Interview des Monats: Der Zarco-Effekt – Wie weit nach vorne wird KTM in der MotoGP™-Saison 2019 kommen …?

Mit der Verpflichtung des französischen Überfliegers Johann Zarco für 2 Jahre hat Red Bull KTM für eine der aufsehenerregendsten Nachrichten der laufenden MotoGPTM-Saison gesorgt. Was erwartet man sich beim Werksteam vom Umstieg der #5 auf Orange? Um Antworten auf diese Frage zu bekommen, haben wir jemanden zum Interview gebeten, der den 28-Jährigen besser kennt als jeder andere: Aki Ajo.

Der stille Finne sitzt in seinem schmucklosen und perfekt aufgeräumten Renn-Truck-Büro im MotoGPTM–Fahrerlager von Jerez. Über das Thema Johann Zarco spricht der frühere Rennfahrer gerne. Ajo pflegt starke und enge Kontakte mit KTM, zeichnete für die erste Moto3-WM-Krone des Unternehmens im Jahr 2012 verantwortlich und leitet auch weiterhin das KTM RC 250 GP-Programm sowie das offizielle Moto2-Engagement. Außerdem kennt er Zarco, seinen Charakter und seine Entwicklung im Grand Prix-Sport wie kaum ein anderer. 2011 nahm er den jungen Johann (den ersten Sieger des Red Bull MotoGP Rookies Cup im Jahr 2007) für das 125-ccm-Team unter Vertrag und half ihm, es bereits in seinem dritten Jahr zum Vizeweltmeister zu bringen. Drei Jahre später arbeiteten die beiden in der Moto2 wieder zusammen und sammelten gleich zwei Titel, wodurch Zarco zum erfolgreichsten französischen Fahrer der Geschichte wurde.

„Ich weiß nicht mehr genau, wann ich ihn zum ersten Mal getroffen habe – vielleicht war es zu seiner Zeit als Rookie – lernte ihn 2009, seinem ersten Jahr in der Weltmeisterschaft, dann aber besser kennen“, erinnert sich Ajo stirnrunzelnd. „Im Jahr 2010 hatten wir dann einige weitere Gespräche und 2011 schloss er sich unserem Team an, was in seiner bis zu diesem Zeitpunkt besten Saison endete. Meiner Meinung nach hat sich Johann seitdem stark verändert. Damals war er jung und schüchtern – ein kleiner Junge, der sich seines Potentials noch nicht ganz bewusst war.“

Aki Ajo (FIN) Barcelona (ESP) 2018 © Sebas Romero

Bereits in jenen Tagen verließ sich Zarco stark auf den Rat und die Empfehlungen eines weiteren früheren Rennfahrers: Laurent Fellon. Sein Landsmann ist auch heute noch sein Manager und Berater. „Laurent war sein Coach und gleichzeitig ein Teil der Familie“, erklärt Aki. „Er war sehr wichtig für ihn und am Beginn seiner Karriere recht streng und bestimmt … ich glaube aber, dass das gut für Johann war. 2011 ging es auf und ab, Johann hatte zwar einige gute Ergebnisse, das Jahr war aber nicht immer einfach für ihn. Wir fingen an, uns gegenseitig zu respektieren und sowohl er als auch Laurent haben Sachen gesagt wie ‚wir werden uns schon bald wiedersehen …‘“.

Begierig darauf, Erfahrungen und Wissen zu sammeln, verließ Zarco das Ajo-Team, um in die Moto2 aufzusteigen. Im Ajo-Team errang er in zwei Jahren und einer etwas wechselhaften Zeit sechs Podiumsplätze. Sein alter Teammanager hatte unterdessen für die Saison 2012 bei KTM angeheuert und nie zurückgeblickt. Tatsächlich spornte Ajos Erfolg in der Moto3 ihn nur noch mehr an … und eröffnete für Zarco einen Weg zurück.

