Interview des Monats: Sweet RC16 – Wir sprechen mit dem Mann hinter den Daten über KTMs MotoGP™-Bike

Wir trafen MotoGPTM Technical Director Sebastian Risse beim Grand Prix von Katar 2019, um ihn über geheimeWintertests und die Änderungen an der KTM RC16 zu befragen und darüber, wie das Werk versucht hat, in nur zwei Jahren im Grand-Prix-Sport zur Spitze aufzuschließen.

Sebastian Risse (GER) Silverstone (GBR) 2018 © Sebas Romero

Sebastian Risse sitzt am Ende einer langen Bank. Vor ihm erstreckt sich ein schwarzer Schreibtisch voller Tastaturen und Notebooks. Ihm gegenüber eine orangefarbene Wand mit allerlei Bildschirmen, über die Daten und komplizierte Algorithmen flimmern. Normalerweise sitzen dort auch noch vier andere Mitarbeiter. Irgendwo auf der anderen Seite eines großen, temporären Bildschirms in der Red Bull KTM-MotoGPTM-Box befindet sich Pol Espargarós ‚Ecke‘. Der Wind trägt Geräusche von Werkzeugen und Betriebsamkeit herüber. Dort drüben steht das Bike; hier wird es in Zahlen und Daten heruntergebrochen.

Dieses Bild in der Boxengasse von Losail steht sinnbildlich für Risses Rolle als Chef ‚hinter den Kulissen‘. Er und sein Team sind für die ‚Magie‘ verantwortlich, während Fahrer wie Espargaró und Johann Zarco für die Öffentlichkeit draußen auf der Strecke ihre Show abliefern.

Beim ersten Rennen der Saison 2019 in Katar ist Risse ein Mann, der buchstäblich nur schwer zu fassen ist. Drei Versuche, uns mit ihm hinzusetzen und über die Evolution der teuersten und kompliziertesten Maschine zu sprechen, die je in den Hallen von Mattighofen produziert wurde, erwiesen sich als fruchtlos. Die Rennstrecke von Losail mit ihren Hochgeschwindigkeits-Kurven, schwankenden Temperaturen und Grip-Niveaus ist seit jeher ein für KTM schwieriges Terrain. Bei diesem, dem ersten von drei ‚Übersee‘-Rennen, bei denen das KTM-Team praktisch aus Kisten lebt und arbeitet, bevor die Meisterschaft im Mai nach Europa wechselt, gibt es viel zu grübeln.

Am Samstag hat Sebastian schließlich Zeit für uns (das heißt, er befindet sich nicht gerade in einem Gespräch oder einer Besprechung) und wir begeben uns mit ihm in die KTM-Box, um ihm einige Einblicke zu entlocken. Nach zwei Jahren und einem ersten MotoGPTM-Podestplatz ist 2019 die dritte Saison des Werksteams in der höchsten Klasse des Motorrad-Rennsports. Dieses Jahr werden statt zwei sogar vier KTM RC16 eingesetzt. KTM AG CEO Stefan Pierer erhofft sich „einstellige“ Ergebnisse und während solche Resultate sich am Sonntag nicht einstellen wollten (Espargaró und Zarco sollten als 12. beziehungsweise 15. ins Ziel kommen, waren allerdings nur eine Sekunde pro Runde langsamer als der Rennsieger – nie zuvor lagen die ersten Fünfzehn so eng beisammen), hat KTM den Abstand zu den Top-Teams deutlich verkürzt.

Pol Espargaró (ESP) KTM RC16 Losail (QAT) 2019 © Gold and Goose

Die Saison beginnt an diesem Wochenende. Für dich hat sie aber wahrscheinlich schon viel früher angefangen. Es scheint so, als ob jeder nach dem letzten MotoGPTM-Rennen der vergangenen Saison in Valencia Urlaub nötig hatte. Für das Team zuhause im Werk markierte das aber den Beginn einer weiteren stressigen Zeit, nehme ich an. Empfindest du das so?
Für uns beginnt die neue Saison am Tag nach dem letzten Rennen! Wir haben in diesem Jahr für einige Schlagzeilengesorgt mit diesen beiden Tests in Valencia und Jerez, da wir einen neuen Fahrer verpflichtet und ein weiteres Team hinzugefügt hatten. Es war schon stressig. Ich glaube, dass der neue Fahrer mit unserem Bike anfangs Probleme hatte. Wir haben aber gute Arbeit geleistet, es an ihn anzupassen, und in Jerez lief es schon besser und dadurch wussten wir, was wir im Winter zu tun hatten. Wir kehrten dann ins Werk zurück, um unsere Marschrichtung zu bestätigen, und brachten alles auf Kurs. So waren wir noch vor Weihnachten gut beschäftigt.

