Joan Olivé: Von der Rennstrecke ins Büro

Joan Olivé ist ein bekanntes Gesicht im Red Bull KTM-Team. Der ehemalige Grand Prix-Fahrer stand während seiner aktiven Karriere neunmal auf dem Podium; jetzt hilft er den aktuellen Werksfahrer und hat von der einen, auf die andere Seite der Boxenmauer gewechselt. Wir wollten wissen, wie sich die Veränderung für den immer noch fitten 31-jährigen Spanier anfühlt und wie er als ehemaliger Rennfahrer seinen Platz in der Welt gefunden hat, in der er einmal zu den führenden Namen gehörte …

Joan Olivé (ESP) & Karel Hanika (CZE) Australia 2014

Joan Olivé (ESP) & Karel Hanika (CZE) Australien 2014

Olivé hat immer ein Lächeln im Gesicht und scheint für jeden Zeit zu haben, obwohl er gleichzeitig den Eindruck vermittelt, in Arbeit zu ertrinken und eigentlich zur selben Zeit an drei Orten sein müsste, mag er seinen Job bei Red Bull KTM, den er übernahm, nachdem er 2012 seinen Helm endgültig an den Nagel hing. Während des Trainings zum Katar GP nahm sich Joan Zeit, um mit uns in perfektem Englisch über seinen Weg zu sprechen, der ihn zusammen mit Landsmännern wie Dani Pedrosa zu Beginn des Jahrhunderts in den GP-Sport und bis an die Spitze einer ganzen Reihe starker spanischer Talente führte, die jetzt die MotoGP aufmischen. „Joan ist sehr genau; eine wichtige Eigenschaft für einen Koordinator“, sagt sein Chef und Teameigner Aki Ajo. „Wir kennen uns schon eine ganze Weile, denn wir beide sind schon einige Zeit im Fahrerlager unterwegs; als Joan 2012 das KTM-Moto3-Motorrad testete, waren wir häufiger in Kontakt und am Ende hat er begonnen, für unser Team zu arbeiten.“

„2011 begann ich für KTM zu arbeiten und 2012 im Team von Aki; wow, wie schnell die Zeit vergeht!“ sagt Olivé. „Meine Aufgaben haben sich mit der Zeit verändert. In den ersten zwei Jahren habe ich nur als Testfahrer gearbeitet, erst als ich bei Aki angefangen habe, begann ich die anderen Fahrer an der Strecke zu beobachten und versuchte ihnen mit meiner Erfahrung zu helfen, sich zu verbessern. Zunehmend bekam ich mehr Verantwortung und mittlerweile besteht mein Job hauptsächlich darin, das Team zu koordinieren und Vorbereitungen für die Reisen und Testfahrten zu treffen. Ich stehe dauernd in Kontakt mit IRTA und DORNA und habe meine Finger überall im Spiel, wo es was zu organisieren gibt. Wenn es die Zeit erlaubt, fahre ich am Wochenende um die Strecke, das mache ich gern und nur so, kann ich die anderen Fahrer unterstützen. Die Fahrer und Teamchefs schätzen das Feedback, das ich geben kann. Wenn wir nicht zu viele Gäste haben, bin ich immer auf den Servicestraßen um die Strecke unterwegs.“

Karel Hanika (CZE) & Joan Olivé (ESP) KTM RC 250 GP Japan 2015

Karel Hanika (CZE) & Joan Olivé (ESP) KTM RC 250 GP Japan 2015

Hast du mit allen Fahrern gearbeitet, seit KTM in die Moto3 eingestiegen ist?
„Ja, zunächst mit Sandro [Cortese], dann [Arthur] Sissis, Zulfahmi [Khairuddin] und [Luis] Salom, Jack [Miller] und Karel [Hanika], Miguel [Oliveira], Danny Kent und jetzt Brad [Binder] und Bo [Bendsneyder].“

Da gibt es ein paar interessante Geschichten. Einige sehr erfolgreiche und andere eher weniger erfolgreiche …
„Leider können es nicht alle Fahrer bis ganz nach vorne schaffen, aber von unserer Seite haben wir alles getan, was wir konnten, um ihnen die besten Voraussetzungen zu bieten. Ein gutes Beispiel, wie unterschiedlich Karrieren verlaufen können, sind Jack und Arthur. Beide haben drei Jahre lang bei mir gelebt; wir waren jeden Tag zusammen, haben gemeinsam trainiert und sind Motocross fahren gegangen … wir hatten eine enge Beziehung. Einige Fahrer haben bereits mehr Erfahrung; Sandro war im Vergleich zu den andere sehr erfahren und wir hatten ein gutes Gesamtpaket mit der KTM. Er konnte in dem Jahr großartige Leistungen zeigen. Ich habe schon mit vielen verschiedenen Fahrern gearbeitet, alle waren große Talente, aber komplett verschiedene Charaktere. Im Motorradsport ist 1+1 nicht automatisch 2. Manche Fahrer sind sensibler als andere und brauchen mehr Aufmerksamkeit, andere wiederum sind komplett unabhängig. Du kannst eine Menge lernen, wenn du neue Herausforderungen bewältigen musst.“

