MANUEL LETTENBICHLER ÜBER SEINEN SIEG DER WESS UND WARUM GLÜCKLICHE MENSCHEN SCHNELLERE RENNFAHRER SIND

Seine Krönung zum WESS-Enduro-Weltmeister des Jahres 2019 markierte das Ende einer fantastischen Saison für Manuel Lettenbichler. Für 2020 hat er bei Red Bull KTM Factory Racing unterschrieben, wovon sich der junge Deutsche eine noch erfolgreichere Zukunft verspricht …

Auf seiner Rennmaschine vom Red Bull KTM Factory Racing begann Lettenbichler die Saison 2020 in den USA. PC: Harlen Forley

Die meisten Rennfahrer träumen davon, einmal eine Weltmeisterschaft zu gewinnen. Bei Manuel Lettenbichler war das nicht anders. Dank harter Arbeit, Entschlossenheit und großartigem Fahrkönnen erfüllte er sich diesen Traum letztes Jahr, als er die WESS-Enduro-Weltmeisterschaft gewann. Noch dazu konnte er diesen speziellen Moment auf heimischem Boden genießen. Beim letzten Rennen der Saison, dem GetzenRodeo, holte er sich den Sieg vor tausenden Zuschauern und Fans.

Es war ein herausragender Moment in der Karriere des 21-Jährigen – besonders, zumal er da noch als Privatier antrat. In den acht Rennen, bei denen Mani an den Start ging, kam er sieben Mal unter die besten Fünf und stand fünf Mal auf dem Podium. Außerdem gewann er als jüngster Fahrer aller Zeiten das berüchtigte Red Bull Romaniacs.

Zusammen mit seinem Sieg der AMA Extreme Off-Road Grand National Championship beim Tennessee Knockout macht dies den sympathischen Deutschen zu einem der vielversprechendsten Hoffnungsträger im Enduro-Sport und zu dem Fahrer, den es zu schlagen gilt, sobald die Saison 2020 in vollem Gange ist…

Mani, du hattest jetzt ja viel Zeit, um deinen Sieg der WESS-Enduro-Weltmeisterschaft zu verarbeiten. Wie fühlte es sich an, den Titel mit dem Triumph beim GetzenRodeo – deinem Heimrennen – letztes Jahr zu besiegeln?
Manuel Lettenbichler: „Natürlich war es etwas ganz Besonderes, beim GetzenRodeo den Weltmeistertitel zu gewinnen. Es ist mein Heimrennen und letztes Jahr zählte es zum ersten Mal zur WESS. Es kamen über 30 Leute aus meinem Heimatort dorthin, um mir beim Fahren zuzusehen. Ich hatte bereits die 2018er-Ausgabe gewonnen und wollte das wiederholen, um mir den Titel auf besonders beeindruckende Weise zu holen. Das GetzenRodeo ist unfassbar schwierig – wenn du die Ziellinie überfährst, bist du total fertig. Als ich schließlich die schwarz-weiß-karierte Flagge sah, wurde ich von meinen Gefühlen überwältigt. Es war ein cooler Augenblick und ich werde mich ganz sicher noch lange daran erinnern.“

Wann wurde dir klar, dass du eine Chance auf den Titel 2019 hattest?
„Als wir zum sechsten (von acht) Rennen in Hawkstone Park kamen, war ich nervös, da es sich um ein Cross-Country-Rennen handelte. Nachdem ich es als Zweiter beendet hatte, dachte ich anders. Ich war ein gutes Rennen gefahren und hatte gezeigt, dass ich auf der KTM 350 EXC-F zu einigem fähig war – selbst bei einem Rennen, das mir nicht so liegt. Danach bereiteten mir die schnellen Rennen keine so großen Sorgen mehr. Ich glaube, dass ich in diesem Moment begriff, dass ich ein Titelanwärter war und dass ich gut genug war, den Titel auch zu holen. Beim BR2 Enduro Solsona gab ich mein Bestes und wurde mit einem vierten Platz belohnt. Das verschaffte mir vor dem GetzenRodeo eine gute Ausgangsbasis.“

Zum jüngsten Sieger der Red Bull Romaniacs 2019 zu werden, war ein besonderer Augenblick für Lettenbichler. PC: KTM

