Lyndon Poskitt: Die Malle Moto-Klasse und der ursprüngliche Geist der Dakar

Die Dakar wird oft als härteste Rally der Welt bezeichnet und die ganze Aufmerksamkeit gilt dabei den Werksfahrern, die um den Sieg kämpfen. So mancher würde aber meinen, dass es diese Fahrer leicht haben, zumindest im Vergleich zu jenen, die das Rennen in der Malle Moto-Klasse bestreiten. Im Regelwerk der Dakar wird die Malle Moto-Klasse als eine ‚für Motorrad- und Quad-Fahrer konzipierte Herausforderung OHNE SERVICE-UNTERSTÜTZUNG‘ bezeichnet. Das bedeutet im Detail, dass die Teilnehmer wirklich alles selbst machen müssen. Sie fahren ihre Motorräder, warten und bereiten die Bikes vor und erhalten während der Rally keinerlei Unterstützung von außen.

Lyndon Poskitt ist einer dieser mutigen Fahrer, die sich dafür entschieden haben, die Dakar in ihrer ursprünglichsten Form zu bestreiten. Lies weiter, um mehr über die Erfahrungen des Briten beim letzten Rennen herauszufinden und darüber, wie er sich auf die Dakar 2018 in der Malle Moto-Klasse vorbereitet …

Lyndon Poskitt (GBR) 2017 © Future7Media

Eine Herausforderung wie keine andere
„2016 beschloss ich, mein Glück in der Malle Moto-Klasse zu versuchen, und unterschätzte total, wie hart das werden würde. Ich dachte, dass ich schon irgendwie durchkommen würde, dachte, dass ich einfach nur konzentriert und clever fahren müsste und es so schon nicht so schlimm werden würde. Ich hatte aber nicht damit gerechnet, wie zermürbend die Sache wirklich werden würde. Sogar, wenn alles soweit gut läuft, wirst du von Tag zu Tag müder. Oft kommen Leute zu mir und sagen: „Letztes Jahr bist du doch Zweiter geworden, das war eine großartige Leistung“. Aber ihr könnt mir glauben – es war ein harter Kampf.

© Lyndon Poskitt Racing

Der Geist dieses Rennens ist in der Malle Moto-Klasse ein komplett anderer. Alle Teilnehmer sitzen im gleichen Boot, sie müssen wirklich alles selbst machen. Wenn einmal etwas passiert, ist die Kameradschaft aber großartig. Alle halten zusammen, es ist wie eine große Familie, in der jeder jedem hilft. Dir tun die Jungs leid, die erst im Morgengrauen ankommen, wenn du bereits wieder aufbrichst, denn du weißt, dass sie höchstens eine Stunde Schlaf bekommen, bevor sie selbst wieder raus müssen.

Mir persönlich gefällt der Satz „Malle is Rally“. Diese Klasse stellt ganz sicher den traditionellsten Weg dar, die Dakar zu fahren. So war es ursprünglich einmal, aber heute ist die ganze Sache eher eine kommerzielle Veranstaltung. Obwohl ich ein paar richtig gute Sponsoren habe – ich könnte ohne sie niemals antreten – gefällt mir dieser traditionelle Ansatz und das versuche ich auch in meinen Kommentaren zum Ausdruck zu bringen.“

© Lyndon Poskitt Racing

Von Schlafentzug und dem Willen, weiterzumachen
„Glücklicherweise hatte ich nur ein paar wenige schlaflose Nächte. Letztes Jahr gab es einen großen Erdrutsch und die Veranstalter mussten eine Umleitung einbauen. Somit verlängerte sich der Tag auf 1.150 km. Wir hatten bereits eine Sonderprüfung hinter uns und nach einer 600 km langen Verbindungsetappe sagen sie dir dann, dass wir einen anderen Weg nehmen müssten. Es war bereits 19:30 Uhr und wir mussten weitere 350 km fahren. Trotzdem dachte ich, dass wir wohl gegen 10 Uhr ins Bett kommen würden, es stellte sich aber heraus, dass die Route komplett abseits der Straße und extrem schwierig war. Außerdem wimmelte es da von Lastwagen, die Staub aufwirbelten, was alles noch schwieriger machte. Ich schaffte es um 1:30 Uhr in der Früh ins Lager und war damit der erste Malle Moto-Fahrer – die anderen waren immer noch da draußen.