Zu dieser Zeit: Arbeitet ihr routinemäßig von Montag bis Freitag oder legt ihr schon mal lange Überstunden ein? Die Fans realisieren vielleicht nicht, was alles im technischen Bereich vor sich geht. Ihr musstet schließlich auch vier anstatt zwei Bikes vorbereiten …
Hmmm. Das hat im Prinzip zwei Seiten. Erstens geht es ums Analysieren und Organisieren: Wir müssen uns alle Berichte und Informationen ansehen, die von verschiedenen Seiten beigesteuert werden. Das kann lange dauern, kann aber von überall erledigt werden. Nach dem letzten Test verbrachten wir ein paar Tage zuhause, ich musste mich aber dennoch darauf konzentrieren. Als Zweites ist da das Werk, wo die Jungs einen anderen Rhythmus als ein Rennteam haben. Wir hatten viele Besprechungen, die im Rahmen eines Terminplans abgehalten wurden, der grundsätzlich von Montag bis Samstag läuft. Wenn alles soweit zusammenpasst, spielen wir den Ball unseren Leuten dort zu. Diese Zeit verwenden wir auch dazu, uns auf die nächste Rennsaison vorzubereiten. Während der Saison werden Ideen entwickelt, was wir in der nächsten anders machen könnten … und das ist die Zeit, diese umzusetzen.

Wenn du davon sprichst, den Ball unseren Leuten zuzuspielen, meinst du damit die internen Jungs in der Fertigung im Werk oder der Forschungs- und Entwicklungsabteilung?
Wir haben keine F&E-Abteilung als solche, die Entwicklung teilen sich das Rennteam und das Werk. Design, Fertigung und Qualitätskontrolle finden im Werk statt und das braucht Zeit und muss organisiert werden. Hier treten wir als Rennteam einen Schritt zurück.

Pol Espargaró (ESP) & Team Losail (QAT) 2019 © Gold and Goose

Bei den Tests sprechen Fahrer und Team von technischen Ideen: Wie viele neueEntwicklungen befinden sich in der Pipeline? Es muss so gut wie unmöglich sein, ständig neue Dinge zu kreieren und zu entwickeln …?
Neue Ideen werden pausenlos geboren. Es geht darum, die Zeit und die Teile zu haben, um diese zu testen. Wir haben zwischen den Saisons zwei Monate Zeit und ob dus glaubst oder nicht das ist fast zu lange für uns! Wir haben zu viele Ideen und müssen alle so verdichten, dass wir sie im Rahmen und im Zeitplan dieser dreitägigen Tests unterbringen. Sobald das erste Rennen beginnt, wird das Testen schwierig. Es [das Bike] ist nicht eingefroren, aber das Paket muss auf den Renn-Rhythmus abgestimmt werden und das bedeutet viel Detailarbeit und Tuning. Erst in Jerez kannst du mit dem Rennteam wieder voranschreiten. Bis dahin vergeht aber viel Zeit, so dass die ersten Rennen der Saison uns fast wie ein einziges, langes vorkommen.

Die KTM RC16 des Jahres 2019: Inwiefern unterscheidet es sich von dem ersten Testmodell von 2016?
Das lässt sich nicht so einfach beantworten. Es ist eine Sache, etwas zu verändern, aber etwas ganz anderes, wie dramatisch du es veränderst! Ich würde sagen, dass jedes Jahr vom Vorjahres-Bike nicht mehr viel übrig bleibt, was die physischen Teile betrifft. Natürlich wurde uns im Laufe der Zeit klar, wie etwas aussehen sollte, und so sind die Veränderungen an manchen Teilen nicht mehr so dramatisch. Alle Teams haben beschränkte Ressourcen und das bedeutet, dass man sich auf jene Bereiche konzentriert, die bei der Performance den größten Unterschied machen, und den Rest so beständig wie möglich macht, ohne Kompromisse einzugehen. Bei diesen Dingen muss man sich die jeweilige Situation, das jeweilige Problem ansehen und versuchen, immer beste Performance herauszuholen. Wir versuchen, nicht mehr zu verändern, als absolut notwendig ist. Dennoch unterscheidet sich das Bike jedes Jahr relativ stark von jenem des Vorjahres.

Kannst du einen Bereich nennen, wo es sich radikal verändert hat?
Optisch betrifft das wohl am stärksten die Verkleidung. In den Jahren 2016 und 2017 haben wir diesbezüglich große Fortschritte gemacht und entwickeln das jetzt weiter, ohne etwas verändern zu wollen, das bereits jetzt gut funktioniert. Die Änderungen sind vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennbar, das Teil ist aber komplett anders und muss von Grund auf neu gefertigt werden.

KTM RC16 2019 © Sebas Romero

Eine andere große Veränderung betraf den Motor; es war, als ob man das Herz des Bikes getauscht hätte. Was denkst du dazu?
Der Motor wird laufend verändert. Er ist das Herzstück des Bikes und wir meinen, dass wir ein starkes Herz haben. Also wollen wir nicht alles radikal verändern. Wenn du dir aber die Details eines Motors ansiehst, wirst du erkennen, dass der Motor des Vorjahres nicht in das Bike des nächsten passt! Die essentiellen Aspekte betreffen die reine Motorleistung, den Antriebsstrang und Bereiche, wo der Motor die Dynamik des Bikes beeinflusst. Und dann noch das Gesamtpaket und die Geometrie. Wir arbeiten ständig in diesen Bereichen und die Schritte, die wir gemacht haben, waren positiv und klar. Nach drei Jahren sind wir auch ganz klar nicht da, wo wir sein wollen. Die Richtung, in die wir mit dem Bike gehen wollen, wird aber immer deutlicher.