„Ich traf meine Entscheidung, in die Moto2 zu gehen, sehr schnell“, erinnert er sich. „Ganz spontan – vor dem Grand Prix in Silverstone im Jahr 2014. Ich fragte bei IRTA und Dorna an, ob es einen Platz gäbe, und rief gleich danach bei Johann an und sagte – mehr im Scherz – dass er wohl im nächsten Jahr unser erster Moto2-Fahrer werden würde. Er und Laurent waren aber sofort startklar und so besiegelten wir alles gleich nach Silverstone – also innerhalb weniger Tage – mit einem Handschlag. Dafür gebührt beiden riesiger Respekt und Dank – sie waren flexibel und verstanden, dass ich das Team schnell und mit minimaler Teileversorgung aufbauen musste. Sie standen voll hinter dem Projekt und halfen mir, Unterstützung und Geld für das Team zu sammeln. Er fuhr fast ohne Bezahlung – er wollte einfach nur gewinnen. Seine Reaktion überzeugte mich davon, dass ich in der Moto2 richtig angreifen musste, und unsere Zusammenarbeit funktionierte beim zweiten Mal wesentlich besser.“

„2015 und 2016 waren fantastische Jahre, die ich nie vergessen werde“, gibt Ajo zu. „Johann kannte damals niemanden bei KTM. Trotzdem war es, als ob er bereits Teil der KTM-Familie gewesen wäre, da wir das Red Bull KTM-Team in der Moto3 hatten und auch in der Moto2 von KTM unterstützt wurden. Herr Pierer und Pit Beirer sagten zu mir: ‚Aki, du bist schon etwas verrückt, das so schnell auf die Beine stellen zu wollen, aber wir möchten dich trotzdem unterstützen‘, und ich glaube, sie hatten Vertrauen, dass dieses Moto2-Projekt gut werden würde. 2019 ist also definitiv nicht das erste Mal, dass Johann mit KTM zusammenarbeitet.“

Johann Zarco (FRA) Red Bull MotoGP Rookies Cup 2007 © KTM

Diese beiden Jahre (bevor Zarco 2017 sein heiß ersehntes Debüt in der MotoGPTM gab) waren unbestritten fruchtbar. Auf der WP Suspension-Kalex erlernte der in Cannes geborene Fahrer die Kunst des Renn-Managements und wie man Reifen spart (in der Moto2 werden Dunlop-Reifen, in der MotoGPTM Michelin-Pneus eingesetzt). Er errang insgesamt 24 Podestplätze, 15 davon ganz oben. Sein Potential – das laut Ajo bereits deutlich zu spüren war, als Zarco zum ersten Mal die Lederkombi anlegte – manifestierte sich bereits in der mittleren Kategorie und die Lehren, die er zog, halfen ihm bei seinem gewissenhaften, reibungslosen und effektiven Aufstieg in die Königsklasse. „Er zeigte bereits im Rookies Cup sein Talent, hatte dann aber ein paar schwierige Jahre“, so Ajo. „Er und Laurent hatten einen klaren Plan, was ihre Vorgehensweise betraf, und niemand stellte sich dem entgegen. Die beiden sind extrem stark … aber vielleicht passte ihr Stil nicht zu allen Teams und den Leuten, denen sie begegneten. Besonders am Anfang … heute haben sie aber viel mehr Erfahrung. Sie hatten ihre Schwierigkeiten, gaben aber nie auf und heute kann man sehen, dass sich das bezahlt gemacht hat.“

Zarco machte bereits bei seinem ersten MotoGPTM-Rennen in Katar im Jahr 2017 Schlagzeilen, indem er es mehrere Runden lang anführte. Er wurde nach und nach zu einem wichtigen Akteur in der Klasse, zu einem Fahrer, der regelmäßig aus der ersten Reihe startet, zu einem, der Werksfahrer ärgern kann, und errang – mit drei Podestplätzen – den Titel Rookie des Jahres. Kurz vor seinem Heim-Grand-Prix in Le Mans hat er diese Leistung schon fast wieder übertroffen. Hat es Ajo überrascht, wie schnell er sich an diese Welt der Pferdestärken, der Elektronik und der Setup-Arbeit angepasst hat? „Um ehrlich zu sein, ja“, sagt er lächelnd. „Ich war schon verblüfft, wie schnell er das alles gelernt hat. Er hat auch andere überrascht, die gesagt haben, er sei ‚ein bisschen zu alt‘ oder ‚zu lange in der Moto2 gewesen‘. Ich dachte nur ‚wartet es ab…‘. Ehrlich gesagt dachte ich aber nicht, dass es so schnell gehen würde.“

