Power in Reihe

Ein Motor mit zwei unterschiedlichen Missionen. Wir werfen einen detaillierten Blick auf den LC8c-Motor, der die neue KTM 790 ADVENTURE/R antreibt, und finden heraus, was ihn von jenem in der KTM 790 DUKE unterscheidet.

Das Herz jeder KTM 790 ADVENTURE und KTM 790 ADVENTURE R beginnt in einem kleinen österreichischen Ort namens Munderfing zu schlagen.

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KTM 790 ADVENTURE MY2019 © Marco Campelli

Das Motorenwerk befindet sich nur einen Steinwurf vom Hauptwerk im benachbarten Mattighofen entfernt und wird von der gigantischen KTM Components-Anlage, KTM Factory Racing, dem KTM E-Cross-Center, den Büros von KTM Österreich und dem neuen KTM House of Brands flankiert. Das Werk produziert 24 Stunden am Tag und 7 Tage pro Woche mit mehr als 200 Mitarbeitern, 300 bis 400 Motoren pro Tag; 2-Takter, 4-Takter, 1-Zylinder- und 2-Zylinder-Motoren – inklusive dem neuen LC8c-Reihen-2-Zylinder.

Bis zur Veröffentlichung der KTM 790 DUKE im Jahr 2018 produzierte KTM ausschließlich 1-Zylinder und V2s. Dieses typisch dynamische, aggressive und sportliche Motorrad kam aber mit dem brandneuen LC8c-Reihen-2-Zylinder – KTMs erstem in Serie produzierten Reihen-2-Zylinder-Motor (den 2-Takt-Motor im 250-ccm-Grand-Prix-Bike nicht mitgerechnet) – daher. Was brachte KTM zu diesem Umdenken? Wir stellten KTM Product Manager Adriaan Sinke dieselben Fragen, die wir ihm auch beim KTM 790 DUKE-Media-Launch letztes Jahr stellten.

„Dafür gibt es viele Gründe“, so Sinke„Einer der wichtigsten ist sicher, einen Bedarf im aktuellen Sortiment der KTM-Straßenmotorräder zu bedienen und die Lücke zwischen dem 690ccm-LC4-1-Zylinder und dem LC8 mit 2 Zylindern und 1290ccm Hubraum zu schließen. Wir vervollständigen damit die DUKE-Hubraumleiter und bieten so eine KTM für wirklich jeden Fahrer in der hart umkämpften Naked Bike-Mittelklasse. In diesem Hubraumsegment bot der Reihen-2-Zylinder das beste Paket aus kompakter Größe und schmaler Bauart. Wir nennen diesen Motor LC8c. Das steht für ‚Liquid cooled 8-valve compact‘. Es ist ein völlig neuer Motor, der die Erfahrungen kombiniert, die wir mit allen KTM-Motorentypen – sogar denen in unseren Offroad-Modellen – gewonnen haben. Die Tatsache, dass wir ihn einen 790er-Motor nennen, obwohl er 799ccm Hubraum hat, folgt der Logik der Namensgebung unserer Marke.“

Dank des extrem kompakten Designs des LC8c hatte KTM viel Spielraum bei anderen Konstruktionsaspekten. Er ist kompakt und wird als tragendes Element verwendet, hat keinen ‚hinteren‘ Zylinder und den Luftfilterkasten über den Zylinderköpfen. Das bot viel Flexibilität bei der Gestaltung der Ergonomie und führt dazu, dass man Fahrer aller Körpergrößen glücklich machen kann – egal, wozu das Bike später verwendet werden sollte.

Die Geschichte zeigt, dass KTM Motoren immer für verschiedene Zwecke baut. Der LC8-V2 wurde zum Beispiel in Supersportmotorrädern, Super-Nakeds, Super-Adventures, Super-Enduros und Supermotos verbaut! Klingt nach einem simplen Zugang zur Entwicklung von Motorrädern? KTM ist aber kein Unternehmen, das immer den einfachen Weg wählt. Ansonsten hätte man einfach den Motor der KTM 790 DUKE in die neue KTM 790 ADVENTURE und die KTM 790 ADVENTURE R einbauen können.

