#inthisyear1998: Technik- und Designoffensive

Vollgas in jeder Beziehung – dafür steht KTM. Dazu gehört auch, das Ohr an der motorradfahrenden Basis zu haben, sei es nun die Reisefraktion oder die Freunde bärenstarker Single-Triebwerke. Ganz besonders die KTM 790 ADVENTURE, auf der EICMA gleich in zwei Versionen präsentiert, und die Wiederkehr der komplett überarbeiteten KTM 690 SMC R sorgten bei den Fans der orangen Marke aus Mattighofen für glänzende Augen. Vor zwei Jahrzehnten gelang es KTM, Weltmarktführer im Offroad-Sektor, mit einer erfolgreichen Technik- und Designoffensive auch im Segment sportlicher Straßen- und Reisemotorräder Fuß zu fassen. Selbst ohne auf das Tankemblem zu schauen, ist eine KTM schon seit vielen Jahren eindeutig als KTM erkennbar, sogar im Rückspiegel.

Seit über sechs Jahrzehnten ist KTM READY TO RACE – Mitte der 1950er Jahre fuhr Erwin Lechner auf der „Apfelbeck-KTM“ von Sieg zu Sieg, und in den späten 1960er Jahren wurde mit Aufnahme der Serienproduktion von Geländemaschinen der Grundstein dafür gelegt, dass KTM seit vielen Jahren der Weltmarktführer für Offroad-Modelle ist. Schon 1974 gab es die ersten internationalen Titelgewinne für KTM – Gennady Moiseev aus der damaligen Sowjetunion gewann die erste Motocross-Weltmeisterschaft für den Mattighofener Hersteller und Imerio Testori aus Italien wurde 500ccm-Enduro-Europameister – eine Enduro-WM gab es damals noch nicht. Zwei Titel, denen im Laufe der Jahre unzählige weitere folgen sollten.

1992 war KTM nach dem Konkurs der früheren KTM Motorfahrzeugbau AG unter neuer Führung durchgestartet und die Entwicklungsabteilung arbeitete an neuen Konzepten für die Zukunft. Bereits zwei Jahre später wurde die Palette der stollenbereiften Bikes mit der KTM 620 DUKE ergänzt – einer Straßenversion mit dem kräftigen LC4-1-Zylinder der Enduro. Seither fährt KTM zweigleisig – Offroad und Onroad. Mit der als „Spaßbike“ konzipierten KTM 620 DUKE waren aber nicht die hohen Stückzahlen zu erwarten, um zu den Großen der Branche aufzuschließen. Fernreisen mit dem Motorrad lag im Trend und so ist es naheliegend, dass Wolfgang Felber, damals Entwicklungsleiter, das nächste Projekt als „All Terrain Enduro“ bezeichnete – ein 2-zylindriges Motorrad für die Fernreisefraktion, das sowohl auf der Straße als auch Offroad fahrbar sein sollte. Schon einige Jahre zuvor hatte es Gedankenspiele gegeben, um für die Zukunft gewappnet zu sein. Damals entstand in Zusammenarbeit mit dem Darmstädter Jens Polte, bekannt durch seine Rennaktivitäten bei den „Battle of Twins“, ein V2-Motor mit zwei 553ccm großen LC4-Zylindern, der Leistung im Überfluss versprach. Auch bei der „All Terrain Enduro“ entschieden sich die Projektverantwortlichen für einen schmal bauenden 2-Zylinder-V-Motor, der wesentlich mehr Möglichkeiten als der bewährte LC4-Single bot. Die mit 60 mm kurzhubige Auslegung sorgte für eine geringe Bauhöhe und der Zylinderwinkel von 75° gewährleistete kompakte Abmessungen. Der LC8 genannte V2 leistete gut 100 PS aus 950ccm – die Präsentation der KTM 950 ADVENTURE genannten Studie erfolgte im Jahr 2000 auf der Intermot in München. Bei der Rallye Dakar 2002 erreichte Fabrizio Meoni mit der Rallyversion der KTM 950 ADVENTURE als erster den Lac Rosé in der senegalesischen Hauptstadt. Es war der zweite KTM-Sieg bei der wohl populärsten Motorradrally der Welt – bis heute ist es keinem anderen Fabrikat mehr gelungen, die Motorradwertung für sich zu entscheiden. Die Markteinführung der KTM 950 ADVENTURE erfolgte dann 2003, dem 50. Jubiläumsjahr von KTM. Spätestens als KTM im Herbst auf der EICMA die Studie KTM 990 DUKE ausstellte, war klar, dass KTM das Segment großvolumiger Straßenbikes nicht der Konkurrenz überlassen wollte.

