Kopf-an-Kopf-Rennen in Orange? Das Rennen um die MXGP-Krone 2018 könnte ein Kampf Cairoli gegen Herlings werden

Die beiden Recken auf ihren Red Bull KTM 450 SX-Fs beendeten die Motocross-Weltmeisterschaft 2017 auf den Plätzen 1 und 2, wobei jeder der beiden 6 der insgesamt 19 Grands Prix für sich entscheiden konnte. Daher ist es wenig überraschend, dass viele für 2018 einen Kampf der Titanen voraussagen. Wir haben die Protagonisten selbst zum potentiellen Showdown befragt …

Jeffrey Herlings (NED, #84) & Tony Cairoli (ITA, #222) KTM 450 SX-F Frauenfeld (SUI) 2017 © Ray Archer

Im Motorrad-Rennsport ist Motocross eine große Unbekannte. Als mehrfacher Titelgewinner – er gewann in der Königsklasse mit drei verschiedenen Modellen von zwei Herstellern nicht weniger als neun Weltmeisterschaften – weiß der 32-jährige Tony Cairoli das besser als jeder andere. Schließlich vermurksten Verletzungen und Pech für ihn die Jahre 2015 und 2016. Mit erst 23 Jahren ist Jeffrey Herlings bereits einer der erfolgreichsten Athleten der Grand Prix-Geschichte und der bekannteste niederländische Motorrad-Rennfahrer aller Zeiten. Aber auch ihm gingen bereits Titel wegen Krankenhausaufenthalten und körperlichen Rückschlägen durch die Lappen.

Selbst, wenn du glaubst, vorbereitet zu sein, kann dich bereits eine kleine ‚Bodenunebenheit‘ aus dem Rennen werfen.

Herlings Wandel vom besten 250-ccm-Racer dieses Jahrhunderts zum MXGP-Rookie im letzten Jahr bedeutete, dass er sich direkt mit Cairoli messen musste, der bereits in seiner ersten MXGP-Saison 2009 den Titel gewinnen konnte und auch in den Jahren 2010, 2011, 2012 und 2014 siegreich war. Dann brach er sich aber nur wenige Wochen vor dem Saisonauftakt die Hand und brauchte einige Zeit, um sich an die neue Klasse zu gewöhnen und Cairolis Niveau zu erreichen, während der Sizilianer seine Fans und Follower mit Comeback-Siegen beim Heim-Grand Prix in Arco di Trento und auch zuhause in Ottobiano zu Begeisterungsstürmen hinriss. Herlings kam erst beim sechsten Lauf aufs Podium, holte aber bereits eine Woche später seinen ersten von sechs Siegen, die anderen fünf im Laufe der letzten sechs Events. Ottobiano war dabei der Schauplatz der ersten von mehreren ‚Konfrontationen‘. Im Sand von Lommel in Belgien lieferte sich die Paarung neuerlich einen harten Kampf, an dessen Ende KTM alle sechs Podiumsplätze in der MXGP und der MX2 besetzte.

Glenn Coldenhoff (NED), Tony Cairoli (ITA), Jeffrey Herlings (NED), Jorge Prado (ESP), Pauls Jonass (LAT) & Julien Lieber (BEL) Lommel (BEL) 2017 © Ray Archer

Die Saison 2018 ist aber weit davon entfernt, eine reine KTM-Show zu werden. Im Jahr 2017 konnten vier andere Fahrer triumphieren – Talente wie Gautier Paulin, Clement Desalle, Romain Febvre, Tim Gajser, Shaun Simpson, Jeremy Van Horebeek, Max Anstie, Glenn Coldenhoff und andere bewiesen, dass das Red Bull KTM-Duo hart wird arbeiten müssen, um seine Stellung bei neunzehn Veranstaltungen mit achtunddreißig Rennen und siebenundfünfzig Rennstarts (Qualifikationsrennen mitgerechnet) zu verteidigen.

Die Zahlen sprechen allerdings deutlich für die beiden. Seit 2010 wurden sechzehn MX2- und MXGP-Titel verliehen und die Achse Cairoli-Herlings konnte neun davon für sich entscheiden. Cairoli hält bei 83 GP-Siegen. Herlings bei 67. Die Saison 2017 beendeten sie als 1. und 2. Cairoli fährt bereits seine fünfzehnte Vollzeit-Saison als Grand Prix-Fahrer, seine zehnte auf einer 450er/350er. Herlings ist bereits seit neun Jahren dabei und geht in sein zweites auf dem hubraumstärkeren Bike. Cairoli ist seit den mittleren 2000er-Jahren eine Bank im Grand Prix-Sport. Herlings‘ Aufstieg zum Star setzt sich stetig fort und sein letztjähriger Wild-Card-Sieg in der US-amerikanischen Lucas Oil AMA Pro National Motocross-Serie bestärkte diesen Aufwärtstrend nur noch.

