Marc Coma sitzt wieder im Sattel (in seiner gewohnten Umgebung)

Das erste KTM Ultimate Race steht vor der Tür und wir haben Marc Coma, den legendären Helden vieler Rallye Dakars in Afrika und Südamerika, interviewt. Wir haben mit ihm über das Mysterium des Rally-Sports und die unwiderstehliche Anziehungskraft der Dakar gesprochen.

Marc Coma (ESP) 2019 © Sebas Romero

Das härteste Rennen der Welt hat sich in den letzten Jahren stark verändert – geblieben ist sein Geist und seine Komplexität und das seit 41 Jahren. „Eine Herausforderung für die, die starten, und ein Traum für die, die zuhause bleiben“, pflegte Thierry Sabine zu sagen, und keiner versteht diesen Satz besser als Marc Coma, seines Zeichens fünfmaliger Gewinner der Dakar. Der Rally-Sport ist nichts für Träumer; eher ein Abenteuer, bei dem man sich so richtig lebendig fühlt. Aber Vorsicht: Wie Marc später bestätigen wird, besteht erhöhtes Suchtpotenzial!

Wir trafen Marc Coma in Marokko beim internationalen Media Launch der KTM 790 ADVENTURE und KTM 790 ADVENTURE R – in seiner Race-Gear, an der noch immer Wüstenstaub haftet, und mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Der harsche Wüstenwind hat über die Jahre dazu beigetragen, sein halb provokatives, halb schüchternes Lächeln in Form von Lachfalten in sein Gesicht zu graben. Außerdem entdeckt man Zeichen seines Lebens als Rennfahrer – einen Ausdruck von Entschlossenheit, Sturheit, Feuer und Kampfgeist. Auf der anderen Seite transportiert seine energiegeladene Gelassenheit seine Weisheit und Zufriedenheit. Vielleicht hätte er noch mehr erreichen können – er selbst ist mit dem, was er erreicht hat, jedoch zufrieden. Er wusste, wann er mit dem Rallyfahren anfangen und wann er aufhören musste. Er wusste, wann es an der Zeit war, den Posten des ASO-Sportdirektors zu räumen und Geschäftsführer von KTM Spanien, KTMs weltweit fünftgrößter Tochtergesellschaft, zu werden. Er verstand es auch, die perfekte Balance aus Speed und Vorsicht zu finden. Aus dem Enduro-Sport kommend, war er auch für seine Konstanz bekannt. Wir baten ihn, ein paar seiner Erfahrungen mit uns zu teilen und – warum auch nicht – uns ein paar Tipps zu verraten.

Marc, das KTM Ultimate Race steht vor der Tür. Lass uns über Rally als Disziplin sprechen: Wie kamst du zu diesem Sport und was braucht man, um ein Champion zu werden?
„(Lacht) Das wird etwas philosophisch werden, aber ich werde versuchen, euch ein paar gute Tipps zu geben. Es wäre gut, wenn man bereits eine starke Persönlichkeit ist, wenn man mit dem Rally-Sport beginnt, und außerdem bereits viel Wettkampf-Erfahrung gesammelt hat. Die beste Basis dafür ist sicher der Enduro-Sport. Natürlich finden sich hier auch viele ehemalige MX-Fahrer, als solcher brauchst du aber viel mehr Zeit und Geduld, um den Rhythmus der Rally zu verinnerlichen und das Rennen selbst zu kontrollieren. Wir haben in der Geschichte des Sports aber auch Ausnahmen gesehen, wie zum Beispiel Fabrizio Meoni. Er absolvierte ein paar Enduro-Trainings, wuchs aber erst im Rally-Sport zu wahrer Größe heran. Casteu ist ein weiteres Beispiel; er machte in etwa denselben Wandel wie Meoni durch und war sehr erfolgreich. Es gibt keine allgemeinen Regeln oder Rezepte für den Erfolg, aber als ehemaliger Enduro-Fahrer hast du bei der Dakar die besten Karten.“

