Interview des Monats #2: Mike Leitner – Leitspeed

Vom 125ccm-Grand-Prix-Pilot zum Crew Chief der Weltmeister, Mike Leitner blickt auf eine mehr als 4 Jahrzehnte dauernde Karriere im MotoGP-Fahrerlager zurück. Nach seinem Rücktritt Ende 2014, war das ambitionierte KTM RC16-Projekt Grund genug als Vice President Onroad des KTM-Motorsports in die Königsklasse zurückzukehren.

Wir treffen Mike Leitner in einem der Meetingräume des neuen, Raumschiff-ähnlichen KTM-Motorsport-Gebäudes. Seinem stetigen Lächeln, dem jovialen Auftreten und unermüdlichen Enthusiasmus für das Projekt, das zweifellos seine bisher größte berufliche Herausforderung ist, nach zu schließen, waren sechs Monate Ruhestand nach fast 30 Jahren im MotoGP-Fahrerlager anscheinend genug, um die Batterien des 53-Jährigen wieder aufzuladen.

Mike Leitner (AUT) 2015

Mike Leitner (AUT) 2015

Leitner begann seine MotoGP-Karriere als Fahrer. Drei Jahre lang startete er in der 125ccm-Weltmeisterschaft (Highlight war der zehnte Gesamtrang 1987) bevor er 1992 in die Box wechselte und eine Karriere als Chefmechaniker und Fahrwerkstechniker für Fahrer wie Ralf Waldmann, Fonsi Nieto, Toni Elias, Garry McCoy und John Hopkins begann. Als er das Repsol Honda Team zum Saisonende 2014 verließ, hatte Mike 11 Jahre lang als Chefmechaniker für Dani Pedrosa gearbeitet und ihm zu zwei 250ccm-Weltmeisterschaften und drei Vizeweltmeisterschaften in der MotoGP verholfen.

Das Arbeiten im Garten war offensichtlich nicht Herausforderung genug und Mike ließ sich von KTM-Motorsportdirektor Pit Beirer überreden, für das aufregende KTM RC16-Projekt zurückzukehren, das praktisch vor seiner Haustür entstand. Seitdem kümmert er sich um den Auf- und Ausbau sowie Koordination des Teams und trägt mit seinem reichen Erfahrungsschatz auch zur Weiterentwicklung technischer Aspekte bei.

Was bedeutet deine Jobbezeichnung?
„Da fragst du am besten Pit Beirer, was dieser Titel bedeutet! Nein, nur ein Spaß. Es ist eine gute Frage, denn in einer anderen Firma, könnte es etwas ganz anderes bedeuten. Pit brauchte jemanden, der die Verantwortung für alle KTM-Road-Racing-Aktivitäten im GP-Paddock übernimmt, insbesondere MotoGP und Moto3. Da ich viel Erfahrung mitbringe und viele Kontakte habe, hatte er das Gefühl, ich wäre die richtige Person für diese Aufgabe. Ich koordiniere verschiedene Dinge, die Mitarbeiter und suche neue Mitglieder für unser Team. Dort, wo ich gebraucht werde, versuche ich KTM zu helfen, bei jedem Aspekt dieses Projekts – natürlich auch bei technischen Angelegenheiten, denn in diesem Bereich war ich lange zu Hause. Sebastian Risse ist der technische Leiter, aber jetzt gibt es noch jemanden, der Erfahrung beisteuern kann. Es geht darum, das beste aus der geteilten Erfahrung und dem gemeinsamen Wissen herauszuholen.“

Mike Leitner (AUT) Aragón (ESP) 2016

Mike Leitner (AUT) Aragón (ESP) 2016

Was hat dich dazu bewogen, für dieses Projekt zurückzukehren?
„Ich bin jetzt über 50 Jahre alt und nach vielen Jahren mit mehr als 200 Reisetagen pro Jahr, wird man ein bisschen müde. Nach 25 Jahren im MotoGP-Fahrerlager war ich auf einmal nicht mehr Teil dieser Welt und hatte eigentlich nicht vor, mich gleich ins nächste Abenteuer zu stürzen. Nach einigen Monaten zu Hause, telefonierte ich immer mal wieder mit Pit, der mich über die Projektfortschritte informierte und mehr als einmal betonte, dass die RC16 im Prinzip direkt vor meiner Haustür entstand. Bis dato hatte ich hauptsächlich mit japanischen Herstellern gearbeitet und mich an ihre Sichtweise auf den Rennsport gewöhnt. Wenn man sich dann genauer anschaut, auf welche Art und Weise und mit welcher Einstellung KTM an solche Projekte herangeht, dann war es komplett anders. In manchen Momenten denkt man ‘wow’, das ist vielleicht nicht der richtige Weg, aber bei vielen anderen Dingen dachte ich wiederum, die Idee ist gar nicht so dumm. Komplett anders, als was ich bisher kannte, aber diese Arbeits- und Herangehensweise zu erleben, hat mich aufgeweckt. Mein Interesse war geweckt und dann dauerte es nicht mehr lang und ich steckte wieder mittendrin; am Samstag Emails bearbeiten und darüber nachdenken, wie wir verschiedene Herausforderungen meistern können. Viel mehr hat es für mich eigentlich nicht gebraucht, um zurückzukommen; es war einfach eine neue Motivation. Ich begann als Berater kurz nach dem Start des Projekts und nach nur sechs Monaten hatte sich meine Position innerhalb des Teams weiterentwickelt.“