Haben diese Ergebnisse gezeigt, dass du mehr bist als ein Hard-Enduro-Fahrer? Bist du jetzt eher ein Allrounder?
„Das hoffe ich. Bei den Hard-Enduro-Rennen bin ich natürlich besser, ich taste mich aber auch bei schnelleren Bedingungen an die Besten heran. Ich muss noch viel lernen, wenn ich es mit Josep Garcia oder Nathan Watson aufnehmen möchte, fühle mich aber auch bei ungewohnten Verhältnissen wohler als zuvor.“

Als Kind warst du als Trials-Fahrer erfolgreich. Helfen dir diese Fähigkeiten heute im Enduro-Sport?
„Meine Trials-Erfahrung ist eine der Grundlagen meines Erfolgs. Die Dinge, die du als Kind erlernst, vergisst du nie mehr. Ich wende sie bei jedem Rennen an und sie helfen mir oft, aus kniffligen Situationen wieder rauszukommen! Man lernt so viel beim Trials-Fahren: Gleichgewicht, Gaskontrolle und Kupplungseinsatz. Man lernt, dort Traktion zu finden, wo eigentlich keine sein sollte. Die Fähigkeiten, die du dir beim Motocross- oder Enduro-Fahren aneignest, machen auf Dauer einen besseren Fahrer aus dir.“

Wie war es, als Privatier mit der Spitze des Enduro-Sports zu konkurrieren? Wäre es falsch, zu sagen, dass es gleichermaßen schwierig wie lohnend ist?
„KTM hat mich wirklich gut unterstützt und ich hatte nie das Gefühl, mit meinem Bike im Nachteil zu sein. Der Enduro-Sport ist insofern einzigartig, als dass er die Fähigkeiten des Fahrers belohnt, und draußen auf der Strecke fühlte ich mich ebenbürtig. Was die anderen Aspekte des Rennsports betrifft: Die Dinge, die hinter den Kulissen abgehen, sind für Privatiers schwieriger. Du musst viel mehr Organisationsarbeit leisten und verbringst viel Zeit damit, zu den Rennen und wieder nach Hause zu fahren. Das vergisst man oft. Schlussendlich war die Leistung unseres kleinen Flatschingfast-Teams aus Jeff, meinem Vater und mir aber unglaublich. Ich hoffe, dass wir anderen Privatiers gezeigt haben, dass sie im Enduro-Sport gewinnen können.“

Lettenbichler gewann die WESS-Enduro-Weltmeisterschaft 2019.
PC: Future7Media

Welche Unterschiede und Vorteile kann dein Wechsel zu einem Team wie Red Bull KTM Factory Racing bringen?
„Ganz sicher wird es Unterschiede geben, ich stehe aber erst am Anfang dieses neuen Kapitels. Bestimmt werde ich weniger selbst organisieren müssen. Wir können dann die Bikes besser vorbereiten und sie auf bestimmte Rennen abstimmen, was für Fahrer eine wichtige Sache ist. Ich erwarte, dass die kleinen Dinge, die man nicht so einfach wahrnimmt, mir gewaltig dabei helfen werden, mich auf das Geschehen auf der Strecke zu konzentrieren. Ich freue mich darauf, in dieser Saison mit diesem Team zu arbeiten und mich als Fahrer zu verbessern.“

Du brauchst nur fünf Minuten in der Box zu verbringen, und schon spürst du deine positive Energie und die ganze Aufregung vor dem Rennen. Sind glückliche Menschen schnellere Rennfahrer?
„Es ist auf jeden Fall eine große Hilfe, glücklich zu sein! Natürlich brauchst du die technischen Fähigkeiten und musst dich auf dem Bike wohl fühlen, um ein kompletter Fahrer zu werden. Glücklich zu sein, macht mich aber auf jeden Fall schneller. Ich versuche immer, die Dinge positiv zu sehen. Schließlich geht die Arbeit leichter von der Hand, wenn du Spaß daran hast. Ich fing mit dem Motorradfahren an, um Spaß zu haben, und das versuche ich auch beizubehalten. Es gibt so viele Menschen, die gerne berufsmäßig Motorradrennen fahren würden. Ich bin in der glücklichen Lage, das tun zu können. Selbst wenn es verregnet, matschig und kalt ist – immer noch besser als von frühmorgens bis spätabends im Büro zu sitzen. Das Lächeln auf meinen Lippen beim Fahren erinnert mich immer daran!“

