Moto3 vs. MX2: Einfach ein MX-Motor im GP-Chassis?

Trotz gleichem Hubraum und ähnlicher technischer Spezifikation – was unterscheidet das Moto3-Triebwerk vom 250er Motocross-Motor? Wir haben mit den KTM Rennsporttechnikern Kurt Trieb und Florian Ebner gesprochen, um das herauszufinden.

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Die Entwicklung des M32 KTM Moto3-Motors: Kurt Trieb, Entwicklung Motor, KTM Racing On-Road

Mit der Einführung der Moto3-Kategorie endete gleichzeitig die Zweitakt-Ära im GP-Sport. Die letzten Qualmwerfer (500er und 250er waren bereits abgelöst) wurden durch Einzylinder-Viertakter mit 250 ccm Hubraum ersetzt. Durchaus ähnliche Triebwerke waren im Motocross in der MX2-Klasse bereits üblich. Wie bei den Offroadern hat KTM es auch in der Moto3-Klasse geschafft, sich in der Spitze zu etablieren.

Als die FIM das Regelwerk für Moto3-Viertakter vorlegte, dämmerte allen Technikern bald, dass existierende 250er MX-Motoren dafür nicht unbedingt die beste Lösung sein würden. Nach den ersten Jahren, nach zwei Fahrer- und einem Hersteller-WM-Titel, können wir nun offenlegen, dass die Moto3-Historie für KTM dennoch mit einem Offroad-Antrieb begann – mit was denn sonst!

Der Einfachheit halber nämlich adaptierten KTM-Ingenieure einen 350er MX-Einzylindermotor und steckten diesen in eines der früheren 125er GP-Fahrwerke. Zur Erläuterung: Für die MX1-Klasse konstruierte KTM neben einem 450er Fullbore-Einzylinder auch eine schlanke 350er Einzylinder-Version, um Leichtbau, Power und agiles Handling in besonders ausgewogener Form zu kombinieren – was auch hervorragend klappt, wie die zahlreichen WM-Titel von Tony Cairoli unter Beweis stellen. Mit besagtem Moto3-Prototypen absolvierte der Österreicher Michi Ranseder als Testfahrer erste Funktionstests im spanischen Cartagena. Aufnahmen dieses Prototypen gingen damals um die Welt.

Gleich, aber anders
„Zwischen dem Moto3- und dem MX-Einzylinder-Triebwerk liegen Welten”, erläutert KTM Konstrukteur Kurt Trieb, der den Moto3-Motor mit der Bezeichnung M32 (Moto3 2012) entwickelt hat, während wir in der KTM Rennabteilung in Munderfing einen Blick auf die beiden doch sehr unterschiedlichen 250er Motoren werfen dürfen.

Doch zuvor erläutert Kurt Trieb noch die Hintergründe des 350er Prototypen aus dem Jahre 2010: „Bei den Tests konnten wir grundsätzliche Dinge ausprobieren – hinsichtlich Kraftentfaltung, Benzinverbrauch, Gewichtsverteilung und so weiter; wir konnten uns so Grundlagenwissen aneignen. Aufschlussreich war auch, dass die Fahrer in erster Linie Motorvibrationen bemängelten. Tatsächlich waren die Vibrationen so stark, dass sie sogar anzweifelten, überhaupt ein Rennen damit fertigfahren zu können!”

Kurt Trieb
Packaging

So wurde klar, dass für die Moto3-Rennmaschine ein komplett neues Motordesign entwickelt werden müsste – und damit auch ein von Grund auf neu konzipiertes Fahrwerk.

„Wichtig ist dabei das Packaging”, wie Kurt Trieb hinzufügt. „Der Motor mit allen Anbauteilen muss  perfekt ins Fahrwerk passen. Und umgekehrt das Chassis zum Motor. Das hört sich vielleicht simpel an, erfordert aber eine Menge Arbeit und es gibt jede Menge zu bedenken.”

Der Moto3-Triebling baut deutlich höher als das Antriebsherz der KTM 250 SX-F. Grund: Beim Motocross zählt Bodenfreiheit mit zu den wichtigsten Anforderungen, vor allem nach Sprüngen. Im GP-Straßensport ist Bodenfreiheit kein Thema. Rumpelpisten mit veritablen Sprunghügeln wie in Cadwell Park sind bisher den Briten vorbehalten.

