REMY GARDNER ÜBER LEISTUNGSDRUCK IN DER MOTOGP™

In einem schnelllebigen Sport wie der MotoGP™, in dem es um hohe Einsätze, viel Geld und Einschaltquoten geht, sind Rennfahrer ständig hohem Erwartungsdruck ausgesetzt. Wir unterhielten uns mit Remy Gardner, Neueinsteiger in der Saison 2022 und Moto2™-Weltmeister des Jahres 2021, darüber, was ihm sein Job abverlangt. 

Tech3 KTM Factory Racing Fahrer Remy Gardner beim Test in Malaysia zu Beginn des Jahres
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Remy Gardner von Tech3 KTM Factory Racing hatte nicht viel Zeit, sich mental und körperlich zu erholen. Der 24-jährige Australier holte sich den Moto2™-Titel 2021 – ein beeindruckender Erfolg, geprägt von drei besonderen Aspekten. Erstens setzte er sich in einem erbitterten Kampf gegen seinen Red Bull KTM Ajo-Teamkollegen Raul Fernandez durch, der sich bis zum letzten Grand Prix hinzog und dazu führte, dass sich die beiden sieben Mal die Plätze 1 und 2 holten. Zweitens sorgten sein Speed und seine Konstanz für Aufsehen, landete er doch bei 12 von 18 Starts auf dem Podium (und gewann 5 Mal). Drittens musste er bei den letzten beiden Läufen mit zwei gebrochenen Rippen antreten, um sich mit 4 Punkten Vorsprung den Titel zu sichern.  

Remy Gardner und Raul Fernandez holten sich in der Saison 2021 sieben Mal die Plätze 1 und 2 in der Moto2
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Gardner war 2020 im Gesamtklassement auf dem 6. Rang gelandet und sein Aufstieg zur Nr. 1 in der Moto2™ lehrte ihn so manches darüber, wie man mit Druck umgeht. Er gewann als erster Fahrer des Red Bull KTM Ajo-Teams den Titel in der Moto2™ und wurde gleichzeitig zum ersten Australier, dem dies in der zweithöchsten Klasse gelang. Gleich im darauffolgenden Jahr wurde er allerdings ‚ins kalte Wasser‘ gestoßen und muss nun als einer von zwei Neuzugängen des Tech3-MotoGP-Teams mit der furchterregenden KTM RC16 fertigwerden. Zu allem Überfluss und als zweifelhafte Krönung des hektischen Wechsels von der Moto2™ in die MotoGP™ brach sich Gardner bei einem Trainingsunfall während der Winterpause das Handgelenk. 

Remy setzte sich durch und krönt sich im letzten Rennen der Saison 2021 zum Moto2 Weltmeister
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Lediglich 24 Fahrer dürfen in der MotoGP™ antreten und die neuesten Werksmotorräder werden nur den allerbesten anvertraut – ist der Abstand zwischen dem Sieg und einem einzigen Weltmeisterschaftspunkt auf Platz 15 doch so gering wie nie zuvor. Im Jahr 2022 stoßen fünf neue Rookies zum Fahrerfeld hinzu und das Zeitfenster, um auf sich aufmerksam zu machen, wird immer kleiner, da ständig neue Talente aus der Moto3™ und der Moto2™ aufsteigen. Bei seinem Debüt in Qatar Anfang März kam Gardner als 15. ins Ziel. Er ist also auf einem guten Weg, weiß aber, dass dieser Sport seine Athleten ebenso schnell bestrafen kann, wie er sie belohnt – sowohl mental als auch körperlich.  

Um sich mit den Besten der Welt zu messen, ist immer voller Fokus gefragt.
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Fast schon klischeehaft sieht Remy wie ein Mann aus, dem das Scheinwerferlicht in der MotoGP™ nichts anhaben kann. Hinter seiner entspannten Verletzlichkeit steckt ein leidenschaftlich fokussierter Rennfahrer. Er vermittelt den Eindruck, dass man ihn nicht unterschätzen sollte … obwohl sich die MotoGP™ selbst für die stärksten Persönlichkeiten und vielversprechende Talente als hartes Pflaster erwiesen hat. 

Wir sprachen mit Remy darüber, was man zum Erfolg braucht – abgesehen von der Fähigkeit, das Bike abzustimmen, Vollgas zu geben und die richtige Linie zu wählen … 

„Alle sagen, sie stehen nicht unter Druck, aber das tun wir alle … Wir müssen Ergebnisse abliefern, dazu aber auch selbstbewusst genug sein, an uns zu glauben. Wir müssen klug handeln und nicht zu schnell fahren, denn viele Rookies haben sich mit diesen ‚schweren‘ MotoGP-Bikes schon Verletzungen zugezogen und ich kann euch sagen – ein Abflug mit einem solchen Bike ist kein Spaß. Beim ersten Rennen gibt es noch keinen Druck, ich bin mir aber sicher, dass der Druck im Laufe des Jahres zunimmt. Gleichzeitig wird man mit jeder Runde entspannter und lernt das Motorrad immer besser kennen. Schritt für Schritt zu mehr Selbstbewusstsein.“ 

