Interview des Monats: Auf dem Weg nach oben – Herlings und der Sprung in die MXGP

Die schnellsten Offroad-Motorradrennfahrer der Welt erwartet in der Saison 2017 eine neue Herausforderung: Der 20-jährige Jeffrey Herlings steigt nach dem Sieg dreier FIM-Weltmeisterschaften in der MX2 in die Königsklasse MXGP auf, um sich mit den „Big Boys“ zu messen. Wir haben den Niederländer und sein Red Bull KTM-Team gefragt, wie sich der Umstieg von der KTM 250 SX-F auf die KTM 450 SX-F gestaltet …

Alles begann so gut. Mit seinem dritten MX2-Titel in der Tasche und vom Sieg des letzten Grand Prix 2016 gestärkt, gewann Jeffrey Herlings bei seinem ersten Antreten auf der Red Bull KTM Factory Racing 450 SX-F sensationell die Klasse MX Open und führte die Niederlande beim Motocross of Nations in Maggiora letzten Oktober beinahe zum Triumph. Ein geschwollenes Handgelenk unterbrach die Tests und das Training während der Winterpause nur kurz; bei einem schweren Sturz beim letzten Lauf zur italienischen Meisterschaft in Ottobiano aber brach sich die Nummer 84 die rechte Hand und musste hart darum kämpfen, für die erste Runde der MXGP in Katar und den Grand Prix von Indonesien eine Woche später in Form zu kommen.

Jeffrey Herling (NED) Losail (QAT) 2017

Die Motocross-Welt wartet noch darauf, die Kombination aus der KTM 450 SX-F und Herlings in voller Fahrt zu sehen, aber das sollte nicht mehr allzu lange dauern. In der MX2 zerstörte Herlings mit seinem Speed und seinen Resultaten förmlich die Konkurrenz. Jetzt aber steht er vor der Herausforderung, gegen ein MXGP-Lineup anzutreten, in dem jeder Fahrer bereits Podiumsluft geschnuppert hat.

Die KTM 450 SX-F und die KTM 250 SX-F sind sich im Charakter und den Abmessungen extrem ähnlich, und selbst beim Gewicht beträgt der Unterschied nur wenige Kilos. Die Physik des Motors erforderte allerdings Änderungen im Fahrstil, an der Einstellung des Fahrers und bei der körperlichen Vorbereitung, um sicherzugehen, dass er alles geben kann. Der Umstieg von einem Bike auf ein anderes ist eine größere Herausforderung, als viele denken. „Der Charakter der 450er mit ihrem starken Motor und den rotierenden Massen lässt sie wie ein schwereres Motorrad wirken“, versichert uns Herlings‘ Rennmechaniker Wayne Banks. „Tatsächlich besteht beim Gewicht kaum ein Unterschied.“

Obwohl Herlings bereits beim Motocross of Nations – vielleicht dem wichtigsten Event des Sports – Größe bewiesen hat, war das nur ein Vorgeschmack auf die vor ihm liegende Arbeit. „Ich habe einfach meinen Fahrstil mit der 250er imitiert und es hat gepasst … das war aber nur ein Rennen“, so Herlings. „Zwanzig Rennen mit dieser Maschine zu bestreiten, ist eine völlig andere Sache.“

Jeffrey Herlings (NED) KTM 450 SX-F Losail (QAT) 2017

Offensichtlich beschäftigt ihn der Gedanke, wie er vom Weltmeister auf einem Bike zu einem Rennsieger auf einem anderen werden kann … Besonders nach seinem schwerwiegenden Fehler in Italien. „Eine 250er hat wesentlich weniger Power, du kannst sie also ganz anders fahren. Als ich das mit der 450er probiert habe, hat das mit einer gebrochenen Hand geendet“, wie er uns erklärt. „Ich würde es nicht empfehlen, eine 450er im Rennen wie eine 250er zu fahren! Das geht natürlich … aber das Risiko, dass du auf dem Boden landest, ist groß.“

„Die 250er musst du immer im oberen Drehzahlbereich halten und sie treten, um schnell zu sein. Bei der 450er bist du immer schnell unterwegs, auch wenn du das Bike gar nicht hören kannst! Beim Drehmoment ist der Unterschied riesig: Die 250er entwickelt ihres im oberen Drehzahlbereich, während die 450er im unteren und mittleren Bereich am stärksten anschiebt. Im Rennen ist das schwierig, wenn du dir denkst ‚gib Vollgas‘, das aber nicht tun kannst.“