LC8c © KISKA

Von außen betrachtet sind die beiden Motoren identisch. Auf dem Papier sind die ADVENTURE-Modelle 10 PS ‚schwächer‘, haben aber etwas mehr Drehmoment. Also haben wir Andreas Gühlsdorf, den Projektleiter des KTM 790 ADVENTURE/R-Projekts nach der Bedeutung des Drehmoments, den Unterschieden und dem Warum gefragt.

„Die KTM 790 DUKE- und die KTM 790 ADVENTURE/R-Projekte begannen zur gleichen Zeit. Letzteres nahm aber mehr Entwicklungszeit in Anspruch. Es ging also nicht darum, den DUKE-Motor für die ADVENTURE-Modelle abzuändern. Die beiden wurden parallel entwickelt“, erklärt Andreas.

„Wir wollten mehr Drehmoment haben und es sollte im Drehzahlkeller zur Verfügung stehen. Wir haben den ‚DUKE‘-Motor natürlich im ADVENTURE-Fahrwerk getestet. Sein Charakter passte aber einfach nicht zu diesem Motorrad. Er war zu nervös und wollte einfach nur losgelassen werden, anstatt durch die Gegend zu cruisen. Beim Adventure-Fahren sitzt man den ganzen Tag im Sattel und legt keine Sprints hin!“

LC8c © KISKA

Damit wären die Fahrposition und die Gründe dafür geklärt, aber wie steht‘s mit den Unterschieden bei den Komponenten?

„Die liegen in den Nockenwellen-Steuerzeiten, einem längeren Ansaugtrakt und, natürlich, unterschiedlichen Steuergeräte-Kennlinien“, fährt Andreas fort. „Wir begannen mit den längsten Ansaugschnorcheln, die unser Paket ermöglichte, und passten die Einlass- und Auslassnockenwellen an, um auf 95 PS zu kommen. Auf Basis dieser Messungen wollten wir mindestens 95 PS und maximales Drehmoment erreichen. Zusätzlich dazu verhelfen uns die neuen Kennlinien zu einem schönen, gut nutzbaren Drehmoment und einem kultivierten Motorlauf bei niedrigen Drehzahlen sowie Emissionen unter 100 g CO2 pro km.“

Genau wie die Entwicklungsarbeit, die in die KTM 790 ADVENTURE und die KTM 790 ADVENTURE R geflossen sind, nahm man bei KTM also nicht den einfachen Weg, sondern entschloss sich, einen ganz eigenen einzuschlagen. Und das bedeutet auch, dass das Motorenwerk in Munderfing so schnell nicht stillstehen wird.

Wie alle anderen KTM-Motoren beginnt auch jeder LC8c-Motor sein Leben im Teststand. Bei den 4-Taktern besteht dieser Prozess aus zwei Teilen. Nachdem er auf dem Teststand montiert wurde, wird jeder Motor von einem Elektromotor (der in das Testgerät integriert ist) gedreht, ohne dass die Zündung eingeschaltet ist. So wird geprüft, ob genug Öldruck aufgebaut wird und ob die Kühlflüssigkeits-Umwälzung funktioniert. Wenn das der Fall ist, wird der Motor zum ersten Mal selbst gestartet. Dieser Abschnitt dauert etwa zwei Minuten und beinhaltet ein vordefiniertes Testprogramm bei verschiedenen Drehzahlen. Gleichzeitig wird auf Undichtigkeit und ungewöhnliche Geräusche geachtet und das Getriebe auf seine Geschmeidigkeit getestet.

Nach dem Testlauf kommt jeder Motor zurück auf seine Palette und wird zur Endfertigung transportiert. In diesem Bereich wird jeder 4-Takt-Motor auf eine Werkbank gehoben und dort fixiert, damit die Mechaniker das Öl ablassen können. Nachdem ein neuer Ölfilter eingebaut wurde, wird der Motor mit frischem Öl befüllt. Zusätzlich dazu wird das Ventilspiel neuerlich überprüft und – falls notwendig – mit den passenden Shims ausgeglichen. Wenn der Motor einmal im Bike eingebaut ist, läuft er neuerlich auf einem Prüfstand, bevor das Motorrad verpackt und zum Händler geschickt wird, um von einem neuen Besitzer zu aufregenden Abenteuern verwendet zu werden!

Fotos: Marco Campelli | Sebas Romero | KISKA