New Champ on the Block

Beim letzten Grand Prix des Jahres an diesem Wochenende musste er nur noch vier weitere Punkte sammeln, aber Jorge Prado darf sich aber schon jetzt neuer MX2-Weltmeister feiern lassen. Eine Verletzung zwang Titelaspirant Pauls Jonass zu einer Operation und verhinderte seine Chancen auf die Titelverteidigung der MX2-Krone im italienischen Imola. Kurz vor dieser unerwarteten Wendung, saßen wir mit dem spanischen Red Bull KTM-Werksfahrer zusammen, um ein paar Antworten auf unsere Fragen zu erhalten.

Jorge Prado (ESP) Teutschenthal (GER) 2018 © Ray Archer

Jorge Prado erlebte ein perfektes Wochenende in Assen und der Kampf in der MX2 schien entschieden zu sein. Im hohen Norden der Niederlande hatte der amtierende Weltmeister Pauls Jonass die Möglichkeit, sein 24-Punkte-Defizit zu reduzieren, aber eine beim GP der Türkei erlittene Verletzung, ein Sturz im ersten Lauf in Assen sowie die anschließende Operation machten es dem 21-jährigen Letten unmöglich, seinem MX2-Weltmeistertitel zu verteidigen. Die MX2-Krone geht 2018 an einen talentierten jungen Mann aus Lugo, Spanien.

Jorge Prado wird schon seit Jahren als großes Motocross-Talent gehandelt. Verwunderlich ist das nicht. Im zarten Alter von 17 hat der Spanier auf seinem gut gefüllten Trophäenregal bereits einige wichtige Preise versammelt. So ist ihm auch der Weltmeistertitel nicht fremd, hat er doch als Zehnjähriger schon die Weltmeisterschaft in der 65cc-Klasse für sich entschieden. Und dabei blieb es nicht. 2015 ging dann nämlich auch noch der Titel in der EXM125-Klasse an ihn. Die großen Erfolge scheinen dem Racer aus dem Hause Red Bull KTM Factory Racing spielerisch leicht von der Hand zu gehen. Nach seinem Grand-Prix-Debut im Jahr 2016 gelang es ihm kaum ein Jahr später, während des fünfen Rennwochenendes der Saison, seinen ersten Sieg davonzutragen. Der MX2-Weltmeistertitel ist also die perfekte Fortsetzung der Erfolgsstory. Um den neuen Weltmeister etwas besser kennenzulernen, trafen wir uns zu einem Gespräch mit ihm, wo er ganz offen über den MX2-Titel, sein Heimatland Spanien und seine Zukunftsträume sprach.

Jorge Prado (ESP) KTM 250 SX-F Assen (NED) 2018 © Ray Archer

Hattest du erwartet, dass Pauls Jonass in Assen etwas weniger stark sein würde?
„Um ehrlich zu sein nein. Jonass ist immer ein starker Gegner und außerdem ein richtig guter Sandfahrer. Darüber hinaus weiß er ja, wie es ist, in Assen zu gewinnen, deshalb hatte ich ihn sicherlich auf dem Schirm. In jedem Fall stand noch keineswegs fest, wer Weltmeister wird, aber ich bin mit den zwei Laufsiegen sehr gut ausgestiegen. Vor dem Rennen in Assen habe ich den Druck, der auf mir lastete, richtiggehend gespürt. Vor der ersten Runde bin ich dann auch ganz schön nervös geworden. Es fühlte sich anders an als sonst, weil man ja weiß, dass es um den Weltmeistertitel geht. Zum Glück blieb ich meiner Nerven Herr und konnte das erste Rennen gewinnen. Sobald ich auf meiner Maschine saß, war auch der Stress Geschichte. Jonass‘ weniger gutes Ergebnis hat mir auch ein bisschen Druck genommen, dadurch konnte ich im zweiten Rennen schon etwas entspannter an den Start gehen.“

Du warst ja schon einmal Weltmeister, bei den Junioren. Ist der Druck jetzt ähnlich groß?
„Vergleichen kann man das sicher, aber dieser Titel ist natürlich doch noch ein Stückchen wichtiger.“

Letztes Jahr hast du die Saison als Siebter beendet, jetzt bist du Weltmeister. Ein rasanter Aufstieg also. Sind die besseren Ergebnisse allein auf die Erfahrung zurückzuführen?
„Das Problem war, dass ich nicht konstant genug war. Ich habe drei GPs gewonnen und war oft in den Top 5, habe aber auch bei 8 GPs gar keine Punkte eingefahren. Vergangenes Jahr ging ich ja noch zur Schule und nahm gleichzeitig an der Motocross-WM teil. Der Terminkalender ist voll mit Rennen und Trainings, aber ich wollte auch in der Schule mein Bestes geben. Dieser Plan ist nicht wirklich aufgegangen. Manchmal war ich todmüde, was sich dann natürlich auch im Training und an meiner mangelnden Konzentration gezeigt hat. Ich schlief weniger, erholte mich also auch nicht ausreichend. Sowohl geistig als auch körperlich war das eine schwere Zeit.“