Ich bereitete das Bike ganz schnell für den nächsten Tag vor, holte mir etwas zu essen und legte mich um 2 Uhr schlafen. Wir sollten um 4:30 Uhr morgens wieder aufstehen, aber die Sonderprüfung wurde abgesagt. So hatten alle Fahrer zum Glück jede Menge Zeit, um wieder im Lager einzutreffen. Obwohl ich nur einige Stunden geschlafen hatte, war ich absolut bereit, mich wieder auf den Weg zu machen. Ich stand also auf und als ich ins Freie trat, musste ich feststellen, dass es nur vier andere Bikes zurückgeschafft hatten. Damit waren wir insgesamt nur mehr fünf.“

© Lyndon Poskitt Racing

Zen und die Kunst, ein Motorrad alleine zu warten
„Jeden Tag – ohne Ausnahme – musst du den Hinterreifen und das Mousse wechseln, der Vorderreifen hält ein paar Tage durch. Nur dabei darf uns geholfen werden. Keine Ahnung, warum dem so ist, aber die Malle Moto-Veranstalter lassen dich keinen Mousse-Wechsler verwenden. Du musst dafür zu Michelin gehen. Obwohl die kein Problem damit haben, es für dich zu wechseln, würde ich es persönlich lieber selbst machen. Ich bin beim Reifen- und Mousse-Wechseln ziemlich gut und wenn du sie von jemand anderem wechseln lässt, hast du das Problem, dass du Räder, neue Reifen und Mousse bis zu 500 Meter herumtragen musst, nur um sie gewechselt zu bekommen. Bei 40 Grad ist das zusätzlicher Stress.

© Lyndon Poskitt Racing

Die Bikes selbst sind aber unglaublich robust. Alles, was du wechseln musst, sind Öl und Filter, und selbst das mache ich normalerweise nur alle paar Tage. Der Luftfilter wird jeden Tag getauscht und dann sind da noch kleinere Arbeiten wie Kettenschmieren und -spannen und allgemeine Kontrollen am Bike zu erledigen. Das hört sich jetzt nicht so schwierig an, nimmt aber unglaublich viel Zeit in Anspruch – ein paar kleinere Tätigkeiten können dich locker zwei Stunden kosten. Und wenn du um 7 Uhr abends ankommst, ist es schnell 9 und du musst immer noch essen, dein Roadbook vorbereiten und das Fahrertreffen besuchen, bevor an Schlaf auch nur zu denken ist. Wenn du Glück hast, kannst du dich noch vor Mitternacht aufs Ohr hauen, nur um dann um 3 Uhr morgens wieder aufzustehen.

Letztes Jahr lernte ich, das absolute Maximum aus meiner Zeit herauszuholen – das bedeutet Arbeiten, mit niemandem sprechen und keine Leute treffen – dafür ist einfach keine Zeit. Hört sich extrem an, aber so sieht die Realität in dieser Klasse aus. Letztes Jahr versuchte ich nicht, schnell ins Bett zu kommen, und das muss sich dieses Mal ändern. Ich muss meine Arbeiten schnell erledigen und mich schlafen legen. Eine zusätzliche Stunde Schlaf pro Nacht sollte mir einen ordentlichen Schub geben.“

© Lyndon Poskitt Racing

Was ist in der Box?
„Meine Malle Moto-Box für die Dakar 2018 wird wesentlich besser organisiert sein als letztes Jahr. Ich musste auf die harte Weise herausfinden, dass alles gut organisiert sein muss – wieder, um keine Zeit damit zu verschwenden, nach irgendetwas zu suchen. Dieses Jahr bin ich perfekt vorbereitet. Meine Box enthält separate kleine Boxen für verschiedene Werkzeuge und alles ist richtig gut sortiert.

Was das Werkzeug betrifft, nehme ich nur das Nötigste mit. Beim Aufbauen meines Bikes in der Werkstatt versuchte ich, das kleinste Werkzeug zu verwenden, das ich finden konnte, und legte es mir beiseite. Ich wusste, dass ich alles, was ich für die Dakar benötige, zusammenhaben würde, wenn das Bike fertig ist. In einem anderen Bereich meiner Box bewahre ich die Verbrauchsstoffe auf: Schmierstoffe, Öle, Kabelbinder und alles, was ich sonst noch so gebrauchen könnte, um mein Bike am Laufen zu halten. Ganz unten in meiner Box finden sich die elektrischen Ersatzteile – nicht nur für das Bike selbst, sondern auch für die Navigationsausrüstung, denn ohne dieses kannst du deine Rally abschreiben.

© Lyndon Poskitt Racing

Außerdem bewahre ich dort meine Energie-Gels und Drinksets auf. Ich nehme nichts mit, was ich nicht unbedingt brauche. Für dieses Jahr ist die Box ziemlich prall gefüllt. Trotzdem habe ich es geschafft, noch eine Motorradplane einzupacken – die ist bei den Übernachtungen in der Wüste sehr hilfreich. Was wirklich wichtig ist, ist eine gute Stirnlampe. Ich verstecke die Dinger überall – eine an meinem Bike, eine in dem Sack, in dem sich meine Kleidung befindet und ein paar in meiner Malle Moto-Box, denn ohne die steckst du schnell in großen Schwierigkeiten.

