MXGP 2016: Drei grosse Fragezeichen

Dieses Wochenende startet die MXGP in Katar mit dem ersten von 18 Rennen in die neue Saison. Was können die Rennfans vom orangen Team erwarten?

Red Bull KTM Motocross Factory Racing Team: Tony Cairoli, Glenn Coldenhoff, Jeffrey Herlings, Pauls Jonass & Davy Pootjes

Red Bull KTM Motocross Factory Racing Team: Tony Cairoli, Glenn Coldenhoff, Jeffrey Herlings, Pauls Jonass & Davy Pootjes

1. Hat Tony Cairoli das Zeug dazu, seine Krone zurückzuerobern?
Die Saison 2016 beginnt für den 30-jährigen Sizilianer, den ´Valentino Rossi’ der MXGP in Sachen Ausstrahlung, Erfolg, Ausdauer und Starpotenzial, mit einer eher ungewöhnlichen Situation. Seit Cairoli 2009 als zweifacher MX2-Weltmeister in die MXGP aufstieg, begann er nie eine Saison ohne das Gold Plate mit der Nummer 1. Seit dieser Zeit bis zu einer von Verletzungspech gekennzeichneten Saison 2015 beherrschte Cairoli die MXGP, aber gerade wegen dieser Verletzungen ist Dominanz nicht das große Ziel für die bevorstehende Saison.

Nach zahlreichen Titel und verdientem Beifall hat Cairoli den Höhepunkt seiner Karriere erreicht und man kann Fans verzeihen, die sich fragen, ob Cairoli immer noch den Willen und die Physis hat, um es – noch einmal – mit dem neuen Weltmeister Romain Febvre (sechs Jahre jünger als Cairoli) und anderen Talenten wie Gautier Paulin, Jeremy Van Horebeek, Evgeny Bobryshev, Clement Desalle, Kevin Strijbos, Shaun Simpson, Tommy Searle und seinem neuen Teamkollegen Glenn Coldenhoff (vor kurzem 25 geworden) aufzunehmen.

Zweifel und offene Fragen an seinem Stellenwert und seiner Stärke in der MXGP wurden letzte Woche mit einem neuen 3-Jahres-Vertrag mit dem Red Bull KTM-Team beantwortet. Theoretisch bedeutet dieser Vertrag, dass Cairoli seine Karriere im von Claudio de Carli geleiteten Team beenden wird; ein Team, das, seit sich die Italiener 2004 zusammentaten, zahlreiche Titel gewonnen hat. Bereits beim letzten Grand Prix der Saison 2015 begann Cairoli die KTM 450 SX-F zu testen, was bedeutet, dass Cairoli fast fünf Monate Zeit hatte, über das Bike nachzudenken, Informationen zu sammeln und das Bike an seine Vorlieben anzupassen, nachdem er mit der KTM 350 SX-F von 2010 bis 2014 fast unschlagbar war. Und dann sind da noch die Geschichtsbücher. Stefan Everts 101 GP-Siege kann Cairoli (aktuell bei 74) immer noch einholen und auch die zehn Weltmeistertitel des Belgiers sind für Cairoli mit acht Titeln immer noch in Reichwiete, um eine noch bedeutendere Größe in der Geschichte dieses Sports zu werden.

Tony Cairoli (ITA) KTM 450 SX-F 2016

Tony Cairoli (ITA) KTM 450 SX-F 2016

Cairoli hat in der Vergangenheit bewiesen, dass er hartnäckig ist und auf veränderte Situationen reagieren kann. Der eher verspielte MX2-Athlet ist zu einem vielseitig talentierten, sensiblen und cleveren Herausforderer geworden, der, wie es scheint, mit Leichtigkeit Podiumsplätze sammelt. Wenn es für die ‘222’ mal nicht zum Positiven läuft, hat er schon mehrfach bewiesen, dass er genug Potenzial hat, um sich zurück zu kämpfen. Trotz eines verletzten linken Arms fuhr er in der letzten Saison drei weitere Rennen, bevor ihn die Verletzung zur Aufgabe zwang. Trotz Todesfällen in der Familie, war er erfolgreich. Nach einem schlammigen Grand Prix von Schweden mit einem zweifachen DNF im Jahr 2012 verlor TC die Weltmeisterschaftsführung, um dann sofort mit 13 Siegen in 14 Läufen zurückzuschlagen. In der Vorsaison 2016 erlebte er mit zwei gebrochenen Rippen einen kleinen Rückschlag, betont aber, dass er fit zum ersten Rennen kommt.

