Interview des Monats: Aldon Baker – Der Ringmaster

Als KTM sich die Dienste des bekanntesten Supercross- und Motocross-Trainers der Welt sicherte, war KTM Motorsport Director Pit Beirer begeistert: „Jetzt ist unser Paket vollständig.“ Der Name Aldon Baker ruft in der AMA-Rennserie Gefühle der Furcht, des Verlangens, des Vertrauens und des Respekts hervor. Wir fragten ihn nach seinem Bund mit der Farbe Orange, seiner Arbeit und der Zukunft des Motocross-Trainings …

Aldon Baker (RSA) 2017 © Ray Archer

Das Hauptquartier von KTM Nordamerika liegt in einem ruhigen und exklusiven Vorort von Murrieta in Kalifornien. Fast 3000 Meilen weiter östlich, in den Tiefen Floridas, wird etwas brutalere Arbeit verrichtet, die für die Red Bull Racing-Abteilung dieser Niederlassung essentiell ist. Aldon Bakers ‚Bakers Factory‘-Komplex dient seit mehr als einem Jahr ausschließlich den Athleten der KTM AG. Der Südafrikaner, der dem Sport über seine Zusammenarbeit mit Ricky Carmichael, James Stewart, Ryan Villopoto, Ken Roczen und Ryan Dungey (sowie mit Rennfahrern wie dem ehemaligen, im letzten Jahr verstorbenen MotoGPTM-Weltmeister Nicky Hayden) indirekt seinen Stempel aufgedrückt hat, macht nun Fahrern wie Marvin Musquin, Broc Tickle, Jason Anderson und Zach Osborne Beine. Seit 2010 wurde jede 450 SX-Meisterschaft von einem ‚Baker-Schützling‘ gewonnen.

„Wir haben seit 2010 hart gearbeitet, eine neue Werkstatt gebaut, Roger [De Coster] an Bord geholt, ein völlig neues Bike gebaut und bessere Fahrer verpflichtet“, berichtet KTM Motorsport Director Pit Beirer davon, wie Baker orange wurde. „Uns fehlte nur mehr der Trainer … und wenn uns eine Meisterschaft durch die Lappen ging, dann deshalb, weil Aldon mit jemand anderem zusammenarbeitete! Wir haben aber auch mit ihm an Bord Meisterschaften gewonnen.“

„Als wir dieses Ziel zum ersten Mal anvisierten, schien es unerreichbar. Am Anfang dieses Jahres aber schickten wir mehr und mehr Fahrer zu ihm und schließlich konnten wir im Januar mit ihm vereinbaren, dass nur mehr KTM- und Husqvarna Motorcycles-Fahrer in seinem Camp trainieren würden”, fügt er hinzu. „Wir könnten unseren Fahrern keine bessere Basis bieten. Wenn ein Fahrer zu uns kommt, bekommt er ein gutes Bike, ein tolles Team und den besten Trainer. Wir können damit ein großartiges Paket bieten. Es kostete mich sieben Jahre, all diese Leute zusammenzubringen und die Operation aufzubauen, die wir jetzt haben. Ich glaube, dass uns das in Zukunft zum Vorteil gereichen wird.“

Aldon Baker (RSA) 2017 © Ray Archer

Bakers Wissen und Arbeitsmoral und die darauf basierenden Erfolge seiner Athleten sorgten dafür, dass er heute der gefragteste Spezialist ohne Werkzeugkasten ist. Osborne sprach bereits öffentlich die ‚Assoziationskraft‘ der Zusammenarbeit mit Aldon an, die sich sowohl in der Form eines mentalen Impulses für den Fahrer als auch in einem Gefühl der Vorahnung bei den Rivalen auf der Rennstrecke manifestiert. Für das Baker-Programm braucht man aber dennoch eine unerschütterliche Einsatzbereitschaft.

„Natürlich hatte ich Angst!“ sagt Musquin nur halb im Scherz. „Ich wusste nicht, was mich erwarten würde. Am Anfang war es die Idee von Roger De Coster. Er sagte: ‚Ich möchte, dass du Aldon kennenlernst und darüber nachdenkst, mit ihm zu arbeiten, um dich mental und körperlich zu verbessern‘. Um ehrlich zu sein, war ich neugierig und wusste natürlich, dass ich nach Florida ziehen müsste. Ich wusste, dass es eine große Veränderung bedeutete. Heute bereue ich nichts. Bereits im ersten Jahr zeigten sich die Fortschritte. Ich hatte mehr Selbstvertrauen und gewann gleich eine Supercross-Meisterschaft. Außerdem machte es Spaß, in einen neuen Bundesstaat zu ziehen, neue Dinge und Strecken kennenzulernen und mit anderen Fahrern zu trainieren: Das gemeinsame Training erwies sich als großer Vorteil.“

