#inthisyear1959: Krise und Schwerpunktverlagerung

Wenn die KTM Motohall nach vierjähriger Planung ihre Pforten öffnet, können die Besucher auf drei Stockwerken die Geschichte von KTM hautnah erleben. Die zweite Ebene ist der Entwicklung der KTM-Motorräder gewidmet, angefangen bei der R 100 von 1953 und dem ersten eigenen KTM-Motor bis hin zur Neuzeit. Seit mehreren Jahren ist KTM der größte europäische Motorradhersteller und steht glänzend da, aber das war nicht immer so. Mehrfach in der sechseinhalb Jahrzehnte langen Geschichte geriet KTM in schweres Fahrwasser, so auch in der europäischen Motorradkrise Ende der 1950er Jahre.

© KTM Motohall GmbH

Die Nachkriegszeit der frühen 1950er Jahren war geprägt vom Wunsch nach Mobilität. Wenn es für die meisten auch noch nicht zu einem Auto langte, war ein Motorrad für viele jedoch erschwinglich. Das war auch der Grund dafür, dass Firmengründer Hans Trunkenpolz sich dazu entschied, neben der industriellen Fertigung von Kraftfahrzeug-Ersatzteilen mit der R 100 ein leichtes Motorrad zu bauen, für das in der damaligen Zeit hohe Absatzzahlen zu erwarten waren. Schon ein Jahr später wurde mit der R 125 ein zweites Modell produziert und noch 1954 verließ das 1000. KTM-Motorrad die Werkshalle. Die Erfolgskurve zeigte weiter nach oben. Mit der Grand Tourist, der kleinen Sportmaschine Tarzan und dem Mirabell-Motorroller kamen 1956 gleich drei neue Modelle ins Programm und bei der Internationalen Sechstagefahrt in Garmisch-Partenkirchen war KTM mit vier Maschinen im damals sechsköpfigen österreichischen Trophy-Team vertreten. Auch bei Straßenrennen fuhr Erwin Lechner auf der 4-Takt-Apfelbeck-KTM seinen Konkurrenten auf und davon.

KTM R 125 1954 © KTM

Ähnlich wie bei der Motorradindustrie im Nachbarland Deutschland machte sich die Krise kurz darauf aber auch bei KTM bemerkbar, wo es in den späten 1950er Jahren zu gravierenden Absatzeinbrüchen kam. Die wirtschaftliche Situation im Nachkriegseuropa hatte sich soweit stabilisiert, dass viele sich nun ein kleines Auto leisten konnten und das Motorrad schnell den Ruf eines „Arme-Leute-Vehikels“ bekam. Es war die Zeit der heute skurril anmutenden Kleinstwagen wie dem Goggomobil, Messerschmitt-Kabinenroller oder Zündapp Janus, bei dem die Passagiere Rücken an Rücken saßen. Das Vierrad-Abenteuer führte viele deutsche Motorradhersteller auf direktem Wege in Pleite.

Ein Großauftrag des österreichischen Bundesheeres für eine Militärversion der „Mustang“ kam da wie ein warmer Regen und bewahrte KTM vor Schlimmerem, allerdings mussten die Motorsportaktivitäten aus Kostengründen eingestellt werden. Zwar wurden auf der Wiener Frühjahrsmesse 1959 nochmal die Motorräder Grand Tourist, Trophy, Tarzan und Mustang ausgestellt, aber die Einstellung des Motorradbaus bei KTM war damals schon absehbar. Als einzige Neuheit konnte der überarbeitete nun zweisitzige Mopedroller Mecky mit Sachs-Motor bestaunt werden, der die künftige Ausrichtung von KTM ankündigte. Anders als bei den Motorrädern waren für die führerscheinfreien Mopeds mit 50ccm eher steigende Absatzzahlen zu erwarten.

KTM Trophy 1959 © KTM

1959 kam es zu einer Zusammenarbeit mit ZKW, einem Wiener Hersteller von Fahrzeugkomponenten, der nach dem Tod von KTM-Miteigentümer Ernst Kronreif dessen Anteile übernahm und damit Mehrheitseigner bei KTM wurde. Damit einher ging der Wechsel von Rotax bzw. Sachs als Motorenlieferanten hin zum österreichischen Konkurrenten Puch, einem großen ZKW-Kunden und österreichischem Marktführer auf dem Mopedsektor. Lediglich bei den Exportmodellen blieb es bei Sachs-Motoren.

Als erstes neue Modell nach der Krise wurde 1960 der „Ponny-Roller“ präsentiert, eine Weiterentwicklung des Mecky. Mit markantem Doppelscheinwerfer, Heckflosse und Zweifarbenlackierung war der Ponny damals der eleganteste Roller am Markt – quasi ein Straßenkreuzer auf zwei Rädern. Der Jugend von einst war der Roller jedoch zu bieder, zumal er als Damenfahrzeug beworben wurde. Sie vermissten ein „Rennerle“ im Stile der Tarzan aus den 1950er Jahren, wie eine Marktforschung bei den österreichischen Händlern ergab. Deswegen stand ein neues 50ccm-Moped mit dem Aussehen eines Motorrades ganz oben auf der Prioritätenliste, um gegenüber dem Hauptkonkurrenten Puch Boden gut zu machen. Dies war der Anstoß zur Entwicklung der Comet-Baureihe, die 1964 in Serie ging und vom Start weg zum Verkaufshit wurde. Die Comet-Modelle, wie bei KTM üblich für Österreich mit Puch-Motoren und für den Export mit Sachs-Motoren, sorgten dafür, dass KTM gegenüber Puch deutlich an Marktanteilen gewinnen konnte. Die vor nunmehr sechs Jahrzehnten getroffene Entscheidung, die Motorradproduktion zugunsten von 50ccm-Modellen aufzugeben, hat sich rückblickend als strategisch richtig erwiesen. Bis 1988 wurde der überarbeitete Ponny II-Roller verkauft – ein echter Dauerbrenner, und auch die Comet Klein- und Leichtkrafträder waren in den unterschiedlichsten Varianten bis in die 1980er Jahre im Programm.

Ponny 1960 Comet 1964
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KTM Ponny 1960 © KTM

In der KTM Motohall wird die Geschichte des größten europäischen Motorradherstellers zum Greifen nah präsentiert, angefangen von der R 100, dem ersten KTM-Motorrad von 1953, über die eleganten Roller und rassigen Fünfziger aus den 1960er Jahren oder den erfolgreichen Enduro- und Motocross-Maschinen bis hin zur Gegenwart.

Eine besondere Ebene ist den KTM Heroes gewidmet, auf der die KTM-Weltmeisterbikes und die Champions in der originalen Fahrerbekleidung von einst präsentiert werden. Gründe genug also für einen Besuch der KTM Motohall in Mattighofen.

© KTM Motohall GmbH

Fotos: KTM Motohall GmbH | KTM