Interview des Monats: „Ich kann es noch gar nicht glauben“ – Matthias Walkner, Sieger der 2018er Rallye Dakar

Fast wie ein Märchen. 2017 wurde Matthias Walkner bei der Rallye Dakar Zweiter. Ein Jahr später und mit viel Fitness- und Navigations-Training im Rücken, kehrt er mit seiner neuen KTM 450 RALLY – die er mitentwickelt hat – zur Dakar zurück. Zwei Wochen im Sattel bei einer der härtesten Dakars der Geschichte, krönt sich Matthias zum Sieger – ein österreichischer Fahrer auf einer österreichischen Maschine mit einem österreichischen Sponsor!

Nach seiner Rückkehr nach Salzburg bat der KTM BLOG den 31-Jährigen um ein Interview, um zu erfahren, wie es sich anfühlt, seinen ersten Dakar-Sieg in der Tasche zu haben.

Matthias Walkner (AUT) KTM 450 RALLY Dakar 2018 © PhotosDakar.com

Sieger der Rallye Dakar 2018 – wie hört sich das an?
„Unfassbar – einfach unglaublich. Beim Start dachte ich, dass ich es eventuell unter die ersten Drei schaffen könnte. Und selbst nach der Hälfte war das immer noch mein Ziel. Am Anfang der zweiten Woche begann ich langsam, an meine Siegchancen zu glauben, und, um ehrlich zu sein, war das etwas furchteinflößend. Trotzdem lief alles glatt – nenn es Können oder einfach pures Glück. Jetzt bin ich wieder zuhause, aber die Feierlichkeiten und die Aufmerksamkeit der Medien reißen nicht ab. Es ist einfach alles unfassbar. Ich bin sehr dankbar und fühle mich sehr geehrt.“

Du bist der erste österreichische Sieger seit Peter Reif 1997 die Lastwagen-Klasse gewonnen hat. Der erste Österreicher, der jemals die Motorrad-Klasse gewinnen konnte. Und obendrein konntest du auf einem österreichischen Motorrad mit einem österreichischen Hauptsponsor gewinnen. Wie wichtig ist das für dich?
„Es ist toll. Der Empfang, der mir bei meiner Heimkehr bereitet wurde, war unglaublich. Ich hatte so viel zu tun, es fühlte sich aber großartig an und der Empfang durch die Fans war fantastisch. Letzte Woche war ich in Schladming und wurde von über 50.000 Fans empfangen und alle haben meinen Namen gerufen. Emotional war es überwältigend. So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich saß an einem Tisch mit Peter Schröcksnadel, dem Präsidenten des Österreichischen Skiverbandes, und Mitgliedern der österreichischen Bundesregierung. Es war beinahe surreal und eine unglaubliche Erfahrung. Außerdem waren auch ein paar gute Lacher dabei. Wenn dir Fans gratulieren, spürst du, dass sie es ehrlich meinen. Die Fans im Motorradrennsport sind die besten – sie verstehen, was du durchgemacht hast und was es bedeutet, ein Rennen wie die Dakar zu gewinnen. Wenn sie dir sagen, dass du einen guten Job gemacht hast, meinen sie das auch so.”

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Matthias Walkner (AUT) Mattighofen (AUT) 2018 © Heiko Mandl

Was bedeutet es deiner Meinung nach für KTM, dass ein Fahrer aus dem eigenen Land das größte Rennen am Kalender gewonnen hat?
„Ich fahre jetzt schon seit ein paar Jahren für KTM, als Renn- und auch als Testfahrer. Die familiäre Atmosphäre in diesem Unternehmen ist einfach überwältigend. Wir kennen uns jetzt alle schon so lange und haben jahrelang hart gearbeitet, um diesen Sieg möglich zu machen. Diese ganze Arbeit mit einem Sieg zu rechtfertigen und zu belohnen, bedeutet eine ganze Menge.“