Marvin Musquin (FRA) & Aldon Baker (RSA) 2017 © Ray Archer

Ursprünglich machte sich Baker durch die Prägung und Tapferkeit seiner ‚Kunden‘ einen Namen, seit kurzem aber auch durch die Politik der ‚Factory‘, Top-Athleten dazu anzuhalten, zusammen mit ihren Rivalen zu trainieren. „Es ist, wie wenn man auf der Trainingsstrecke Rennen fahren würde“, so Musquin, „und genau das tun wir zusammen mit Anderson, Osborne und Tickle jetzt auch … das bietet eine gute Struktur.“

„Der ganze Sport hat sich weiterentwickelt. Als ich zu fahren begann, hatten wir keine Trainer und ich versuchte selbst, herauszufinden, was für mich funktioniert,“ erinnert sich Baker und trinkt einen Schluck Wasser, um sich in der Hitze des Fahrerlagers beim Monster Energy Cup 2017 zu erfrischen. „Früher hätte ich niemals zwei gute Fahrer zusammen trainieren lassen. Das entsprach einfach nicht der Mentalität. Ich glaube, dass sich Fahrer dadurch stark hätten verbessern können, aber wer wäre damals schon dazu bereit gewesen? Es war eine Herausforderung und heute ist gemeinsames Trainieren die Norm.“

„Dieses Niveau zu schaffen, war sicher gut für den Sport. Die Bikes und die Technik wurden so stark verbessert, dass wir jetzt gefordert sind, die Athleten dementsprechend stärker zu machen, und das ist ein Weg, das zu erreichen.“

Marvin Musquin (FRA) KTM 450 SX-F Anaheim (USA) 2018 © Simon Cudby

Die Factory in Sumter County stellt Bakers bisher größten Schritt hin zu einem Plan dar, mit anderen Trainern sowie den Fahrern selbst zu arbeiten. „Mein Ziel ist es, die ‚One-Man-Show‘ zu beenden und ein Geschäft aufzubauen. Als Teil dessen möchte ich den Kreis schließen und neue Jungs aufnehmen und diese aufbauen. Ein Team schafft Beständigkeit“, so Baker. Dem Komplex den KTM AG-Schriftzug zu verpassen, war ein weiterer Schritt in diesem Prozess. „Das war wahrscheinlich der größte Wendepunkt in meiner Karriere in dieser Branche“, ist er überzeugt. „Der Deal kam während der Entwicklung der Einrichtung hier zustande. Es war ein gewaltiges Unterfangen und es ist großartig, dass KTM ein Teil davon sein möchte und uns unterstützt.“

„Ich erinnere mich daran, dass ich gedacht habe: ‚Ich brauche nur eine Supercross-Strecke und eine Outdoor-Strecke …‘. Und jetzt haben wir drei Supercross-Strecken und eine Outdoor-Strecke! Es kommt darauf an, wie groß das Grundstück ist. Momentan sind wir an den Grenzen meiner Vision angekommen. In Kalifornien wäre das aufgrund der Kosten und Verfügbarkeit von Grundstücken unmöglich. Außerdem finden die meisten Rennen an der Ostküste statt, weshalb es Sinn macht, hier in Florida zu sein. Wir haben die Werkstätten und Strecken, aber irgendwann hätte ich gerne eine Maschinen- und Federungswerkstatt und das volle Programm. Wenn unser Verhältnis wächst, wird KTM sehen, wie wichtig es ist, die Fahrer aufzubauen … Ich glaube, KTM ist ein Unternehmen, das ‚alles gibt‘, wenn es um diese Seite des Sports geht.“

