NIEMALS AUFGEBEN! BRAD BINDER SPRICHT MIT UNS ÜBER SEINE LERNKURVE IN DER MOTOGP™

Unter all den Geschichten dieser MotoGP-Saison sorgt wohl keine andere für mehr Gesprächsstoff als Brad Binders Aufstieg von einem Fahrer, der im Winter noch über zwei Sekunden Rückstand auf die Spitze hatte, zu einem Rennsieger. Wir haben ihn gefragt, welche Veränderungen und Anpassungen er machen musste, um das zu erreichen …

Brad Binder und die KTM RC16
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Die hektische, unvorhersehbare und spannende MotoGP-Saison 2020 nähert sich im sechsten Gang ihrem Finale. Red Bull KTM Factory Racing-Rookie Brad Binder war einer von acht verschiedenen Siegern und einer von zweien für KTM in einem überwältigenden Jahr für das Werk und die KTM RC16, die erst ihr viertes Jahr in der Serie bestreitet.

Brad Binder erklärt, dass er immer noch dazulerne und in seiner ersten MotoGP-Saison viele Erfahrungen sammelt
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Der 25-jährige Südafrikaner hatte seinen Durchbruch am 7. August im Automotodrom Brno in der Tschechischen Republik, als er sein erst drittes Rennen mit der KTM RC16 gewann, und bewies zwei Wochen später mit einem starken 4. Rang am Red Bull Ring, dass er keine Eintagsfliege ist. Seitdem verlief seine Saison wie ein typisches ‚Debütjahr‘ mit Fehlern und Fehleinschätzungen, gemischt mit vielversprechenden Ergebnissen und großem Potential.    

Binder hat eng mit seinem Team zusammengearbeitet und so seit der Vorsaison gewaltige Fortschritte gemacht
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Es war eine erfreuliche, aber auch steile Lernkurve und Binder hat seit den wenig berauschenden Tests in Valencia und Jerez im November 2019 hervorragende Fortschritte gemacht. Bei diesen ersten Gehversuchen mit der KTM RC16 waren seine durchschnittlichen Rundenzeiten 2,5 Sekunden langsamer als die der Top-Fahrer. Seine Entwicklung seither kann nur mit dem Wort umwerfend beschrieben werden. Vieles davon geht auf das Konto der Art, wie er ein Rennmotorrad abbremsen und in die Schräglage bringen kann. Wir waren gespannt zu hören, wie er so schnell so gut werden konnte und wie es ihm damit geht …

Es hat einige Zeit gedauert, bis er sich an die schiere Power und Beschleunigung der KTM RC16 gewöhnt hatte
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Denke zurück an Valencia 2019: fühlt es sich an, als wäre es ewig lange her? Fühlst du dich heute wie ein anderer Fahrer?
Das ist lange her! Glücklicherweise haben wir seither wichtige Schritte vorwärts gemacht. Ich hatte nicht erwartet, dass alles gleich so gut funktionieren würde. Die Tests waren schwierig. Ich habe versucht, das Bike verstehen zu lernen, und musste es einfach fahren. Immer dann, wenn ich ein neues Bike bekomme, ist es wichtig für mich, mir Zeit zu lassen, um es kennenzulernen. Sobald ich weiß, wie weit ich damit gehen kann, und ein gutes Gefühl dafür habe, kommt alles andere von ganz alleine. Zeit ist der wichtigste Faktor.

Auch das Bike bei unterschiedlichsten Bedingungen – wie hier im französischen Le Mans im Regen – zu bewegen, war eine Lernkurve
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In Valencia warst du Feuer und Flamme und fast überwältigt und beim Grand Prix von Brünn im Sommer kamst du uns fast wie ein MotoGP-Veteran vor. Hat dich dein schneller Wandel selbst überrascht?
Mein Sieg war natürlich großartig. Es war ein fantastisches Gefühl, aber ich muss zugeben, dass es mir in den ersten paar Tagen in Spanien fast etwas zu viel wurde. Man hat all die Elektronik und all die anderen Optionen und Dinge, auf die man achten muss. Man erkennt, wie viel Power man zur Verfügung hat und wie hoch die Geschwindigkeiten dieser Bikes sind. Vielleicht habe ich einfach zu viel nachgedacht, anstatt die RC16 wie jedes andere Bike zu behandeln und einfach meine Arbeit zu machen. Wenn ich in der Zeit zurückgehen könnte, wäre ich etwas entspannter und würde alles einfach auf mich zukommen lassen. Aber das ist leichter gesagt als getan. Es war eine aufregende Zeit!