„Die Tatsache, dass ich den 250er-Stil nicht mehr fahren kann, bedeutet, dass ich meinen Fahrstil ändern und ein anderes Setup wählen muss. Auf der 250er saß ich immer ganz hinten und gab immer Vollgas. Das ist auf der 450er unmöglich, also musste ich Änderungen vornehmen.“

Das war, wo die Expertise von Banks, Teammanager Dirk Grübel und dem Team ins Spiel kamen. „Es war wichtig, die Federung gut abzustimmen und das Bike für ihn komfortabel zu machen“, so der Australier. „Die 450er erlaubt wesentlich mehr Tuning beim Motor und dem Mapping, während du bei der 250er immer versuchst, die maximale Leistung herauszuholen – schließlich wiegt Jeffrey recht viel. Wir mussten versuchen, die Leistungsabgabe der 450er nutzbar und nicht zu aggressiv zu machen. Bei den Tests haben wir uns darauf sowie auf die Federung konzentriert. Das Basis-Setup aus Lenker, Fußrasten und Reifen konnten wir von der 250er übernehmen. Beim Rest ging es darum, das Bike für ihn perfekt abzustimmen.“

Jeffrey Herlings (NED) KTM 450 SX-F Losail (QAT) 2017

Dieser Prozess hat das Team natürlich seit letztem Oktober kontinuierlich beschäftigt und viel Zeit in Anspruch genommen. Außerdem ist Herlings, der nach wie vor aus der MX2-Teamstruktur um Pauls Jonass und Jorge Prado heraus agiert (und nicht aus dem De Carli-Team wie Cairoli und Coldenhoff), stark auf die Hilfe seines Teams angewiesen, um ihm – als Neuling in der MXGP – die gleichen Voraussetzungen zu bieten, die auch ein Tony Cairoli oder sein Landsmann Glenn Coldenhoff haben.

„Als ich zum ersten Mal auf dem Bike saß, versuchte ich noch, es wie eine 250er – also mit viel Drehzahl – zu fahren. Mit der 450er musst du das gar nicht machen, da die Power nicht dort zu finden ist“, so Banks. „Auf diese Weise wirst du auch zu schnell müde. Meiner Meinung nach ist er noch in der Entwicklungsphase, wird aber jedes Mal besser, wenn er auf die Strecke geht.“

„Wir hatten einige Setups für ihn vorbereitet – ein amerikanisches, ein europäisches und jene, die Tony und Glenn benutzen – ehrlich gesagt sind sich momentan aber alle recht ähnlich. Nach dem Ausschlussprinzip haben wir dann ein Paket zusammengestellt, das auf allen Strecken funktioniert. Beim Mapping hast du viel Spielraum zum Tunen. So kann er es genau so einstellen wie er es möchte. Ich würde sagen, dass wir Ende November letzten Jahres ein gutes Paket zusammen hatten …“

Die Änderungen für Herlings umfassen sogar den Lenker. „Jetzt haben wir außerdem einen Map-Select-Switch. Den hatten wir auf der 250er nicht“, kommentiert Banks, während er seinen Daumen auf den Schalter am linken Griff legt. „So kann er von einer Zündkurve, die für den Start ausgelegt ist, auf eine etwas weniger aggressive wechseln, wenn die Strecke brutaler werden sollte. Wir können sie außerdem flacher machen, damit ihm das Bike nicht unterm Hintern wegschießt.“

Seit seinem Grand-Prix-Debut als gehypter Fünfzehnjähriger musste Herlings mit Druck, Erwartungen und dem Rampenlicht fertigwerden. In den letzten zwei Jahren haben zwar ‚Rookies‘ beide Titel in der MXGP geholt, allerdings waren weder Romain Febvre noch Tim Gajser beim ersten Lauf verletzt. In über 30 verbleibenden Rennen in der Saison 2017 kann alles passieren. Schließlich ist dieser Sport notorisch unberechenbar. Dennoch sind sich wohl alle MXGP-Fans in einem einig: Dass die Nummer 84 irgendwann in den nächsten sechs Monaten ganz oben auf dem Podium zu finden sein wird.

Jeffrey Herlings (NED) KTM 450 SX-F 2017

Fotos: KTM