KTM 950 ADVENTURE © KTM

Die Entwicklungen stellten aber keine Abwendung vom Offroad-Sektor dar – ganz im Gegenteil. Nachdem bisher die LC4 Super Competition die 4-Taktfahne bei Enduro- und Motocrossrennen hochgehalten hatte, war nun mit den Racing-Motoren, die es anfangs mit 400ccm und 520ccm gab, eine zweite 4-Taktbaureihe serienreif. Zusammen mit dem Bezug des neuen Fabrikgebäudes im Herbst 1999 begann die Produktion der ausschließlich für den Wettbewerbseinsatz vorgesehenen Modelle EXC-Racing und SX-Racing.

Auch der LC4-Motor wurde weiterentwickelt – mit vergrößertem Hubraum war der nun 640 LC4 genannte Motor der stärkste Serien-1-Zylinder weltweit, der in verschiedenen Enduro- und Supermoto-Modellen, aber auch in der KTM 640 DUKE 2 zum Einsatz kam, die von einigen Journalisten noch heute als „Designerstück“ gefeiert wird.

KTM 640 DUKE 2 © KTM

Die Zeiten, wo man ein Motorrad nur am Markenemblem auf dem Tank erkennt, waren bei KTM schon lange vorbei. Die legendären Mint & Pepper-Modelle von Anfang der 1990er Jahre sind noch vielen wegen ihrer extravaganten Farbgestaltung in Erinnerung, konnten sich aber nicht durchsetzen. Der große Wurf kam erst einige Jahre später, als KTM orange wurde. Gerald Kiska, der als junger Designer eine Ausschreibung von KTM gewann und seither für das unverwechselbare Design von KTM verantwortlich ist, war sich damals mit KTM CEO Stefan Pierer einig, dass alle zukünftigen Modelle auf den ersten Blick als KTM erkennbar sein sollten.

Das ursprüngliche Orange wurde weiter verfeinert und das „KTM Orange“ entsprach in der Motorradwelt schon bald dem, was „ferrarirot“ bei den Vierrädrigen war. Und das galt nicht nur für die Lackierung der Motorräder, sondern für den gesamten Markenauftritt – vom Briefpapier über die Messestände bis hin zu den Showrooms der Händler.

In den späten 1990er Jahren perfektionierte Kiska das aus dem Automobilbereich bekannte Thema „Edge-Design“ für KTM, bis heute tragen alle KTM-Motorräder Kiskas unverwechselbare kantige Handschrift.

Und schon lange bevor überhaupt jemand an LED-Signaturen dachte, war die KTM DUKE 2 als einziges Motorrad überhaupt sogar im Rückspiegel zweifelsfrei als KTM erkennbar. Grund waren die beiden übereinanderliegenden Ellipsoid-Scheinwerfer, ein einzigartiges Stylingelement im Motorradbereich. Über viele Jahre hinweg gab es bei KTM nichts mehr, was zwei Scheinwerfer nebeneinander hatte, höchstens übereinander. Auch heute noch ist eine DUKE oder ADVENTURE an ihrem typischen „Gesicht“ schon im Rückspiegel erkennbar.

Nach 20 Jahren schloss sich auf der EICMA der Kreis – zwei Jahrzehnte nach den ersten Mehrzylinder-Entwürfen ergänzt die KTM 790 ADVENTURE mit dem kompakten LC8c-Motor gleich in zwei Ausführungen die Mittelklasse im Travel Segment. Und wie das einstige „All Terrain-Enduro“-Projekt macht sie Adventure-Touren genauso mit wie Offroad-Erkundungsreisen in schwierigem Gelände.

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KTM 790 ADVENTURE R MY2019 © KISKA/F. Lackner

Fotos: KTM | KISKA/F. Lackner