Auf seiner KTM 300 EXC TPI ist Hard Enduro Manis Lieblingsdisziplin.
PC: Future7Media

In diesem Jahr wirst du auch einige Rennen in den USA bestreiten. Als amtierender AMA Extreme Off-Road Grand National Champion kannst du uns sicher mehr über die Szene und die zunehmende Beliebtheit des Hard-Enduro-Sports in den USA erzählen.
„Hard Enduro wird in den USA immer beliebter. Jeder will fahren und Neues erleben. Es ist cool, das mit anzusehen. Zuvor war das Verständnis für diesen Sport nämlich gering. Als ich letztes Jahr beim Tennessee Knockout antrat, bemerkte ich, wie stark der Sport dort vorangetrieben wird, und ich freue mich schon darauf, bald wieder bei den US-Rennen zu starten. Dadurch, dass die WESS in diesem Jahr ein Rennen in den USA beinhaltet, wird der Sport sicher noch mehr an Bedeutung gewinnen.“

Du hast sowohl das Red Bull Romaniacs als auch das GetzenRodeo gewonnen. Ist der Sieg beim Erzbergrodeo Red Bull Hare Scramble der nächste Punkt auf deiner Liste?
„Meine Siege beim Red Bull Romaniacs und dem GetzenRodeo waren überwältigend. Trotzdem steht das Erzbergrodeo natürlich ganz oben auf der Liste. Es ist der heilige Gral für alle Hard-Enduro-Fahrer. Wenn du dieses Rennen gewinnst, kennt dich bald die ganze Welt – so wichtig ist es für diesen Sport. In den letzten beiden Jahren habe ich alles gegeben, um es zu gewinnen, und obwohl ich zweimal am Podium stand, hat es bis jetzt nicht zum Sieg gereicht. Ich bin hochmotiviert, es dieses Jahr wieder zu versuchen und mein Bestes zu geben. Mehr kann ich nicht tun. Es ist ein besonderes Rennen, weil es so einzigartig ist. Bei 500 Startern musst du von Beginn an ein gutes Rennen fahren und alles muss glatt laufen. Die Konkurrenz ist mittlerweile so groß, dass dich schon der kleinste Fehler den Sieg kosten kann.“

Lettenbichler bahnt sich seinen Weg ins Ziel des ErzbergRodeo Red Bull Hare Scramble 2019.
PC: Future7Media

Glaubst du, dass du deinen Titel verteidigen kannst, wenn du dir den 2020-Kalender der WESS-Enduro-Weltmeisterschaft ansiehst? **Anmerkung der Redaktion: dieses Interview wurde vor dem Covid-19 Ausbruch geführt.
„Der Kalender für dieses Jahr sieht vielversprechend aus. Er beinhaltet viele fantastische Rennen und alle wichtigen sind mit dabei. Es ist cool, dass das Red Bull Megawatt wieder dabei ist. Auch das Extreme XL Lagares ist wieder auf der Liste und obwohl ich dort noch nie gewinnen konnte, kam ich zweimal auf das Podium und sollte auch heuer wieder gut abschließen. Außerdem ist es cool, dass die Serie dieses Jahr auch nach Amerika kommt. Das wird die internationale Bekanntheit und die Professionalität unseres Sports steigern. Und beim letzten Rennen – dem Hixpania – wird die Stimmung sicher ähnlich wie beim GetzenRodeo sein. Ich habe eigentlich noch nicht darüber nachgedacht, meinen Titel zu verteidigen, aber natürlich will ich das. Ich werde aber jedes Rennen einzeln betrachten und versuchen, ganz einfach Spaß bei der Sache zu haben.”

Anmerkung der Redaktion: Die acht Rennen umfassende WESS-Enduro-Weltmeisterschaft 2020 hätte im Mai beginnen sollen. Aufgrund der globalen Covid-19 Pandemie verschiebt sich der Rennkalender und wird zu einem späteren Zeitpunkt bekanntgegeben.