Remy ist Ready To Race Mandalika trotz gebrochenem Handgelenk
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„Letztes Jahr in der Moto2 ging ich viele Male ziemlich selbstbewusst ins Rennen … obwohl ich wusste, dass Raul einen besseren Startplatz herausgefahren hatte als ich, fühlte ich mich besser, da ich seine Daten gesehen hatte und wusste, wo er stark war und wann seine Reifen schlappmachen würden. Ich hatte einen Plan. Letztendlich erwies es sich als positiv, dass er mein Teamkollege war. Dank ihm war ich ständig gefordert. Man könnte meinen, dass es einfacher gewesen wäre, wenn er nicht da gewesen wäre. Ich bin aber überzeugt, dass ich nicht so viele Rennen oder Podestplätze gewonnen hätte, wenn er nicht mit mir gekämpft und mich unter Druck gesetzt hätte.“ 

„Sobald du dich entspannst und denkst ‚das wird leicht‘, hast du die Chance auf einen Podestplatz in der Moto2 verspielt … du musst konzentriert bleiben, einen kühlen Kopf bewahren und jedes Mal abliefern, wenn du auf dem Bike sitzt. Aus diesem Grund landeten wir beide so oft unter den Top-3 und ich glaube, Raul sieht das ähnlich. Manchmal, wenn er eine halbe Sekunde pro Runde schneller fuhr als ich, dachte ich ‚jetzt reiß dich zusammen, der tritt dir gerade in den Hintern‘. Es gab für mich keine einfachen Tage.“ 

Remys Traum wird wahr! Er fährt in der MotoGP gegen die besten Motorrad-Rennfahrer der Welt
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„Als ich zum ersten Mal die Tech3-Box betrat, warteten sechs Jungs darauf, zu hören, was ich zu sagen hatte … da dachte ich: ‚Ich muss etwas Besonderes sein!’ Hinter unseren Teams stecken viele Menschen und Ressourcen, aber die meisten Fahrer können das ausblenden und sich auf ihre Aufgaben konzentrieren. Wenn du das nicht kannst, wirst du nicht besonders schnell sein, da du dir mehr Gedanken darüber machen wirst, was du tun und sagen sollst. Es ist ziemlich ‚normal‘, diese Situation zu akzeptieren, da die meisten von uns schon ihr ganzes Leben lang Rennen fahren. Heute dreht sich vieles um die Technik – wir haben viele Techniker und jeder hat seinen eigenen kleinen Bereich. Wenn man alles unter Kontrolle hat und gut verwalten kann, wird man auch schnell sein – besonders in dieser Klasse.“ 

„Insgesamt ist mein Aufstieg in die MotoGP eine große Sache: Presse, Veranstaltungen, Videos, Anforderungen … manchmal komme ich mir eher wie ein Influencer als wie ein Fahrer vor! Ich muss mein Instagram-Konto aktuell halten und so weiter, und ich bin kein großer Fan davon, aber das ist eben Teil des Jobs, und deswegen frustriert zu sein, macht die Situation auch nicht besser. Heutzutage habe ich viele Verpflichtungen. Natürlich muss ich nicht jedes Mal zusagen, aber ich ziehe es vor, das, worum ich gebeten werde, mit Spaß an der Sache anzugehen – die Fahrt zu genießen sozusagen. Ich finde es toll, dass Menschen daran interessiert sind, mit mir zu reden! Ich weiß, dass ich diesen Job nicht ewig machen werde, also lebe ich lieber für den Augenblick.“ 

„Ich dachte 2021 bereits recht früh über die MotoGP nach … ich sah die guten Resultate, die die Jungs von KTM einfuhren, und das stimmte mich zuversichtlich. Das Bike ist gut genug für Podestplätze. Man sehe sich nur die Zeiten an, die Brad im Rennen in Qatar aufgestellt hat – noch mal zehn Sekunden schneller. Das Niveau in der MotoGP ist so hoch wie noch nie und in der Startaufstellung finden sich unfassbar viele ehemalige Weltmeister und Rennsieger. Natürlich bin ich momentan noch nicht da, wo ich sein will. Aber wenn ich meinen Stil noch etwas besser an das Bike anpassen und lernen kann, wie ich es fahren muss, und dann noch die Reifen und Elektronik besser verstehe, dann können wir es weit bringen.“ 

Remy ist bereit für das nächste MotoGP Rennen in Portiamo, Portugal.
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„Immer, wenn eine KTM weit vorn ins Ziel kommt, beginne ich, nachzudenken und zu analysieren: ‚Wie macht er das?‘ ‚Was müssen wir anders machen?‘ ‚Wie können wir das kopieren?’ Das Gute ist, dass wir Zugang zu all den Daten und Informationen haben. Trotzdem denke ich nicht ewig darüber nach. Das wurde mich in den Wahnsinn treiben. Und wenn die Dinge gut laufen, dann denke ich noch weniger darüber nach. Dann fahre ich mein Rennen und lebe mein Leben. Zu viel Nachdenken und Grübeln kann einen verrückt machen. In dieser Welt wird man schnell verwirrt.“ 

„[In der Werkstatt] Autos zu modifizieren ist wie eine Therapie für mich. Am Anfang hatte ich keinen echten Plan. Ich wollte einfach nur an Autos schrauben und viel PS herausholen. Vielleicht wollte ich auch etwas für meine Zukunft lernen. Ich richtete mir eine Werkstatt ein und wenn ich mich dort aufhalte, gibt es nur mich, die Musik und eine verschlossene Tür. Ich stelle mein Handy auf lautlos, schalte ab und denke an etwas anderes.“