Luciano Benavides und sein Weg auf das Podium in der Cross-Country-Rally-Weltmeisterschaft: „Ich sagte mir, dass ich es schaffen kann. Für mich selbst und das Team“

Es war 11 Uhr morgens am 4. April. Luciano Benavides – damals noch ein Junior – rollte bei der 29. Ausgabe der Abu Dhabi Desert Challenge als Zweitplatzierter zurück zu seinem Red Bull KTM Factory Racing-Rally-Team. Als er seinen Helm abnahm, kam ein breites Grinsen zum Vorschein. Der 23-jährige Argentinier hatte lange Zeit auf seinen Durchbruch warten müssen. „Bei diesem Rennen habe ich mein neues Ich kennengelernt“, sagt er. Die Magie dahinter kann man nicht erklären, man kann es aber wenigstens versuchen.

Luciano Benavides (ARG) Abu Dhabi Desert Challenge (UAE) 2019 © Rally Zone

Vor der letzten Prüfung hatte Luciano Benavides einen Rückstand von 4 Minuten und 36 Sekunden auf den zu jener Zeit Zweitplatzierten. Er wusste, dass er die beste Sonderprüfung seines Lebens hinlegen musste. „Während der letzten Prüfung habe ich nicht einmal getrunken. Ich wollte meinen Rhythmus nicht verlieren. Noch nie zuvor war ich so konzentriert gewesen. Nie zuvor fuhr ich so durchdacht und ich hatte wohl auch nie zuvor so viel Spaß. An meinen Spuren im Sand konnte ich erkennen, dass meine Sprünge weiter gingen als die der Fahrer, die vor mir gestartet waren. Ich wusste, dass ich schnell unterwegs war und dass ich hinter Sam Zweiter werden würde, wenn nichts Unvorhergesehenes passieren würde“, erklärte er.

Sam Sunderland (GBR) & Luciano Benavides (ARG) KTM 450 RALLY Abu Dhabi Desert Challenge (UAE) 2019 © Rally Zone

Wir fragten nach seinen Gedanken am Abend vor dem Sturm, wie es sich anfühlt, den Sturm zu bekämpfen, selbst zu einem zu werden und schlussendlich das Podium zu erstürmen. Dabei lernten wir ihn gleichzeitig besser kennen.

Was ging dir am Abend vor der letzten Prüfung – das Podium vor Augen – durch den Kopf?
„Ich weiß nicht genau, warum, aber ich fühlte mich ungewöhnlich ruhig. Ich schlief gut – obwohl ich am nächsten Tag viel zu verlieren hatte. Bevor ich meine Augen schloss, stellte ich mir vor, wie ich als Zweiter hinter Sam auf dem Podium stand, und genau so sollte es auch kommen. Ich sagte mir, dass ich es schaffen kann. Für mich selbst und das Team.“

Wie war die letzte Prüfung?
„Es war wirklich hart, vor allem mental. Im Vergleich zu den Vortagen war die Prüfung kurz. Trotzdem fühlte sie sich für mich lang an, da ich auf jedem Kilometer wie besessen angriff und versuchte, Zeit gutzumachen. Ich trank nicht einmal. Ich wusste, dass das ein Fehler war, wollte mich aber nicht damit ablenken, den Trinkschlauch aus dem Camel Bag zu ziehen. Ich war voll bei der Sache, voll auf mein Ziel konzentriert.“

War es der berühmte Rhythmus, von dem Wüsten-Rennfahrer so oft mit einem Funkeln in den Augen sprechen?
„Ja, heute fand ich ihn gleich nach dem Auftanken. Als ich dort ankam, sagte man mir, dass ich in den Dünen ganze 4 Minuten aufgeholt hatte. Das gab mir zusätzliche Energie, trotzdem musste ich im schnellen Vollgas-Abschnitt noch weitere 36 Sekunden gutmachen. Ich wusste, dass ich etwas Besonderes aus dem Hut zaubern musste, um mir diese Sekunden zurückzuholen. Es war, als ob ich in einen Tunnel einfahren würde. Ich dachte nur mehr an das Rennen und die Strecke. Es fühlte sich an, als könnte ich fliegen. Die nächsten zwanzig Kilometer fuhr ich im Motocross-Stil, voll auf Angriff und mit vielen Sprüngen. Das Bike fühlte sich leichter an – und ich auch. Noch bevor ich die Prüfung beendet hatte, wusste ich, dass ich die erforderliche Zeit aufgeholt hatte.“