Wir alle wissen, wie hart die Dakar ist und dass das oberste Ziel jedes Starters ist, anzukommen. Die erste Woche war besonders schwierig – wie bist du mit dem Sand von Peru umgegangen?
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie hart die erste Woche war. Am Anfang des Rennens fühlte ich mich nicht so stark wie normalerweise und so kämpfte ich in der ersten Woche in Peru etwas mit meiner Kondition. Einige Male zweifelte ich daran, dass ich es ins Ziel schaffen würde, so müde war ich. Nach dem ersten Ruhetag konnte ich mich etwas erholen, was mir sehr half. Bei diesen schwierigen Bedingungen gebe ich grundsätzlich nur ca. 98 %, nehme etwas Speed raus und versuche, mir meine Energie einzuteilen. Hauptsächlich aber versuche ich, keine Fehler zu machen. Ich glaube, dass hat mir am Ende den Sieg ermöglicht.“

Matthias Walkner (AUT) KTM 450 RALLY Dakar 2018 © PhotosDakar.com

Was ging dir nach der ersten Hälfte des Rennens durch den Kopf?
„Ich hoffte immer noch, in die Top-Drei zu kommen, hielt den Sieg aber nicht für möglich. Die Zeiten an der Spitze lagen so eng beieinander und alle fuhren am Limit. Nach der Hälfte der Rally hatten immer noch fünf oder sechs Fahrer Chancen auf den Sieg. In der Geschichte der Dakar gab es immer eine Sonderprüfung oder Etappe, die massive Auswirkungen auf das Endresultat hatte. Dieses Mal war es Etappe 10. Ich weiß nicht, ob ich einfach mehr Glück hatte als die anderen oder ob ich intelligenter fuhr. Tatsache ist, dass ich die Prüfung beendete, ohne die gleichen Fehler wie die anderen gemacht zu haben, was mir einen großen Vorteil verschaffte.“

Nach deinem Sieg auf der 10. Etappe hattest du einen komfortablen Vorsprung auf deine Rivalen. Für viele Top-Fahrer war der Tag verkorkst. Wie schaffst du die Balance zwischen maximalem Speed und umsichtigem Navigieren?
„Dieses Jahr half es mir enorm, dass ich die ganze Rally praktisch alleine unterwegs war. Nur selten fuhr ich in einer Gruppe oder zusammen mit anderen Fahrern. Das ermöglichte mir, meinen eigenen Speed zu gehen und meiner Navigation zu vertrauen. Obwohl du richtig schnell fahren kannst, wenn du anderen Fahrern folgst, steigt damit auch das Risiko, Fehler zu machen. Entweder folgst du dem Fahrer vor dir blind und verlässt dich auf ihn oder fährst in einer von der Gruppe vor dir aufgewirbelten Staubwolke – Fehler sind da fast schon vorprogrammiert. Auf dieser Prüfung – ca. 10 km vor der Stelle, wo die anderen Jungs sich verirrten – lag eine neutrale Zone und ich sagte zu meinem Team, dass ich nicht verstehen konnte, wie die anderen so schnell fahren konnten, ohne einen Fehler zu machen. Und wie der Zufall es wollte, machten die anderen nur ein paar Eintragungen im Roadbook später einen fatalen Fehler. Die Pace an der Spitze ist so hoch, dass alle immer mehr geben müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben.“

Matthias Walkner (AUT) KTM 450 RALLY Dakar 2018 © PhotosDakar.com

Gab es irgendwelche Probleme mit der Navigation? Ich weiß, dass einige Weltmeisterschaftsläufe der Saison 2017 für ungenaue Roadbooks kritisiert wurden.
„Ich glaube, dass die Informationen, die wir bekommen, grenzwertig sind. Mir ist schon klar, dass sie versuchen, es schwierig zu machen, ohne die Sicherheit zu verschlechtern, ich würde mir aber trotzdem ein etwas detaillierteres Roadbook wünschen. Dennoch lief für mich alles traumhaft, es ist aber viel Arbeit für uns, dem Roadbook unsere eigenen Anmerkungen hinzuzufügen. Diesbezüglich werden wir Fahrer uns in Zukunft mit den Organisatoren absprechen müssen.“