Johann ist ein unscheinbarer, ruhiger und relativ bescheidener ‚Star‘. Er macht eigentlich nicht den Eindruck, ein MotoGPTM-Held zu sein. „Das ist richtig, aber auf eine positive Weise“, so Ajo. „Er wirkt nicht wie ein Superstar. Er dreht nicht durch und konzentriert sich nicht auf seiner Meinung nach unwichtige Dinge … wie das manche andere tun! Von der Persönlichkeit her ist er noch immer der gleiche Johann. Gestern saß er lange Zeit genau da, wo du jetzt sitzt, und hat einfach nur geredet. Ich sehe da keine Veränderung. Er ist ein sehr analytischer und auf das Rennfahren fokussierter Fahrer.“

Johann Zarco (FRA) Red Bull MotoGP Rookies Cup 2007 © KTM

Gibt es vielleicht Gemeinsamkeiten zwischen den beiden? Auf die Frage, ob er eine entscheidende Rolle dabei gespielt hat, KTM im Grand-Prix-Paddock zu etablieren und groß zu machen, winkt Ajo nur ab. „Ach nein! Das kann ich wirklich nicht behaupten. Ich schätze mich glücklich. 2010 hörte ich Gerüchte, dass man bei KTM in die Moto3 einsteigen wollte; ich kontaktierte Heinz Kinigadner und Pit Beirer und bat sie um ein Treffen. Sie waren wirklich offen und ehrlich an einer Zusammenarbeit mit uns interessiert. Darüber war ich sehr erfreut und heute bin ich dankbar dafür, dass wir schon so viele Jahre gemeinsame Sache machen. Zu jener Zeit waren wir bereits ein Partner von Red Bull – ab 2010 nämlich – und das half uns, KTM für 2012 an Bord zu holen. Es war ein großartiger Start und sehr wichtig für mich persönlich, mein Unternehmen und alle von uns. Dafür bin ich dankbar.“

Ajo und Zarco teilen sich vielleicht ihre Bescheidenheit … aber auch den Durst nach gewinnbringender Detailarbeit. Viele Teams kämpften um Zarcos Unterschrift, schlussendlich wurde der Vertrag aber in Munderfing besiegelt. Ein gelungener Coup für das Team, das erst seit achtzehn Monaten in der MotoGPTM mit dabei ist, aber bereits GP-Punkte und Top-Ten-Platzierungen holen konnte und schon das dritte Motorkonzept verwendet. Abgesehen von der Publicity: Werden Zarcos Arbeitsweise und seine Philosophie einen Gewinn für die Ziele von KTM darstellen? Ajo ist sich sicher. „Hundertprozentig“, sagt er. „Außerdem ist es ein wertvoller Schritt für die ganze KTM-Familie. Wenn ein Fahrer von Johanns Kaliber sieht, wie viel Potential vorhanden ist, zieht das die Aufmerksamkeit vieler Leute auf KTM. Er schenkt dem Unternehmen sein Vertrauen und seine Erfahrung und seine systematische Arbeitsweise ist wichtig für ein solches Projekt – sowohl im Sinne der Entwicklungsarbeit als auch, um zu ‚beweisen‘, dass man auf dem richtigen Weg ist.“

Am Rande des Geredes um die Entwicklung und Verfeinerung der KTM RC16 betonte Motorsport Director Pit Beirer im Gespräch mit der Presse in Jerez, dass ‚der Fahrer derjenige ist, der Gas geben muss‘. Man hat das Gefühl, dass KTM genau das richtige Personal hat, um in Sachen Rundenzeiten den nächsten großen Sprung zu machen und sich ganz nach vorne zu arbeiten.

Aki Ajo (FIN) & Pit Beirer (GER) Sachsenring (GER) 2017 © Philip Platzer

Fotos: Sebas Romero | Philip Platzer | KTM