Erzähl uns mehr über die Situation von Sissis und Miller; beides Australier, die großes Potenzial haben. Einer stieg in die MotoGP auf, nachdem er den Titel in der Moto3 nur knapp verpasst hatte, während der andere nicht mehr in der Weltmeisterschaft und stattdessen Speedway fährt …
„Ich habe immer noch eine gute Beziehung zu Arthur und wir sprechen regelmäßig, natürlich auch zu Jack. Es ist schade, dass Arthur sich nicht weiterentwickeln konnte, aber im Leben muss man für seine Ziele kämpfen. Ich habe gespürt, dass Arthur nicht wirklich wusste, was er wollte. Er begann bei KTM, wechselte dann ins Werksteam von Mahindra, dachte aber gleichzeitig auch über Speedway nach. Im Leben passiert selten etwas einfach so; man muss seine Ziele klar vor Augen haben. Jack war sich darüber im Klaren; er wollte unbedingt im Straßenrennsport erfolgreich sein. Diese Fahrer sind noch sehr jung und einige haben eine klare Vorstellung von dem, was sie wollen und wie ihren Traum realisieren können, während andere noch nichts alt genug sind, um zu verstehen, welche Chance sie gerade haben. Ich denke es sind Situationen, in denen sie, hätten sie die gleiche Möglichkeit noch einmal später im Leben, anders entscheiden würden. Es ist eine Frage von Reife.“

War das nicht eine schwierige Situation für dich? Haben KTM und Aki dich nicht gefragt, warum es bei Jack gut läuft und bei Arthur Schwierigkeiten gibt?
„Haha, nein. Es ist Teamwork. Ich bin zwar an der Strecke und gebe den Fahrern mein Feedback, aber die Ergebnisse sind ein Verdienst des ganzen Teams. Wir geben alle 100% und wenn wir es schaffen würden, alle Fahrer an die Spitze zu bringen, dann wäre es eine ‘perfekte Maschine’, aber so funktioniert das Leben nicht … und es gibt nicht genug Startplätze in der MotoGP! Am Ende geht es darum, wer seine Chance am besten nutzt; sie müssen im richtigen Moment, die nötige Reife haben. Ich glaube alle unsere Fahrer waren in der Lage, schnell zu fahren. Es war mehr eine Frage der Einstellung und das Glück zu haben, zur rechten Zeit, am richtigen Ort zu sein.“

Joan Olivé (ESP) & Karel Hanika (CZE) Silverstone 2014

Joan Olivé (ESP) & Karel Hanika (CZE) Silverstone 2014

Wie ist das mit den Ratschlägen? Du erinnerst dich bestimmt noch an die Zeit, als du selbst Fahrer warst, und jeder dir sagen wollte, was du wie zu tun hast. Es ist bestimmt schwierig einzuschätzen, welcher Fahrer in welcher Situation Ratschläge hören und wer eher allein gelassen werden will …
„Die meisten Fahrer sind sehr jung und deshalb meist bereit zuzuhören, zusammenzuarbeiten und ‘offen’ für Ratschläge. Bisher habe ich noch nicht erlebt, dass jemand keine Hilfe wollte. Auch jetzt noch treffe ich ehemalige Teamkollegen im Fahrerlager, die mich fragen „Ich habe dich an der Strecke gesehen … was denkst du?“, deshalb glaube ich, dass die meisten Fahrer zuhören und wissen wollen, wenn etwas gut für sie sein könnte. Ich beobachte sie auf der Strecke und mache mir Gedanken. Die Teile ich dann dem Teamchef mit, denn das Team kann meine Eindrücke mit den Daten vergleichen und haben mehr Möglichkeiten, mit dem Fahrer zu arbeiten. Der Kontakt zum Team ist wichtig, sonst kann es zu Missverständnissen kommen. Der Teamchef hat vielleicht eine andere Meinung als ich und wenn wir unsere Eindrücke kombinieren, geht es meist in die richtige Richtung. Es ist immer besser, zusammenzuarbeiten.“

Erkennst du einige Probleme der Fahrer aus deiner aktiven Zeit wieder? Das richtige Setup zu finden, mit den anderen Fahrern zu kämpfen … Siehst du sowas und erinnerst dich an Momente deiner Karriere?
„Ja, natürlich! Wenn ich meine Teenagerzeit noch einmal erleben könnte, mit dem Wissen, das ich heute habe, wäre ich sehr schnell und würde viele Meisterschaften gewinnen! Das typische Problem eines Rookies ist, dass sie spät bremsen, um schnell zu sein, aber die wirklich schnellen Rundenzeiten kommen erst, wenn man das Gas früh aufmacht. Ich erinnere mich, dass das mit das erste war, was ich lernen musste, als ich anfing Rennen zu fahren. Aber viele sehr erfahrene Piloten haben über Jahre einen Fahrstil, der sich nur schwer verändern lässt.“

