Interview des Monats: Being Factory – Das Leben der Stars im KTM-MotoGP™-Werksteam

Mit Grand-Prix-Siegen und Weltmeisterschaften im Gepäck wissen Bradley Smith und Pol Espargaró genau, wie es in der MotoGPTM zugeht. Die Saison 2017 bestritten aber beide zum ersten Mal als Werksfahrer. Wir haben sie zu ihren Erfahrungen befragt …

Pol Espargaró (ESP, #44) & Bradley Smith (GBR, #38) KTM RC16 Valencia (ESP) 2017 © Gold and Goose

Obwohl er bereits an die Umgebung gewöhnt sein müsste, steht Bradley Smith etwas Ungläubigkeit ins Gesicht geschrieben, als er das umwerfende zweistöckige ‚Holzhaus‘ der Red Bull Energy Station im Fahrerlager der Rennstrecke von Valencia betritt. Vor ihm liegt der letzte Lauf zur MotoGPTM 2017 und damit die letzte Vorstellung des KTM-Werksteams nach einem Jahr des Experimentierens und des Fortschritts – für Smith das erste Jahr als waschechter ‚Werksfahrer‘ – und das Holzhaus lässt nach seiner Premiere im italienischen Mugello auch weiterhin alle anderen Gebäude alt aussehen.

Im Inneren dominieren Klasse, Komfort und Luxus. In drei Bars und einem Catering-Bereich kümmert sich das Team um KTMs gesamte MotoGPTM-Renncrew und ihre Gäste. An seinen hohen Tischen treffen sich Smith und Teamkollege Pol Espargaró sowie der gelegentlich als Wildcard-Fahrer startende Mika Kallio mit der Presse zum Gespräch. Smith hat bereits seinen Stammplatz, wo sich die Journalisten tummeln. „Ist dieser Ort nicht umwerfend?“ kommentierte er voller Erstaunen in Mugello.

Red Bull Energy Station Mugello (ITA) 2017 © KTM

Ein Teil des ‚Werks‘ zu sein, bedeutet natürlich mehr als nur einen schicken Ort zu haben, an dem man essen, trinken und seinen Verpflichtungen den Medien gegenüber nachgehen kann. Smith blickt auf eine turbulente Saison auf der KTM RC16 zurück, in der er oftmals Schwierigkeiten hatte, den Speed von Espargaró und Kallio mitzugehen. In Barcelona stürzte er schwer und quetschte sich einen Finger. Während das Team alles daran setzte, den Rückstand auf die Top-Teams von 2,5 Sekunden pro Runde auf 0,8 zu reduzieren, was ihm zum Ende der Saison auch gelang, munkelte man bereits, dass Smith seinen Platz würde räumen müssen. Einige seiner Besuche im Holzhaus, um der Presse von seinen Erlebnissen zu berichten, waren dementsprechend schwierig und wenig erfreulich.

„Ich habe in vielen Bereichen dazugelernt – aus Sicht des Rennfahrers, der Teampolitik, des Mediendrucks und allem dazwischen“, reflektiert er in Valencia. „Für mich als Einzelperson waren es auf jeden Fall interessante neun Monate. Was das Lernen anbelangt, war es eine gute Saison – nur nicht, was die Leistungen betrifft … aber das kommt noch.“

Was einen Werksfahrer von einem bei einem Satelliten-Team unterscheidet, ist u. a. der Zugang zum gewaltigen KTM-Modellangebot, das Ansehen des Unternehmens, ein guter Vertrag und die Tatsache, dass man von dem ungebrochenen Optimismus eines neuen Projektes, das große Fortschritte macht, umgeben ist (sowohl Smith als auch Espargaró wurden das ganze Jahr über nicht müde, ihrem Staunen darüber Ausdruck zu verleihen, wie viele neue und überarbeitete Teile ständig aus Mattighofen eintrudelten). Jedoch gehören auch hohe Erwartungen und ein grelleres Scheinwerferlicht dazu. „Zum ersten Mal freue ich mich auf den Urlaub nach dem Ende der Saison“, sagt Smith mit einem kleinen Lächeln im Gesicht. „Den brauche ich jetzt. Ich weiß nicht, ob es die zusätzlichen Tests oder die zusätzliche Anstrengung war, Teil eines Entwicklungsteams oder des Entwicklungsprozesses eines Herstellers zu sein … auf jeden Fall war es sowohl mental als auch körperlich anstrengender, als ich gedacht hatte. Und was war mit dem Spaß? Davon hatten wir eine Menge. Ich habe den ganzen Prozess genossen und er hat mir sicher die Augen geöffnet. Ich habe begriffen, dass das Leben als Satelliten-Fahrer wesentlich leichter ist. Als solcher bekommst du nie das beste [Equipment], aber ein hervorragendes Paket ohne den ganzen Kram, der damit verbunden wäre. Denn es ist genau dieser ‚Kram‘, der Schwierigkeiten machen kann.”