Angesichts seiner Rekorde, Beständigkeit und Durchhaltevermögen würde nur ein Idiot gegen Cairoli als wichtigen Faktor in der Weltmeisterschaft 2016 wetten. Er ist nicht länger der Gejagte, sondern der Jäger, was zu einem neuen offensiveren Fahrstil führen könnte. Er hatte reichlich Zeit, sich in der Vorsaison an die KTM 450 SX-F zu gewöhnen (anstatt wie 2015 während der Rennen zu testen) und einen festen Platz im Red Bull KTM-Team. Letztes Jahr fuhr Febvre brillant, aber dieses Jahr könnte das Beste von Cairoli werden.

2. Wird es Jeffrey Herlings letztes Jahr in der MX2? Und wird er seinen dritten Titel gewinnen?
Ganz bestimmt ‘ja’ und dann ‘wer weiß?’ Mittlerweile 21 Jahre alt, ist Herlings einer der älteren Fahrer in der MX2, seit er 2010 als 15-Jähriger zum ersten Mal die Szene aufmischte (ein Podium bei seinem zweiten GP und ein Sieg bei seinem Dritten). Der KTM-Fahrer hat zwei Titel im Gepäck (2012 und 2013) und zwei weitere verlor er durch schwere Verletzungen, die die Saison 2014 und 2015 vorzeitig beendeten. Mit einer Serie von sieben ungefährdeten Siegen bei seinem Heim-Grand-Prix und seinem Status als weltweit schnellster Fahrer auf Sand gilt: Jeffrey Herlings ist einer der größten Stars der MXGP-Szene. Mit der KTM 250 SX-F geht der Niederländer sicher, dass er nach zwei Jahren voll schlimmer Erfahrungen wieder Selbstvertrauen und Dominanz zurückgewinnt. In den Jahren 2012 und 2013 war er unschlagbar und ein weiteres Jahr in der MX2 gibt ihm die Möglichkeit, die Siegstatistik weiter zu verbessern und Schwung für einen Wechsel in die MXGP im Jahr 2017 aufzunehmen, wo er wieder Red Bull KTM-Farben tragen wird.

Die Vorzeichen für die MX2 sind bisher vielversprechend. Zum ersten Mal seit 2012 erlebte Herlings eine verletzungsfreie Vorbereitung. Er absolvierte umfangreiche Tests mit der KTM 250 SX-F und gewann Vorsaisonrennen in Italien, Großbritannien und Frankreich. Es ist zu erwarten, dass Herlings in der MX2 einmal mehr eine Klasse für sich sein wird, trotzdem wird der Titelkampf spannend. Jeffrey wird einen großartigen Eindruck hinterlassen (der ihn sicherlich in die MXGP bringen wird), aber er ist sich bewusst, dass er sich selbst genauso kontrollieren muss wie seinen Einfluss auf die Verfolger.

Jeffrey Herlings (NED) KTM 250 SX-F 2016

Jeffrey Herlings (NED) KTM 250 SX-F 2016

„Ich weiß, dass auch meine Kontrahenten alles getan haben, um sich perfekt vorzubereiten, aber in den letzten zwei Jahren konnte ich in der Weltmeisterschaft jeweils einen Vorsprung von mehr als 140 Punkten aufbauen und ich denke, das einzige, was mich jetzt zurückwerfen kann, ist eine weitere Verletzung … aber ich habe aus der Vergangenheit gelernt“, sagte er vor Kurzem.

Die MX2-Chroniken der Jahre 2014 und 2015 zeigen, dass in der MX2 – und in der Grand-Prix-Szene allgemein – nur wenig als gegeben hingenommen werden kann, aber Herlings ist der übermächtige Favorit in der MX2 und wenn er es über die Ziellinie schafft, können sich Fans auf ein aufregendes MXGP-Starterfeld und KTM-Team für die Saison 2017 freuen. Viele glauben, dass auch wenn das Schicksal gegen die Nummer 84 spielt, sie sich trotzdem von der MX2 verabschieden wird; auf dieses außergewöhnliche Talent warten größere Möglichkeiten.