Was macht bei KTM also den Unterschied?
„Um ehrlich zu sein, bei KTM Factory Racing gibt es viele sehr enthusiastische Menschen. Das ist ein gutes und irgendwie süchtig machendes Gefühl. Ich mag die Atmosphäre im KTM-Motorsport, wo du mit deiner Tasse Kaffee einfach in die Rally-Abteilung gehen kannst, um dich auszutauschen und auf dem Rückweg triffst du die Jungs, die gerade an Jeffrey Herlings´ MX2-Bike arbeiten. Es ist gut, dass der Motorsport so tief in der Firma verwurzelt ist. Eben immer READY TO RACE. Als ich mich Ende 2014 zurückzog, hatte ich elf Jahre als Chefmechaniker bei Honda für Dani Pedrosa gearbeitet. Zweimal gewannen wir die 250ccm-Weltmeisterschaft und erreichten viele MotoGP-Siege. Die Japaner arbeiten im Rennsport sehr professionell und ich habe in der Zeit mit ihnen viele wertvolle Dinge gelernt. Ich lebte in dieser Welt mit den besten Fahrern und den besten technischen Voraussetzungen. Auch wenn es bei KTM oftmals komplett anders abläuft, ist es schön und eine neue Motivation bei einem Projekt von Null zu beginnen. Man kann viel mehr Einfluss auf die Entwicklung nehmen, aber natürlich ist es keine One-Man-Show; es braucht eine Vielzahl motivierter Mitarbeiter und genau diese Begeisterung spüre ich bei KTM. Sie wollen das unbedingt. Natürlich wird auf unserem Weg nicht immer alles glatt laufen – das steht zu 100% fest – aber das ist auf diesem Niveau ganz normal. Wir werden nicht in die MotoGP einsteigen und unsere Gegner in Grund und Boden fahren. Man braucht Geduld, muss ruhig bleiben und einfach seinen Weg gehen. Ich mag die Denkweise bei KTM. Wenn man mit den Verantwortlichen, wie zum Beispiel dem Vorstand, spricht, dann merkt man, dass sie die Aufgabe und die Herausforderungen sehr gut verstehen, aber deswegen nicht weniger motiviert sind.“

Mike Leitner (AUT), Heinz Kinigadner (AUT), Pit Beirer (GER), Mika Kallio (FIN) & Stefan Pierer (AUT) Spielberg (AUT) 2016

Mike Leitner (AUT), Heinz Kinigadner (AUT), Pit Beirer (GER), Mika Kallio (FIN) & Stefan Pierer (AUT) Spielberg (AUT) 2016

Was sind die größten Probleme, wenn man mit einem Projekt von Null beginnt?
„Die größte Schwierigkeit ist es, ein Bike als Gruppe zu entwickeln. Mindestens genauso kompliziert ist es aber auch, aus dem Nichts ein komplettes MotoGP-Team mit der ganzen Infrastruktur – Trucks, Boxengassenausstattung, Fahrzeugen, Büros und Transportmaterial für die Überseerennen – aufzubauen. Zur gleichen Zeit führst du hunderte von Vorstellungsgesprächen, um die richtigen Personen ins Team zu holen, versuchst, ihnen unsere Arbeitsweise zu vermitteln, so dass sie ihren Job bestmöglich machen können. Dieser Prozess dauert immer noch an und braucht viel Zeit. Am Ende des Tages wird man uns nur nach der Leistung des Bikes und den Ergebnissen beurteilen. Niemand wird fragen, ob im Hintergrund ein zuverlässiges Team arbeitet. Denn nur was die anderen sehen, zählt; dabei wird leider oft vergessen, dass erst durch die richtigen Leute die Erfolge möglich werden.“