Wie wusstest du das?
„Ich sah mir die Spuren der Fahrer vor mir an und bei jedem Sprung sah ich, dass meiner weiter reichte – mindestens um ein paar Meter. Das Ergebnis war, dass es meine beste Sonderprüfung wurde; ich wurde Zweiter, während ich jede andere zuvor auf dem 4. Platz beendet hatte.“

Luciano Benavides (ARG) KTM 450 RALLY Abu Dhabi Desert Challenge (UAE) 2019 © Rally Zone

Du warst als Rookie in dieses Rennen gegangen, oder?
„Ja, und ich werde noch bis Marokko ein Rookie bleiben – mehr oder weniger noch die ganze Saison lang. Das ist außerdem meine erste komplette Saison. Meine Rally-Erfahrung wuchs mit der diesjährigen Dakar mächtig an. Davor war ich drei Rallys gefahren und hatte zwei schwere Unfälle gehabt. Mein Einstieg in die Welt des Rally-Sports war schmerzhaft und die Erfahrung kostete mich viel. Das zerstörte mein Selbstvertrauen und meine Motivation. Nach meinem schweren Unfall bei der Dakar 2018 war ich schon überzeugt davon, dass ich im Enduro-Sport hätte bleiben oder vielleicht sogar in den Motocross-Sport hätte wechseln sollen. Nur hat das Rallyfahren einfach dieses gewisse Etwas und ich wollte bleiben und es noch einmal versuchen.“

Wie gefällt dir dieses Rennen – die Abu Dhabi Desert Challenge, die fast zu 100% auf Sand ausgetragen wird?
„Ich liebe dieses Rennen; ich glaube, dass diese Wüste meinem Fahrstil zugutekommt. Natürlich wäre meine Antwort eine andere, wenn ich nicht so gut abgeschnitten hätte. Ich fand aber den perfekten Rhythmus auf dem Bike und mit jeder Sonderprüfung wuchs mein Selbstvertrauen. Manchmal fuhr ich mit Sam und folgte ihm und lernte, wie man große Dünen überwindet. Mein Speed wurde besser und ich sprang auch ziemlich viel, was mir verdammt viel Spaß macht.“

Wie würdest du dieses Rennen mit der diesjährigen Dakar vergleichen?
„Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich die Dakar hier fahren. Die diesjährige Dakar war aufgrund des Fesh-Fesh-Staubs viel schwieriger. Hier in der Rub al-Khali-Wüste stellen die unterbrochenen Sanddünen das größte Problem dar, während der Fesh-Fesh-Staub in Peru die größte Gefahr ist. Mir gefiel diese Rally, weil ich mehr angreifen konnte.“

Die Atacama-Rallye wird eine weitere Premiere für dich sein – was weißt du über dieses Rennen?
„Neues Terrain ist immer ein zweischneidiges Schwert; während es aufregend ist, neue Landschaften zu erkunden, kann das Unbekannte dir schnell zum Verhängnis werden. Ich habe gehört, dass die Atacama-Rally sehr schnell ist. Das Gute daran ist, dass ich jetzt meine Grenzen und meine Schwächen besser kenne, sodass ich genau weiß, woran ich arbeiten muss. Ich bin extrem motiviert und habe vor, für die nächsten Läufe in der Meisterschaft hart zu trainieren.“

Luciano Benavides (ARG) KTM 450 RALLY Abu Dhabi Desert Challenge (UAE) 2019 © Rally Zone

Zwischen Abu Dhabi und Salta gibt es einen riesigen Unterschied – hast du mit deiner Familie gesprochen?
„Ich weiß, dass meine Mutter das Rennen verfolgt hat. Jetzt gerade schläft sie allerdings. Meine Familie hat eine eigene Gruppe auf WhatsApp und ich habe dort bereits eine Nachricht hinterlassen.”

