MotoGP: Rennzirkus auf Weltreise, eine enge Kiste

Die Motorrad-WM ist eine spezielle Reisegesellschaft: 18 Rennen pro Jahr, sieben davon in Übersee. Hunderte Tonnen Material müssen jedes Mal aufgebaut, abgebaut, eingepackt und wieder ausgepackt werden. Eine logistische Meisterleistung.

Carles Jorba heißt der Mann, dem die WM-Teams ihr Hab und Gut anvertrauen. „Operations Manager“ steht auf der Visitenkarte des 46-jährigen Spaniers, der im Auftrag von MotoGP-Rechte-Inhaber DORNA dafür sorgt, dass der Wanderzirkus Motorrad-Weltmeisterschaft wohlbehalten von einem Übersee-Rennen zum nächsten kommt. Jorba organisiert Fernreisen der besonderen Art. Da darf nichts schiefgehen. Denn der Zirkus muss auftreten. Absage einer Vorstellung, weil Jorbas Material-Transport festhängt? Undenkbar.

Carles Jorba

Carles Jorba

Wenn von Mai bis September der MotoGP-Tross durch Europa tourt, vom Abstecher nach Indianapolis abgesehen, hat Carles Jorba einen eher entspannten Job. Denn die Teams bringen ihr Equipment mit den eigenen Trucks zu den Rennen. Doch wenn alljährlich im Frühjahr und Herbst die Überseerennen anstehen – in diesem Jahr: Katar-USA-Argentinien und Japan-Australien-Malaysia – dann ist Jorba gefordert.

Rund 1000 Transportboxen, die sogenannten Flight Cases, lässt Jorba dann in vier Boings 747 packen und um die Welt fliegen. In diesen 1000 Flight Cases steckt die gesamte Motorrad-Weltmeisterschaft: Von jedem einzelnen Motorrad über die dazugehörigen Ersatzteile, die Computer und Werkzeugkisten bis hin zum Klappstuhl, auf dem der Pilot Platz nimmt, wenn er sich mit seinen Ingenieuren bespricht. Einfach alles. Nicht zu vergessen, die Infrastruktur der DORNA wie das DORNA-TV-Equipment, die Zeitnahme-Computer, die beiden BMWs (Safety Car und Medical Car) sowie die mobile Klinik (Clinica Mobile). Macht summa summarum 1000 Flight Cases oder rund 330 Tonnen. Eine äußerst wertvolle Fracht.

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Was Jorbas Job so delikat macht, ist der Zeitdruck. „Wenn zwei Überseerennen back-to-back stattfinden, also an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden, dann wird es spannend.“ Da ist das MotoGP-Rennen in Austin/Texas Sonntag um 14.45 Uhr zu Ende und schon zweieinhalb Tage später, Mittwoch früh, muss alles in Termas de Rio Hondo im Nordwesten Argentiniens eingetroffen sein. Der Trip ist präzise getaktet, es kommt auf jede Minute an.

Das bedarf einer Portion Selbstdisziplin seitens der Teams. Ausgiebig einen Sieg feiern, hoch die Tassen? Bloß nicht. Kurz nach Rennende beginnt im Fahrerlager das große Packen, bei Siegern wie bei Verlierern. Bis spätestens 20 Uhr muss alles in den Flight Cases sein. Dann lässt Jorba die Trucks vorfahren: 40 von ihnen stehen parat, um die 1000 Flight Cases zum Flughafen zu karren. Das Beladen der Trucks dauert die ganze Nacht an, die Boxengasse wird zur Verladestation, ein Truck nach dem anderen rollt Richtung Flughafen. Dort warten die vier Jumbos. Jetzt heißt es: Umladen. Mit 1000 Flight Cases dauert es einen ganzen Tag, bis alles in den Fliegern ist.

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Sobald der erste Jumbo voll ist, fliegt er ab. Das ist spätestens Montagmittag um 12 Uhr der Fall. Im Abstand von jeweils sechs Stunden folgen die übrigen drei Jumbos. Nach dem Flieger mit dem DORNA-Equipment, der stets als erster abhebt, gilt die Reihenfolge MotoGP, Moto2, Moto3. „Muss so sein“, sagt Jorba, „denn die MotoGP-Teams haben am meisten Gerätschaften und brauchen deshalb am längsten, bis sie alles wieder aufgebaut haben.“ Jorbas Versprechen, das er den Teams gibt: Spätestens Mittwoch früh, 8 Uhr, kriegen sie ihre Fracht an der nächsten Strecke in die Box gestellt. Klappt nicht immer. Aber meistens.

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Wer es puncto Gewicht übertreibt, muss zahlen. Ein Team der Königsklasse MotoGP hat 5000 Kilogramm pro Motorrad frei, jedes Kilo mehr kostet. Darum müssen die Teams ihre Fracht wiegen lassen, noch in der Boxengasse, vor dem Aufladen auf die Trucks. Carlos Jorba ist da pingelig.

Ein Mann wie Jorba hat seine natürlichen Feinde. Als da wären: Zeitverschiebung, desorientierte Zollbeamte sowie große Entfernungen zwischen Rennstrecke und Flughafen. Wenn alle drei Faktoren zusammen kommen, wird Jorbas Job zur Zitterpartie. So wie 2014 beim Trip von Argentinien ins spanische Jerez. Aber der Reihe nach:

  • Zeitverschiebung: Die arbeitete damals gegen Jorba – wie immer, wenn es von West nach Ost geht. Von Argentinien zurück nach Jerez waren es fünf Stunden Zeitverschiebung. Fünf Stunden, die Jorba fehlten.
  • Zollbeamte: Gerade in Argentinien neigen diese zum gepflegten Chaos, das musste Jorba 2014, beim ersten Argentinien-GP nach vielen Jahren, erfahren.
  • Entfernung Flughafen-Rennstrecke: Der Kurs in Argentinien liegt 80 Kilometer vom Airport Tucuman entfernt, vom Zielflughafen Sevilla bis Jerez sind es 100 Kilometer. Die Trucks waren entsprechend lange unterwegs.

„Dieser Trip, von Argentinien nach Jerez, war am Limit“, erinnert sich Jorba. Aber die rund 300 Tonnen trafen rechtzeitig in Jerez ein. Ein Happy End also, einmal mehr.

„Wenn die Zollbeamten am Flughafen uns kennen, ist alles einfacher“, sagt Jorba. Melbourne, Tokio, Kuala Lumpur – da ist die Reisegesellschaft MotoGP hinlänglich bekannt, die Zöllner winken Jorbas Fracht flott durch. „Doch am Frankfurter Flughafen oder in Amsterdam“, erzählt Jorba, „da heißt es gerne: Moto-was? Moto-GiiiPiiii?“ Dann werde jedes Formular doppelt gecheckt und alles ganz genau angeschaut, manchmal sogar die Motorräder untersucht. Jorbas Mannen stehen haareraufend daneben. Denn die Zeit läuft ihnen davon.

Die MotoGP ist ein Kampf gegen die Uhr. Auf der Strecke, aber auch in der Luft, auf den Straßen und in den Flughäfen rund um den Globus. Das sind die Rennen, die Carles Jorba und seine Mitarbeiter bestreiten – fernab des Glamours, des Rampenlichts und aller TV-Kameras.

Fotos: Marco Campelli | DORNA (Carles Jorba)