Und dieses Jahr sieht die Situation anders aus?
„Genau. Deshalb hatte ich von Beginn der Saison an auch gleich das Gefühl, dass der Weltmeistertitel drinn sein könnte. Ich habe im Winter sehr fleißig trainiert, habe mich aber leider zwei Monate vor dem ersten GP noch verletzt. Zwei Wochen vor dem ersten Saisonrennen in Argentinien saß ich erst wieder auf meiner Maschine. Dennoch war mir stets bewusst, dass ich die Chance hatte, Weltmeister zu werden.“

Jorge Prado (ESP) KTM 250 SX-F Lommel (BEL) 2018 © Ray Archer

Und jetzt ist es soweit, dein erster MX2-Titel!
„Das ist auch der Grund, warum wir mit der ganzen Familie nach Belgien übersiedelt sind, damit ich mir meinen Traum verwirklichen kann. Genau hierhin wollten wir, um mir die Möglichkeit zu geben, einen Weltmeistertitel zu gewinnen. Umso schöner ist es, dass dieser Traum jetzt in Erfüllung gegangen ist.“

Das war ja ein ziemliches Opfer, das ihr da gebracht habt. Alles für diesen Traum aufzugeben.
„Ganz sicher war das keine einfache Situation, weil der Rest der Familie ja immer noch in Spanien wohnt. Noch dazu mussten meine Eltern ihre Jobs kündigen, um nach Belgien kommen zu können. Sie mussten also einige Opfer bringen, um sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Mittlerweile wohnen wir schon sechs Jahre in Lommel, wo ich auch zur Schule gegangen bin. Darum spreche ich zusätzlich zu Spanisch und Englisch jetzt auch Niederländisch. Ich denke, dass wir uns mit der neuen Situation ziemlich gut arrangiert haben. Zu Beginn war es natürlich schwer, aber jetzt scheint sich alles zum Besten gewendet zu haben.“

Woran war es besonders schwer sich zu gewöhnen?
„Fast alles ist anders, deshalb hat es ganz schön gedauert, bis wir uns hier einigermaßen zuhause gefühlt haben. Jetzt haben wir allerdings auch belgische Gewohnheiten übernommen. So zum Beispiel die Essenszeiten. Jetzt essen wir um 12 zu Mittag, während man in Spanien viel später isst. Dasselbe gilt für das Abendessen. Früher aßen wir immer gegen neun Uhr, heute ist es eher sieben. Manchmal aber auch halb acht oder acht. Das sind dann schon wieder eher spanische Zeiten [lacht]. In jedem Fall essen wir immer noch sehr mediterran, wobei es in Belgien schwierig ist, Fisch zu essen. Obwohl ich genau den so gerne mag.“

Vermisst du Spanien manchmal?
„Ja klar, ich fühle mich auch immer noch zu 100% als Spanier. Aber in Belgien gefällt es mir richtig gut, hier fühle ich mich zuhause. Ich weiß es natürlich nicht sicher, aber ich habe den Eindruck, dass das auch für meine Eltern gilt.“

Jorge Prado (ESP) KTM 250 SX-F Semarang (INA) 2018 © Ray Archer

Wo wir gerade von deinem Heimatland sprechen: Dort hast du auch deine Liebe zum Motocross entdeckt. Wie genau bist du mit diesem Sport in Berührung gekommen?
„Ich bin geboren und aufgewachsen in Lugo, einem Ort in Galizien mit etwa 100.000 Einwohnern. 15 Minuten von unserem Haus entfernt gab es eine Motocross-Strecke, die einzige weit und breit. Motocross ist dort nicht so beliebt. Im Alter von drei Jahren habe ich dann angefangen, Trials zu fahren. Mein Vater ist auch gefahren, da habe ich immer gerne zugesehen. Schlussendlich habe ich dann ein Trial-Bike bekommen und habe mit dem Sport begonnen. Im Alter von sechs bin ich dann auf Motocross umgestiegen. Das hat mir noch mehr Spaß gemacht.“

Im Motocross hast du schnell erste Erfolge gefeiert. Wer hat dich in Spanien eigentlich trainiert?
„Mein Vater, sonst niemand. Er ist selbst nur auf Amateur-Niveau gefahren, aber ich finde trotzdem, dass er mir nützliche Tipps geben konnte. Wenn man sich ansieht, wo ich jetzt bin, muss das ja so gewesen sein, oder? Wir sind immer zusammen, mein Vater ist auch bei allen Trainings und Rennen dabei. In letzter Zeit trainiere ich viel mit Tony Cairoli. Das ist extrem wichtig für mich, weil er mir viele wertvolle Tipps gibt. Ich kann gar nicht genau sagen, was für Tipps das sind, aber er hat natürlich sehr viel Erfahrung. Er hilft mir also nicht nur während des Rennens, sondern auch danach. Wie man mit Fans und den Medien umgeht, zum Beispiel.“