In diesem Rennen sahen wir dich an der Seite deines Bruders fahren – wie war das für dich?
„Es war großartig und kompliziert zugleich. Um ehrlich zu sein, mag ich es nicht, vor ihm zu liegen. Früher war ich immer langsamer und jedes Mal, wenn ich an einer gefährlichen Stelle ankam, wusste ich, dass er sie bereits passiert hatte. Das war beruhigend – ich wusste, dass ich ihn im Ziel wiedersehen würde. In diesem Rennen war ich aber schneller als er und als ich die Ziellinie überfuhr, hoffte ich inständig, dass er nicht in das große Loch gefahren und gestürzt war, das ich nur knapp verfehlt hatte. In der Wüste denkst du immer zu viel nach.“

Wie lebt es sich in Salta?
„Ich liebe Salta. Es ist eine tolle Stadt und das Wetter ist das ganze Jahr gut. Außerdem wohne ich inmitten einer Motocross-Strecke. Für mich ist es das Paradies.“

Machst du immer noch deine Ausbildung zum Buchhalter?
„Das wäre für das Familienunternehmen gut gewesen, aber ich habe die Ausbildung hingeschmissen. Nachdem ich bei einem Werksteam unterschrieben hatte, versuchte ich, gleichzeitig zu lernen und Rennen zu fahren, was aber nur dazu führte, dass ich in beidem wenig Erfolg hatte. Ich wollte mit voller Kraft bei einer Sache dabei sein und ich entschied mich für das Rennfahren. Meine Eltern zeigten Verständnis, was mir meine Entscheidung leichter machte. Ich weiß, dass ich den Universitätsabschluss immer noch nachholen kann, wenn meine Rennkarriere einmal vorbei ist. Ich mag die Geschäftswelt, aber ich mag das Rennfahren einfach noch mehr. Mein größtes Hobby ist das Motocross-Fahren und ich würde nach meinem Rückzug aus dem Rally-Sport gerne ein paar MX- und SX-Rennen fahren.“

Deine Teamkollegen nennen dich Junior. Du bist ein Junior, aber es ist auch dein Spitzname. Wem hast du den zu verdanken?
„Alle albernen Ideen im Team stammen von Sam. Ich habe aber kein Problem mit meinem Spitznamen (lacht). Tatsächlich habe ich noch einen anderen: In Argentinien nennen mich die Menschen Faster. Als ich heute Morgen am Start stand, sagte ich mir: ‚Hey, Junior, heute musst du im Faster-Stil Gas geben!‘“

Red Bull KTM Rally Factory Racing Team KTM 450 RALLY Abu Dhabi Desert Challenge (UAE) 2019 © Rally Zone

Wie würdest du die Team-Dynamik beschreiben?
„Es ist fantastisch, im KTM-Werksteam zu fahren. Die Jungs kümmern sich großartig um mich – sie sind wie eine zweite Familie. Alle Teammitglieder teilen mit uns Rennfahrern die Leidenschaft für den Rennsport und das ist ein wichtiger Aspekt unseres Erfolgs. Ich bekomme auch zwischen den Rennen viel Unterstützung und könnte mir keinen besseren Ort vorstellen, um mich als Fahrer und Mensch zu verbessern.“

Was macht dich im Leben sonst noch glücklich?
„Das hier ist, was mich glücklich macht. Ich liebe es, Motorräder zu fahren. Wenn ich meinen Helm aufsetze, verwandle ich mich in mein wahres Ich. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, fand ich in diesem Rennen eine bessere Version meiner selbst: einen klugen, geduldigen und konstanten Fahrer. Ich liebe es, schnell zu fahren und Sprünge hinzulegen.“

Fotos: Rally Zone