Rally ist eine sehr komplexe Disziplin. Welche Grundfertigkeiten müssen Anfänger lernen?
„In diesem Sport geht nichts einfach von der Hand. Die Navigation selbst ist kompliziert und man muss noch andere Dinge meistern: Wegpunkte, Kontrollpunkte, Geschwindigkeitszonen etc. Um eine Rally zu gewinnen, ist es enorm wichtig, gut navigieren zu können, da Speed alleine nichts zählt, wenn du nicht gut navigieren kannst. Dann ist da noch der taktische Aspekt, den man nur durch Erfahrung lernen kann. Und schlussendlich musst du wissen, wann du Vollgas geben kannst und wann du die Zügel anziehen musst. Je schneller du das heraushast, desto besser. So wirst du weniger oft stürzen oder andere schwerwiegende Fehler machen.“

Welche Mentalität benötigt man als Rally-Rennfahrer?
„Ein Punkt, den man neben der Komplexität in Betracht ziehen muss, ist, wie lange Rallys dauern. Ein guter Rennfahrer versteht, dass eine Rally nicht endet, wenn eine Sonderprüfung vorbei ist. Du musst 24 Stunden am Tag voll konzentriert sein. Gleich nachdem du eine Etappe beendet hast, beginnt bereits die Vorbereitung auf den nächsten Tag. Vor dem Rennen musst du eine allgemeine Strategie entwickeln und dir dann Gedanken zu den taktischen Aspekten jeder Prüfung machen. Damit alles gut läuft, musst du auch die komplizierten Regeln des Rally-Sports verstehen. Du musst versuchen, alles richtig zu machen und keine Strafen oder Disqualifikationen zu riskieren. Hier kommt wieder die Erfahrung ins Spiel. Die Regeln des Rally-Sports sind ein dicker Wälzer, den man nicht am ersten Tag lesen und verstehen kann. Volle Konzentration und volles Engagement sind eine gute Basis – um zu gewinnen, musst du es aber verstehen, diese Faktoren zu kontrollieren und zu steuern. Aus diesem Grund gehört auch eine gute Portion Geduld dazu – die Geheimnisse des Rally-Sports eröffnen sich dir eben nur über die Erfahrung. Um ihn richtig zu verstehen, musst du ihn voll verinnerlichen.“

Marc Coma (ESP) 2019 © Sebas Romero

Hast du sofort herausgefunden, dass du das Potenzial zum Siegen hast?
„Ich wusste, dass ich eine gute technische Basis hatte und körperlich stark war. Außerdem faszinierte mich der Sport. Und dennoch brachte mich gleich meine erste Rally auf den Boden der Tatsachen zurück. All die Faktoren, die ich erwähnt habe, zu kontrollieren, war kein Zuckerschlecken. Bei meiner ersten Rally stellten sich die gewünschten Resultate nicht gleich ein. Trotzdem fühlte ich mich in der Wüste sofort wohl. Es hat einfach sofort gefunkt. Gleichzeitig wusste ich gleich, dass der Rally-Sport genau das Richtige für mich war.“

Warum hast du dich überhaupt dafür entschieden, deine Enduro gegen eine viel schwerere Rally-Maschine zu tauschen?
„Irgendwann wurde mir klar, dass meine Enduro-Karriere ihren Zenit erreicht hatte. Auf internationalem Niveau erreichte ich vierte, fünfte und sechste Plätze und es schien mir unmöglich, ganz nach vorne zu kommen. Obwohl ich noch jung war, war ich nicht in der Lage, weiterzumachen. Ich vertraute auf mein Bauchgefühl, das mir sagte „genug ist genug“ und ich wagte den Sprung in den Rally-Sport. Irgendwie wusste ich, dass weitere Jahre im Enduro-Sport Zeitverschwendung wären. Ich war jung genug, um dabei zu bleiben, aber auch jung genug, eine andere Disziplin zu meistern.“

Wie hast du deine erste Dakar überstanden und was hast du dabei über dich selbst gelernt?
„Meine erste Dakar half mir, zu verstehen, dass der Rally-Sport das Richtige für mich war und dass ich Potential hatte. Trotzdem: Im ersten Jahr verstehst du wenig und bist mehr oder weniger verloren. Du bekommst einen Vorgeschmack auf die Wüste, einen Einblick in die Rally-Maschinerie. Das ist alles. Zuerst lernst du das Navigieren und findest dann heraus, dass es noch viel mehr zu lernen gibt. Das war schwierig, störte mich aber nicht. Ich hatte schon als Kind immer gerne Rally-Berichte im Fernsehen geschaut und war hin und weg, als ich selbst Teil dieses Ganzen wurde.“