Aldon ist gesprächig. Er hat seine Meinung zu Ryan Dungey („Ich finde, er hätte noch Jahre weiterfahren können. Ich weiß aber auch, dass es unvorteilhaft ist, wenn ein Athlet anfängt, Dinge in Frage zu stellen. Wenn er nicht so erfolgreich gewesen wäre, hätte er nicht aufgehört. Außerdem wünschte sich Ryan eine Familie und das wäre in seiner Situation nicht gegangen. Ich denke, alles in allem hat er die richtige Entscheidung getroffen.“) und zu Jeffrey Herlings, den er traf, bevor der Niederländer den letzten Lauf zur AMA Pro National-Meisterschaft 2017 und den GP der Vereinigten Staaten in Florida gewann („Er ist wahnsinnig entschlossen und arbeitet härter als alle anderen. Er hat die richtige Einstellung und die hat sich bezahlt gemacht.“). Er erzählt uns, wie er mit mehrfachen Rennsiegern umgeht („Mit der Zeit bekommt man ein Gefühl für das richtige Feedback zur richtigen Zeit und du musst zu allen Athleten direkt und ehrlich sein. Du musst ihnen den gebührenden Respekt entgegenbringen, dann vertrauen sie dir auch. Die Fahrer sorgen sich immer darum, dass ich anderen vielleicht mehr helfe als ihnen, aber die Antwort ist ‚Nein, ich versuche, allen zu helfen, das Beste aus sich herauszuholen‘. Es geht darum, die richtige Balance zu finden, und das ist oft nicht einfach.“) und von seinem zukünftigen Einfluss in Europa („Ich komme jetzt in die Phase, in der ich andere Trainer trainieren, muss und das beinhaltet auch Europa und natürlich sind KTM und Husqvarna Motorcycles offen dafür. Wir arbeiten unter einem großen Schirm. Wir müssen hier und da noch an der Logistik arbeiten, aber ich bin da zuversichtlich für die Zukunft“).

Aldon Baker (RSA) & Ryan Dungey (USA) Las Vegas (USA) 2017 © Simon Cudby

Wir wollen auch noch etwas mehr über seine Expertise in Sachen Training im Fitnesscenter und auf der Strecke erfahren. Gibt es noch Bereiche, in denen er Aufholbedarf hat? „Wenn es denn nur um das Training – die Ausdauer und Übungen – ginge, dann wäre es halb so wild. Ich kenne mich bei der Physiologie des Körpers gut genug aus [um mir keine Sorgen machen zu müssen] … der nächste Schritt beinhaltet die mentale Seite, den Charakter der Athleten und die Weiterentwicklung des Sports“, erläutert er. „Was ich früher mit Ricky gemacht habe, würde heute nicht mehr funktionieren. Ich musste Dinge ändern und dazulernen. Heute habe ich viel mehr Daten zur Hand und lerne, indem ich den Racern beim Fahren zusehe. Vieles spielt sich noch immer auf der Rennstrecke ab: Dort schärfen sie ihre Fähigkeiten, werden schneller und erhöhen ihr Niveau. Das Training ist Teil davon … was zählt, ist aber eine Kombination aus allem, und wenn du nicht die Möglichkeiten – also eine Einrichtung und ein Team, welches die Ausrüstung und technische Unterstützung bietet, um kontinuierlich an die Grenzen zu gehen – hast, diese zu entwickeln, ist das keine einfache Aufgabe.“

Baker ist neuen Technologien und Methoden gegenüber aufgeschlossen, um sein Feedback zu verfeinern und neue Bereiche zu erschließen. Was kommt als Nächstes?

„Meiner Meinung nach die Psyche“, erklärt er vor. „Bereiche wie die Ernährung haben sich gewaltig weiterentwickelt und wir wissen heute viel mehr darüber als früher. Das Coole ist, dass wir heute wesentlich mehr Werkzeuge wie GPS-Systeme für bessere Linien zur Verfügung haben und sehen können, wo wir noch ein paar Zehntelsekunden herausholen können. Früher hattest du nur eine Stoppuhr in der Hand und sahst den Fahrern auf der Strecke zu. Die Technologie hat einen großen Schritt vorwärts gemacht, was besonders augenscheinlich wird, wenn du den Jungs zusiehst. Das ist ungemein hilfreich.“

Nach fast zwei Jahrzehnten im Motocross-Sport hat Baker eine Leidenschaft für seine Arbeit und den Sport selbst entwickelt. Unermüdlich folgt er dem klaren Weg und den Zielen, die er sich bezüglich seines Berufs und seiner Entwicklung gesetzt hat. Was aber treibt einen so erfolgreichen und bekannten Mann an, immer weiterzumachen? „Ich glaube, auf diesem Niveau bringt jeder Talent und Können mit. Mich macht es glücklich, wenn ich den Fahrern helfen kann, ihre Ziele zu erreichen“, so Baker. „Es macht mich ungemein stolz, wenn ein Fahrer aus eigenen Stücken zurücktritt, weil er alles gewonnen hat, was es zu gewinnen gibt, und seine Ziele erreicht hat.“

Aldon Baker (RSA), Mathilde & Marvin Musquin (FRA) & Frank Latham (USA) 2017 © Ray Archer

Fotos: Ray Archer | Simon Cudby