Stimmt es eigentlich, dass du dich früher auch einmal an Straßenrennen versucht hast?
„Ja, 2011 war ich bei Sete Gibernau [ehemaliger MotoGP-Rennfahrer]. Er hat eine eigene Rennstrecke und hat mich eingeladen, dort zu fahren. Es war schön, das einmal auszuprobieren, und ich hatte sogar die Gelegenheit, Moto3 zu testen. Motocross hat mir aber viel mehr Spaß gemacht, deshalb bin ich dann auch dabei geblieben.“

Marc Marquez begann auch mit Motocross, landete dann schlussendlich aber beim Straßenrennen. Diesem Motorsport-Zweig wird in Spanien viel Aufmerksamkeit geschenkt. Bleibt da auch noch ein bisschen Platz für dich in den Zeitungen und Zeitschriften?
„Ein bisschen, aber nicht gerade viel. Vielleicht ändert sich das nun mit dem Weltmeistertitel. Aber es liegt noch ein gutes Stück Arbeit vor uns, um Motocross in Spanien populärer zu machen. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass es an der Weltspitze kaum Spanier gibt. Sollte sich das ändern, wird über Motocross auch in den Medien mehr berichtet. Ich hoffe, dass ich durch meinen Weltmeistertitel ein bisschen zur Popularität dieses Sports in meinem Land beitragen kann. Dass ich Kinder inspirieren kann, auch mit Motocross anzufangen. Sollte das passieren, wäre ich unheimlich stolz.“

Jesus Prado (ESP) & Jorge Prado (ESP) Afyon (TUR) 2018 © Ray Archer

Willst du eine aktive Rolle dabei spielen, das Niveau in Spanien anzuheben?
„Ja, das fände ich schön, aber dazu muss ich erst noch mein eigentliches Ziel erreichen. Und das ist der MXGP-Titel. Danach kann ich vielleicht über meine Rolle dabei nachdenken, das Motocross-Niveau in Spanien anzuheben. Im Moment kann ich mich damit also noch nicht auseinandersetzen. Ich bin ja auch noch jung, alles ist möglich.“

Wer waren denn eigentlich am Anfang deine Vorbilder, als du klein warst?
„Am Anfang hatte ich drei große Vorbilder. Zuerst Valentino Rossi, während Adam Raga mein Trial-Hero war. Und im Motocross hatte ich auch einen Favoriten, nämlich Ricky Carmichael. Das hat sich später wieder geändert. Da fand ich dann Marc Marquez, Tony Cairoli, Jeffrey Herlings und Ken Roczen cool.“

Zurück in die Gegenwart. In einem früheren Interview hast du gesagt, dass du nach dem MX2-Titel gerne nach Amerika gehen würdest, um dort Rennen zu fahren. Ist das noch immer der Fall?
„Die nächsten fünf Jahre bleibe ich hier, weil ich ja in die MXGP aufsteigen will. Und auch da werde ich versuchen, Weltmeister zu werden. Ich möchte nämlich der beste Motocross-Fahrer der Welt sein. Mich durchbeißen, bis dieses Ziel erreicht ist – das ist im Moment mein Plan. Und dafür muss ich Jeffrey und Tony schlagen, die im Augenblick meiner Ansicht nach die besten Motocrosser sind. Das ist auch der Grund, warum ich bei der Motocross-WM bleiben will. Amerika ist im Moment auf Eis gelegt.“

Aber ganz aufgegeben hast du das noch nicht?
„Ich fühle mich sehr wohl bei Claudio De Carli und deshalb ist mein Verlangen, in die USA zu gehen, nicht mehr so groß. Hättest du mir letztes Jahr dieselbe Frage gestellt, wäre meine Antwort anders ausgefallen. Meine Sehnsucht nach dem AMA Supercross war damals noch viel größer. Jetzt ist das nicht mehr der Fall, weil mir der Wechsel nach Italien sehr gut getan hat. Ich habe alles, was ich brauche. Darum habe ich jetzt auf keinen Fall vor, alles wieder über den Haufen zu werfen. Was die Zukunft bringt, kann ich aber natürlich nicht wissen. Es kann also sein, dass ich diesen Schritt doch noch mache. Ich bin noch jung, in ein paar Jahren kann ich mich immer noch in Richtung Amerika aufmachen. Was das betrifft, ist alles offen.“

Fotos: Ray Archer
Video: DG Productions