Marc Coma (ESP) Dakar 2006 © KTM

Was gefällt dir am Rally-Sport am meisten?
„Der Rally-Sport macht süchtig – das wird dir jeder bestätigen. Die beinahe surrealen Bedingungen in der Wüste, der Geist des Abenteuers und sogar die Tatsache, dass er so hart ist – all das macht abhängig. All diese Faktoren schaffen eine Verbindung zwischen dir, der Natur und all den besonderen Menschen, die du auf dem Weg triffst. Je mehr du leidest, desto mehr lernst du über dich selbst und desto mehr sehnst du dich danach, zurückzukommen. Dieser Rausch zieht dich immer wieder zurück. Mit den Elementen zu kämpfen transportiert dich zurück in die Zeit der Gladiatoren. Wenn du dich alleine draußen in der Wüste wiederfindest, vielleicht mit einem Sturm im Rücken, fühlst du dich wie ein Krieger. Keine andere Disziplin gibt dir dieses Gefühl.“

Wie fühlt es sich an, die Ziellinie als Sieger zu überqueren?
„Das lässt sich nur schwer in Worte fassen, aber der Ruhm selbst ist nicht alles. Gewinnen kann zwar auch süchtig machen, aber das ist nicht, worum es bei der Dakar geht. Was dich in die Wüste zurückkehren lässt, ist die Erfahrung als Ganzes, die ganze Reise.“

Und dennoch … du hast fünfmal gewonnen. Was ist dein Geheimnis?
„Ich war immer sehr professionell und habe niemals meine Leidenschaft für das Rennfahren verloren. Natürlich denke ich analytisch und kann auch sehr kritisch sein. Kurz gesagt habe ich mir nie etwas vorgemacht und immer hart an meinen Schwächen gearbeitet. Wenn ich zurückblicke, wird mir aber auch klar, dass ich mit meinem Team sehr viel Glück hatte.“

Marc Coma (ESP) Dakar 2015 © KTM

Wie im Enduro-Sport wusstest du auch im Rally-Sport, wann die Zeit zum Aufhören gekommen war. Zufall oder Weisheit?
„In meinen letzten Jahren bei der Dakar fiel mir auf, dass ich mit mehr Risiko fuhr. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mit dem Rennfahren aufhörte, als ich immer noch das Zeug hatte, ein weiteres Mal zu gewinnen. Trotzdem fühlte ich, dass es Zeit war, aufzuhören. Wenn dich dieses Gefühl beschleicht, tappst du leicht in die Falle, für das Geld oder den Ruhm weiterzufahren.“

Heute sitzt du wieder im Sattel und fungierst zusammen mit Chris Birch und Quinn Cody als Coach beim KTM Ultimate Race im Rahmen der Merzouga-Rallye. Wie fühlt es sich an, zurück in der Wüste zu sein?
„Es ist 4,5 Jahre her, dass ich zum letzten Mal in der Wüste gefahren bin. Während meiner Zeit in der ASO erkundete ich die Route im Auto. Nichts ist aber damit zu vergleichen, in der Wüste mit deinem Bike alleine zu sein. Jetzt bin ich wieder Teil der Orange Family und wir leisten zusammen großartige Arbeit. Hier habe ich mich immer wohlgefühlt und tue das auch heute noch. Außerdem verbringe ich Zeit mit Freunden in Marokko. Ich fühle mich genauso glücklich, wie ich mich in der Wüste immer gefühlt habe.“

Zur Wüste … Was genau fasziniert dich so sehr?
„Jede Wüste birgt große Geschichte von fantastischen Menschen und mächtigen Zivilisationen. Wenn ich in der Sahara bin, denke ich an die große Zeit des antiken Ägyptens; im Nahen Osten denkt man sofort an Lawrence von Arabien und in Südamerika sind die Inka allgegenwärtig. Das Erlebnis ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Manche machen nur mit, um das Rennen zu fahren, während andere an den Orten interessiert sind und diese danach für immer im Herzen tragen. So erlebe ich die Wüste.“

Marc Coma (ESP) KTM 790 ADVENTURE R 2019 © Marco Campelli

Fotos: KTM | Sebas Romero | Marco Campelli
Video: Fabbegghy Studio