Bradley Smith (GBR) KTM RC16 Jerez (ESP) 2017 © Jesús Robledo

In Valencia bekräftigte KTM-Motorsportdirektor Pit Beirer sein Vertrauen in Smiths Fähigkeiten und Beitrag. „Bradley hat mit uns einen Vertrag für nächstes Jahr. Er sitzt also auf jeden Fall auf unserem Motorrad. Es gab aber etwas Druck von außen, da seine Resultate nicht so toll waren. Das ist mir natürlich aufgefallen. Man darf aber nicht vergessen, dass diese Fahrer das Risiko auf sich genommen haben, bei einem neuen Team mit einem neuen Motorrad anzuheuern. Zu einem Zeitpunkt, an dem es noch nicht einmal ein Bike gab, setzten sie ihre Unterschrift unter ein weißes Blatt Papier. Von einem sehr konkurrenzfähigen Bike zu unserem Projekt zu wechseln und uns ihr Vertrauen zu schenken, werden wir nicht damit belohnen, sie nach einer Saison fallen zu lassen. Das wäre unfair. Wir haben uns entschlossen, ihnen Zeit zu geben, sich zu entwickeln. Ich weiß, dass er besser fahren kann und dass es einen Grund für seine schlechten Leistungen gibt.“

„Als der Druck auf ihn wuchs, sprach ich vor den Überseerennen mit ihm, um ihm zu versichern, dass er seinen Platz behalten würde. Das nahm eine gewaltige Last von seinen Schultern. Wie soll er gute Leistungen abliefern, wenn er – gerade zurück im Fahrerlager angekommen – gefragt wird, wie viele Stunden er noch hat, bevor er gefeuert wird? Ich wollte ihm unsere Unterstützung zusichern. Seitdem ist er wie verwandelt und ich wollte zum Ausdruck bringen, dass alle Drei großartige Arbeit geleistet haben. Ohne sie und das Team wären wir heute nicht da, wo wir sind. Es war mir eine Freude, zu bestätigen, dass er bei uns bleiben wird.“

Pit Beirer (GER), Bradley Smith (GBR) & Mike Leitner (AUT) Aragón (ESP) 2017 © Gold and Goose

Nachdem er sich die meiste Zeit in den Top Ten getummelt hatte, beendete Smith das Rennen in Valencia auf dem elften Platz – sein zweitbestes Ergebnis nach seinen beiden zehnten Plätzen in Misano und auf Phillip Island. „Es ging darum, die richtige Mischung zwischen Testen und Rennfahren zu finden und sich mental auf das Bike und seinen Einsatz im Rennen einzustellen“, kommentiert er die Herausforderungen, seine Ziele für 2017 zu definieren. „Und genau dabei habe ich meine Arbeit nicht gut gemacht. Ich dachte nur an das große Ganze und übersah dabei die kurzfristigen Ziele. Am Ende beeinträchtigte diese Haltung aber beide Faktoren. Es ist [letztendlich] besser, wenn Fahrer kurzfristig denken, und das Team sich um das Langfristige kümmert. Eine meiner größten Herausforderungen in diesem Jahr war, zwischen beidem zu unterscheiden.“

Im Gegensatz zu Smith stellte sich Pol Espargaró immer gerne seinen Interviews und konnte sich dabei ein vielsagendes Lächeln kaum verkneifen. Der dritte Platz des Katalanen im FP1 zum Rennen in Valencia, wobei er seine letztjährige Zeit auf der Ricardo Tormo-Strecke – damals noch auf der Satelliten-Yamaha – verbesserte, war charakteristisch für seine diesjährige Entwicklung auf dem orangefarbenen Motorrad. Bei seinem ersten Einsatz auf der KTM im März in Katar kam der 26-Jährige auf dem sechzehnten Platz und damit außerhalb der Punkteränge ins Ziel. In der zweiten Saisonhälfte sammelte er dann aber in neun Rennen Punkte und war regelmäßig rund um die Top Ten zu finden. Der immer gut aufgelegte, offene und beliebte Pol erntete dabei die Früchte seiner Stellung im Zentrum eines technisch und sportlich äußerst konkurrenzfähigen Projekts, das auf gewaltige Ressourcen zurückgreifen kann. „In Katar sprachen wir nur davon, wie oft sie [die in Führung liegenden Fahrer] uns in einem Rennen überholen würden. Unser Rückstand war gewaltig und es war schwierig, motiviert zu bleiben“, gibt #44 zu. „Heute steigt die Motivation mit jedem Hundertstel, das wir gutmachen. Es ist großartig, sich auf das Bike zu schwingen, den Fortschritt zu spüren und regelmäßig in den Top Ten anzukommen.“