Die Saison 2019 hat gerade begonnen. Was war deiner Meinung nach eure wichtigste Lektion bei der Entwicklung der KTM RC16 vom ersten Test-Bike bis zur aktuellen Version?
Wir haben in jedem Bereich dazugelernt. Wenn man zurückblickt, sieht man, dass wir die Hauptprobleme für die Fahrer ausgemerzt haben. Das bedeutet, dass wir einen Bereich verbessert haben … dann wurden aber andere Bereiche zu einem Problem! Oder vielleicht der nächste Punkt auf der Liste. In diesem Prozess haben wir uns jeden Aspekt angesehen und das geht immer so weiter.

Fernsehzuschauer hören, wie ein Fahrer ein Problem wie das Einlenkverhalten bemängelt. Darauf zu reagieren und etwa ein neues Chassis zu bauen, kann keine einfache Aufgabe sein, selbst für ein schnell reagierendes Werk wie KTM …
Wenn es wirklich dadurch gelöst wäre, einfach ein neues Chassis zu bauen, hätte das keine großen Auswirkungen auf unser Budget, unsere Ressourcen und Arbeitszeit. Der springende Punkt ist, zu verstehen, was man verändern muss, und hier wird es teuer: Man muss forschen, simulieren und analysieren und dann die verschiedenen Optionen eines Chassis ausprobieren, um zu sehen, welche am besten funktioniert.

Johann Zarco (FRA) KTM RC16 IRTA Test Sepang (MAL) 2019 © Gold and Goose

Du hast erwähnt, dass das Bike noch nicht optimal funktioniert. Wie zufrieden bist du dennoch?
Man kann das immer von zwei Seiten betrachten. Auf der einen können wir stolz sein, dass wir das Bike kontinuierlich besser gemacht haben. Das liegt aber in der Natur des Rennsports und alle anderen tun das auch. Kein Bike bleibt unverändert und wenn das der Fall sein sollte, wäre es chancenlos. Um der Spitze näherzukommen, reicht es aber nicht aus, ein Bike zu verbessern: Man muss dabei schneller und effektiver sein als die anderen. Wenn man diese Veränderungen macht und dann bessere Resultate einfährt, ist das erfreulich und das haben wir 2017 gesehen. Im Jahr 2018 verbesserten wir das Bike weiter, die anderen haben im Laufe der Saison aber auch große Fortschritte gemacht und wir wurden etwas aus dem Rhythmus geworfen, da manche Entwicklungen etwas im Zeitplan zurücklagen. Es geht darum, mit Ressourcen klug umzugehen und vorauszuplanen. Man kann nicht immer dem Plan folgen und das hat einen großen Einfluss darauf, wie schnell man Fortschritte macht. Ich glaube, dass wir über den Winter und mit anderen Fahrern große Schritte gemacht haben. Deren Inputs wurden in Anpassungen am Bike umgesetzt, was uns das Bike wiederum stark verändern ließ, auch wenn es nur um die Einstellung geht. Große Schritte bei der Einstellung können die gleichen Auswirkungen haben wie große Schritte bei der Entwicklung von Teilen. Während der drei Übersee-Rennen müssen wir ins Detail gehen und Optimierungsarbeit leisten, ohne an der Hardware viel zu verändern. Das sollte die Situation stabilisieren und dann sollten wir den nächsten Schwachpunkt finden, den wir nicht selbst im Rennteam beseitigen können. Dann schlägt die Stunde der Hardware-Entwicklung im Werk.

Dieses Jahr stehen vier KTMs am Start, was natürlich auch bedeutet, dass euch mehr Informationen und mehr Daten zur Verfügung stehen … kann man sich darin aber auch verzetteln? Vier Wege führen nicht automatisch zum Ziel …
Ja, das stimmt natürlich. Es wird darum gehen, mit diesem zusätzlichen Feedback umzugehen. Wir setzen in dieser Saison zwei Testfahrer und vier Jungs im Starterfeld ein. Und das alles zu managen, ist eine Herausforderung, der wir uns als Team und im Werk stellen müssen. Unser Plan ist, alle vier KTMs, so gut es geht, auf demselben Stand zu halten, um diese für die Entwicklung wichtigen Informationen zu erhalten. Es gibt aber auch Grenzen und wir werden es eventuell nicht schaffen, zu jedem Zeitpunkt dieselben Bikes zu haben. Wenn du nur zwei Teile zur Verfügung hast, weißt du genau, wo du sie einsetzen wirst [an den Werksbikes]. Dann gibt es da noch die Entwicklungsstufe, in der ein Bike nicht den Renn-Spezifikationen entspricht, sondern als Testgerät bei privaten Tests, IRTA-Tests oder als Wildcard verwendet wird. Teile durchlaufen mehrere Phasen, was bedeutet, dass auch jedes Bike unterschiedlich sein kann.

Fotos: Sebas Romero | Gold and Goose