Kurt Trieb: „Ein wichtiger Unterschied beider Motoren ist der steil nach oben führende Einlasstrakt beim Moto3-Exemplar. In der gewählten Einbaulage führt der Einlass so geradewegs zur Airbox, die bei der KTM RC250 GP gleich hinter dem Lenkkopf platziert ist. Dadurch wird dem Motor viel Ansaugluft zugeführt, was sich positiv auf das Leistungsvermögen auswirkt.”

„Für die Gesamtkonstruktion ist die Schwerpunktlage mit Blick auf das Fahrverhalten wichtig. Ebenso die Positionierung des Benzintanks, der vertikal aufragt und tief nach unten reicht. Somit ist der Tank etwas hinter sowie nahe am Motor positioniert. Auch die Kupplung ist vergleichsweise tief positioniert. Auf den ersten Blick mag unser Triebwerk lang und hoch aussehen, eingebaut jedoch schmiegt es sich optimal in das Gesamtfahrzeug, zusammen mit allen Komponenten.”

Andere Drehzahl-Anforderungen
Moto3- und MX2-Fahrer haben unterschiedliche Wünsche und Ansprüche. Der nutzbare Drehzahlbereich liegt beim Moto3-Renner zwischen 9.000 und 14.000 Touren. Pro Runde wird die Höchstleistung vom Fahrer zu etwa 70 % abgefordert, d.h. zu etwa drei Vierteln wird Vollgas gegeben, etwa ein Viertel der Runde ist Bremsen oder Dosieren im Teillastbereich gefordert. Im Motocross fällt der Vollastanteil unter vollends gespanntem Gaskabel erheblich geringer aus.

Die Anforderungen hinsichtlich Drehzahlen und damit auch geforderter Zuverlässigkeit fallen also sehr unterschiedlich aus, weshalb sich Moto3- und MX-Motoren konstruktiv deutlich unterscheiden. Kurt Trieb erläutert dazu: „Das Moto3-Triebwerk verlangt nach einem gänzlich anderen Schmiersystem. Die Ölmenge ist größer (0,8 Liter im Vergleich zu 0,3 Liter beim MX2-Motor), dazu kommen eine tiefere Ölwanne sowie ein Öl-Wasser-Wärmetauscher. Getriebe und Kupplung kämmen nicht im Motoröl, sondern werden gezielt mit Schmierstoff versorgt. Das Gehäuse baut insgesamt höher, die Motorkonstruktion ist jedoch optimiert, um mit Blick auf perfekte Gewichtsverteilung ins Chassis integriert zu werden.”

Beim Motocross-Bike stellt sich das Packaging sichtlich anders dar: Die Airbox ist unter dem Sitz platziert und der Tank findet ein Stück davor seinen Platz. Entsprechend muss der Einlasskanal am Zylinderkopf dazu passend positioniert sein. Die konstruktive Gestaltung des Motors, speziell im Zylinderkopfbereich, unterliegt wiederum den Anforderungen des Gesamtfahrzeugs.

Der Grund für die großvolumige, weit vorne platzierte Airbox beim Moto3-Renner liegt im durchschnittlich hohen Vollgasanteil. Dafür ist entsprechend viel Luftdurchsatz notwendig, während bei MX-Rennen das Gas viel häufiger zugedreht wird, weil in der Regel in kurzer Abfolge Kurven und Sprünge zu absolvieren sind.

Power
Das M32-Triebwerk leistete 2012 im ersten WM-Jahr 54 PS, der in der MX-WM siegreiche 250 SX-F-Motor 46 PS. Das technische Reglement in der Moto3 schreibt ein Drehzahllimit von maximal 14.000 Touren vor, dazu ein einheitliches Elektronik-Steuergerät. In der MX2-WM gibt es solche Vorschriften nicht, deswegen kann der MX-Motor bis 15.000 Touren drehen. In der Moto3 ist die maximale Bohrung vorgegeben, in der MX-WM nicht. Deshalb konnte die Bohrung größer gewählt werden, wodurch der Motor sich überquadratischer präsentiert.