Fährst oder testest du ab und zu noch das Rennmotorrad?
„Nein, nicht mehr. Sobald man viel Zeit im Büro verbringt, ist es schwierig, wieder die richtige Einstellung zu finden, um wieder schnell Motorrad zu fahren. Ein Testfahrer muss schnell sein und wir sprechen von weniger als zwei Sekunden Unterschied zu den Jungs im GP. Man kann nicht Montag bis Samstag im Büro sitzen, ein bisschen trainieren und Motocross fahren und dann am Sonntag einen GP fahren. Man verliert ein bisschen den Fokus, wenn man die ganze Zeit in einen Computer starrt!“

Dieser Fokus: wenn du mit dem Motorradfahren aufhörst und weißt, du musst keine Testkilometer mehr absolvieren, ist das eine Erleichterung? Ein Gewicht, das von deinen Schultern fällt?
„Wenn du auf das Testen und Fahren fokussiert bist, ist es einfach, ein gutes [mentales] Level zu halten; es ist Routine: Training, Essen, Regeneration. Wenn du gleichzeitig aber auch noch andere Verantwortlichkeiten hast und während des Trainings denkst ‘Das muss ich morgen erledigen’, dann verändert sich das Leben! Ich bin glücklich mit meinem Job und ich denke, es ist eine normale Entwicklung. Manchmal fehlt mir das Fahren … aber ich hatte meine Zeit. Es macht mir Spaß, mit den Fahrern zu arbeiten und ich denke, wir sprechen die gleiche Sprache, um auszudrücken, wie wir uns fühlen und was auf der Strecke passiert. Ich mag meinen Job und die Aufgaben neben dem Motorradfahren; man kann nicht für immer ein Fahrer sein. Zum Glück arbeite ich immer noch in dieser Welt, die ich mag und kenne jetzt noch mehr Seiten von ihr.“

Joan Olivé (ESP) KTM RC 250 GP Portugal 2012

Joan Olivé (ESP) KTM RC 250 GP Portugal 2012

Wie ist die Beziehung zu Aki? Ist er ein anspruchsvoller Chef?
„Nein, ich bin zufrieden mit ihm und stolz darauf, dass ich in den letzten fünf Jahren so viel von ihm lernen konnte; Dinge, über die ich in der Vergangenheit nicht viel wusste. Ich arbeite und lerne in einem der besten Teams der MotoGP-Szene und kann mich wirklich glücklich schätzen. Ich bin immer aufmerksam und höre, was er zu sagen hat. Er arbeitet sehr hart und das imponiert mir; wir genießen unsere Arbeit gleichermaßen und kennen uns gut.“

In welche Richtung könnte es in Zukunft für dich gehen? Hättest du gern dein eigenes Team? Oder eine direkte Verbindung zu einem Hersteller? Oder möchtest du Fahrer managen …?
„Oooh, im Moment weiß ich das noch nicht. Ich möchte mir alle Optionen offen halten. Ich bin immer noch jung und möchte nichts überstürzen. Das wäre ein Fehler. Ich möchte immer noch mehr lernen und dann werden wir sehen, was die Zukunft bringt. Jeder träumt von der Zukunft, aber ich möchte keine voreiligen Schritte machen. Ich bin mit meiner derzeitigen Situation zufrieden und dann sehen wir weiter. Wenn du die Dinge übereilst, dann gehen sie schief. Auch hier geht es ums Timing: Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort zu sein.“

Wie sieht dein Leben jetzt aus? Du bist so lange Rennen gefahren und bist jetzt immer noch bei den GPs; ist es für deine Familie nicht schwierig, dass du immer noch in der Szene aktiv bist?
„Natürlich ist es nicht einfach, wenn du so viele Tage von zu Hause weg bist, aber es ist mein Leben und ich bin froh, dass meine Freundin mich schon lange kennt und viel Verständnis hat. Wir werden sehen, wie es sich in Zukunft entwickelt und es gibt verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel später zu den europäischen Renen anzureisen und etwas früher wieder abzureisen, aber meine Familie mag die Rennen und bisher gibt es keine Beschwerden! Außerdem habe ich hier gute Freunde, die den gleichen Job machen.“

Zu guter Letzt – Ich weiß, es ist unmöglich wegen des Alterslimit in der Moto3 – aber wenn sich einer der Fahrer verletzen und Aki dich fragen würde, dir die Lederkombi anzuziehen, wie schwierig wäre das für dich?
„Whoah … unmöglich! Ich würde gerne … aber das Alterslimit bedeutet, es bleibt ein Traum. Ich erinnere mich, das eines meiner letzten Rennen ein Wildcard-Einsatz war, genau wegen so einem Verletzungsszenario und sobald ich auf der Strecke war, habe ich angefangen zu schwitzen! Ich war nicht mehr daran gewöhnt, diese Muskeln zu benutzen. Es war ein tolles Gefühl, das Knie bei 170 km/h auf den Boden zu bringen; das ist das Beste. Ich würde gerne einmal für ein paar Runden Zarcos Moto2-Motorrad ausprobieren! Ich bin einfach neugierig … vielleicht sollte ich fragen!“

Fotos: KTM | Ajo Motorsport