Interview des Monats: Der ideale Botschafter – McWilliams und seine Rolle bei KTM

MotoGPTM-Star verleiht den Streetbikes und der neuen Customer-Racing-Abteilung von KTM eine spezielle Note. Aber wie wurde der immer noch wettbewerbsfähige, 53-jährige Nordire zum Visionär in Österreich? Wir haben nachgefragt …

Seit mehr als zehn Jahren ist der frühere MotoGP™-Fahrer Jeremy McWilliams ein wichtiges, geschätztes und hochrangiges Rädchen im wachsenden Street-Portfolio von KTM. Und er ist aktiv geblieben seit seinen Tagen als mutiger und gewitzter Grand-Prix-Athlet, der dafür bekannt war, ungewöhnliche Rennpakete zusammenzustellen und dabei alles rauszuholen. Jeremy trägt Orange für F&E, Customer Racing und den KTM RC CUP, die restliche Zeit engagiert er sich beim British Talent Cup der Dorna und unterstützt dort die Entwicklung der neusten Bike-Serien sowie die schnellsten Kids, die sie dann auf der Rennstrecke fahren sollen.

Jeremy McWilliams (GBR) 2016

Wir verabredeten uns für ein Treffen in der Alpinestars Hospitality beim Grand Prix von Aragón, dem vorerst letzten Lauf der MotoGP™ in Europa, bevor es nach Japan, Australien und Malaysia geht. Man kommt leicht ins Gespräch mit dem Veteranen, der immer noch gerne auf den Plan tritt. Vor kurzem ging er bei einem Rennen der SS300-Klasse an den Start, und letztes Jahr fegte er sogar noch beim Straßenrennen North West 200 über den Asphalt. Neben seiner Arbeit mit der KTM RC 390 ist Jeremys offensichtlichste Verbindung zu KTM sein Beitrag zur Entwicklung des vielleicht besten Streetbikes, das je Mattighofen verlassen hat: die KTM 1290 SUPER DUKE R.

Die Wurzeln von McWilliams’ Zusammenarbeit mit KTM finden sich natürlich auf der Rennstrecke, bevor er zum Co-Designer von begehrten Naked Bikes wurde. Er war der Testfahrer beim ersten (abgebrochenen) Versuch des Unternehmens im Jahr 2004, in die MotoGP™ einzusteigen, und wurde dann in die Vorbereitungsarbeiten für die nicht mehr verfügbare (und schmerzlich vermisste) KTM RC8 miteinbezogen. Seitdem ist Orange seine dominante Farbe.

Bei einem Cappuccino sprechen wir über seine Stellung in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft.

Dein KTM-Abenteuer hat also in Wahrheit mit der KTM RC8 begonnen. War dein Auftrag damals eigentlich, reinzukommen und ein wenig zu beraten, und ist der Job dann einfach gewachsen?
„Die KTM RC8 war ein tolles Bike und es ist wirklich schade, dass es sie nicht mehr gibt. Das waren gute Zeiten mit dem Bike und ich war bei allen Launches dabei. Meine Aufgabe damals bestand darin, ein Setting für das Bike zu finden, das für alle Journalisten passte, egal wie groß und wie schnell, und außerdem musste ich die Reifen-Performance mit der Federung abstimmen und solche Dinge. Ich kam normalerweise ein, zwei Tage vor dem Launch, und manchmal gab es danach Tests für Magazine, wo es meine Aufgabe war, das Beste aus dem Bike rauszuholen. Die KTM RC8 war immer unter den besten 3-4 Sportbikes und hat sich selbst übertroffen.”

