Psychologie im Motorsport

Red Bull KTM MX2 Team Manager Dirk Grübel arbeitet sowohl mit Grand Prix-Rookies als auch mit Dauersiegern und muss über die ganze, zermürbende Saison mit neunzehn Rennen das Beste aus ihnen herausholen. Wir haben ihn danach gefragt, was es so schwierig macht, sie zu motivieren und anzutreiben …

Im vergangenen halben Jahrzehnt war Dirk Grübel Stammgast auf den Podien der MX2. Während der Deutsche maßgeblich mitverantwortlich ist für die Dominanz der KTM 250 SX-F in der FIM-Motocross-Weltmeisterschaft, lenkte er außerdem den überwältigenden Erfolg (und kümmerte sich auch um die verletzungsbedingten Tiefpunkte) von Jeffrey Herlings (22, auf der KTM 450 SX-F nun in der MXGP aktiv) und half aufstrebenden Talenten wie Jordi Tixier, Pauls Jonass (20) und – seit Neuestem – Jorge Prado (16) dabei, an die Spitze zu kommen. Jonass führt derzeit die MX2 an und hat 2017 bereits die Hälfte aller Rennen gewonnen.

Dirk Grübel (GER)

Von Rohdiamanten bis zu erfolgsverwöhnten Energiebündeln voller Potential, war es die Aufgabe Grübels – dessen Werdegang bei KTM mit der recht ‚einfachen‘ Aufgabe begonnen hatte, Supercross-Legende Jeremy McGrath in den letzten Monaten seiner Karriere zu betreuen – mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten und Athleten mit verschiedenen Zielen fertigzuwerden. Seit über zehn Jahren ist seine Expertise im Motocross-Team unverzichtbar.

„Manche Fahrer sind einfacher zu handhaben, andere schwieriger und wieder andere sind echte Persönlichkeiten“, so Grübel. „Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass Sebastien Tortelli ein äußerst lockerer Fahrer war, der aber genau wusste, was er wollte. Ich habe gehört, dass er schon immer so war, während sein Teamkollege Mickael Pichon sehr anspruchsvoll war und das Setup des Bikes sowie die Teamstruktur kritisierte. Danach arbeitete ich mit [Enduro-Legende] David Knight. Den mussten wir zuerst einmal bändigen! Wir versuchten, ihm ein paar Regeln vorzugeben. Es schien aber sein Lieblingssport zu sein, die Regeln zu brechen! Wenn er aber einmal seinen Helm aufgesetzt hatte, gab er 100% und man konnte und kann mit ihm jede Menge Spaß haben.“

Als Teammanager muss Grübel die Truppe zusammenschweißen … was auch die Talente einschließt. Die langen Phasen, die man als kleine und kompakte Gruppe auf Reisen, bei intensiver Testarbeit und vor dem Saisonbeginn miteinander verbringt, helfen dabei, erstes Vertrauen aufzubauen und eine gemeinsame Basis zu schaffen. Besonders in der MXGP, deren erste vier Rennen in Übersee in Katar, Indonesien, Argentinien und Mexiko ausgetragen werden, muss das Team zusammenwachsen und aus der richtigen Mischung von verschiedenen Charakteren und Persönlichkeiten bestehen. Die acht Monate andauernde Saison mit 38 Läufen zu je 30 Minuten plus 2 Runden kann zu einer Reise der Euphorie und der Erfolge werden, aber auch mit Schmerz und Enttäuschung verbunden sein: Grübels Aufgabe besteht darin, das Boot ruhig und über Wasser zu halten.

„Wenn das Rennen nicht nach den Vorstellungen eines Sechzehnjährigen verläuft, kann es schon vorkommen, dass er – nervlich am Ende – unter der Markise sitzt und du ihn zuerst trösten und dann zu einer normalen Sichtweise zurückführen musst“, so Grübel. „Erst dann kannst du [die Performance] analysieren und sehen, was man anders machen kann. Man muss viel Geduld zeigen, denn das Letzte, was Fahrer in diesem Moment hören wollen, ist negatives Feedback und was sie falsch gemacht haben. Damit setzt du nur eine Abwärtsspirale in Gang und demoralisierst sie noch mehr. Das sind schließlich heranwachsende Burschen. Du musst ihnen eine Plattform bieten, um wieder nach oben zu kommen, und darfst sie nicht einfach über Bord werfen.“