Binder holte sich in seinem erst dritten Rennen in der MotoGP im tschechischen Brünn seinen ersten Sieg
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In Interviews mit den Medien hast du in den ersten Monaten auf dem Bike oft das Wort ‚verrückt‘ verwendet, aber das hat nachgelassen. Es scheint so, als wirke es nicht mehr so einschüchternd auf dich. Hat das mit einem Gewöhnungseffekt zu tun, oder den guten Resultaten und deinem Selbstvertrauen?
Es ist schon witzig, wie sich die Dinge verändern. Zuerst war jede Runde auf diesem Bike wie ein Schock für mich. Es fühlte sich an, als würde ich fliegen. Es ist irre, wie schnell sich der Körper an alles anpasst. Heute fühlt es sich nicht mehr so verrückt an, wenn ich bei Vollgas eine Gerade hinunterschieße. Ich fühle mich nicht mehr als müsste ich mich extrem festhalten oder irgendetwas anders machen als zu jener Zeit, als ich mit meinem alten Moto2™-Bike die Geraden in Angriff nahm. Man passt sich an und in dieser Meisterschaft 2020 sind wir jedes Wochenende gefahren. Es wird zur Routine und ich bin froh darüber, denn am Anfang fühlte es sich an, als ob sich das niemals ändern würde.

Auch an die unglaubliche Verzögerung der KTM RC16 und an die damit verbundenen Grenzen musste er sich langsam gewöhnen
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Du hast erwähnt, dass du dich an die Bremspunkte in der MotoGP gewöhnen musstest. Wann hast du deine Furcht verloren oder genug Wissen gesammelt, dass du dir sagen konntest: ‚Jetzt habe ich den Dreh raus‘…?
Die große Sache war die, wie viel Bremskraft man verwenden kann. Wenn du glaubst, dass du bereits das Maximum herausholst, dann merkst du, dass du den Hebel noch weiter ziehen und noch besser bremsen kannst, als du es je erwartet hättest. Mit diesen Carbon-Bremsscheiben und der Art, wie die Bikes eingestellt sind, ist die Verzögerung einfach verrückt! Anfangs war es unfassbar, wie sehr man die Geschwindigkeit in so kurzer Zeit reduzieren kann. Man beginnt zu verstehen, dass die Grenze erst dann erreicht ist, wenn die Reifen zu blockieren beginnen. Die Grenze wird nicht nur davon definiert, wie stark sich das Hinterrad vom Boden hebt, man kann auch das Vorderrad heben und blockieren. Und das macht es schwierig, Vertrauen zu fassen. In diesem Bereich habe ich gute Fortschritte gemacht und ich finde, dass ich heute beim Bremsen recht gut bin. Ich muss aber weiterhin hart arbeiten. Wir hatten einige ‚Aha-Momente‘ in Sachen Reifen, mit Grip-Management und Verschleiß. Es gibt noch Nuancen, die ich lernen muss, und dabei spielt Erfahrung eine große Rolle.

Dank der Power der KTM RC16 fühlten sich die Geraden für Brad anfangs etwas ‚verrückt‘ an
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An welche Dinge musstest du dich in Sachen Bremsen in der MotoGP gewöhnen?
Man verwendet die hintere Bremse viel mehr. In der Moto2 habe ich sie bereits viel verwendet, aber zu einem ganz anderen Zeitpunkt. Auf den Geraden habe ich nie hinten gebremst und fast nur in der Schräglage. In der MotoGP verwendest du die Hinterradbremse in der gesamten Bremszone, bis du wieder ans Gas gehst! Man verwendet sie auch am Kurvenausgang, um das Vorderrad unten zu halten. Es gibt viele Dinge, an die man sich gewöhnen muss. Insgesamt ist es aber schwierig, eine Sache oder eine Gewohnheit herauszustreichen. Schlussendlich ist es immer noch ein Motorrad und in der MotoGP fährt man auf andere Art schnell.

Brad genießt die Testarbeit mit dem Team und probiert gern neue Teile aus
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Deine Mechaniker haben erwähnt, dass du gerne arbeitest und testest. Das macht einen Werksfahrer aus, aber hat dieses Experimentieren deine eigene Entwicklung auch ein bisschen ausgebremst?
Für mich ist es keine Zauberei. Die Jungs hinter den Kulissen machen die ganze harte Arbeit, um das Bike besser zu machen, und ich setze mich einfach darauf und gebe ihnen mein Feedback. Ich sage ihnen, was ich mag, wo es noch Optimierungspotential gibt und was ich nicht mag. Ich versuche, es so einfach wie möglich zu machen. Ich gebe ihnen mein Feedback und sie kümmern sich um den Rest. Ich glaube nicht, dass mich das zurückgehalten hat.

Jede Sitzung bringt eine neue Chance, dazuzulernen, und Brad hatte eine aufregende erste Saison in der MotoGP
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Letzte Frage: Hast du die Dinge selbst schwieriger für dich gemacht, indem du alles schon so bald so einfach hast aussehen lassen?
Es ist nicht einfach! So viel steht fest. Ich glaube nicht, dass ich es so habe aussehen lassen. Es fühlt sich wie eine Menge Arbeit an und manchmal – wie bei den letzten paar Rennen – fühlt es sich so an, als ob diese Arbeit nicht belohnt werden würde! Ich hatte ein paar gute Sessions und ein paar gute Rennen, aber habe auch zu viele Fehler gemacht. Ich brauche mehr Erfahrung. Aber das ist die MotoGP. Es handelt sich um die Königsklasse des Sports. Ich bin mir sicher, dass ich es schaffen werde.

Der Einsatz der Hinterradbremse sowie die Art, wie der Kurveneingang und -ausgang gefahren werden, unterscheiden sich in der MotoGP stark von der Moto2
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