Du darfst jemanden engagieren, um Dinge für dich mitzuführen, aber das kostet Geld und deshalb nehmen viele diesen Service nicht in Anspruch. In meinem Fall nimmt KTM Racing etwas Öl, ein paar Filter und so Kram für mich mit und ich fülle meine Box am Ruhetag damit auf. Ich zahle zum Beispiel ca. 1500 Euro dafür, dass ein anderes Team meine Reifen und Mousse mitnimmt.“

© Lyndon Poskitt Racing

Die Einsamkeit auf dem Motorrad
„Es ist enorm wichtig, stark zu bleiben. Ganz egal, wie fertig du bist, denn du bist auf dich allein gestellt. Du musst dich zwingen, weiterzumachen. Letztes Jahr war ich vier Tage vor dem Ziel selbst völlig am Ende. Ich war müde, ausgelaugt und alles tat mir weh. Trotzdem schaffte ich es irgendwie ins Ziel. Um die Dakar zu fahren, besonders in der Malle Moto-Klasse, brauchst du einen starken Willen.

Letztes Jahr schlief ich auf den Verbindungsetappen ein paar Mal ein. Wach zu bleiben, ist eine der härtesten Übungen bei der Dakar. Wenn du einmal in der Sonderprüfung bist, ist alles in Ordnung, da dich das Adrenalin wachhält, aber während der morgendlichen Verbindungsetappe – im Dunkeln, bei niedrigen Temperaturen und Regen – ist es wirklich schwierig, wach zu bleiben. Wenn du nur für eine Millisekunde einnickst und gleich wieder zu dir kommst, kannst du dich glücklich schätzen. 2017 kam ich so aber zweimal von der Straße ab und fand mich, als ich aufwachte, im Dreck und neben der Leitplanke wieder. Das brachte mich etwas durcheinander und ich musste anhalten, um eine Pause einzulegen. Als mich ein vorbeifahrendes Bike wieder aufweckte, muss ich höchstens fünf Minuten geschlafen haben. Aber das war alles, was ich gebraucht hatte – ich fühlte mich gleich besser und fuhr weiter.“

© Lyndon Poskitt Racing

Medien-Verpflichtungen
„Die meisten anderen Malle Moto-Fahrer fragen sich, wie ich es anstelle, aber wenn es die Medienseite und die damit verbundene Publicity nicht gäbe, könnte ich gar nicht mitfahren. Ich bin schließlich kein Werksfahrer und damit nicht in der Lage, das Rennen zu gewinnen. Aber mit mir können sich Menschen identifizieren. Die sehen, dass ich ein normaler Typ bin, der bei der Dakar startet. Meine Erfahrungen zu teilen hilft mir, dabei zu sein und meine Ziele erreichen zu können. Heute glaube ich, dass 50 % meiner Motivation daher rühren, dass ich meine Abenteuer mit anderen teilen kann. Mir gefällt die Social-Media-Seite, ich schätze die Unterstützung und das Interesse der Menschen aus aller Welt und das ermutigt mich, noch mehr zu geben.

© Lyndon Poskitt Racing

Meine täglichen Video-Posts heuer werden sicher eine Mammutaufgabe werden. Zwei Leute werden vor Ort sein und eine Person empfängt die Daten in Großbritannien. Die Aufnahmen müssen unterwegs bearbeitet werden, was extrem technisch und schwierig ist. Niemand – abgesehen von den großen Teams mit den etwas größeren Budgets – hat so etwas je versucht, deshalb hoffen wir, dass wir das mit ein bisschen Glück gut hinbekommen und den Zuschauern einen echten Geschmack davon geben können, wie es einem normalen Typen wie mir bei der Dakar ergeht.

Dabei ist mir die Authentizität der Aufnahme besonders wichtig. Das heißt, dass ich mich nicht verändern oder versuchen werde, jemand zu sein, der ich nicht bin. Ich werde aber ständig auf der Suche nach guten Aufnahmen sein, selbst wenn das bedeutet, mitten in einer Prüfung anzuhalten und etwas Entscheidendes festzuhalten. Es dauert sicher einige Zeit, am Morgen die Kameras einzustellen und sie dann ein- und auszuschalten, wenn ich das Gefühl habe, dass sich eine Aufnahme lohnt. Viele Fahrer sind in den sozialen Medien aktiv und laden coole Clips auf YouTube hoch. Ich hoffe aber, dass meine Videos etwas zeitloser sein werden. Sie sollen eine Geschichte erzählen und die echte Dakar zeigen.“

© Lyndon Poskitt Racing

Wenn alles vorbei ist
„Selbst wenn die Dakar vorbei und alles getan ist, wird es nicht unbedingt einfacher. Letztes Jahr nahm ich mir die Woche nach der Rally frei, aber die Nachwirkungen halten wesentlich länger an. Ich brauchte lange, um wieder durchschlafen zu können, und wachte oft mitten in der Nacht auf. Ich fand einfach nicht zu einem gesunden Rhythmus zurück. Wenn ich ins Ziel der 2018er Dakar fahre, ist hoffentlich alles gut gegangen und ich habe viele Stunden an großartigen Aufnahmen im Kasten, die ich mit meinen Followern teilen kann. Die Dakar ist wirklich etwas Besonderes, etwas Einzigartiges, und die Tatsache, dass ich meine Erfahrungen teilen kann, ist eine echte Ehre. Ich kann nur hoffen, dass alle Freude daran haben werden, diesen Weg mit mir zu gehen …“

© Lyndon Poskitt Racing

Fotos: Future7Media | Lyndon Poskitt Racing