Pol Espargaró (ESP) KTM RC16 Aragón (ESP) 2017 © Sebas Romero

Pol gibt uns bereitwillig Auskunft darüber, wie schwer die zusätzliche Verantwortung auf seinen Schultern lastet. Als Red Bull KTM-Fahrer ist man Teil eines ‚Rookie‘-Teams. Sowohl Espargaró als auch Smith sind allerdings erfahrene und erfolgreiche Rennfahrer. In der Rangordnung der weitreichenden Rennabteilung mit über 400 Mitarbeitern in aller Welt stehen beide natürlich weit oben. „Unsere Mannschaft betreut 72 Werksfahrer überall auf der Welt“, so Beirer. „Wir sprechen hier von einer Menge Teams, Trucks, Werkstätten, Sprinter, Reifen und viel drumherum. Es ist unglaublich, wie viel Material und Arbeitskraft notwendig sind, um diese Fahrer auf die Strecke zu bringen.“

„Von außen betrachtet, stimmt es natürlich, dass auf uns etwas mehr Druck lastet. Schließlich arbeiten mehr Menschen mit – oder für – uns als in der Vergangenheit und dann ist da noch das ganze Geld, das dieses Projekt verschlingt“, so Pol. „Es ist gewaltig. Wir – als Fahrer – sind die, die das Geld in der Hand haben und uns mit dem Bike präsentieren. So betrachtet ist der Druck natürlich enorm. Als Fahrer müssen wir das Ganze aber anders betrachten. Ich habe immer 200 % gegeben und mich nicht von dem gesteigerten Druck beeinflussen lassen. Du kannst den Druck negativ oder als Ansporn verstehen und ich fasse ihn als etwas Positives auf. Wir bekommen bei jedem Problem jede Menge Unterstützung und können Vieles ausprobieren.“

KTM RC16 Red Bull Ring (AUT) 2017 © Philip Platzer

‚Lernen‘ ist ein gewichtiges Wort, das im Zusammenhang mit KTMs Feuertaufe in der MotoGPTM 2017 immer wieder gerne in den Mund genommen wird. Sowohl Espargaró als auch Smith fungierten als wichtige Rädchen während dieses Lernprozesses. Persönlich aber setzte Pol seine Reise als konkurrenzfähiger Fahrer in der MotoGPTM fort und teilt uns mit, in welchen Bereichen er in den letzten zwölf Monaten und den zurückliegenden Jahren in der Königsklasse am meisten ‚gewachsen‘ ist. „Ich habe gelernt, dass Charakter und Einstellung über Sieg und Niederlage entscheiden“, erklärt er. „Ich habe viel darüber gelernt, wie man reagiert, wenn man ein Rennen gewinnt oder verliert. Ich bin noch jung, habe viel Feuer in mir und reagiere mitunter zu wild, habe aber viel gelernt, seit ich mit 15 in dieses Fahrerlager kam. Ich habe mich tiefgreifend verändert und möchte das auch in Zukunft tun.“

„Wenn du als junger Fahrer in diese Welt kommst, brauchst du gute Leute um dich herum. Du kommst ins Fernsehen, wirst gefilmt und beginnst, Geld zu verdienen. Dann kommen Leute zu dir, die dir sagen, wie toll und schnell du bist. Dabei verliert man schnell den Boden unter den Füßen. Das passiert mit vielen jungen Fahrern; Sie kommen in die MotoGPTM und liefern in ihrem ersten Jahr großartige Resultate ab, fallen dann aber etwas zurück. Das ist meiner Meinung nach auf den Druck und falschen Umgang mit den Fahrern zurückzuführen.“

Bradley und Pol dienten dieses Jahr als Aushängeschilder für das ehrgeizigste KTM-Rennprojekt aller Zeiten und benötigten ein starkes Rückgrat, um diesem Druck standzuhalten. Nach dem letzten Rennen der Saison 2017 fanden in Jerez bereits die Vorbereitungen für 2018 statt. In seiner zweiten Saison wird das Team ihre Anstrengungen noch einmal verstärken, um die verbesserte Performance in vorzeigbare Resultate umzusetzen. „Wir werden die gesamte Vorsaison brauchen, um unter die besten Fünf zu kommen“, schätzt Espargaró, der es kaum erwarten kann, wieder auf dem Motorrad zu sitzen. „Wir liegen etwa eine Sekunde hinter den Top-Teams und sollten den Rückstand auf 0,5 Sekunden verringern. Wir müssen also eine halbe Sekunde schneller werden und um das zu schaffen, müssen wir an vielen Elementen des Bikes arbeiten. Beim Test am Dienstag werden wir von Null anfangen und haben dann den ganzen Winter Zeit. Das wird eine neue ‚Zeit‘ in unserem Projekt einläuten – eine, in der wir wirklich präzise arbeiten müssen. Vorher bekamen wir andauernd neue Teile und verbesserten uns fast ständig. Ich denke, jetzt werden viele davon nicht mehr funktionieren! Es wird sicher hart, das Bike schneller zu machen, aber wir können viel ausprobieren. Vielleicht bin ich zu optimistisch, aber ich glaube, wir können das erreichen, was wir uns vorgenommen haben.“

Wer wäre nicht gerne ein Fahrer in der MotoGPTM?

Pol Espargaró (ESP) KTM RC16 Red Bull Ring (AUT) 2017 © Gold and Goose

Fotos: Gold and Goose | KTM | Jesús Robledo | Sebas Romero | Philip Platzer