Was hat KTM deiner Meinung nach damals in dir gesehen, um dich mehr in die F&E einzubinden?
„Ich erinnere mich, dass sie mich damals anriefen und sagten: „Kannst du vorbeikommen und dir was ansehen … in Teneriffa?“ Ich dachte nur, dass das eine eigenartige Location ist, aber mehr wollten sie mir nicht verraten. Als wir dort ankamen, fuhren wir zu einer kleinen Finca, wo KTM eine ganze Ladung neuer Bikes und Kleinteile versteckt hatte. Es sah aus wie in einem James-Bond-Film, eine Höhle in einem Berg auf Teneriffa. Man hat mir erklärt, dass man neugierige Blicke vermeiden wollte, und dann holten sie die allererste Version der KTM 1290 SUPER DUKE R hervor; es gab insgesamt nur zwei davon. Ich sollte auf der Straße damit herumfahren und ihnen meine Meinung sagen. Zu Beginn war ich begeistert von der Motorleistung – ich hatte noch niemals in meinem Leben auf etwas mit solchem Drehmoment gesessen, aber es gab Dinge, die ich nicht mochte. Das sagte ich ihnen, und ich glaube, sie waren nicht begeistert.“

Jeremy McWilliams (GBR) KTM 1290 SUPER DUKE R

Zum Beispiel?
„Ich bin mit dem Projektleiter immer noch gut befreundet! Aber Hermann [Sporn] verstand auch, warum mir die Position der Fußrasten nicht gefiel, und auch das sportliche Design des Motorrads. Ich erklärte ihnen, dass ich nicht gut an den Schalthebel kam und dass die Hinterradbremse schwer zu bedienen war, und ich benutze die Hinterradbremse oft. Beides war viel zu weiten hinten angesetzt. Das führte zu einer langen Diskussion über die Fußrasten, und dann sagte ich: „Wenn ihr schon dabei seid, das Bike lässt sich viel besser nach rechts lenken als nach links.“ „Wie kann das sein?“, fragten sie. Ich sagte nur meine Meinung. Sie nahmen meine Infos mit an Bord und flogen zurück nach Österreich. Später riefen sie mich nochmal an und baten mich, eine überarbeitete Version zu testen, bei der sie die einseitige Schwinge verstärkt hatten. Das Bike ließ sich nur schwer in die Kurve legen und hatte ein Drehmoment von 140 Nm, kann ich mich erinnern, weshalb man diese riesige steife Schwinge brauchte, um sicherzustellen, dass das Hinterrad einen nicht aus der Bahn warf. Das alles wurde in Ordnung gebracht … dann musste ich nochmal kommen. Vielleicht bin ich zu direkt! Anstatt zu schwärmen, wie toll die KTM 1290 SUPER DUKE R war, sagte ich ihnen wieder, was mir nicht gefiel. Dann gaben sie mir ein Blatt Papier, auf dem ich alle meine Wünsche aufschreiben sollte. Es war eine ziemlich lange Liste. Mir war nicht bewusst, was bei der Entwicklung eines Streetbikes alles berücksichtigt werden muss und dass sogar andere Reifen viel ausmachen. Wir besprachen jeden einzelnen Hersteller und verschiedenste Reifenprofile, Steuerwinkel, Profile, Nachläufe und Bremsen, Achsversetzungen, Gabellängen, all diese Dinge. Wir probierten verschiedene Fahrhöhen, Sitzhöhen, Fahrerpositionen und Lenkerpositionen aus. Es ging alles sehr schnell.“

Wie lange dauerte das?
„Wir hatten eineinhalb Jahre Zeit und es gab viel zu tun. Das war richtig viel Arbeit. Wie bei den meisten dieser Produkte hat man nicht so viel Zeit, wie man gerne hätte, und man hat immer das Gefühl, dass man noch mehr Zeit braucht. Wir waren immer knapp an der Deadline.”