Pauls Jonass (LAT), Jorge Prado (ESP) & KTM 250 SX-F Kegums (LAT) 2017

Motocross auf Grand Prix-Niveau zu fahren, fordert körperlich und mental alles von den Fahrern – vielleicht sogar mehr als jede andere Disziplin des Motorrad-Rennsports. Man muss nicht viel Zeit im KTM-Lager verbringen, um zu verstehen, dass ein eng gestrickter sportlicher Gedanke alles durchzieht und die Truppe anspornt, so lange wie möglich Höchstleistungen zu vollbringen. Obwohl Grübel grundsätzlich ein enges Verhältnis zu seinen Fahrern hat, muss er auch bereit sein, bei Bedarf Klartext zu reden. „Die Fahrer sind uns und ihren Familien so eng verbunden, dass das Team meiner Meinung nach wie ein geschlossener Kreislauf funktioniert“, so Grübel. „Man kommt den Fahrern persönlich recht nahe, muss aber trotzdem in der Lage sein, ihnen klipp und klar zu sagen, dass sie härter angreifen und dem Schmerz trotzen müssen, wenn sie in den letzten drei oder vier Runden abgebaut haben. Diese Balance zu finden, ist nicht leicht.“

„Für einen Rookie wie Jorge ist ein vierter Platz bei einem Grand Prix ein gutes Ergebnis. Insgesamt aber sind Plätze auf dem Podium für uns als Marke und Team wichtig; dafür arbeiten wir, das treibt uns an und das müssen auch die Fahrer verstehen.“

Pauls Jonass (LAT) & Dirk Grübel (GER) León (MEX) 2017

Wenn man dann mit einem guten Ergebnis heimkehrt – und KTM hat mit fünf verschiedenen Weltmeistern und acht Titeln in neun Jahren in der MX2 wahrlich gute Resultate eingefahren – muss das Teammanagement auch dafür sorgen, dass die Fahrer mit beiden Füßen auf dem Boden bleiben, denn im Motocross-Sport kann ein einziger Fehler eine Saison in Sekundenbruchteilen beenden.

„Das musste Pauls im letzten Jahr auf schmerzvolle Weise lernen“, wie uns Grübel verrät. „Wir haben versucht, ihm klarzumachen, dass er es ruhiger angehen lassen sollte, aber im Rennen fuhr er dann zu wild, hatte zu viele Unfälle und verletzte sich oft. Seitdem hat er sich grundlegend verändert und ist heute eine andere Person. Auch die Art, wie er sich im Winter vorbereitet, ist heute eine andere. Heute gibt er sich auch mit einem zweiten Platz zufrieden. Es ist schön, mit anzusehen, wie sich Fahrer entwickeln. Jeffrey war jahrelang der Überflieger, bremste sich dann aber mit vielen Verletzungen selbst aus. Dieses Jahr in der MXGP wurde er mit der Realität konfrontiert … obwohl die Art, wie er im Januar – bevor er sich die Hand verletzte – fuhr, mich glauben ließ, er könne in den Top 3 mitfahren. Vom Speed und Niveau her war er gleichauf mit Tony [Cairoli]. Ottobiano [ein Rennen der italienischen Meisterschaft vor dem Saisonstart] war eine Warnung für ihn. Dort fuhr er die 450er wie eine 250er und zum Dank hat sie ihm einen ordentlichen Tritt verpasst. Die ersten GPs waren für ihn extrem hart, da er nicht die für ihn gewohnten Ergebnisse einfahren konnte. Nicht auf dem Podest zu stehen, war für ihn ungewohnt und er brauchte eine Weile, um sich daran zu gewöhnen. Diese Phase durchzumachen, hat ihn weitergebracht. Er hat gelernt, einen Sieg wieder wertzuschätzen; in diesem Jahr ist die Konkurrenz in der MXGP sehr stark, was einen Sieg zu einer besonderen Leistung macht.“

Dirk Grübel (GER) & Jeffrey Herllings (NED) Neuquen (ARG) 2017

Die Eigenheiten der einzelnen Fahrer äußern sich darin, dass manche sehr gut organisiert sind, während andere ständig zu spät kommen oder unordentlicher als andere sind. Allen gemein ist jedoch, dass sie sich auf ihre eigene Art vorbereiten. Grübel und sein Team müssen flexibel sein, wenn es darum geht, die ganze Truppe zusammenzuschweißen. Der Siegeswille ist die Kraft, die die gesamte Truppe antreibt. Trotzdem gibt es im Rennsport auch noch andere, nicht minder einflussreiche und reale Kräfte. „Mit einem Fahrer wie Jeffrey Herlings im Team gewöhnt man sich ans Gewinnen. Trotzdem ist jeder Laufsieg etwas ganz Besonderes für mich“, fasst Grübel zusammen. „Und wenn ich dann Jorge aus seinem tiefen schwarzen Loch herauskommen und wenige Wochen später seinen ersten GP gewinnen sehe, erfüllt mich das mit Freude und lässt die Emotionen hochkochen. Und wenn der Bursche am Podium zu weinen beginnt, füllen sich auch meine Augen mit Tränen. Das ist großartig mitanzusehen und auch mit Pauls konnten wir in diesem Jahr bereits erste Plätze feiern.“

Jorge Prado (ESP) Pietramurata (ITA) 2017

Fotos: KTM