Nach Etappe 10 musstest du nur mehr deine Führung verteidigen. Die 11. Etappe wurde abgesagt, was eine Erlösung gewesen sein muss. Wie aber gestalteten sich für dich die letzten Tage, wissend, dass du – vorausgesetzt du würdest keine Fehler mehr machen – als Sieger durchs Ziel fahren würdest?
„Die letzten Tage waren psychisch echt hart – ich wusste, was auf dem Spiel stand. Es war wie mit einer Pistole an der Schläfe zu fahren. Du versuchst, nicht daran zu denken. Meistens ist das aber unmöglich und du denkst automatisch daran, was passieren wird. Alles, was ich tun konnte, war, konzentriert zu bleiben und nichts Verrücktes zu machen. Gleichzeitig konnte ich aber nicht zu langsam werden und zu viel Zeit verlieren, denn selbst ein kleines Problem hätte mich den Sieg kosten können. Dennoch war es angenehm, in den letzten Prüfungen nicht mehr ganz so schnell fahren zu müssen. Diese waren nämlich richtig schnell und mit Steinen übersät. Nur allzu leicht hätte ich dort einen Fehler machen können. Selbst, wenn ich das Tempo auf, sagen wir, 96 % reduziert hätte, hätte mich das an einem Fünf-Stunden-Tag mehrere Minuten gekostet. Du siehst also, warum man nicht zu viel Speed rausnehmen kann.“

Matthias Walkner (AUT) Dakar 2018 © PhotosDakar.com

Was ging dir auf den letzten Kilometern kurz vor dem Ziel durch den Kopf?
„Unglaublich viel, hauptsächlich aber, dass mein Traum wahr werden würde. Natürlich bist du immer noch um jedes kleine Detail besorgt – das Bike, deine Pace und darum, keine dummen Fehler zu machen. Die letzte Prüfung war richtig schnell und die Fans sorgten für eine unglaubliche Stimmung. Trotzdem war ein Crash immer noch möglich, selbst wenn ich da schon langsamer fuhr.“

Viele erfahrene Fahrer sind dieses Jahr nach Unfällen ausgefallen. Es schien so, als wäre die Rally tatsächlich so hart, wie die Organisatoren angekündigt hatten. Bist du der Meinung, dass Fahrer heutzutage angesichts des hohen Konkurrenzdrucks bei der Rally noch höhere Risiken eingehen müssen, um es an die Spitze zu schaffen?
„Das Problem ist, dass du bei Offroad-Rennen mit Flüssen und Schluchten konfrontiert bist und nie weißt, was als Nächstes kommt. Gefahrenstellen sind oft nicht klar im Roadbook markiert, weil du 100 Meter neben der eigentlichen Route auf völlig unterschiedlichem Terrain unterwegs bist. Diese vielen Abschnitte abseits der Route und die vielen Sanddünen können ein ohnehin bereits hartes Rennen sehr gefährlich machen, da du einfach nicht weißt, wie hart du Gas geben kannst. Ich denke, dass die vielen Verletzungen heuer eine deutliche Sprache sprechen. Der Unfall von Van Beveren war ein gutes Beispiel. Der Fluss, in dem er stürzte, sah seicht aus und du konntest ihn schnell durchfahren, mit ca. 120 oder 130 km/h. Er hatte aber auch viele verborgene Felsen und Van Beveren hatte Pech und fuhr bei hoher Geschwindigkeit auf einen auf. Es hätte jedem passieren können – wenn er nur ein paar Meter weiter rechts oder links gefahren wäre, hätte er die Prüfung gewinnen können.“

Matthias Walkner (AUT) KTM 450 RALLY Dakar 2018 © PhotosDakar.com

Die 40. Ausgabe der Rallye Dakar – wir werden sie nicht so schnell vergessen. Alles in allem – war es für dich eine ‚besondere‘ Dakar?
„Sie war definitiv besonders für mich. Ich glaube, dass sich das Rennen in die richtige Richtung bewegt. Für mich wurde in diesem Jahr aber eine Grenze in Sachen Navigation und Terrain erreicht. Einige Tage heuer ähnelten mehr einer Enduro-Veranstaltung als einer Rally – ich ziehe schnelle, offene Abschnitte den engen, technischen Abschnitten oder dem Kamelgras vor. Ich glaube, dass etwa 50 % der Motorradfahrer das Ziel erreicht haben. Und wenn das das Ziel der Veranstalter war, haben sie ganze Arbeit geleistet. Trotzdem glaube ich, die Dakar sollte zwar hart sein, aber ohne die traditionellen schnellen Sektionen einzubüßen.“