3. Was ist bei den SX-F-Modellen als nächstes zu erwarten?
Nach dem Supercross-Erfolg 2015 (und dem AMA Pro National Motocross-Titel) sowie Grand-Prix-Siegen durch Shaun Simpson und einer Leistung, die sogar Cairoli dazu veranlasste, von seiner KTM 350 SX-F auf die neueste Generation der KTM 450 SX-F zu wechseln, hat die 450er die Maßstäbe nach ihrer Präsentation im letzten Jahr ziemlich hoch gelegt. Weniger Gewicht, bessere Handhabung und die bisher vielseitigsten WP-Federelemente – es war das Bike, das man in der MXGP/450 SX/MX fahren musste, um erfolgreich zu sein. Gleiches technisches Know-How wurde auch in der 250er verbaut und sowohl Herlings als auch Pauls Jonass kämpften 2015 um den Titel. Aber der Unterschied zwischen den 2015er und 2016er Modellen war klar zu sehen und sorgte für einigen Neid im Fahrerlager.

Nach den Unterschieden zwischen seiner KTM 450 SX-F MJ2015 und dem neuen Werksbike MJ2016 gefragt, das er in den letzten drei Rennen der GP-Saison fuhr, sagt der zweifache britische Meister Simpson: „Es fühlt sich leichter und direkter an und die Motorleistung entfaltet sich sanfter. Das Setup an unserem 2015er Bike hat gut funktioniert, aber beim neuen Modell fühlt es sich an, als hätte es noch mehr zu geben und es ist noch einfacher zu fahren.“

KTM 450 SX-F & KTM 250 SX-F 2016

KTM 450 SX-F & KTM 250 SX-F 2016

Was können wir bei den SX-Fs noch erwarten? Herlings berichtete bereits von seinen Wintertests („wir haben uns die Federelemente, das Chassis, die Kupplung und den Motor angeschaut, und natürlich geht es immer noch besser, aber ich denke, wir haben gute Fortschritte gemacht“) und Jonass sagte „das Bike hat sich nicht großartig verändert; wir haben die Federung und ein paar kleinere Dinge stark verbessert, aber vieles ist im Vergleich zum letzten Jahr auch gleich geblieben.“ Hinter den Kulissen arbeitet das Team weiter an der WP-Technologie (es lohnt sich immer, die Augen nach Stoßdämpfer- und Gabel-Prototypen offen zu halten) und an einem neuen Elektronik-Paket, das Cairoli bereits gegen Ende 2015 getestet hat. Sein neuer MXGP-Teamkollege Glenn Coldenhoff bringt nach seinem Debütjahr 2015 in der Königsklasse mit einer Werks-Suzuki einige Erfahrung mit und es wir spannend sein, zu sehen, wie der Niederländer sich wieder auf die SX-F einstellt, nachdem er mit der orangen 250er in der MX2 2013 seinen ersten Karrieresieg feierte.

Craig Dent, der führende Designer bei Kiska und verantwortlich für einige der zentralen Designs und Funktionen der SX-Modelle 2016, sagte vor Kurzem, dass es bei den KTM-Offroad-Bikes immer noch Raum für Ideen und Kreativität gibt: „Wir arbeiten bereits an der nächsten Generation“, erzählt der Brite. „Genauso wie die Rennteams, die jeden Tag und jede Woche mit dem Bike arbeiten, gehen auch wir, unmittelbar nachdem die Arbeiten am 2016er Bike abgeschlossen sind, zum nächsten über. Wir haben uns ein paar der Optionen angeschaut, die wir vielleicht noch nicht genutzt haben. Für uns sind die 2016er Modelle perfekt, aber – wie immer im Leben – entwickeln sich die Dinge weiter. Maxime Thouvenin [Co-Designer] verbrachte kürzlich zwei Wochen in den USA zusammen mit Roger De Coster und dem SX-Team genauso wie in Europa mit dem MXGP-Team. Zurück kam er mit einem Notizbuch voller Ideen. Als er mit seinem Buch zu mir kam, dachte ich ‘Jetzt geht es wieder los’.“

Zu guter Letzt, was ist mit der KTM 350 SX-F? Cairoli und Coldenhoff werden in der beginnenden MXGP-Saison die große Schwester des Bikes fahren, was bedeutet, dass die KTM 350 SX-F seit ihrer Präsentation 2010 zum ersten Mal im Schatten steht, was die offizielle Werkspräsenz angeht. Dennoch könnte es für den fünffachen Titelgewinner mit KTM nur eine kurze Atempause sein … denn man kann sich kaum ein besseres Arbeitsgerät für Jeffrey Herlings in der Saison 2017 vorstellen …

Fotos: KTM