Jeremy McWilliams (GBR)

Wie war die großartige Resonanz auf die KTM 1290 SUPER DUKE R für dich? War dir bewusst, dass es nicht viele solcher Gelegenheiten geben würde?
„Einen solchen Job gibt es nirgends außer bei einem europäischen Hersteller, und vielleicht nur bei einem. Am Ende arbeitete ich mit verschiedenen Entwicklungsfahrern in der F&E-Abteilung zusammen, die alle zu großartigen Testfahrern geworden sind. Damals gab es nicht so viele, die dazu geeignet waren. Heute gibt es mehr davon, und ich denke, ich konnte dazu beigetragen, dass wir die richtigen Leute gefunden haben. Die Jungs sind heute hochrangige Fahrer … vielleicht bekomme ich deswegen nicht mehr so viele Jobs! Unsere Arbeit bei Customer Racing konzentriert sich nur auf die Rennstrecke: Wir nehmen Straßenmotorräder und entwickeln sie für die Rennstrecke. Meine Aufgabe in der F&E bestand darin, bei der Herstellung von tollen Straßenmotorrädern zu helfen. Um deine Frage zu beantworten, ich glaube, nach den ersten Reaktionen der Medien dachten wir erstmal: „Puh, es gefällt ihnen“, aber wir waren alle hochzufrieden, dass wir mit dem Bike alles erreicht hatten, was wir wollten. Es bekommt immer noch phantastische Kritiken und die Menschen sind heute noch begeistert. Ich gebe immer noch Trainingsstunden damit auf der Strecke, und manche Leute kommen, um Naked Bikes anstatt reiner Sportbikes zu fahren, und die KTM 1290 SUPER DUKE R war das erste Modell, das das konnte, und sie kann es immer noch.“

Das muss ein Hochgefühl für dich gewesen sein …
„Die ganze Abteilung war sehr zufrieden. Wir klopften uns gegenseitig auf die Schulter. In manchen Phasen hatten wir wirklich zu kämpfen, und es gab einige Probleme, die schwer zu lösen waren. F&E ist auch nicht die einfachste Arbeitsumgebung, weil man bis zu einem bestimmten Datum Ergebnisse liefern muss, aber ich glaube, wir haben das gut geschafft, und als das Bike herauskam, dachten wir auch nicht, wir hätten etwas besser machen können. Wir waren alle höchst zufrieden. Ich fahre noch immer eines, im Moment das 2017er Modell.“

Jeremy McWilliams (GBR) KTM 1290 SUPER DUKE R

Auf einem Grand-Prix-Bike zu fahren muss toll sein, aber ein Prototyp, der erst in drei, vier Jahren auf den Markt kommt, muss auch ziemlich cool sein …
„Oh ja! Ich würde gerne mehr mit der F&E arbeiten, aber das ist sehr zeitaufwändig und wir haben viel Arbeit bei Customer Racing. Was mir wirklich Genugtuung bereiten würde, wäre ein Rennsieg unserer KTM RC 390 auf globaler Ebene im Supersport. Schließlich habe ich an ihrer Entwicklung mitgearbeitet, zusammen mit den Experten von WP und einem kleinen italienischen Team. Es wäre großartig, wenn dieses Programm wettbewerbsfähig würde.”

Du scheinst beschäftigter zu sein als je zuvor …
„In den nächsten zwei Monaten konzentrieren wir uns auf das World Final in Jerez mit zwei Wildcards in der Endrunde der WorldSBK. Das ist unsere Priorität, und ich fliege nicht zu den MotoGP™-Rennen in Asien und Australien. So habe ich ein bisschen Freiraum im Oktober, falls mich die F&E-Abteilung braucht. Customer Racing wird immer größer und arbeitsintensiver. Die nächsten Projekte werden bestimmt interessant, und ich freue mich schon auf die Arbeit und darauf, Ideen für neue Racing-Serien hinsichtlich verschiedener Modelle zu entwickeln. Und dann müssen wir uns noch um die KTM 1290 SUPER DUKE R kümmern, ein paar neue Ansätze ausprobieren, sie wieder auf die Rennstrecke bringen und ihre Leistung dort verbessern. Es gibt einige gute Ideen, aber wann sie umgesetzt werden können, das steht noch in den Sternen.“

Jeremy McWilliams (GBR) KTM RC 390 & KTM RC 390 CUP

Fotos: KTM