KTM hat bei der Dakar 2018 nicht nur ein ganz neues Bike an den Start gebracht, es hat sich auch als äußerst zuverlässig erwiesen. Wie gut war die neue KTM 450 RALLY?
„Das Bike hat wirklich gut funktioniert, aber wie du schon gesagt hast, waren ihre Zuverlässigkeit und ihre Performance über zwei ganze Wochen die größten Errungenschaften. Das gibt dir viel Selbstvertrauen und fühlt sich viel sicherer an. Ich hatte während der Rally zwei ziemlich schwere Unfälle. Ich verletzte mich aber glücklicherweise nicht und auch das Bike steckte die Crashs extrem gut weg. Es gab keine schwerwiegenden Probleme und es lief bis zum Ende jeder Etappe zuverlässig.“

Matthias Walkner (AUT) KTM 450 RALLY Dakar 2018 © PhotosDakar.com

Von Temperaturen unter dem Gefrierpunkt auf über 4500 Metern Seehöhe in Bolivien bis zu 40 Grad Hitze in den Sanddünen Argentiniens – wie bereitet man sich mental und körperlich auf diese extremen Bedingungen vor?
„Was die Hitze betrifft, kannst du eigentlich nicht viel tun. Es ist wichtig, viel zu trinken, und die Vorbereitung diesbezüglich endet eigentlich bei der Fitness. Um gegen die Kälte zu bestehen, haben wir heute eine umfangreiche Ausrüstung – beheizte Handschuhe und Unterwäsche und eine richtig gute Regenjacke helfen enorm. In Sachen Seehöhe versuche ich, in den Wochen vor der Dakar hier in Österreich zu trainieren, und glaube, dass mir das enorm hilft.“

Dein Sieg markiert den 17. Triumph von KTM bei der Dakar – Ergebnisse, die auf großartige Teamarbeit zurückzuführen sind. Wie wichtig ist der ‚Team Spirit‘ in der Red Bull KTM Factory Racing-Truppe und warum stellt er einen so wichtigen Teil des Erfolgs von KTM dar?
„Der Team Spirit ist extrem wichtig. Jedes Mitglied des Teams leistet seinen Teil und weiß von Beginn an bis zu dem Moment, an dem du nach dem Ende einer Prüfung ins Fahrerlager rollst, was zu tun ist. KTM und die Motorsport-Abteilung arbeiten so gut zusammen, dass man beinahe vergisst, dass KTM kleiner als so manch anderer Hersteller ist. Der Schlüssel ist jenes familiäre Gefühl bei KTM, die eingeschworene Gemeinschaft, die ihre Leidenschaft für den Rennsport, in diesem Fall die Dakar, verbindet. Es ist vergleichsweise einfach, Geld in ein Projekt zu stopfen, aber ohne ein gutes Team hinter der Investition, kann man das Geld auch gleich zum Fenster hinauswerfen.“

Matthias Walkner (AUT) & Red Bull KTM Factory Racing Team Dakar 2018 © PhotosDakar.com

Du bist jetzt endlich wieder zurück in Österreich. Worauf freust du dich nach den verrückten letzten Wochen am meisten?
„Ich habe vor, etwas Zeit in Österreich zu verbringen und den Winter zu genießen. Mit dem Auto zu fahren und im Schnee zu driften. Ich glaube, dass es wichtig ist, sich Zeit für Freunde und Familie zu nehmen – das hilft mir, mich zu entspannen und gibt mir Energie für das kommende Jahr.“

Fotos: PhotosDakar.com | Heiko Mandl
Video: ASO