geschafft nach Hause kommen. Sie wohnt nur fünf Minuten von mir entfernt. Ich kann sie einfach anrufen und fragen, ob sie etwas für mich kochen kann, und fahre einfach zu ihr rüber.“

Wir erinnern ihn an seine ersten Jahre im Grand Prix-Sport, an die Tatsache, dass er als ‚wilder Junge‘ galt, und daran, wie er im Rampenlicht und unter dem damit verbundenen Druck aufwuchs und sich nicht immer an die Regeln des Sports hielt, was einige merkwürdige Verhaltensweisen hervorbrachte. Er zuckt beinahe zusammen, als wir ihn auf Ex-Teamkollegen Jeremy Van Horebeek ansprechen, der einmal erzählte, wie er Herlings dabei beobachtete, wie dieser Pommes Frites essend durch das Fahrerlager spazierte (und auf der Strecke trotzdem Spitzenleistungen ablieferte). „Ja, das war ich!“ lacht er. „Und mit sechzehn oder siebzehn war ich genauso groß und genauso schwer wie heute, obwohl ich all diesen Müll aß! [Die ganzen Anstrengungen heute] das muss etwas mit dem Alter zu tun haben und damit, Fett zu vermeiden.“

Jeffrey Herlings (NED) KTM 450 SX-F Red Sand (ESP) 2018 © Ray Archer

Langsam verschwinden Hühnchen und Reis in Jeffreys Mund. Das Essen sieht gut aus und wird – wie immer in der Red Bull Hospitality – ganz nach den Wünschen der MXGP-Athleten zubereitet. Wir aber fragen uns, ob JH seinen Diätplan im Falle eines Meisterschaftssieges über Bord werfen würde. „Ich würde sofort zu einer Frituur marschieren!“ sagt er, ohne zu zögern. „Ich würde eine Riesen-Portion Pommes mit Ketchup, Zwiebeln und allem Drum und Dran bestellen.“

Wenn man sich ansieht, wie Herlings die Saison 2018 bisher angeht, sollten sich die Imbissbuden in den Niederlanden schon mal gut vorbereiten.

Jeffrey Herlings (NED) Red Sand (ESP) 2018 © Ray Archer

Fotos: Ray Archer | Simon Cudby