Bisher haben fünf verschiedene Testfahrer die KTM CR16 pilotiert; warum so viele?
„Ja, wir arbeiten mit vielen Testfahrern. Wenn wir ein Bike hätten, dass bereits ein paar Jahre im Renneinsatz wäre, dann wäre es sinnvoller, mit nur einem oder mit zwei Testfahrern zu arbeiten. In diesem Fall erzählen dir die Einsatzfahrer, in welche Richtung sich das Bike entwickeln muss und die Testfahrer versuchen, die Vorgaben umzusetzen. Aber für eine lange Zeit hatten wir nichts; kein Bike und keinen Input eines MotoGP-Fahrers. Einen MotoGP-Testfahrer zu finden, der einen annährend gleichen Speed hat wie die aktuellen MotoGP-Fahrer, ist nicht so einfach. Besonders für einen, der in einer so frühen Phase in das Projekt einsteigt. Ein wichtiger, für uns entscheidender Aspekt war der Wechsel von Bridgestone- auf Michelin-Reifen, was das Gefühl mit einem MotoGP-Bike verändert hat. Uns war ziemlich schnell klar, dass wir das Feedback vieler verschiedener Testfahrer mit unterschiedlichen Erfahrungen einholen sollten; das war der richtige Weg. Nächstes Jahr haben wir mit Bradley Smith und Pol Espargaró zwei Einsatzfahrer und mit Mika Kallio einen großartigen Testfahrer.“

 Sebastian Risse (GER), Mika Kallio (FIN) & Mike Leitner (AUT) Valencia (ESP) 2015

Sebastian Risse (GER), Mika Kallio (FIN) & Mike Leitner (AUT) Valencia (ESP) 2015

Wie stark hat sich die RC16 seit dem ersten Rollout im November 2015 verändert?
„Natürlich hat sie sich verändert, aber bei den Demonstrationsrunden beim Österreich-GP war es kein komplett anderes Bike als das, mit dem wir angefangen haben. Das ursprüngliche Rahmen- und Motorkonzept war nicht schlecht. Beim Test am Red Bull Ring im Juli lagen wir etwa zwei Sekunden hinter den besten Bikes, in denen aber viel mehr Erfahrung steckt. Die RC16 ist ein Entwicklungsbike, ein echter Prototyp. Mit der Basis des Bikes vom Red Bull Ring haben wir weitergearbeitet, viele Dinge ausprobiert und getestet. Alles, was wir mit und von diesem Bike gelernt haben, ist in das neue Bike, das wir erstmals in Misano getestet haben, eingeflossen. Dort war alles neu, angefangen beim Rahmen und der gesamten Verkleidung, bis hin zu Aerodynamik, Ergonomie und Design. Dieses ‘neue’ Bike wird das sein, das 2016 beim letzten Saisonrennen in Valencia startet. Danach können wir hoffentlich einen weiteren Fortschritt in Sachen Leistung machen, um dann 2017 in Katar, beim ersten Rennen des KTM-MotoGP-Bikes, perfekt vorbereitet, in der Startaufstellung zu stehen.“

Welche Erwartungen hast du an die erste volle Rennsaison mit der RC16?
„Das ist schwer zu sagen. Wenn du mir die gleiche Frage vor einem Jahr gestellt hättest, als das Bike nur auf dem Papier existierte, wäre ich nicht in der Lage gewesen, dir zu sagen, dass wir in einem Jahr ein Motorrad und einen Motor haben würden, der mehr als vier Runden fahren könnte! Aus diesem Blatt Papier ist nun etwas entstanden, das mehrmals auf der Strecke war, bestimmte Rundenzeiten erreichen kann und für verschiedene Piloten fahrbar ist; wir haben also etwas erreicht. Aber es ist ein weiterer gewaltiger Schritt, ein annährend gleiches Niveau wie die besten MotoGP-Bikes und Fahrer zu erreichen. Dieser Schritt ist mindestens genauso groß, wie der von einem Entwurf auf einem Blatt Papier bis zu einem fahrenden Motorrad. Das muss uns klar sein, aber ich glaube an dieses Projekt. Ich kann nicht sagen, ob es in ein, zwei oder drei Jahren so weit sein wird, aber ich weiß, dass wir die richtigen Leute an Bord haben, um erfolgreich zu sein.“

Mika Kallio (FIN) KTM RC16 Aragón (ESP) 2016

Mika Kallio (FIN) KTM RC16 Aragón (ESP) 2016

Inwieweit kann der MotoGP-Auftritt KTM helfen?
„Der Rennsport ist die DNS dieser Firma. Ich bin froh, wenn wir in anderen Disziplinen wie im Supercross oder bei der Dakar gewinnen. Das ist gut für die Familie – das Unternehmen – diese Sichtweise hilft und motiviert jeden. Für eine Firma wie KTM – einen der großen Motorradhersteller – war es so etwas wie ein fehlendes Puzzlestück, nicht in der MotoGP vertreten zu sein. Jetzt sind wir beinahe dort und wir werden sehen, wie erfolgreich wir sein können.“

Fotos: KTM