Jeffrey Herlings (NED, #84) & Tony Cairoli (ITA, #222) KTM 450 SX-F Teutschenthal (GER) 2017 © Ray Archer

Das Formbook – ein schwacher und oft unzuverlässiger Fahrplan für die MXGP – sagt voraus, dass #222 in 2018 aufmerksam verfolgen wird, was die #84 tut, und umgekehrt. „Wie man Tony schlagen kann, wollt ihr wissen? Indem man schneller und intelligenter fährt als er, obwohl das richtig schwierig werden wird, da er schon verdammt lange – fünfzehn Jahre, wenn ich nicht irre – dabei ist, dabei schon alles durchgemacht hat und mit allen Wassern gewaschen ist“, so der Herausforderer. „Du musst einen hohen Speed haben, aber auch wissen, wann du den einsetzen musst. Jeder macht mal Fehler – der Unterschied besteht darin, größere Fehler so gut es geht zu vermeiden und sich gleichzeitig nicht zu verletzen.“

„Tony hat alles, was man braucht: Er ist ein hervorragender Starter und Fighter und ist auf fast jeder Strecke schnell“, fügt Jeffrey hinzu. „Um diese Kombination zu schlagen, brauchst du das ganze Paket und musst zusehen, dass deines besser funktioniert.“

Tony Cairoli (ITA) KTM 450 SX-F 2018 © Ray Archer

Auch die Renneinsätze vor Beginn der Saison 2018 brachten keine Aufklärung. Herlings gewann die Internationals in Großbritannien und Frankreich. Cairoli triumphierte wiederum beim Internazionali D‘Italia – sein zehnter Titel in einer nationalen Serie und eine Blaupause seines selbstbewussten Starts in die Saison 2017. Für Herlings war der vergangene Winter einer der besten und problemlosesten der letzten Jahre, ganz ohne Verletzungspech oder durch Rehabilitation verlorene Zeit. „Ich fühle mich gut und stark und alles, was wir uns vorgenommen haben, hat ohne Probleme geklappt“, sagte er letzte Woche.

Jeffrey Herlings (NED) KTM 450 SX-F © Ray Archer

Und was ist mit Cairoli? Seine Rückkehr zur Form 2017 machte die enttäuschenden Saisons 2015 und 2016 vergessen. „Ich weiß, dass ich dieses Mal um den Titel mitkämpfen kann, während die beiden Jahre davor schwierig waren und wir nicht wussten, wo wir standen“, erklärt er. „Heute sind wir uns zu 100 % sicher, dass wir vorne dabei sein werden.“

In der zweiten Hälfte der Saison 2017 begegneten sich Cairoli und Herlings mehrere Male mit verschiedenen Ansätzen: Während der Meisterschaftsführende auf Sicherheit fuhr, um seinen Vorsprung in den Punkterängen zu halten, ließ sein Verfolger nichts unversucht, um so viele Siege wie möglich zu holen. Diese Woche starten beide in Argentinien bei null und Cairoli wird Herlings wohl in einem anderen Licht und als Teil der Gesamtbedrohung sehen.

„Es ist mir egal, gegen wen ich fahre“, behauptet er. „Ich sehe die Konkurrenz als Ganzes und natürlich ist Jeffrey einer der schnellsten darunter. Es ist aber eine Weltmeisterschaft mit vielen Jungs, die hungrig auf Siege sind, und ich werde mich jedem stellen, der mich herausfordert. Ich werde versuchen, vor allen anderen ins Ziel zu kommen.“

Cairoli fehlt nur noch eine Weltmeisterkrone auf Stefan Everts‘ Rekord von zehn Titeln: Das sollte genug Motivation sein, um in der Saison 2018 wieder Vollgas zu geben. Trotzdem hält der Sizilianer daran fest, dass sein Antrieb von innen kommt und persönlicherer Natur ist. „Ich will vor allem Spaß haben und versuchen, mich in irgendeinem Bereich zu verbessern – das ist die Herausforderung“, sagt er. „Ich will versuchen, besser zu werden, ich kämpfe also praktisch gegen mich selbst.“

Tony Cairoli (ITA) Frauenfeld (SUI) 2017 © Ray Archer

Im Hintergrund werden beide Fahrer von engagierten Technik-Teams unterstützt: Da sind Claudio und Davide De Carli und ihre italienische Kerntruppe auf der einen Seite und Dirk Grübel, Wayne Banks und der Rest von Herlings‘ innerem Zirkel auf der anderen. Als Teil des riesigen Red Bull-Aufgebots sollte der Wettstreit der KTM-Bikes um Punkte und Siege in der MXGP sicher interessante, spannende und dramatische Momente liefern. Grübel – der auch Pauls Jonass‘ Titel-Aspirationen in der MX2 managt – sieht dabei sowohl die Vorteile als auch die potentiell heiklen Aspekte.

„Die beiden werden sich nichts schenken und Glück wird sicher eine große Rolle spielen. An manchen Tagen wird einer besser sein und dann wieder der andere“, so der Deutsche. „Beide müssen akzeptieren, dass sie nicht jede Woche gewinnen können und dass auch Jungs auf anderen Marken mitmischen werden. Beide müssen versuchen, konstant zu fahren. Ich hoffe, dass das Teammanagement nicht zum Einsatz kommen muss, wir werden die Situation aber auf jeden Fall beobachten. Wir sind in der glücklichen Lage, dass beide Fahrer im Team Titelchancen haben … das bedeutet aber auch, dass wir alle Hände voll zu tun haben!“

Die nächsten sieben Monate versprechen auf jeden Fall jede Menge Action für Fans beider Fahrer, die KTM-Teams und MXGP-Enthusiasten.

Jeffrey Herlings (NED, #84) & Tony Cairoli (ITA, #222) KTM 450 SX-F Ernée (FRA) 2017 © Ray Archer

Fotos: Ray Archer