Bereits in der ersten Saison wurde deutlich, dass der Moto3-Einzylinder von KTM mit reichlich Spitzenleistung glänzt. Gleichzeitig strebten die Techniker jedoch nach einer Lösung, das Leistungsband breiter zu gestalten.

Kurt Trieb: „Um das zu erreichen, wurde auch über eine reduzierte Bohrung nachgedacht. Aber wir haben es schließlich geschafft, ein breites Drehzahlband mit der maximal zulässigen Bohrung zu erzielen, um gute Fahrbarkeit bei gleichzeitiger Drehfreudigkeit zu gewährleisten.”

Das Innenleben entscheidet
Der Hubraum beider Triebwerke ist identisch und auch bei einigen Daten gibt es nur wenige Unterschiede. Hub und Bohrung der RC250 R betragen 81 x 48,5 mm, bei der 250 SX-F sind es 78 x 52,3 mm. Mit freiem Auge muss man nach dem Abnehmen der Zylinderköpfe schon genau hinschauen, um die unterschiedlichen Kolbendurchmesser wahrzunehmen. Dennoch gibt es beim Kolbengewicht kaum Abweichungen, beide sind in etwa gleich schwer.

Dafür weist Kurt Trieb auf Unterschiede bei der Kurbelwellenlagerung hin: „Das Moto3-Triebwerk ist anders gelagert als der SX-Motor und dazu mit einer Ausgleichswelle ausgestattet. Damit haben wir dem Wunsch vieler Fahrer nach möglichst vibrationsfreiem Fahren entsprochen.”

Bei der Motorarchitektur und den Innereien gibt es jedoch auch konstruktive Gemeinsamkeiten: Beide 250er Einzylinder verfügen über vertikal geteilte Gehäusehälften, separate Zylinder, Rollen-Schlepphebel beim Ventiltrieb sowie über ähnlich konstruierte Kolben und Pleuel.

Kein Wunder, „da jede Motorkonstruktion auf dem über Jahre gesammelten Erfahrungsschatz aufbaut”, wie Kurt Trieb abschließend hinzufügt. Da Mattighofen bereits reichlich Siege und Titel in MX1, MX2, MX3, Enduro, Supercross, der Rally Dakar und nun auch der Moto3-Klasse errungen hat, halten wir also fest, dass KTM inzwischen über das notwendige Know-How verfügt, um Weltklasse-Triebwerke zu konstruieren und zu fertigen.

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Die Technik des KTM Moto3-Triebwerks:
Die Konstruktion des KTM Motors, die entsprechend den Moto3-Regularien erfolgte, umfasst folgende Eckpunkte:
• maximale Motordrehzahl 14.000 Touren
• maximale Zylinderbohrung 81 mm
• einheitliche Motorelektronik (ECU)
• Motorlaufleistung auf 2000 km ausgelegt (vor erster Revision)
• Sechsganggetriebe (Haltbarkeit ausgelegt auf eine Saison)
• Motortyp: flüssigkeitsgekühlter Viertakt DOHC Einzylinder
• Bohrung: 81 mm
• Hub: 48,5 mm
• Hubraum: 249,5 cm3
• Einlasstrakt mit zwei Einspritzdüsen
• eine Balancer-Ausgleichswelle
• Antihopping-Kupplung
• Ventile aus Titan und in radialer Anordnung

KTM in der Moto3-WM 2012 – 2013:
2 Saisonen
24 Siege bei 34 Rennen
21 Siege davon in Folge
2 Fahrer-WM-Titel
2 Konstrukteurs-WM-Titel


Wie eine 250er KTM MX-Werksmotor entsteht: Florian Ebner, Manager Technik, KTM Racing Offroad

„Die Motoren, die unser Werks-MX-Team einsetzt, werden im Jahr darauf in den Serienmodellen eingebaut. Dieser Rhythmus wird bei uns schon lange praktiziert, wobei die Werks-Triebwerke wiederum auf denen der Serie basieren. Dank dieser READY TO RACE-Philosophie werden KTM Serien-MX-Bikes ständig verbessert und befinden sich technisch auf sehr hohem Niveau. Das erklärt, egal wohin man schaut im Motocross, warum so viele orange Bikes an den Start geschoben werden.

Unser MX2-Werksbike basiert auf der 250 SX-F, wie sie normal vom Produktionsband läuft. Am Motor wird lediglich Detailarbeit betrieben. Dabei geht es entweder um Leistungssteigerung oder Anpassung der Leistungscharakteristik an den Geschmack unserer Fahrer.

Factory-Tuning besteht nicht aus Zauberei oder Hexenwerk. Das bedeutet, dass wir lediglich einzelne Komponenten oder Bauteile verfeinern oder ersetzen. Diese können leichter sein, eine höhere Materialfestigkeit aufweisen oder mit engeren Toleranzen gefertigt sein. In der Regel geht es bei Factory-Tuning um Gewichtsersparnis oder gesteigerte Präzision. Viele dieser Komponenten oder Tuningteile sind aber auch für jedermann über das KTM PowerParts Programm erhältlich.

Dem Thema Abstimmung kommt beim Werkstuning große Bedeutung zu. Wir versuchen stets, eine Motor- und Fahrzeugcharakteristik zu erzielen, die dem Fahrergusto entgegen kommt. Motorcharakter und Leistungsentfaltung lassen sich über die Settings der elektronischen Kraftstoffeinspritzung, diverse Nockenprofile oder Ventilfedern ändern oder anpassen. Meist geht es nur um Kleinigkeiten, zum Beispiel das Einrückverhalten der Kupplung.

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Der Focus liegt in der Regel immer darauf, die Fahrbarkeit zu optimieren. Wie allgemein bekannt, kommt beim Offroadfahren dem Fahrwerk, der Federung und deren Abstimmung die größte Bedeutung zu. Wie alles zusammen harmoniert – Motor, Chassis, Setup – ist ausschlaggebend dafür, dass der Fahrer sich wohlfühlt. Oft geht es nur um Details. Einerseits geht es um die optimale Performance, anderseits um Fahrspaß. Dafür ist gute Fahrbarkeit meist wichtiger als schiere Spitzenleistung.

Das Triebwerk der KTM 250 SX-F ist sehr kompakt. Im Vergleich zur Moto3 ist offensichtlich deutlich mehr Bodenfreiheit notwendig. Dazu ragt der Motor nicht so weit nach oben. Bereits bei der Konstruktion war es ein Anliegen, Gewicht und Masse im Fahrzeug zu zentralisieren. Das fällt mit einem kompakten Motorblock einfacher, der sich nahe zur Schwingarmachse und damit auch möglichst nahe am Fahrzeugschwerpunkt positionieren lässt.

Vertikal baut der MX-Motor nicht so hoch. Dazu hört das Motorgehäuse gleich unter der Kurbelwelle auf, präsentiert sich beinahe wie abgeschnitten. Der Gehäuseboden, in dem sich das Motoröl befindet, ragt nur wenig nach unten. Darin baden Getriebe und Kupplung. Dank dieser Bauweise ist genügend Bodenfreiheit gewährleistet.

Motocross- und Straßenrennfahrer setzen auch die Kupplung unterschiedlich ein. Ein MX-Pilot schaltet etwa 50 Mal pro Runde und lässt die Kupplung bei bestimmten Fahrsituationen dosiert schleifen. Damit kann er über den Kraftschluss die Leistung modulieren, was zu besseren Rundenzeiten beitragen kann. Deshalb sind Kupplung und Getriebe im Ölsumpf platziert. Die Planschverluste kosten zwar ein wenig Leistung, letztlich trägt diese Bauweise aber dazu bei, die Fahrbarkeit zu erleichtern.”

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KTM in der MX2: 2008 – 2013
6 Saisonen
130 Siege bei 184 Rennen
6 Fahrer-WM-Titel in Folge (Tyla Rattray 2008, Marvin Musquin 2009/2010, Ken Roczen 2011, Jeffrey Herlings 2012/2013)
6 Konstrukteurs WM-Titel in Folge